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ENERGIE/214: Modell "Energiedorf" (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 108/1.2011

energie

Modell "Energiedorf"

Von Conrad Kunze



Energieautarke Dörfer versorgen sich vollständig aus regionalen Quellen und sparen damit nicht nur Kohlenstoffdioxid, sondern tun etwas für den Zusammenhalt und ein lebendiges Dorfleben.

Umgeben von Feldern und einem Wäldchen schmiegt sich Atterwasch in die Landschaft Ostbrandenburgs. Die romanische Kirche erfreut sich sonntags im Gottesdienst von Pfarrer Berndt einiger Besucher - im Osten keine Selbstverständlichkeit. Viel Neues passiert freilich nicht, Geburten und Todesfälle sind die wenigen außergewöhnlichen Ereignisse neben den wechselnden Wetterlagen.

Im Jahr 2009 nun begab sich doch einmal Ungewöhnliches. Es begann mit einem Rundschreiben in allen Briefkästen, der Absender Vattenfall ließ nichts Gutes ahnen. In nüchternen Sätzen wurde verkündet, dass Sie, liebe Familie Soundso, leider im Jahr 2015 ihr Haus verlassen müssten, da dann die Bagger kommen würden, um die Kohleflöße unter ihrem Haus, in klingende Münze zu verwandeln - zu unser aller Wohl, freilich!, mit freundlichen Grüßen und so weiter und so fort.

So schnell aber wollten die Atterwascher nicht die Flinte ins Korn werfen. Statt "nur" zu protestieren und die erwartbare juristische Auseinandersetzung zu suchen, schlug Pfarrer Berndt vor, in die Offensive zu gehen. Und so beschlossen die Atterwascher rasch und entschieden, die Energieversorgung in eigene Hände zu nehmen, um sich, der Presse und der Welt zu beweisen, dass die Kohle bleiben kann wo sie ist, nämlich unter der Erde. Seitdem funkeln auf vielen Dächern blaue Solarzellen: die Gemeinde, die Kirche und viele Privathaushalte sind dabei. Selbst der Denkmalschutz hat eingesehen, dass ein Kirchendach mit Solarzellen immer noch besser ist als gar keines. Damit ist die Stromversorgung des Dorfes gesichert und zwar ohne Braunkohle.(1) Atterwasch kann seitdem von sich sagen, in der Stromerzeugung autark zu sein, es verlässt die Wirtschaft der Kohlestoffströme, die rastlos aus den entlegensten Urwäldern und Meeren neues Öl herbeischaffen und dem Tagebau immer neue Landstriche opfern.

Das Modell "Energiedorf" ist nicht ganz neu, aber im verlassenen und verarmten Flachland Ostdeutschlands bietet es einen Lichtblick - und dies nicht nur ökologisch. Vorgemacht hat das die Region Güssing in Österreich. In den 1990er Jahren zählte es zu den ersten vollständig energetisch nachhaltigen Nischen Europas. Seitdem kommen "Energietouristen". Doch darüber hinaus verändert sich die Lage im Raum der Ströme. Fossile Rohstoffe wie Heizöl und Benzin, abstrakter auch: Elektrizität - fließen nicht mehr in die Region hinein und ökonomisches Kapital fließt im Gegenzug nicht mehr hinaus. Statt die Konten der Energie-Monopolisten zu füllen, zirkuliert das Geld in einer kleinen regionalen Wertschöpfung. Herr Müller kauft den Strom bei Frau Meier, diese die Biomasse beim Bauern Schmidt und der investiert in den Solarpark der gemeinsamen Betreibergesellschaft und lässt den Rest in der Kneipe usw. Im Mikrokosmos der ländlichen Wirtschaft ergab sich so eine Seltenheit: Neue Arbeitsplätze entstanden, das Steuersäckel ward gut gefüllt und abgewanderte junge Leute kehrten zurück.

Und so überzeugen die erfolgreichen Beispiele praktisch denkende Bürgermeister von den Vorteilen einer Energiewende im Kleinen. Ungefähr 100 Kommunen haben sich auf den Weg zu einer autarken Versorgung gemacht.(2) Freilich sind das weniger als 1 Prozent der ländlichen Gemeinden Deutschlands, aber es werden immer mehr. Dabei braucht es für eine erfolgreiche Entwicklung nicht unbedingt große familiäre Sparguthaben und auch keine reichen Fördertöpfe. Das haben Atterwasch und viele weitere Beispiele aus Brandenburg bewiesen. Was Not tut ist Zusammenhalt.

