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VIELFALT/162: Gespräch mit Achim Steiner über das UN-Jahr der Biodiversität (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 1/2010
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

»Das Interesse ist enorm gewachsen«

2010 ist das UN-Jahr der Biodiversität. Vor acht Jahren, beim Umweltgipfel in Johannesburg, verpflichtete sich die internationale Staatengemeinschaft, den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2010 deutlich zu verlangsamen. Dieses Ziel hat sie eindeutig verfehlt. Umso wichtiger ist der Impuls, der von dem neuen UN-Jahr ausgehen soll. Das BUNDmagazin fragte nach - beim Direktor des UN-Umweltprogramms, Achim Steiner.


SZ: Herr Steiner, welche der in diesem Jahr geplanten Initiativen lassen Sie besonders hoffen?

AS: Zum einen wenden wir uns mit vielen Aktionen vor allem an die Öffentlichkeit. Eines der wichtigsten Ziele von UN-Jahren ist es ja, das öffentliche Interesse auf bestimmte Themen zu lenken. Ohne ein Ereignis herausheben zu wollen: Wir möchten der Öffentlichkeit über das ganze Jahr und die ganze Welt verteilt das Thema Biodiversität nahebringen, mit einer klaren wissenschaftlichen und auch ökonomischen Bewertung.

Politisch sehr wichtig ist im Oktober die Vertragsstaatenkonferenz in Nagoya. Zudem wird der Generalsekretär die Staatsoberhäupter in New York zu einem Spitzentreffen zum Thema Biologische Vielfalt einladen, erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen. Derartige Veranstaltungen sind natürlich nicht am nächsten Morgen in Projekte umzusetzen. Sie sind dazu gedacht, die höchste Regierungsebene für die politische Bedeutung dieses Themas zu sensibilisieren.

Zuletzt sollen mehrere Analysen zur wirtschaftlichen Dimension der biologischen Vielfalt zeigen, dass es sich lohnt, viel stärker in den Naturschutz und die nachhaltige Nutzung von Ressourcen zu investieren. Hier gibt es eine Analogie zu Nicolas Sterns Berichten über die ökonomischen Folgen des Klimawandels.

SZ: Wenn Sie nicht dem UN-Umweltprogramm vorstünden, sondern einer Weltregierung: Was würden Sie zuallererst tun, um die biologische Vielfalt zu schützen?

AS: Ich würde wohl auf der Naturschutzarbeit aufbauen, die weltweit schon im Werden ist, auf dem Netz der Schutzgebiete. Hier würde mein Augenmerk der wirtschaftlichen Dimension gelten: Wir müssen uns ere ökonomischen Systeme, unsere Volkswirtschaften überzeugen, dass Biodiversität und Ökosysteme kein Luxus sind, sondern natürliches Kapital, das für unser aller Wohlergehen und unsere wirtschaftliche Entwicklung enorm wichtig ist. Zugleich würde ich vermitteln, dass ein Großteil der Artenvielfalt bereits akut bedroht ist und wir unsere Ökosysteme zunehmend verlieren. Dies will ich in diesem Jahr sehr stark voranstellen.

SZ: Das 2010-Ziel sah vor, den Verlust der Biodiversität weltweit deutlich zu senken, in Europa gar völlig zu stoppen. Nun wird dieses Ziel überall klar verfehlt. Blieb der jahrelange Vorlauf ungenutzt?

AS: Ungeachtet von diesem UN-Jahr, das ja nur ein Kalendermoment ist, darf man nicht unterschätzen, wie enorm das Interesse an der biologischen Vielfalt in letzter Zeit gewachsen ist. So hat sich der jüngste G8-Gipfel erstmals damit auseinandergesetzt. Natürlich haben wir weltweit immer noch große, große Probleme, den Verlust der Artenvielfalt zu reduzieren oder zu stoppen. Doch sollte man anerkennen: Wir sind heute an einem ganz anderen Punkt als noch vor zehn Jahren. Damals war die Verantwortung für die Biodiversität an die Naturschützer delegiert, damit der Rest der Gesellschaft so weitermachen konnte wie bisher. Heute sind viel größere Teile der Gesellschaft einbezogen.

Natürlich: Wenn man weiß, wie rapide im Augenblick die Vielfalt dieses Planeten schwindet, und sieht, mit welchem Tempo dieses Thema ins Zentrum rückt, dann ist das natürlich zu langsam. Aber gerade dazu - zu einer stärkeren Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseins - soll ja ein solches UN-Jahr dienen.

SZ: Sie sind seit vielen Jahren in aller Welt unterwegs. Welche Region dieser Erde erscheint vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie an biologische Vielfalt denken?

AS: Ich sehe zwei ganz verschiedene Landschaften vor mir: den tropischen Regenwald Mexikos, einen der größten weltweit; gerade letztes Jahr konnte ich ihn besuchen. Und als Kontrast die Namib-Wüste oder die Sahara. Wir denken immer, Artenvielfalt sei nur dort viel wert, wo sie konzentriert auftritt. In Trockenzonen aber sind einzelne Arten manchmal noch bedeutender für die Funktionalität und Zukunft eines Ökosystems.

Sehr viel Sorge macht mir ein dritter Bereich: die Weltmeere. Ihre biologische Vielfalt verstehen wir bisher nur wenig und nehmen wir nur ganz begrenzt wahr.

SZ: Wo sehen Sie Deutschland beim Schutz der globalen Biodiversität in der Verantwortung?

AS: Deutschland hat 2008 als Gastgeber der 9. UN- Vertragsstaatenkonferenz zum Übereinkommen für biologische Vielfalt sicher einen großen Impuls gegeben. Das Interesse und die Finanzierungszusagen von Herrn Gabriel und Frau Merkel zeugen vom deutschen Engagement. Aber natürlich kann ein einzelnes Land nicht quasi über Nacht den Verlust seiner biologischen Vielfalt stoppen. Das bleibt auch für Deutschland eine Herausforderung.

Das Gespräch führte Severin Zillich.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Achim Steiner folgte 2006 Klaus Töpfer an die Spitze des Umweltprogramms der UNO; sein Dienstsitz ist Nairobi.


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Quelle:
BUNDmagazin 1/2010, S. 15
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2010