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MASSNAHMEN/194: Die Globalisierung unserer Natur - Gefahren eindämmen (Unser Wald)


Unser Wald - 1. Ausgabe, Jan./Febr. 2013
Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald

Die Globalisierung unserer Natur

Von Stefan Nehring



Regionale Spezialitäten erfreuen den Gaumen, aber immer mehr Innenstädte sind geprägt von weltweit operierenden Fast Food Ketten, die überall die gleichen Einheitsmenüs anbieten. Ein Phänomen, das zunehmend auch in der Tier- und Pflanzenwelt zu beobachten ist. Immer mehr gebietsfremde Arten breiten sich unkontrolliert aus und gefährden die biologische Vielfalt. Zum Glück kann jeder Einzelne aber etwas dagegen tun.


Als Christoph Columbus 1492 aufbrach, neue Welten zu entdecken, wusste er nicht, was ihn erwartete. Aber schon sechs Tage nach Betreten des amerikanischen Kontinents schrieb er in sein Tagebuch: "Es quält mich sehr, dass ich die vielen Kräuter, Sträucher und Pflanzen nicht kenne, die vielleicht von großem Wert sein mögen. Ich werde von den meisten Proben nach Hause nehmen." Heute gilt seine Atlantiküberquerung als Startschuss des globalen Welthandels.

Bereits damals bekam Columbus deutlich zu spüren, dass gebietsfremde Arten auch Probleme bereiten können. Der karibische Schiffsbohrwurm (Teredo navalis) fand die hölzernen Korvetten zum Fressen gern, mehrere Schiffe gingen verloren. Kaum war Columbus zurückgekehrt, breitete sich der Schiffsbohrwurm in Europa aus. Schon bald erreichte er die Nordsee und Holland war in Not. Die hölzernen Deichtore wurden so stark beschädigt, dass sie bei der Sturmflut 1731 brachen: hunderte Menschen ertranken. Heute hat man dieses Problem gut im Griff, indem man im Meer nur noch Teredo sichere Materialien verwendet. Bedroht sind aber weiterhin wertvolle Kulturgüter aus Holz, vor allem historische Wracks.

Nun mag man entgegnen, dass, seit es Leben gibt, Tiere und Pflanzen neue Standorte besiedeln, es sich also um einen alltäglichen Vorgang handele, der grundsätzlich zu akzeptieren sei. Auch die heute bei uns vorkommenden einheimischen Arten waren einst Einwanderer, als sie nach der letzten Eiszeit Mittel- und Nordeuropa neu besiedelten. Solche biologischen Invasionen verlaufen jedoch ohne menschliche Hilfe und in kleinen Schritten, bei denen das ökologische Gleichgesicht durch das Mitwandern natürlicher Feinde und Konkurrenten erhalten bleibt. Bei von Menschen verursachten Invasionen dagegen werden massive Ausbreitungsbarrieren (Meere, Gebirge, Wüsten etc.) extrem schnell überwunden - zum Beispiel mit dem Schiff oder Flugzeug. Die natürlichen Gegenspieler bleiben oft zurück. So können sich gebietsfremde Arten in einem neuen Gebiet ungestört ausbreiten und dabei stark erhöhte und oftmals unerwartete Auswirkungen zeigen.

In Zeiten der wirtschaftlichen Globalisierung finden solche vom Menschen gemachten Invasionen in immer größeren Umfang statt - mit fatalen Folgen: Gebietsfremde Arten gelten heute nach dem Verlust von Lebensräumen als größte Bedrohung der biologischen Vielfalt.

Jedes Jahr werden tausende Arten aus fernen Ländern nach Europa transportiert, entweder absichtlich, um z.B. unsere Gärten und Parks zu schmücken, oder unabsichtlich, indem sie unbeachtet mittransportiert werden. Einige dieser Arten werden aus wirtschaftlichen Gründen durch Forst, Jagd oder Fischerei sogar gewollt wild angesiedelt. Die meisten jedoch gelangen nur zufällig in die Freiheit, z.B. durch Samenflug oder als Gefangenschaftsflüchtling, sterben aber meistens schnell, weil das Klima nicht passt oder die richtige Nahrung fehlt. Trotzdem steigen die "Erfolgsmeldungen" rasant.

In Deutschland sind momentan schon 806 gebietsfremde Arten in der freien Natur etabliert. Bei 72.300 einheimischen Arten stellen sie damit bereits über ein Prozent des Arteninventars.

