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MASSNAHMEN/235: Wir basteln einen Hochwasserrückhaltepolder - und beißen auf Granit (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1106, vom 26. April 2017, 36. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Wir basteln einen Hochwasserrückhaltepolder - und beißen auf Granit


Für den Hochwasserrückhalt an Rhein, Elbe, Donau und anderen Strömen und Flüssen werden Hochwasserückhalteräume geplant. In diesen Rückhalteräumen von einer Größe von jeweils 500 ha oder größer können jeweils mehrere Millionen Kubikmeter Hochwasser "zwischengeparkt" werden. Eines der Probleme: Für die Rückhaltepolder steht kein jungfräuliches Gelände mehr zur Verfügung. Die intensive Nutzung der Flussniederungen für Siedlungen, Fabriken, Infrastruktureinrichtungen sowie für Land- und Forstwirtschaft führt zu einer Vielzahl von Nutzungskonflikten, wenn es darum geht, noch einen Rückhaltepolder in die bestehenden Nutzungen einzufügen. Wer trotzdem ein entsprechendes Unterfangen plant, kann sich auf massive Vorbehalte der sich betroffen glaubenden Anrainergemeinden gefasst machen. Nachfolgend wird am Beispiel des geplanten Rückhalteraums Breisach-Burkheim am südlichen Oberrhein beschrieben, wie ungemein schwierig es ist, gegen die bestehenden Nutzungsinteressen einen Polder durchzusetzen. Die Auseinandersetzungen in Breisach sind ein Lehrstück für die Streitfälle, die künftig auch an anderen Polderstandorten an den großen deutschen Flüssen zu erwarten sind - s. 1100/1-2.

Ist der Polder überhaupt notwendig?

Das "Integrierte Rheinprogramm" (IRP) am südlichen Oberrhein soll im Endausbau aus 13 Rückhalteräumen bestehen, in denen sich etwa 170 Mio. Kubikmeter Rheinhochwasser zwischenspeichern lassen. Damit kann dann unterhalb der letzten Rheinstaufstufe bei Iffezeheim (etwa in Höhe von Baden-Baden) für Speyer, Mannheim-Ludwigshafen und Worms rechnerisch eine zweihundertjährliche Hochwassersicherheit geschaffen werden. Beim jetzigen Ausbaustand mit erst vier realisierten Poldern besteht die Gefahr, dass die genannten Städte schon bei einem Hochwasser untergehen werden, das statistisch gesehen alle 130 Jahre vorkommt. Im laufenden Planfeststellungsverfahren für den Polder Breisach-Burkheim reklamiert die Stadt Breisach, dass sich aus den vorliegenden Planunterlagen nicht entnehmen lasse, wie es zu der Verteilung der jeweiligen Retentionsvolumina auf die 13 Rückhalteräume gekommen sei. Eine Abwägung zwischen den verschiedenen Standortalternativen und ein Verschieben von Retentionsvolumina zwischen den geplanten Polderarealen sei nicht vorgenommen worden. Beispielsweise sei denkbar, weiter südlich am Oberrhein größere Retentionsvolumina auszuweisen, so dass der geplante Polder Breisach-Burkheim kleiner ausfallen oder ggf. ganz gestrichen werden könnte. Die Stadt Breisach kritisiert, dass eine Überprüfung aller 13 geplanten Rückhaltemaßnahmen im Sinne eines Raumordnungsverfahrens nicht durchgeführt worden sei. Dabei würde es auf der Hand liegen, schon möglichst weit im Süden, also rheinaufwärts, Rückhaltevolumina zu realisieren, um die Hochwasserspitze zu brechen. Je früher, d.h. je südlicher dies gelinge, desto geringer müsse das Einstaupotenzial insgesamt dimensioniert werden. Die Stadt Breisach habe deshalb "mehrfach gefordert, ein alle Retentionsräume umfassendes Raumordnungsverfahren durchzuführen, um genauer die planerische Rechtfertigung eines jeden einzelnen Retentionsvolumens überprüfen zu können". Da das Land Ba.-Wü. "diese Forderung immer wieder abgelehnt" habe, stehe man jetzt im Planfeststellungsverfahren vor der misslichen Konsequenz, dass auch "die notwendige Bedarfsprüfung" für den beantragten Polder Breisach-Burkheim nicht durchgeführt worden sei. Die Stadt Breisach ziehe aus diesem Manko das Fazit, "dass die begehrte Planfeststellung so nicht erfolgen" könne.