Eine gelungene regionale Energiewende geht Hand in Hand mit demokratischem Besitz der Energieerzeuger. So hat das brandenburgische Dorf Feldheim, ebenfalls seit 2010 "autark", ein eigenes Nahwärme- und ein Niederspannungsnetz gelegt. Die Baukosten hierfür hat das Dorf zum Teil selbst aufgebracht, indem jede Familie einmalig 3000,- Euro einzahlte und Miteigentümerin der Netze wurde. Das heißt, alle können mitentscheiden, und die Preise festsetzen. Somit ist keiner mehr von den Monopolisten abhängig sondern die Energiepreise werden selbst bestimmt. Und dies weit unter dem bundesweiten Durchschnitt.(3) Andere Dörfer finanzieren neben "Bürgersolaranlagen" selbst "Bürgerwindräder". Je mehr Bausteine einer autarken Energieversorgung im Besitz der Anwohner oder der öffentlichen Hand sind, desto mehr Geld bleibt eben auch in der Region.

Demokratischer Besitz heißt freilich nicht weniger, als die Mehrheit der Anwohner zu überzeugen, nicht nur mehrere Abende für Informationsveranstaltungen dem Fernsehprogramm vorzuziehen, sondern ihr Gespartes zu riskieren. Dorfbewohner, die noch nie vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gehört haben, tun sich da schwer. Wie so oft reden die "Experten" und "Laien" bei solchen Gelegenheiten aneinander vorbei! Wenn jedoch Vertrauen besteht zu Initiatoren wie Pfarrer Berndt in Atterwasch, ist die höchste Hürde zur Autarkie genommen. An Stelle von Stadtwerken entstehen "Dorfwerke". Viele Tausend werden diese Energiewende von unten vollziehen, fern der "großen Politik".(4) Dass es Dörfer in Ostbrandenburg schaffen, heißt, dass es andere erst Recht können.

Als neue Almenden dienen sie der Allgemeinheit, ökonomisch wie ökologisch. Erschaffen in Regionen, die an einem Strang ziehen, sind sie sowohl Folge als auch Grund für ein lebendiges Dorfleben, welches mehr ist als Bier und Bratwurst zum sonntäglichen Fußballspiel. "Umweltfragen sind am besten auf entsprechender Ebene unter Beteiligung aller betroffenen Bürger zu behandeln." So fordert es Grundsatz 10 der Rio-Deklaration der vereinten Nationen. "Energiedörfer" helfen sich selbst und retten die Welt. Hier vor Ort können sie die Vorreiter einer Energiewende sein, die nicht auf die letzten Bummelanten der internationalen Klimapolitik warten, und als ökonomische Graswurzelbewegung ihren praktischen Beitrag für eine ökologische Wirtschaft leisten.(5)

Conrad Kunze ist Soziologe und Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sozialwissenschaftliche Umweltfragen der TU-Cottbus. Seit zwei Jahren forscht und promoviert er über Energiedörfer in Brandenburg. www.sozum.tu.cottbus.de/publikationen

(1) In der Region hat sich auch die "Solargenossenschaft Lausitz" gegründet (http://www. solar-lausitz.de); (2) siehe die Messe "100% erneuerbar" in Kassel 2009 und 2010; (3) Die Feldheimer zahlen 16,6 Cent je Kilowattstunde Strom und 7,5 Cent je Kilowattstunde Wärme; (4) Mehr in: Kunze, Conrad, Von Feldheim lernen heißt siegen lernen!, http:// www.kommunale.info/infothek/4052.asp; (5) Scheer, Hermann: Global reden, national bremsen: Das heimliche Motto der Weltklimakonferenz, In: Le Monde Diplomatique, 2010, www.monde-diplomatique.de/pm/.extratexte/scheer

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Regionale Energiewende: Das Dorf Feldheim in Brandenburg hat ein eigenes Nahwärme- und Niederspannungsnetz installiert

Hinweis der SB-Redaktion vom 23.05.2012:
s.a. zum Thema: Kunze, Conrad, Soziologie der Energiewende, Ibidem 2012
http://www.ibidemverlag.de/Unser-Verlagsprogramm/Gesellschaftswissenschaften/Soziologie-der-Energiewende.html

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 108/1.2011, S. 30-31
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2011