Spektakuläre Beispiele über den negativen Einfluss gebietsfremder Arten stammen meistens aus geographisch isolierten Gebieten, in denen einheimische Arten oft nur wenige Rückzugsmöglichkeiten besitzen. So wurden auf der Pazifikinsel Guam 21 nur dort vorkommende Tierarten durch die aus Australien eingeschleppte Braune Nachtbaumnatter ausgerottet. Bisher stellt sich die Situation in Mitteleuropa zum Glück entspannter dar. Die meisten der rund 800 gebietsfremden Arten, die bei uns wild leben, sind unauffällig. Etwa 10 % von ihnen gelten aber als invasiv, weil sie nachweislich eine erhebliche Gefahr für die Natur oder den Menschen darstellen. Schätzungen zufolge liegen aktuell die Kosten, die invasive Arten in Deutschland verursachen, bei zwei Milliarden Euro im Jahr.

Und die Kosten werden noch steigen, denn der Klimawandel sorgt zusätzlich für eine Verschärfung des Problems. Da gebietsfremde Arten oft über eine hohe Anpassungskapazität und ein großes Ausbreitungspotenzial verfügen, profitieren sie viel stärker als einheimische Arten von Lebensraumveränderungen. Hinzu kommt, dass eine Vielzahl von bei uns schon heute vorkommenden gebietsfremden Arten wärmeliebend sind - ein wärmeres Klima kommt ihren Ansprüchen also entgegen.

Viele Probleme mit invasiven Arten sind jedoch hausgemacht, indem man sich im Vorfeld einer Freisetzung oder Anpflanzung keine ausreichenden Gedanken über eine unkontrollierte Ausbreitung und mögliche Auswirkungen gemacht hat. Manchmal trifft es den Verursacher sogar selbst. Die nordamerikanische Späte Traubenkirsche sollte die Holzproduktion speziell auf Sandböden steigern. Dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Vielmehr leidet heute der Forstbetrieb unter massiver Verwilderung und Ausbildung dichter Strauchschichten, die Holzernte und Walderneuerung entsprechend verteuern. Durch die Ausbreitung in zuvor gehölzfreie Biotope und die radikale Veränderung des Lichtklimas am Waldboden führt die Traubenkirsche auch zum Rückgang vieler seltener und gefährdeter Arten. Um dem Problem Herr zu werden, haben Forst und Naturschutz schon viele Beseitigungsversuche unternommen, die das Problem an vielen Orten nicht entspannt, sondern sogar noch verschärft haben. Stockausschläge sind vitaler und zahlreicher als die ursprünglichen Pflanzen und Bodenverwundungen fördern die Keimung und den Austrieb von Ausläufern.

Das Beispiel zeigt, erfolgreich beseitigen ist grundsätzlich nicht einfach und immer wieder wird viel Lehrgeld gezahlt. Umso wichtiger ist es, sich im Vorfeld von Maßnahmen genau zu überlegen, was alles passieren kann und was das beste Management ist. Hierbei gilt es, insbesondere den Erfahrungsschatz Dritter aus dem In- und Ausland zu berücksichtigen.

Manche Problemfälle lassen sich leicht vorab erkennen. Wer in Gartencentern mit Attributen wie "wuchskräftig" oder "vermehrungsfreudig" positiv beworben wird, wird im Garten und darüber hinaus schnell zur Pest. Früher auch als Bienenweide propagiert, fand der Japanische Knöterich Eingang in viele Gärten. Durch klonales Wachstum entstehen jedoch schnell große, dichte Bestände mit gravierenden ökologischen und wirtschaftlichen Schäden. Durch Anpflanzung aber auch Verschleppung kleiner Rhizom- und Sprossteile kommt der Japanische Knöterich heute im gesamten Bundesgebiet vor. Hätte man beim Auftreten erster verwilderter Pflanzen sofort reagiert, alle beseitigt sowie Besitz- und Vermarktung verboten, müssten heute die Behörden pro Jahr keine dreißig Millionen Euro zur Beseitigung der gröbsten Schäden ausgeben.