Hochwasserrückhalt: Gegen die "Atomisierung" der Verfahren

Die Stadt Breisach bemängelt in ihrer Einwendung zum Planfeststellungsverfahren für den Polder Breisach-Burkheim des Weiteren, dass durch die "Atomisierung" der Verfahren zu den 13 IRP-Rückhalteräumen "ein gesamthafter Interessenausgleich verhindert" werde. Die Stadt Breisach geht zudem aus, dass die "Schuldenbremse" bei Bund und Land dazu führen werde, dass sich gar nicht alle 13 geplanten Rückhalteräume finanziell stemmen lassen werden. Dadurch stehe "zu befürchten, dass zunächst ein Torso einzelner Rückhaltemaßnahmen entsteht, der dann wegen des Fehlens der anderen Rückhaltemaßnahmen in besonderer Weise zu Hochwasserrückhaltemaßnahmen eingesetzt werden würde". Der Rückhaltepolder Breisach-Burkheim würde dann überproportional in Anspruch genommen. Damit käme es auch zu einem unverhältnismäßigen Anstieg der Einschränkungen für die Stadt und ihre BürgerInnen. Darüber hinaus sei zu kritisieren, dass das Betriebssystem für den Polder Breisach-Burkheim während der völlig ungewissen Verfahrensdauer für die noch ausstehenden Rückhalteräume ebenso unklar bleibe wie für das endgültige Betriebssystem. Bei der Festlegung des "Betriebssystems" geht u.a. um die Fragen, ab welchem Abfluss im Rhein mit dem Einstau im Polder begonnen wird, wie lange der Einstau aufrechterhalten wird und ab welchem Abfluss im Rhein mit dem Entleeren des Polders begonnen werden kann. [Die Stadt Breisach verkennt bei dieser Kritik unseres Erachtens, dass das Betriebssystem sowohl für die Retentionsflutung als auch für die Ökologischen Flutungen in den Antragsunterlagen bereits konkret beschrieben wird.]

Lebensraumanpassung nur durch großflächige Ausuferungen?

"Zentraler Kritikpunkt" der Stadt Breisach sind die im Polder vorgesehenen Ökologischen Flutungen. Die Ökologischen Flutungen waren für den weiter nördlich von Breisach geplanten Polder Alte Elzmündung vom Bundesverwaltungsgericht als taugliches Instrument bewertet worden, um die Schädigungen der Lebensgemeinschaften im Polder im Gefolge einer großen Retentionsflutung zu minimieren (s. RUND-BR. 1067/3-4, 893/3). In ihrer Ablehnung der Ökologischen Flutungen lässt sich die Stadt auch durch die höchstrichterliche Absegnung nicht beirren. Die Stadt weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass sie mit der "Ökologischen Schlutenlösung plus" eine Alternative vorgelegt habe. Durch die "Ökologische Schlutenlösung plus" könne "die Beeinträchtigung des Erholungsraums nachhaltig reduziert und die - falls in diesem Bereich überhaupt erforderliche - Anpassung der betroffenen Ökologie in weitgehend ähnlicher Weise erreicht werden". Das ist unseres Erachtens aber gerade nicht der Fall, da bei der Schlutenlösung eben nur die Schluten - also ehemalige Altrheinarmrelikte - durchflossen werden. Eine Anpassung der Lebensräume an die alle zehn bis 30 Jahre zu erwartende Retentionsflutung ist damit nicht zu erreichen. Nur durch die Ökologischen Flutungen, die weit über die Schluten hinausreichen und die damit auch in der Fläche wirksam werden, ist auf großen Teilen des Rückhalteraumes eine sukzessive Anpassung der Lebensgemeinschaften an die Retentionsflutungen zu erwarten. In ihrer Einwendung formuliert die Stadt Breisach eine Auffanglinie. Man solle sich nur vorsichtig an größere, in die Fläche gehende, Ökologische Flutungen herantasten:

"Sollte die Planfeststellungsbehörde gleichwohl zum Ergebnis gelangen, dass die sogenannten ökologischen Flutungen feststellungsfähig sind, fordert die Stadt jedoch, dass (...) eine stufenweise Einführung dieser Flutungen mit Zwischenauswertung vor Freigabe der nächsten Einstauhöhe vorgeschrieben wird."

