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STADT/533: Gesund leben in Städten (Securvital)


Securvital 2/22 - April/Juni 2022
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Gesund leben in Städten

von Astrid Froese


Im Kampf gegen den Klimawandel sind Städte und Kommunen zentrale Akteure. Werden sie umweltfreundlich gestaltet, hilft dies nicht nur gegen die globale Erderwärmung, sondern trägt auch zur Gesundheit und Lebensqualität ihrer Bewohner bei.

Grüne Oasen anstelle von Betonwüsten. Lärmgeschützte, schattige Innenhöfe für heiße Sommertage. Sichere Geh- und Fahrradwege anstelle zugeparkter Straßenränder. Was sich viele Menschen für ihren Alltag wünschen, macht der Klimawandel für eine gesunde und lebenswerte Zukunft dringend erforderlich: eine erhebliche Umgestaltung der Städte. Weg von Steinfassaden und Blechlawinen hin zu weitaus mehr Grünflächen und Wasserreservoiren. Warum dies so wichtig ist, verdeutlichen folgende Zahlen: Drei Viertel aller Deutschen leben in Städten. Weltweit sind es mehr als die Hälfte der knapp 8 Milliarden Menschen - eine Zahl, die bis 2050 auf 70 Prozent steigen soll. Entsprechend groß ist die Bedeutung von Städten und Kommunen für den Kampf gegen den Klimawandel. Denn circa 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und über 70 Prozent der CO2-Emissionen entfallen auf die urbanen Ballungsräume.


Beunruhigende Fakten

Eine Begrenzung der Erderwärmung ist ohne bauliche Anpassung der Städte nicht möglich. Dies gilt für Industrienationen genauso wie für Schwellen- und Entwicklungsländer. Da viele Städte an Küsten liegen, sind sie Überschwemmungen durch Sturmfluten und einen steigenden Meeresspiegel besonders ausgesetzt. Auch sintflutartige Regenfälle wie 2021 in Deutschland werden zunehmen. Bis heute können viele Betroffene der Unwetterkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen nicht in ihre Häuser zurück. Zahlreiche Tote, zerstörte Ortschaften und Schäden in Milliardenhöhe waren die Bilanz. Doch es muss nicht gleich die totale Zerstörung sein. Auch allmähliche Veränderungen wie zum Beispiel die stetig steigenden Temperaturen stellen Stadtverantwortliche vor neue Herausforderungen. Durch ihre versiegelten Flächen und die dichte Bebauung erhitzen Städte deutlich stärker als Landgebiete. Beton und Asphalt speichern die Hitze des Tages und geben sie nachts wieder ab. So kommt es zu sogenannten Urban Heat Islands (Städtischen Wärmeinseln) mit Temperaturunterschieden von mehreren Grad Celsius zwischen Stadt und Umland.

Ein amerikanisch-kanadisches Team von Umweltingenieuren hat 2021 gezeigt, dass die urbanen Räume künftig noch stärker unter Hitze und Trockenheit leiden werden als das Umland, wenn die Treibhausgasemissionen weiter steigen. Ihre Prognosen decken sich mit Vorhersagen, wonach sich auch in Deutschland Tage mit Durchschnittstemperaturen von über 30 Grad Celsius bis 2050 verdoppeln werden. Auch Tropennächte, in denen es nicht unter 20 Grad abkühlt, werden zunehmen. Da solche Hitzewellen für viele Menschen tödlich sind, müssen bauliche Maßnahmen zur Kühlung der Städte ergriffen werden.


Neuer Konsens

Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Dies wird auch von immer mehr Wissenschaftlern so gesehen. "Es ist wichtig, dass wir verstehen, dass der Klimawandel unsere Gesundheit und unsere Existenz bedroht", sagt Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin der Umweltmedizin am Klinikum Augsburg. Hitzetage belasten vermehrt ältere Leute. Zudem verstärken die klimatischen Veränderungen Erkrankungen wie Neurodermitis und Allergien, die einer steigenden Zahl von Menschen zu schaffen machen. Neue ehemals nur in den Tropen auftretende Krankheiten kommen nun auch in Europa vor. Für Ärzte und Patienten bedeutet dies, klimabedingte Gesundheitsrisiken viel stärker einzubeziehen, als dies bislang notwendig war.

