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STADT/234: Das Recht auf die Stadt (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt und Entwicklung - Rundbrief 4/2009
Schwerpunkt Welternährung

Das Recht auf die Stadt

Von Knut Unger


Legitimität neo-liberaler Stadtentwicklung wird in Frage gestellt "Nachhaltige Stadtentwicklung" und "Habitat Agenda" haben die meisten Städte nicht menschen- und umweltfreundlicher gemacht. Seit einigen Jahren sammeln sich nun internationalistische StadtaktivistInnen, radikale GeografInnen und reformistische UrbanistInnen unter einem neuen alten Slogan: dem "Recht auf die Stadt". Beim von UN-Habitat und der Brasilianischen Regierung ausgetragenen "World Urban Forum" (im März in Rio de Janeiro) ist "Taking Forward the Right to the City" eines der geplanten "Dialog Foren".


Der Slogan geht auf den Titel eines Buches zurück, das der französischen Philosoph Henri Lefebvre 1968 veröffentlichte. Wer damals keine Lust hatte, sich den bürokratischen Organisationen der traditionellen Linken unterzuordnen, konnte im Kampf gegen Stadtzerstörungen subjektiven Aktivismus mit gesellschaftlicher Relevanz zu verbinden versuchen. Lefebvres "Le droit à la ville" lieferte dazu einen Theorieansatz, der sich immer noch auf Marx berief, die Zentralität der Industrialisierung und des Proletariats aber durch die globale Urbanisierung und die Vielfalt der BewohnerInnen-Interessen ersetzte. Das ging alles nicht ohne Konflikte mit anderen theoretischen Konzepten der Zeit, war nur ansatzweise von Relevanz für die aufkommenden Emanzipations- und Ökologiebewegungen und lieferte auch kaum Erklärungen für die bald einsetzenden Wirtschafts-Krisen. Lefebvre blieb deshalb lange Zeit ein Geheimtipp für kritische Sozial-Geografen. Aber die Zeiten ändern sich.


"Charta für das Recht auf die Stadt"

In der ersten Hälfte der Nullerjahre machten einige lateinamerikanische Intellektuelle den Buchtitel zur Überschrift einer internationalen "Charta für das Recht auf die Stadt". Dieser Text, der zunächst erfolgreich bei Weltsozialforen und dann auch bei UN-Veranstaltungen platziert wurde, weist zwar Überschneidungen mit den Themen Lefebvres auf, verfolgt aber eine ganz andere Stoßrichtung: Ging es Lefebvre um eine "urbanistische" Erneuerung der marxistischen Revolutionstheorie, geht es bei der "Charta" um die Zusammenfassung von Vorschlägen für partizipative "Stadtreformen". Ist "das Recht auf Stadt" bei Lefebvre ein offensives Begehren nach urbanen Lebensweisen jenseits des Kapitals, besteht die "Charta" in der Auflistung von Menschen- und Bürgerrechten in der kapitalistischen Stadt. Träumte Lefebvre davon, den gesamten Prozess der weltweiten Urbanisierung umzusteuern, begnügt sich die "Charta" damit, für die sozial Ausgegrenzten einen Zugang zu den lokalen Ressourcen einzufordern.

Während die "Charta" in Lateinamerika von diversen Organisationen genutzt und - wiederum vor allem in Brasilien - auch Eingang in den Regierungsdiskurs gefunden hat, scheiterten Anläufe zu einer Übertragung auf andere Kontinente schon im Ansatz. Von Menschenrechtsgruppen wurde kritisiert, dass das "Recht auf die Stadt" schwammig sei und in der Substanz nur wenig zu den bereits international verankerten Menschenrechten hinzufüge. Weitere Kritikpunkte waren die Fokussierung universeller Menschenrechte auf städtische Siedlungen, die Begrenzung auf lokale BürgerInnen oder EinwohnerInnen und der Eurozentrismus des Stadtbegriffs, mit dem u.a. AktivistInnen in asiatischen Selbstbausiedlungen wenig anfangen konnten. Und wer versteht schon "Recht auf Stadt" spontan im Deutschen? Das Ergebnis waren Behelfs-Formeln, wie die, dass mit "Stadt" alle menschlichen Siedlungen mit einer lokalen Verwaltung gemeint sind. Überlegungen, die lateinamerikanischen Vorschläge in einen wirklich internationalen Selbstverständigungs-Prozess städtischer Sozialbewegungen einzubringen, wurden von den überforderten internationalen Traditions-Netzwerken nicht umgesetzt. Inzwischen ging die Geschichte auf anderen Schauplätzen weiter.