Der Erörterungstermin, auf dem diese und andere Fragen geklärt werden sollen, wird voraussichtlich im Oktober 2017 stattfinden.

Bedroht der Hochwasserrückhalt das Kanalsystem?

Um den Grundwasseranstieg außerhalb des Polders in Folge der Ökologischen Flutungen und der Retentionsflutungen zu beherrschen, werden Brunnengalerien geplant. Über diese Brunnen soll der Grundwasserspiegel in ganzen Stadtteilen soweit stabilisiert werden, dass Vernässungen von Kellern verlässlich ausgeschlossen werden können. Bei der Stadt Breisach besteht jedoch die Befürchtung, dass die Brunnengalerien nicht nur überschüssiges Grundwasser abpumpen, sondern auch Feinmaterial aus dem Boden ausschwemmen könnten. Dadurch sei nicht nur mit Boden- und Gebäudesetzungen zu rechnen - im Absenkbereich der Brunnengalerien müßten auch Abwasserkanäle gegen Setzungen gesichert werden. Außerhalb des Wirkungsbereichs der Brunnengalerien sei mit weiteren Mehrkosten bei der Kanalisierung von möglichen Neubaugebieten zu rechnen:

"Um zukünftige Kanalleitungen über den zu erwartenden Aufstaubereich des Grundwassers zu verlegen, müssen die Straßen um die Differenz des jetzigen normalen GW-Standes der sogenannten ökologischen Flutungen höher angelegt werden."

Außerdem sei bei Kanälen, die von Leitungen aus den Brunnengalerien gekreuzt werden, bei Sanierungsarbeiten ebenfalls mit einem "erheblichem Mehraufwand (Handarbeiten) zu rechnen".

Hochwasserückhalt: Die Stadt verliert ihre Planungshoheit

In ihrer Stellungnahme zum Planfeststellungsverfahren gibt die Stadt Breisach deutlich ihrem Unmut Ausdruck, dass die kommunale Planungshoheit durch den Retentionsraum massiv eingeschränkt würde. Die geplante Inanspruchnahme von 911 ha für die Hochwasserrückhaltemaßnahme habe "zur Konsequenz, dass 69,2% der Waldfläche der Stadt Breisach und 16,7% der Gemeindefläche insgesamt jeglicher Planungshoheit der Gemeinde dauerhaft entzogen" würde. Im Wirkungsbereich des Polders würde der Stadt in Zukunft jede weitere Entwicklungsmöglichkeit genommen.

Desweiteren wird von der Stadt Breisach in ihrer Stellungnahme neben vielen weiteren Punkten moniert, dass die übliche Bewirtschaftung des städtischen Waldes im Polderareal nicht mehr möglich sein wird. Ferner wird die Befürchtung artikuliert, dass sich die geplante Bekämpfung der Steckmückenplage als unzulänglich erweisen könnte, so dass die Lebensqualität der Anwohner und der Naherholungssuchenden massiv abnehmen könnte (s. RUNDBR. 1100/2-3). Es versteht sich von selbst, dass die Stadt in ihrer Stellungnahme für alle zu erwartenden Schäden und Einschränkungen einen finanziellen Ausgleich fordert.

Weitere Auskunft zu
den Stellungnahmen der Stadt Breisach zum - vom
Regierungspräsidium Freiburg beantragten - Polder
Breisach-Burkheim bei der
Stadtverwaltung Breisach
Tel.: 07667/832-21
info@breisach.de

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1106
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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E-Mail: nik[at]akwasser.de
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Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF kann abonniert werden durch Voreinzahlung
von 30 Euro für 30 Ausgaben auf das Postbankkonto Arbeitsgruppe
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Meinungsbeiträge geben nicht in jedem Fall die Position des BBU wieder!
Die Weiterverwendung der Informationen in diesem RUNDBRIEF ist bei
Quellenangabe (!) erwünscht!
© Freiburger Ak Wasser im BBU

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2017

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