Vollständig aufhalten lassen sich die klimatischen Veränderungen nicht mehr. Daher gilt es, ihre Folgen und damit auch die gesundheitlichen Gefährdungen für die Menschen so weit wie möglich abzumildern. Die Europäische Union fördert die Anpassung urbaner Zentren bereits mit zahlreichen Initiativen und Projekten. Die Entwicklung klimaneutraler und intelligenter Städte hat sie als eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre in ihrem milliardenschweren Finanzierungsprogramm für Forschung und Innovation "Horizont Europa 2021-2027" verankert.


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Lieferverkehr optimieren

Verstopfte Straßen, zugeparkte Fahrrad- und Fußwege, schlechte Luft und viel Lärm: Der innerstädtische Verkehr gehört zu den dringendsten Handlungsfeldern zukunftsweisender Stadtentwicklung. Etwa ein Drittel des heutigen Verkehrsaufkommens entfällt auf den Güter- und Lieferverkehr, Tendenz steigend. Um diesen Bereich stadtverträglicher und klimaschonender zu gestalten, hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) das Konzept "Den Lieferverkehr nachhaltig gestalten" erarbeitet. Es soll vor allem Kommunen Anregungen geben. Zu den Lösungsansätzen gehören die Bündelung von Transporten, die Einrichtung von Sammelstellen für Pakete oder die Benennung von Güter- und Wirtschaftsverkehrsbeauftragten, um die relevanten Akteure zusammenzubringen.
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Internationales Vorgehen

Aber auch immer mehr Städte selbst erkennen weltweit die Dringlichkeit und entwickeln Konzepte. Sie ernennen Klimaräte, sanieren Gebäude und sagen dem Autoverkehr den Kampf an. Sie begrünen Dächer und Fassaden und pflanzen hitzeresistente Bäume. Sie entsiegeln Flächen, planen Windschneisen und legen unterirdische Wasserspeicher und Trinkwasserbrunnen an. "Der Kampf um unseren Planeten wird in Städten gewonnen oder verloren werden", formuliert es die Koalition für Urbanen Wandel in einem Bericht, an dem mehr als 50 Organisationen mitgewirkt haben.

Für einen asiatischen Stadtstaat wie Singapur beispielsweise ist der Handlungsdruck besonders groß. Er ist akut vom ansteigenden Meeresspiegel bedroht. Seine kleine Grundfläche bei extrem dichter Besiedelung erfordert kluge Lösungen, ob beim Recycling, der Begrünung oder dem Nahverkehr.


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Klüger bauen

Zu den Schlüsselkomponenten bei der Entwicklung nachhaltiger Städte gehört das Bauen. Um den CO2-Ausstoß im Gebäudesektor zu reduzieren, werden bestehende Gebäude energetisch saniert und Neubauten energieeffizient errichtet. Das Gebäude der SECURVITA Krankenkasse in Hamburg St. Georg wurde bereits vor Jahren von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) mit der höchsten Auszeichnung, der Platin-Plakette, geehrt. In seiner ökologischen, ökonomischen, funktionalen und technischen Qualität besetze das für seine markante Architektur bekannte Bürohaus eine Spitzenposition, lobten die Juroren. Das Gebäude gehe in seiner energieeffizienten und Ressourcen schonenden Bauweise weit über ökologische Standards hinaus.
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Ein Blick auf die Metropolen Europas zeigt unterschiedliche Schwerpunkte: Barcelona, eine Stadt mit vielen alten Gebäuden und verzierten Fassaden subventioniert in hohem Maß klimafreundliche Gebäudesanierungen. Eigentümer, die ihr Haus mit Solarstrom versorgen, können bis zu 60 Prozent der Kosten an die Stadt weitergeben. Paris schränkt vor allem den Verkehr erheblich ein: Dafür wurden Straßen am Seine-Ufer für Autos gesperrt und Bürgersteige und Plätze fußgängerfreundlich gestaltet. Diesel und Benziner sollen schrittweise aus der Stadt verbannt werden. Kopenhagen, eine der nachhaltigsten Städte der Welt, will mit Investitionen in grüne Technologien und einem großen Netz an Fahrradwegen bis 2025 zur ersten kohlenstoffneutralen Hauptstadt der Welt werden. Saugfähige Gehwegplatten und tiefer liegende Parkanlagen sollen Wassermassen infolge von Starkregen auffangen, gezielt angelegte Kanäle das Wasser zum Hafen leiten. Wien baut kontinuierlich ein Fernkältenetz auf, das immer mehr Gebäude mit umweltfreundlicher Klimatisierung versorgen soll. Zudem pflanzt die Stadt in großem Stil Bäume.