"Right to the City Alliance"

In den USA schlossen sich in den letzten Jahren Community-Organisationen diverser Großstädte zu einer "Right to the City Alliance" zusammen. Es handelt sich um eine lockere Plattform aktionsorientierter Basisbewegungen aus verschiedenen benachteiligten Bevölkerungsgruppen, die von linken Intellektuellen unterstützt wird. Die "Alliance" dient der Klärung gemeinsamer Interessen und Aktionen, die tendenziell die lokalistische oder kulturalistische Beschränkung der einzelnen Mobilisierungen überwinden soll. Vor allem seit der Subprime-Krise haben einzelne Gruppen der "Alliance" auch mediale Aufmerksamkeit erzielen können. Die Plattform umfasst gleichwohl nur einen kleinen Ausschnitt der unübersehbaren Community-Organizing-Szene in den USA.

Vor allem der internationalen Präsenz einiger US-Intellektueller - in erster Linie ist der marxistische Geograph David Harvey zu nennen - ist es zu verdanken, dass diese Form der Anwendung des "Rights to the City"-Konzepts auch in anderen Ländern Nachahmer findet. Neben einer überwiegend studentischen Szene, die sich auf diversen Konferenzen trifft, gibt es in Europa mehrere lokale Kampagnen, die sich auf das "Recht auf die Stadt" berufen. In Deutschland ist die Hamburger Plattform "Recht auf die Stadt" am bedeutendsten. In ihr arbeiten verschiedene linke Stadtteilgruppen, Anti-Gentrifizierungs-Initiativen, aber auch z.B. der Hamburger Mieterverein "Mieter helfen Mieter" zusammen.


Systemkritische Fragen

David Harvey hat "The Right to the City" inzwischen systematisch in seine Krisen-Theorie eingebaut. Verkürzt: Die immer spekulativeren Investitionen des überakkumulierten Mehrwerts in die Urbanisierung und Umstrukturierung der Städte enteignet die StadtbewohnerInnen von ihrer Umwelt und wendet sich zunehmend gegen die eigenen Verwertungsbedingungen. Das "Recht auf die Stadt" basiert auf lokalen Kämpfen gegen die Durchsetzung dieser "Akkumulation durch Enteignung" und stellt die Legitimität neo-liberaler Stadtentwicklung tendenziell auch global in Frage. "WER hat das Recht, über die Logik der Urbanisierungsprozesse zu bestimmen?", lautet die systemkritische Frage, die über traditionelle Menschenrechtsdiskurse hinausweist. Für Harvey bedeutet "Recht auf die Stadt", den Kampf um die Kontrolle des gesellschaftlichen Mehrproduktes aufzunehmen.

Beim Weltsozialforum 2009 stellte Harvey seine Thesen einem überwiegend lateinamerikanischen Publikum vor. "Recht auf Stadt" in all seinen Facetten wurde zum Thema eines gemeinsamen Projektes der Stadtbewegungen beim Weltsozialforum. Geklärt sind die mannigfachen Unterschiede damit noch lange nicht. Aber: Der Diskurs scheint sich auf sehr unterschiedlichen Ebenen (von Hausbesetzungen bis zu UN-Konferenzen) und in unterschiedlichen Ländern zu entfalten. Sein Potential für eine konsequent nachhaltige Entwicklung liegt sowohl in der Mobilisierung von neuen Bündnissen als auch in der Erweiterung der Rechtsdiskurse. Vor allem aber dient "Recht auf Stadt" als provisorisches Banner für die internationale Verständigung kritischer StadtaktivistInnen.


Der Autor ist Koordinator der AG Habitat im Forum Umwelt und Entwicklung.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2009, S. 38-39
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2010