Als 1934 vier Waschbären aus Nordamerika am Edersee ausgesetzt wurden, wollte man einen attraktiven Pelzträger für die Jagd heimisch machen. Schnell wuchsen den Jägern die Waschbären über den Kopf. Obwohl letztes Jahr 67.000 Waschbären geschossen wurden, wächst der Bestand weiter an, auf aktuell 500.000 Tiere. Der Waschbär frisst gern Eier und kleinere Wirbeltiere, wodurch er den Bruterfolg von Vögeln und die vom Aussterben bedrohte Europäische Sumpfschildkröte gefährdet. Er sucht auch die Nähe des Menschen und richtet an Haus und Garten größere Schäden an. Problematisch ist dabei zudem seine mögliche Belastung mit Spulwürmern, Staupeviren und Kuhpocken.

Zum Glück stehen wir den von uns selbst verursachten Bioinvasionen - anders als bei Naturgewalten - nicht hilflos gegenüber. Wir haben durchaus Gegenmaßnahmen in der Hand. Grundsätzlich gilt, Vorsorge ist besser als teure Nachsorge. Da jede neue gebietsfremde Art das Problem verschärfen kann, lautet die Maxime: Keine weiteren neuen gebietsfremden Arten in unserer Natur. Hierfür müssen entsprechende Maßnahmen an den verantwortlichen Vektoren umgesetzt werden. Neben rechtlichen Regulierungen wie z.B. phytosanitäre Standards oder Importverbote kann jeder Einzelne dazu auch einen wichtigen Beitrag leisten:

• Bevorzugen Sie einheimische Arten für die Hecken- und Gartengestaltung.
• Verhindern Sie die Ausbreitung von Gartenpflanzen über Ihr Grundstück hinaus.
• Entsorgen Sie keine Gartenabfälle in der freien Natur.
• Setzen Sie keine Pflanzen oder Tiere aus.
• Verzichten Sie auf lebende Souvenirs und bestellen Sie keine Pflanzen, Samen oder Tiere aus anderen Ländern.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Ambrosie
Obwohl die nordamerikanische Ambrosie schon 1860 bei Hamburg auf einem Kartoffelacker gefunden wurde, kam diese einjährige Pflanze bei uns bis vor kurzem immer nur in kleinen Beständen und meist nur kurzzeitig vor. Erst seit 2005 breitet sie sich vor allem in sommerwarmen Gebieten in Süd- und Ostdeutschland stark aus. Die Ambrosie wächst häufig in Privatgärten, da Vogelfutter oft mit ihren Samen belastet ist. Im Naturschutz stellt sie bisher kein großes Problem dar. Sie besitzt jedoch stark allergene Pollen, die Heuschnupfen und Asthma beim Menschen auslösen können. Durch ihre späte Blütezeit verlängert sich außerdem die Allergiesaison. Um das kostenträchtige Gesundheitsproblem in den Griff zu bekommen, sollten alle Bestände beseitigt und nur noch Ambrosia-freie Futtermittel verwendet werden.

- Halsbandsittich
Die ersten frei fliegenden Halsbandsittiche wurden 1967 in Köln und 1969 in Wiesbaden beobachtet. Sie waren Haltern entflogen, teilweise aber auch absichtlich freigelassen worden. Schon 1969 gab es erste Bruterfolge dieser aus Südasien und Afrika stammenden Papageienart. Heute beträgt der Bestand rund 8500 Tiere. Bevölkert werden Parkanlagen größerer Städte, vor allem entlang des wintermilden Rheintals. Strenge Winter sind für Jungtiere oft tödlich. Die Ernährung ist überwiegend vegetarisch. Der Halsbandsittich brütet in vorhandenen Baumhöhlen, teilweise auch in der Dämmung von Häuserfassaden, die er dabei beschädigt. Wie stark der Halsbandsittich heimische Höhlennutzer wie z.B. die Dohle oder Fledermäuse beeinträchtigt, ist unbekannt. Hier müssen entsprechende Forschungen intensiviert werden.

- Der Schnellere besetzt die Bruthöhle oder: Wie die einheimische Dohle gegenüber dem gebietsfremden Halsbandsittich manchmal das Nachsehen hat.

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Quelle:
Unser Wald - Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
1. Ausgabe, Jan./Febr. 2013, Seite 4 - 6
Herausgeber:
Bundesverband der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V., Bonn
Redaktion: Meckenheimer Allee 79, 53115 Bonn
Telefon: 0228 / 945 98 30, Fax: 0228 / 945 98 33
E-Mail: unser-wald@sdw.de
Internet: http://www.sdw.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Bezugspreis: Jahresabonnement 17,50 Euro
einschl. Versandkosten und 7% MwSt.
Einzelheft: Preis 3,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2013