Mehr Lebensqualität

Dass besonders Bäume dafür geeignet sind, das Stadtklima zu verbessern und die Temperaturen zu senken, hat jüngst eine Studie der ETH Zürich nachgewiesen. Dafür hat das Team um den deutschen Geoökologen Jonas Schwaab fast 300 Städte in Europa untersucht und zudem Satellitendaten ausgewertet. Ihr Fazit: Eine Fläche mit Bäumen kann in Mitteleuropa im Schnitt 10 Grad kühler sein als eine bebaute Fläche. Für mehr innerstädtische Plätze als grüne Biotope und Ruheorte für gestresste Bürger gibt es auch medizinische Gründe: Wer in seinem Alltag von Bäumen umgeben ist - ob im Garten, hinter dem Haus oder auch nur neben der Straße -, stärkt seine seelische Gesundheit und hat ein geringeres Risiko, depressiv zu werden.

Grünflächen laden zur Begegnung und Erholung ein. Sie sorgen für Kühlung, verringern Lärm- und Schadstoffbelastung, schaffen Raum für Vögel und Insekten und verschönern das Umfeld. Es spricht also viel dafür, urbane Zentren grüner und damit gesünder und lebenswerter zu gestalten.


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Deutsche Allianz für Klima und Gesundheit

Eine Initiative, die sich für die Verknüpfung von Klima- und Umweltschutz in Deutschland engagiert, ist die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen haben sich zusammengetan und möchten über Aufklärung und Netzwerkarbeit die Entwicklung einer klimaneutralen Gesellschaft fördern. Zu ihrem Angebot gehören Klimasprechstunden für Patienten und Lehrveranstaltungen an Hochschulen für angehende Mediziner. Die KLUG-Website informiert über hitzebedingte Gesundheitsrisiken und gibt Tipps, wie jeder Einzelne Gesundheits- und Klimaschutz vereinbaren und sich dadurch für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen einsetzen kann.
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Die Zeit drängt

Um Städten und Kommunen den so notwendigen klimagerechten Umbau zu ermöglichen, müssen auf Bundesebene zum Teil die Grundlagen erst geschaffen werden. Denn noch immer kommt es vor, dass Bundesgesetze lokale Entscheidungen verbieten, sodass Kommunen nicht handeln können. Oder dass ein übergeordneter Rechtsrahmen fehlt, wie zum Beispiel in der Verkehrspolitik. So fordert der ökologische Verkehrsclub VCD ein Bundesmobilitätsgesetz, das klare Ziele für die geplante Verkehrswende setzt. "Wir brauchen ein Verkehrssystem, das Mobilität als Ganzes betrachtet und nicht mehr das Auto in den Mittelpunkt stellt", sagt Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende des VCD. "Bisher werden Fahrrad, Auto, Bus, Bahn und Flugzeug meist getrennt voneinander geplant, finanziert und ausgebaut. Jeder Verkehrsträger hat sein eigenes Paragrafenwerk. Das muss sich ändern." Hier sind Politiker gefragt.

Doch Bürger sind nicht allein auf die Politik angewiesen. Dies zeigen Initiativen wie die Ideenbörse der Stadt Essen, die Klimaschutzkampagne "Ich mach Klima" in Karlsruhe oder die Gruppe "GöttingenZero".

Ob Schüler, Berufstätige oder Rentner, ob nachbarschaftlich angelegte Dachgärten, lokaler Obstanbau oder Wettbewerbe zu energieeffizientem Verhalten in Familien: Klimaschutz lebt auch vom Mitmachen eines jeden Einzelnen.

Weitere Infos unter:
www.klimawandel-gesundheit.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • 2021 als "Grüne Stadt des Jahres" ausgezeichnet: Hamburg. Städte, die nicht über so viele Grünflächen verfügen, legen neue an oder wählen andere Methoden, um den Klimawandel abzufedern.
  • Sichere Radwege laden dazu ein, das Auto stehen zu lassen.
  • Lebensmittel lokal anzubauen, spart unnötige Transportwege.
  • Für mehr Grün: Dschungellandschaft mit Wasserfall am Flughafengebäude Singapurs.
  • Kinder sind von Asthma und Allergien durch längere Pollenflugzeiten und zunehmende Luftverschmutzung besonders betroffen.

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Quelle:
Securvital 2/22 - April/Juni 2022, Seite 6-11
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA
Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH
Lübeckertordamm 1-3, 20099 Hamburg
Telefon: 040/38 60 80-0, Fax: 040/38 60 80-90
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Internet: www.securvita.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

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