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ENERGIE/154: Energiewende - Welche Möglichkeiten bieten die Erneuerbaren (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 101/2.2009
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie


Alles Erneuerbar

Von Florian Kubitz


Die Energieversorger betreiben den Neubau von Kohlekraftwerken und fordern eine Verlängerung der Restlaufzeiten von Atomkraftwerken. ROBIN WOOD setzt dagegen auf Energiesparen und erneuerbare Energien. Die Energieversorger behaupten, Erneuerbare allein könnten den deutschen Stromverbrauch nicht decken. Doch wie haben sich diese Techniken in den letzten 20 Jahren tatsächlich entwickelt und welche Möglichkeiten bieten sie in den kommenden Jahren und Jahrzehnten?

Nach Berechnungen der Solarwerkstatt Freising ist der Brutto-Stromverbrauch seit 1990 in Deutschland von 550 Terawattstunden (Milliarden Kilowattstunden, kurz TWh) auf 610 TWh angestiegen. Denn eine Komponente in der deutschen Energiepolitik ist bisher sträflich vernachlässigt worden: Energieeinsparung. Denn jede Kilowattstunde, die nicht verbraucht wird, muss auch nicht produziert werden. Und hier gibt es ein großes Potential: So könnten zwei Atomkraftwerke abgeschaltet werden, wenn wir auf unnötige Standby-Schaltungen verzichten würden.

Neben den erneuerbaren Energien ist auch die Kraft-Wärme Kopplung ein wichtiges Element einer zukunftsfähigen Energiepolitik. Durch die gleichzeitige Produktion von Strom und Wärme kann Brennstoff zu über 90 Prozent genutzt werden, während z.B. Kohlekraftwerke gerade mal einen Wirkungsgrad von gut 40 Prozent erreichen und mit der Abwärme die Flüsse aufheizen.

Fünf erneuerbare Energiequellen bzw. Techniken tragen heute bereits zur Stromerzeugung in Deutschland bei: Wasserkraft, Windenergie, Biomasse, Solarenergie und Erdwärme (Geothermie).


Wasserkraft

Die Wasserkraft trägt in Deutschland schon seit Jahrzehnten mit einem Anteil von ca. vier Prozent zur Stromerzeugung bei. Seit 1990 konnte durch den Ausbau von Kleinwasserkraftanlagen und die Erneuerung von Turbinen ein leichtes Wachstum von durchschnittlich 1,7 Prozent pro Jahr erzielt werden. Das Potential der Wasserkraft ist jedoch in Deutschland weitgehend ausgeschöpft und liegt bei ca. 25 TWh.


Windenergie

Seit dem Inkrafttreten des Stromeinspeisegesetzes im Jahr 1990 ist der Ausbau der Windenergie eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Mit diesem Gesetz wurden erstmals in Deutschland feste Vergütungssätze für Strom aus Windenergie eingeführt. Die Vergütung stellt dabei keine Subvention im eigentlichen Sinn dar, weil sie nicht vom Staat gezahlt wird, sondern von den Energieversorgern, die verpflichtet sind, den Windstrom abzunehmen.

Durch diese Regelung setzte ein starkes Wachstum der Stromerzeugung aus Windenergie ein, von nahezu null auf 30 TWh im Jahr 2006. Die durchschnittliche Wachstumsrate betrug dabei 51 Prozent. Das Potential der Windenergie wird heute auf rund 300 TWh, also die Hälfte des derzeitigen Verbrauchs geschätzt.


Biomasse

Die Stromerzeugung aus Biomasse betrug 1990 rund zwei TWh. Ein starkes Wachstum setzte im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ein. Seit dem gibt es festgelegte Vergütungssätze nicht mehr nur für Windenergie sondern auch für die anderen erneuerbaren Energieträger Biomasse, Solarenergie und Erdwärme. Das EEG ermöglichte ein starkes Wachstum aller regenerativen Energieträger und wurde inzwischen von vielen anderen Ländern übernommen.

Die Biomassenutzung stieg bis 2006 auf 13 TWh. Das entspricht einer Wachstumsrate von 14 Prozent seit 1990 und sogar 21 Prozent zwischen 2000 und 2006. Das Potential der Biomassenutzung zur Stromerzeugung wird auf ca. 100 TWh geschätzt.


Solarenergie

Die Nutzung der Solarenergie zur Stromerzeugung, auch Photovoltaik genannt, konnte seit 1990 um den Faktor 2000 gesteigert werden. Die durchschnittliche Wachstumsrate lag bei 61 Prozent. Die Photovoltaik erreichte im Jahr 2006 zwei TWh, also 0,3 Prozent der Stromerzeugung. Verglichen mit dem enormen Potential von ca. 450 TWh, also theoretisch dreiviertel des Stromverbrauchs, steht die Photovoltaik aber immer noch am Anfang. Daher ist eine hohe Wachstumsrate auch in Zukunft von besonderer Bedeutung, um möglichst schnell einen nennenswerten Anteil an der Stromerzeugung zu erreichen.

