Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

ENERGIE/219: Netzausbau, aber wie? Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 162 - Juni/Juli 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Netzausbau, aber wie?
Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien

Von Vincent Nörig


Der Ausbau der Stromnetze in Deutschland ist eines der komplexesten Themen, mit denen man sich derzeit als Umweltschützer befassen kann. Die Fülle an verschiedenen Ansätzen macht es beinahe unmöglich, einen vernünftigen Konsens zu finden. Schnell verliert man den Überblick in den Wirren der Möglichkeiten.

Die Debatte fußt auf der Umstellung der Stromversorgung. Statt atomarer und fossiler Energiequellen sollen erneuerbare Energien genutzt werden. Und an diesem Punkt beginnt der Streit über die Zukunft des deutschen Stromnetzes, um genau zu sein, beim "Wie". Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gelangt zu dem Ergebnis, dass man etwa 3.600 Kilometer neue Leitungen braucht. Das könnte langwierige Auseinandersetzungen mit Gemeinden, durch welche die Trassen verlaufen sollen, zur Folge haben.

Doch wieso müssen überhaupt neue Stromleitungen gebaut werden? Der große Bedarf an Leitungen rührt daher, dass der Strom in großen Anlagen, wie zum Beispiel Offshore-Windparks, produziert werden soll. Von dort wird er dann quer durchs Land geschickt, wenn nicht sogar durch ganz Europa. Oder einfach durch eine Wüste, unter einem Meer hindurch und dann über die Alpen, Luftlinie mehr als 3.000 Kilometer. Ob das sinnvoll ist, soll jeder selbst entscheiden. Es handelt sich hierbei schließlich um riesige Solarparks in nordafrikanischen Wüstengegenden wie zum Beispiel das Projekt Desertec. Sonne gibt es dort jedenfalls mehr als genug.

Wer dagegen auf eine dezentrale Lösung pocht, hat schnell das Problem der längerfristigen Speicherung von Energie. Sollten in einem Szenario, dass auf Sonnen- und Windenergie basiert, beide Stromerzeuger witterungsbedingt ausfallen, muss Ersatz her. Idealerweise nutzt man hierzu den an energiereichen Tagen erzeugten, überschüssigen Strom, der in ein Speichersystem eingespeist wurde. Auch hier gibt es zwei Ansätze: die elektrochemische Speicherung in den einzelnen Haushalten oder im Gemeindekreis und die Speicherung in größerem Maßstab, wie bei Pumpspeicherkraftwerken möglich. Die erste Lösung ist leider noch nicht allzu effektiv, die zweite benötigt wiederum neue Stromleitungen sowie die Zustimmung der Bevölkerung zum Bau des Kraftwerks. Diese Speicherkraftwerke haben einen hohen Flächenbedarf und gefallen somit nicht jedem. Ein Beispiel für diese Problematik findet sich im Schwarzwald, dort kämpft gerade ein Kraftwerksprojekt ums Überleben. An diesem Punkt der Überlegungen angekommen, stößt man unweigerlich auf einen Fakt: Die Umstellung auf erneuerbare Energien fordert Opfer. Seien es Opfer monetärer, ästhetischer oder sonstiger Art, aber sie müssen gebracht werden. Die Alternative ist keinen Gedanken wert, nach Fukushima kann niemand mehr ernsthaft an ein minimales "Restrisiko" von Atomkraftwerken glauben. Auch der Ausbau von Kohlekraftwerken ist keine wirkliche Möglichkeit. Über die Schädlichkeit dieser Umweltverpester hat der RABE RALF in den letzten Ausgaben ausführlich berichtet.


Erneuerbarer Energie-Mix notwendig

Doch was ist nun die Lösung im Streit um Deutschlands Energiezukunft? Viele Modelle beschreiben einen Mix aus größeren Solar- und Windkraftparks, Wasserkraftwerken, Pumpspeicherkraftwerken, kleinen Bürgerwindparks und unzähligen Solaranlagen auf Hausdächern. Wie dieser Mix genau aussieht, ist höchst unterschiedlich. Manche Vorschläge setzen eher auf grössere Anlagen, andere sind für eine, überspitzt ausgedrückt, autarke Versorgung einer jeden Gemeinde. Und genau das macht es so kompliziert, genaue Angaben zu den möglichen Kosten zu machen. Dennoch soll hier beispielhaft ein Ansatz vorgestellt werden:

Da ist der Vorschlag von Rainer Brüderle (FDP). Dieser orientiert sich an dem 600 Seiten starken Bericht der Deutschen Energie Agentur (Dena) aus dem Jahre 2010. Es geht im Grunde darum, das Genehmigungsverfahren für zu bauende Leitungen zu vereinfachen. Der Rest des Plans stammt eigentlich von der Dena. Brüderles Plan, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen, ist ein bundesweit einheitlicher Standard zur Genehmigung neuer Stromtrassen. Ob das überhaupt notwendig ist, wird nicht weiter hinterfragt, die Analyse der Dena wird als gültig und bestmöglichste Lösung betrachtet. So sollen die 3.600 Kilometer der 380 kV-Leitungen bis 2020 verlegt sein. Die Höchstspannungsleitungen sollen den Strom vom Norden, wo er erzeugt wird, in den dichter besiedelten und stärker industrialisierten Süden transportieren.

Dies ist übrigens der Grund für die große Menge neuer Leitungen. Bisher waren die Atom- und Kohlekraftwerke verhältnismäßig nahe der großen Abnehmer, sprich: der Städte und Industriegebiete. Der Plan der Dena verkompliziert die Struktur, da sich Solarstrom aus dem Süden und Windkraft aus dem Norden ergänzen müssen, um eine gewisse Versorgungsstabilität zu gewährleisten. Regional sollen noch etliche Kilometer 110 kV-Leitungen gebaut werden, die den Strom in den Mittelspannungsnetzen transportieren.


Wer soll das bezah-ha-len?!

Die Problematik: Nirgends finden sich verlässliche Zahlen zu den Kosten. Mal ist von 6 Milliarden Euro die Rede, dann wieder von 13 Milliarden. Die Wahrheit ist schlicht und einfach, dass eine verlässliche Kostenberechnung nicht stattfinden kann. Der Widerstand in der Bevölkerung kann nicht berechnet werden, ebenso wie sämtliche Verzögerungen, die bei Großprojekten zwangsläufig auftreten: Unwetter, Materialprobleme und technische Mängel. Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Es muss also generell die Regel gelten: je weniger neue Leitungen benötigt werden, desto besser.

Tatsache ist, dass eine Mixversorgung aus konventionellen und erneuerbaren Energien nur schwer möglich ist. Durch die schlechte Abregelbarkeit der herkömmlichen Kraftwerke blockieren diese die Stromleitungen. Atomkraftwerke können nicht einfach abgeschaltet werden, sodass an einem sonnigen, windigen Tag eher die Windräder stillstehen als die Atommonster.

Daher ist der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie weiterhin notwendig. Des Weiteren muss endlich ein vernünftiges, stärker dezentraleres Konzept zum Umbau der Stromnetze erstellt werden. Dass dieser notwendig ist, wird immer deutlicher, doch die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung sprengen jegliche Realisierbarkeit.

www.unendlich-viel-energie.de/de/strom.html
www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Energie/Energietraeger/netze.html
www.wind-energie.de/de/themen/windenergie-im-stromnetz


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
So ist ein Strommast schön
Dem Trafo ist es egal, mit welchem Netz er arbeitet, den Erneuerbaren nicht


*


Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 162 - Juni/Juli 2011, S. 5
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2011