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GARTEN/136: Weiberwirtschaft - Aus dem Leben unserer Blattläuse (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 2/09
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Weiberwirtschaft
Aus dem Leben unserer Blattläuse

Von Helge May


Blattläuse sind eher schweigsame Tierchen. Sie reden wenig. Eigentlich gar nicht, soweit wir das beurteilen können. Dennoch vermögen sie sich mitzuteilen, gegenüber Ameisen zum Beispiel. "Achtung, bitte unbedingt mal den Hintern abwischen!", lautet so eine typische Blattlaus-Mitteilung.

Als Botenstoff dient ein im Honigtau enthaltener Spezial-Zucker, der die Ameise herbeieilen lässt, auf dass sie die Blattlaus von der zähen Ausscheidung befreit. Ohne diesen Putzdienst würde der Honigtau bei vielen Blattlausarten die rückwärtige Leibesöffnung verkleben oder sie sogar bewegungsunfähig machen. Andere Arten behelfen sich, indem sie die Honigtautropfen mit einer dünnen Wachshülle versehen.


Schutz für Honigkühe

Mit ihren Saugrüsseln stechen Blattläuse die Leitungsbahnen von Pflanzen an, in denen diese ihre Nährstoffe transportieren. Abgesehen haben es die Blattläuse vor allem auf Eiweiße, die im Pflanzensaft aber nur in geringerer Konzentration vorkommen. Die großen enthaltenen Mengen an Kohlenhydraten wiederum, also Zucker, können die Blattläuse nicht verwerten und scheiden sie deshalb aus.

Wichtig ist, was hinten rauskommt, wusste schon Altkanzler Helmut Kohl. Viele Ameisen sehen das genauso. Für sie sind Kohlenhydrate von großem Wert und so kümmern sie sich oft aktiv um die Blattläuse, transportieren sie zu neuen "Weidegründen" und beschützen sie vor Fressfeinden wie Florfliegen- oder Marienkäferlarven. Die Blattlaus-Fürsorge kann jedoch auch rabiate Züge annehmen. Um die kleinen Honigkühe im Zaum zu halten, werden schon mal deren Flügel abgebissen oder Stoffe abgesondert, die sie ruhigstellen und ihre Bewegungen verlangsamen.


Gefährliche Pflanzenviren

Bei ihrer Mahlzeit entnehmen Blattläuse den Pflanzen nicht nur Nährstoffe, sie können die Einstichwunden auch mit Viren infizieren, was vor allem in der Landwirtschaft erhebliche Schäden anrichten kann. Beispiele sind die Strichelkrankheit der Kartoffel und der Gerstengelbverzwergungsvirus, der Weizen und Gerste schwächt. Befallene Ackerpartien sind leicht anhand von Wuchsrückstand und Gelbfärbung zu erkennen.

Da Pflanzen weder ausgesaugt noch "verzwergt" werden wollen, versuchen sie sich gegen die Blattläuse zu wehren und die Stichwunden möglichst umgehend zu schließen. Die Blattläuse wiederum geben mit ihrem Speichel Proteine ab, die den Wundverschluss der Pflanze wirksam verhindern.


Männer nur bei Bedarf

Man sieht es ihnen nicht an, aber Blattläuse sind echte Hochgeschwindigkeitstiere. Das Blattlausjahr beginnt in einem Ei. So weit, so gewöhnlich. Die daraus schlüpfenden Tiere jedoch sind ausnahmslos ungeflügelte Weibchen, die sich in der Folge nicht auf geschlechtlichen Weg vermehren, sondern ohne erneute Befruchtung das Jahr über mehrere weitere Generationen hervorbringen. Die Weibchen gebären dabei täglich bis zu fünf Klone ihrer selbst. Bei günstigen Nahrungsbedingungen können sich Blattlauskolonien geradezu explosionsartig vermehren - was jeder Gartenbesitzer bestätigen kann.