Denn die Vorteile dieser Technik liegen auf der Hand: Bestehende Siedlungs- und Verkehrsflächen können genutzt werden, und auch die Nutzung von Freiflächen ist nicht so unsinnig, wie sie auf den ersten Blick erscheint: Im Vergleich zu Biomasse erzeugt die Photovoltaik pro Fläche ca. drei bis acht Mal so viel Energie und die Flächen können trotzdem noch für extensive Viehwirtschaft genutzt werden.


Erdwärme/Geothermie

Aus Geothermie werden derzeit in Deutschland erst 0,4 TWh Strom erzeugt. Da es 1990 noch keine Geothermienutzung zur Stromerzeugung gab, kann keine Wachstumsrate ermittelt werden. Für die weitere Betrachtung wird von einem Wachstum von 50 Prozent pro Jahr ausgegangen.


2030 zu 100 % Erneuerbar?

Setzt man die Entwicklung der Erneuerbaren mit den gleichen Wachstumsraten in Zukunft fort, kommt man zu einem überraschenden Ergebnis: Schon 2016 wäre eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien erreicht!

Geht man von etwas vorsichtigeren Annahmen aus, nämlich, dass die Windenergie und die Biomasse weniger stark ausgebaut werden, als es ihr Potential zulässt und dass der Zuwachs in der Photovoltaik nur 40 Prozent beträgt, wäre die Vollversorgung "erst" im Jahr 2022 erreicht. Allerdings - das ist zunächst lediglich eine theoretische Betrachtung. Denn um eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energiequellen gewährleisten zu können, ist nicht nur der Bau der entsprechenden Erzeugungsanlagen ausschlaggebend. So muss vor allem das Stromnetz den Anforderungen der dezentralen Energie-Techniken angepasst werden. Gerade hier haben die großen vier Stromkonzerne, angepasst werden. Gerade hier haben die großen vier Stromkonzerne, denen die Stromnetze bis heute überwiegend gehören, die erforderlichen Anpassungen unterlassen. Sie haben zwar Milliardengewinne durch die Stromdurchleitung verdient, aber so gut wie nichts in die Instandhaltung und den Ausbau der Stromnetze investiert.

Außerdem sind regenerative Energiequellen mit Ausnahme der Wasserkraft und der Biomasse wetterabhängig. Die Herausforderung besteht darin die Gleichzeitigkeit von Erzeugung und Verbrauch sicherzustellen. Unter dem Begriff des "virtuellen Kraftwerks" werden derzeit Lösungen entwickelt, die sicherstellen, dass der Strom auch dann verfügbar ist, wenn der Wind mal nicht weht oder die Sonne nicht scheint. Wichtig ist es daher auch, die Speicherkapazitäten für Strom zu verbessern und zu erweitern, z.B. in Form von Batterien oder Pumpspeicherkraftwerken. Immer wenn mehr erneuerbare Energie erzeugt als verbraucht wird, könnte diese dann gespeichert werden, um sie später bei Bedarf zur Verfügung zu stellen.

Selbst wenn man unterstellt, dass es in diesen Bereichen zu Verzögerungen kommt und eine Vollversorgung bis 2030 nicht umgesetzt werden kann: Das Potential der erneuerbaren Energien und die bisherigen Wachstumsschübe lassen den Schluss zu, dass bereits 2020 die erneuerbaren Energien einen Anteil von 50 Prozent an der gesamten Stromerzeugung liefern können. Das sind 20 Prozent mehr, als die Bundesregierung derzeit plant.

Betrachtet man die Bedrohung, durch die fortschreitende Klimakatastrophe, sollten die Kosten einer Umstellung auf erneuerbare Energien eigentlich eine untergeordnete Rolle spielen. Dennoch brauchen die Erneuerbaren auch diese Betrachtung nicht scheuen. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die Windenergie schon heute real zur Senkung der Stromkosten beiträgt. Und auch beim derzeit noch teuren Solarstrom zeigt sich, dass das EEG Wirkung zeigt und die Kosten für die Solarstrom erzeugung und alle anderen erneuerbaren Energien sinken, - während die Strompreise für konventionell erzeugten Strom weiter ansteigen werden. Dadurch wird vermutlich schon ab 2015 der auf dem eigenen Dach erzeugte Solarstrom günstiger sein als der Strom aus dem öffentlichen Netz.


Ziele der Bundesregierung

Im August 2007 beschloss die Bundesregierung mit dem Energie- und Klimaschutzpaket ein Ausbauziel der erneuerbaren Energien von 25 bis 30 Prozent bis et ein Ausbauziel der erneuerbaren Energien von 25 bis 30 Prozent bis zum Jahr 2020. Damit gibt sich die Bundesregierung als Vorreiter in Sachen Klimaschutz aus. Doch in der Realität stellt diese Vorgabe im Grunde eine Begrenzung der vorhandenen Potentiale der erneuerbaren Energien dar.

