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PROZESS/094: Klettern gefährdet den Atomstaat? - Klage zum Teil abgewiesen (Cécile Lecomte)


Cécile Lecomte - Pressemitteilung - Donnerstag, 3. September 2009

Klage zum Teil abgewiesen - Klettern gefährdet den Atomstaat?


Am 2. September wurde vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg über die Klage der Kletteraktivistin Cécile Lecomte verhandelt. Die Klage richtete sich das Vorgehen der Polizei gegen die Umweltschützerin bei Protestaktionen von AtomkraftgegnerInnen im Sommer 2008 vor dem Zwischenlager in Gorleben. Das Verwaltungsgericht wies die Klage gegen einen am 30. Juli am Nachmittag erteilten Platzverweis ab. Klettern gefährdet scheinbar wirklich den Atomstaat! Das verfahren wurde im übrigen an das zuständige Amtsgericht Dannenberg verwiesen. Die Klägerin begehrte nämlich die Einschränkung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit in der Nacht zum 31. Juli, als die Polizei sie aus einer Versammlung mit Zwang entfernte und drei Kilometer weg verbrachte.

Das Verwaltungsgericht sieht die Erteilung des Platzverweises als rechtmäßig an, weil die konkrete Gefahr bestanden habe, dass die Aktivistin eine Kletteraktion am Zaun oder auf dem Gelände des Zwischenlagers duchführen werde. Die Klägerin habe bei ihrem Aufenthalt vor dem Zwischenlager, wo mit einem Flummiball gespielt wurde, ein Klettergeschirr mitgeführt, so der Polizeizeuge.

"Ich bestreite nicht, dass ich gut klettern kann - dafür bin ich ja auch bekannt. Ich ich bedauere aber schon, dass das Gericht meine Einwände nicht berücksichtigte. Klettern ist grundsätzlich nicht verboten und der Wald oder Straßenlaternen in der Nähe der Atomanalgen bieten sich ja für kreative Aktionen an. Daraus zu schließen, es bestehe eine Gefahr für die Allgemeinheit -oder für die Betreiber des Zwischenlagers... das ist eine verkehrte Welt. Nicht die BürgerInnen sind gefährlich, sondern die Atomanalgen und! Reichen Skandale wie in der Asse nicht, damit der Staat aufwacht?" Fragt sich die Betroffene.

Bedenklicher findet sie aber, dass das Gericht die Aussage von einem Polizeizeugen mehr würdigte als ihre eigene: Der Zeuge will keine Versammlung gesehen haben. Die Klägerin ist jedoch der Meinung, dass fünf Menschen, die sich vor dem Zwischenlager aufhalten und ihren Protest gegen Polizei- und Atomstaat kreativ zum Ausdruck bringen - hier sollte der Flummiball die Unberechenbarkeit und Kreativität vom Antiatomprotest symbolisch darstellen - eine Demonstration sind. Das Gericht folgte dieser Auffassung jedoch nicht. Was für die Entscheidung eine wesentliche Rolle spielte: Alle Anwesenden erhielten einen Platzverweis, dies ist aber zur Sprengung einer Versammlung nicht zulässig. Der Platzverweis wäre somit rechtswidrig gewesen.

"Mich wundert der Beschluss nicht, ich weiß schon wie die Gerichte ticken... Nicht zuletzt beim letzten Castortransport nach Gorleben wurde ich - auf gerichtliche Anordnung hin - 3,5 Tage lang vorbeugend inhaftiert, weil die Gefahr bestand, ich würde am Tag X in die Bäume Klettern und so den Castortransport behindern. Klettern gefährdet den Atomstaat! Ich sollte vielleicht das Urteil als eine Würdigung der Effektivität meiner Protestaktionen ansehen!" Kommentiert die Kletteraktivistin.

Das Verwaltungsgericht erklärte sich weiter für eine Entscheidung über die Rechtsmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens am Abend für nicht zuständig, weil für Ingewahrsamnahmen Amtsgerichte zuständig sind. Die Aktivistin wurde in der Nacht zum 31. Juli aus einer Versammlung - weder die Polizei, noch das Gericht bestreiten dies - von der Polizei entfernt und drei Kilometer weiter verschleppt, wie sie es ausdrückt. Zur Durchsetzung des am Nachmittag erteilten Platzverweises, so die Polizei.

Die Atomkraftgegnerin verspricht sich bei ihrer Klage mehr Erfolg vor dem Amtsgericht: "Versammlungen sind nach der Rechtssprechung vom Bundesverfassungsgericht "Polizeifest" (1). Das Versammlungsrecht geht vor dem Polizeirecht. Platzverweise sind jedoch polizeirechtliche Maßnahmen. Also gelten sie im Bereich einer Versammlung nicht, wenn sie vor Beginn der besagten Versammlung erteilt wurden. Meine Ingewahrsamnahme müsste daher rechtswidrig gewesen sein."

Wann das Amtsgericht sich mit dem Vorfall beschäftigen wird, ist nicht bekannt.

Cécile's Fazit lautet jedoch: "Verrückt finde ich sowieso, dass zum Schutz und zur Durchsetzung der privaten Interessen der Atomwirtschaft gegen die BürgerInnen, Grundrechte eingeschränkt werden und ein solcher Polizeistaat aufgestellt wird."


(1) aus einem Urteil vom Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 1090/06 vom 30.4.2007, Absatz 43 " Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Versammlungen richten sich nach dem Versammlungsgesetz. Dieses Gesetz geht in seinem Anwendungsbereich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor (vgl. BVerfGK 4, 154 (158)). Daraus ergeben sich besondere Anforderungen für einen polizeilichen Zugriff auf Versammlungsteilnehmer. Eine auf allgemeines Polizeirecht gegründete Maßnahme, durch welche das Recht zur Teilnahme an der Versammlung beschränkt wird, scheidet aufgrund der Sperrwirkung der versammlungsgesetzlichen Regelungen aus (vgl. BVerfGK 4, 154 (158, 160)). Für Beschränkungen der Versammlungsteilnahme stehen der Polizei lediglich die abschließend versammlungsgesetzlich geregelten teilnehmerbezogenen Maßnahmen zu Gebote, für die im Interesse des wirksamen Grundrechtsschutzes strengere Anforderungen bestehen als für polizeirechtliches Einschreiten allgemein. Diesen Anforderungen genügten die polizeilichen Maßnahmen nicht."

http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/de.html


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Quelle:
Pressemitteilung, 03.09.2009
Cécile Lecomte
Internet: www.eichhoernchen.ouvaton.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2009