Erst zum Ende des Sommers kommen wieder Männchen zur Welt und die letzte Generation ist dann auch wieder geflügelt, da für die Ablage des Überwinterungseis oft die Wirtspflanze gewechselt wird. Bei Nahrungsmangel und unter Stress, wenn zum Beispiel gerade ein Marienkäfer die halbe Kolonie aufgefressen hat, können die Blattläuse aber auch von heute auf morgen den inneren Schalter umlegen und geflügelte Nachkommen zur Welt bringen, um dann den unsicheren Ort zu verlassen. Wenn ihnen die Ameisen nicht vorher noch die Flügel abbeißen.


Wasserstrahl und Spiritus

Von Nahem betrachtet, sind Blattläuse zweifellos faszinierende Tiere. Sie sind aber leider oft auch lästig, nicht zuletzt im Garten. Wer Blattläuse dezimieren möchte, sollte entweder ihre zahlreichen Feinde vom Marienkäfer bis zur Schlupfwespe fördern oder ihnen ganz einfach regelmäßig mit einem gezielten starken Wasserstrahl zu Leibe rücken. Bei Rosen und kräftigen Stauden ist die "Wasserkur" eine zuverlässige und die umweltverträglichste Bekämpfungsmethode. Auch das Aufbringen von Brennnessel- oder Wurmfarnjauche hilft, ebenso eine Lösung mit Schmierseife und Spiritus.


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Anhaltend erfolgreich

Blattläuse leben seit über 200 Millionen Jahren auf unserem Planeten. Von rund 5000 Arten weltweit kommen mehr als 800 auch in Mitteleuropa vor. Die typische heimische Blattlaus wird einen bis drei Millimeter groß, mit sieben Millimetern ist man schon Blattlausriese.

Die meisten Arten werden nach ihren Wirtspflanzen benannt. Bekannt und häufig sind zum Beispiel die Rosenblattlaus, die Grüne Pfirsichblattlaus, die Gefleckte Kartoffelblattlaus, die Grüne Gurkenlaus und die Schwarze Bohnenlaus. Letztere ist allerdings eine Art mit Wirtswechsel. Die Bohnenlaus überwintert an Pfaffenhütchen und Schneeball und befällt dann im Frühjahr Bohnen, Kartoffeln und Rüben.

Immer wieder werden auch neue Arten aus entfernten Regionen eingeschleppt. Dramatischstes Beispiel ist die aus Amerika stammende Reblaus, die im 19. Jahrhundert fast den kompletten europäischen Weinbau zerstörte. Zu den jüngsten Einwanderern gehören die ebenfalls amerikanische Lupinenblattlaus und die Russische Weizenblattlaus.


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Verborgenes Leben

Nicht alle Blattläuse leben in offenen Kolonien auf Blättern und Stängeln. Die große Gruppe der Gallenläuse führt ihr Leben im selbst geschaffenen Pflanzeninneren. Ähnlich wie Gallmücken und Gallwespen bohren auch Gallenläuse Pflanzenteile an, die sich dann als Abwehrmechanismus und unter Einfluss von Enzymen aus dem Blattlausspeichel verformen und so um die Blattläuse herum eine schützende Hülle bilden.

Viele häufig auftretende Gallen werden von Blattläusen verursacht, etwa die blasenförmigen Beutel an Ulmenblättern, die ananasartigen Verwachsungen an Nadelbäumen - hervorgerufen von der Fichtengallenlaus - und die auffälligen Mehrfachspiralen an Pappelblattstielen. Wenn man solche Gallen öffnet, finden sich darin ganze Blattlausfamilien.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Blätter und Stengel das Schwarzen Holunders enthalten Blausäure-Verbindungen, sie werden deshalb kaum von Insekten befallen. Der Holunderblattlaus mit ihren typischen weißen Wachstreifen allerdings macht dies nichts aus, sie scheidet die Giftstoffe einfach "unverdaut" wieder aus.


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 2/09
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2009