Das zeigt z.B. auch die Leitstudie 2008 des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, die im Auftrag des Bundesumweltministeriums erstellt wurde. Die Studie unterstellt erstaunlicherweise, dass der jährliche Ausbau der Photovoltaik nicht mehr erhöht, sondern ab 2009 auf einem Niveau von einem Gigawatt stabilisiert wird. Diese "Prognose" wird allerdings bereits jetzt von der Realität überholt: Branchenexperten gehen für 2008 von einem Zubau von 1,5 Gigawatt aus und erwarten in 2009 ein starkes Wachstum auf 2,5 GW.

Wie sich die Photovoltaik weiter entwickeln wird, ist unklar. In jedem Fall hat die Bundesregierung mit der Novelle des EEG im Jahr 2008 für Verunsicherung gesorgt und eher signalisiert, den Ausbau der Solarenergie bremsen zu wollen. Denn statt wie bisher die Vergütungssätze um jährlich fünf Prozent zu reduzieren, werden sie ab 2009 um jährlich acht bis elf Prozent gesenkt. Bislang ist es der Solarbranche gelungen, die geringeren Einnahmen durch eine Reduzierung der Kosten der Solarstromanlagen im gleichen Maße aufzufangen. Ob das aber auch in Zukunft möglich ist, bleibt vorerst abzuwarten.

Noch schlechter sieht es bei der Wind energie im Binnenland aus. Hier sollen laut Leitstudie 2008 sogar Jahr für Jahr weniger Windräder gebaut werden. Einen objektiven Grund gibt es dafür nicht, denn noch immer sind mehr als genug Flächen vorhanden. So hat z.B. das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen eine hohe Windenergieanlagendichte (sieben Anlagen pro 100 km²), während andere Bundesländer noch deutlichen Nachholbedarf haben. Hemmnisse für den weiteren Ausbau bestehen z.B. in den immer noch z.T. "windfeindlichen" Verwaltungsbestimmungen, die in vielen Gegenden dazu führen, dass die Potentiale für den Ausbau nicht ausgeschöpft werden können. Solche Bestimmungen ließen sich bei entsprechendem politischen Willen durch eine Ergänzung im Bundesbaugesetz ändern.


Die Energiewende ist möglich!

Die Potentiale der regenerativen Energien werden von weiten Teilen der Politik immer noch unterschätzt. Auch wenn energietechnisch noch einige Aufgaben für den flächendeckenden Einsatz der erneuerbaren Energien gelöst werden müssen, sind ihre Möglichkeiten und Potentiale so weitreichend, dass sie schon in sehr kurzer Zeit den größten Teil der Energieversorgung übernehmen können. Entscheidend dafür aber ist, ob der politische Wille ausreicht, die Rahmenbedingungen dafür fortzuschreiben und weiter zu entwickeln. Schon die genannten Änderungen am EEG könnten zu einer Abschwächung führen, die angesichts der weiter wachsenden klimaschädlichen CO2-Emissionen alles andere als wünschenswert ist.

Vor allem aber die Frage des Atomausstiegs hat maßgeblichen Einfluss auf das Wachstum der erneuerbaren Energien. Kommt es nach der Bundestagswahl zu einer Verlängerung der von den Stromkonzernen E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW angestrebten Laufzeiten der Atomreaktoren, dann sieht es für die Erneuerbaren schlecht aus. Längere AKW-Laufzeiten würden schlicht die Attraktivität für Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energie senken, weil das Stromangebot dauerhaft auf hohem Niveau festgeschrieben würde. Gerade aber der beschlossene Ausstieg hat die Investitionen in diesen Bereich deutlich unterstützt.

Technisch steht dem flächendeckenden Einsatz der erneuerbaren Energien also wenig entgegen und schon in naher Zukunft könnten diese den größten Teil der Stromversorgung sicherstellen. Deutschland könnte die bislang anvisierten Klimaschutzziele damit sogar viel schneller erreichen. Das aber wird nur gelingen, wenn es politische und gesellschaftliche Mehrheiten gibt, die sich gegen die großen Stromkonzerne stellen und dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien weiter unterstützt und die Atomkraftwerke endlich abgeschaltet werden.

Florian Kubitz hat Energiesystemtechnik studiert und arbeitet heute für eine mittelständische Solarfirma in Hamburg. Bei ROBIN WOOD ist er im Vorstand, in der Fachgruppe Energie und der Regionalgruppe Hamburg/Lüneburg aktiv.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Schon 2030 könnte die Energieerzeugung zu 100 Prozent aus Erneuerbaren bestehen (Foto: Telemarco/PIXELIO)
Stromerzeugung Erneuerbare Energien - www.Solarwerkstatt-Freising.de 14.9.2006 (Grafik)
Strom aus der Sonne zu gewinnen, wird in Zukunft besonders wichtig sein (SunEnergy Europe GmbH)


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 101/2.2009
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2009