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MASSNAHMEN/171: Lachse zwischen Kleinwasserkraftlobby und Gewässerschutzpolitik (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 941 vom 27. März. 2010 - 29. Jahrgang

Scheitert der Lachs auf der letzten Meile?


Wenn der Lachs von Grönland aus wieder in den Rhein zurückgewandert ist, hat er viertausend Meilen hinter sich, 2000 Meilen auf dem Weg nach Grönland und wieder 2000 Meilen auf dem Weg zurück. Die beachtliche Schwimmleistung scheint dem armen Vieh aber nichts zu nutzen. Denn der Einfluss der Kleinwasserkraftlobby und das Unverständnis der baden-württembergischen Gewässerschutzpolitik lassen den Lachs buchstäblich auf der letzten Meile scheitern. Doch der Reihe nach: Damit es überhaupt einen Anflug von Hoffnung gibt, dass der Lachs wieder halbwegs sich selbst reproduzierende Bestände im Rheineinzugsgebiet aufbauen kann, muss er auch seine angestammten Laich- und Jungfischhabitate in den Schwarzwaldflüssen erreichen. Dazu hat die Internationale Rheinschutzkommission jahrelang mit der französischen Wasserwirtschaftsverwaltung und dem Stromkonzern EdF verhandelt. Denn die EdF muss Millionen Euro in Fischtreppen investieren, damit der Lachs die ersten vier großen Staustufen der EdF am Oberrhein überwinden kann (s. RUNDBR. 924/4) - anschließend kann der Lachs in die Schwarzwaldflüsse abzweigen. Baden-Württemberg hat die Schwarzwaldflüsse als "Lachsprogrammgewässer" ausgewiesen und bereits viel Geld für die Durchgängigmachung von Alb, Murg, Kinzig, Elz und Dreisam ausgegeben. Aber auch die Kleinwasserkraftbetreiber haben ein begehrliches Auge auf diese Rheinnebenflüsse geworfen. Die Kleinwasserkraftbetreiber locken mit folgendem Angebot: Wenn wir an vorhandenen Wehrabstürzen ein Kleinwasserkraftwerk bauen dürfen, dann errichten wir parallel dazu eine Fischtreppe. Da freut sich der Lachs und wir können grünen Wasserkraftstrom produzieren. Eine ganze Kaskade von Kleinwasserkraftwerken entlang der Lachsprogrammgewässer - etwas Besseres könne dem Lachs doch gar nicht passieren. Das Angebot der Kleinwasserkraftbetreiber hat jedoch einen Haken: Fischtreppen werden bei der Aufwärtswanderung immer nur von einem bestimmten Prozentsatz der Fische gefunden. Bei mehreren Fischtreppen entlang eines Flusses kommt es deshalb auf dem Weg nach oben und bei der Abwärtswanderung jeweils zu einem »Ausdünnungseffekt« (siehe obigen Kasten)[s.u.].

An "Lachsprogrammgewässern" muss man sich deshalb entscheiden: Lachs oder Wasserkraft! Wenn man beides zusammen versucht, wird das Lachswiedereinbürgerungsprogramm notwendigerweise scheitern müssen. Die baden-württembergische Umweltpolitik hat das aber noch nicht begriffen - bzw. die Stuttgarter Umweltministerin kapituliert vor dem Ansturm der Kleinwasserkraftlobby. Im letzten Jahr hatten wir ein Moratorium für den Zubau von Kleinwasserkaftanlagen an den Lachsprogrammgewässern vorgeschlagen. TANJA GÖNNER (CDU) konterte sofort mit der Erklärung, dass es keinerlei Moratorium geben wird. Das hat die Kleinwasserkraftbetreiber derart ermutigt, dass sie jetzt noch einen Zahn zulegen: Auch dort, wo an Lachsprogrammgewässern bereits Wehranlagen zu rauen Rampen umgebaut worden sind, sollen künftig zusätzliche Kleinwasserkraftanlagen errichtet werden! Zusammen mit dem Landesfischereiverband haben wir jetzt eine neuerliche Initiative gestartet, um die Lachsprogrammgewässer vor einem weiteren Zubau von Wasserkraftanlagen freizuhalten. Wo noch fischunpassierbare Wehranlagen vorhanden sind, müssen diese Wanderungshindernisse fischfreundlich zu rauen Rampen umgebaut werden - anstatt die Wehranlagen mit weiteren Kleinwasserkraftwerken aufzurüsten.


Wie der Lachs in der abnehmenden geometrischen Reihe untergeht

Wenn man optimistisch davon ausgeht, dass die Fischtreppen von jeweils 50 Prozent der aufstiegswilligen Fische gefunden werden, wird die zweite Fischtreppe nur noch von 25 Prozent passiert, die dritte Fischtreppe nur noch von 12,5 Prozent, die vierte Fischtreppe nur noch von 6 Prozent usw. usf. Da aber beispielsweise an der Schwarzwald-Kinzig jetzt schon mehr als zehn Kleinwasserkraftwerke in Betrieb sind, kann man sich entsprechend dieser abnehmenden geometrischen Reihe ausrechnen, dass im oberen Bereich der Mittelläufe - den historischen Laich- und Jungfischhabitaten - praktisch keine laichbereiten Lachse mehr ankommen werden. Und wenn sich doch ein paar Junglachse ("Smolts") entwickeln sollten, dann droht ihnen bei der Abwärtswanderung der »Ausdünnungseffekt« in umgekehrter Reihenfolge. Bei der Abwärtswanderung durch die Turbinen wird jedes Mal ein bestimmter Prozentsatz der Smolts getötet oder erheblich verletzt - mit dem Ergebnis, dass viel zu wenige Junglachse überhaupt noch im Rhein ankommen.


Bundesregierung: Querbauwerke abreißen!

Im Stuttgarter Umweltministerium verweist man auf das neue Wasserhaushaltsgesetz, das in Paragraph 35 bestimmt, dass die Behörden an vorhandenen Wehranlagen und Querbauwerken zu prüfen haben, ob dort eine Wasserkraftanlage errichtet werden kann (s. RUNDBR. 930/1-2). Dabei wird allerdings unterschlagen, dass dies lt. § 35 nur dann gilt, wenn ein Rückbau des Querbauwerkes "zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele nach Maßgabe der §§ 27 bis 31 auch langfristig nicht vorgesehen ist" - soll heißen: Wasserkraft kommt nur dann in Frage, wenn damit das Ziel des »guten ökologischen Zustandes« nicht gefährdet wird. Sich selbst reproduzierende Lachsbestände sind aber geradezu der essenzielle Beweis für den »guten ökologischen Zustand« im Oberrhein und seinen Nebenflüssen. Eine Interpretationshilfe zu § 35 WHG liefert auch die Bundestags-Drucksache 17/66 vom 4.12.2009. In der Drs. beantwortet die Bundesregierung eine grüne Anfrage zur Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie. Zur Relevanz des »Ausdünnungseffekts« stellt die Bundesregierung u.a. fest: "Die kumulative Wirkung von Querbauwerken stellt in zahlreichen Gewässern ein besonderes Problem dar. Gerade bei solchen Gewässern muss daher dafür gesorgt werden, dass möglichst schonende Techniken zur Durchwanderbarkeit eingesetzt werden und soweit wie möglich einzelne Querbauwerke vollständig beseitigt werden. (...) Bei allen Querbauwerken sollte aus gewässerökologischen Gründen geprüft werden, ob sie weiterhin erhalten werden müssen."


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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 941/2010
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2010