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VIELFALT/251: Der Reichtum der Natur (Securvital)


Securvital 2/2020 - April - Juni
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Bedrohte Vielfalt
Der Reichtum der Natur

von Norbert Schnorbach


Unberührte Natur wird immer seltener. Der Mensch verändert die Landschaften, viele Tier- und Pflanzenarten sind in Gefahr. Doch die biologische Vielfalt ist lebenswichtig für den Menschen, für Ernährung und Gesundheit. Der Reichtum der Natur muss - ebenso wie das Klima - geschützt werden.


Wo sind sie geblieben, die Gelbbauchunke und der Hirschkäfer, das Birkhuhn und der Wiedehopf? Die Tiere sind selten geworden, in freier Natur kann man sie nur noch hin und wieder zu Gesicht bekommen. Das gilt auch für viele Pflanzen, wie zum Beispiel Moorveilchen, Adonisröschen und die leuchtend gelbe Heilpflanze Arnika. Die Tier- und Pflanzenarten, die auf einer Roten Liste der gefährdeten Arten in Deutschland stehen, sind zahlreich geworden.

Aber es gibt sie noch: Die blauen Eisvögel an Bachufern, schwarz-gelbe Feuersalamander auf feuchtem Waldboden, seltene Libellen, Wildbienen, Rotmilane und Feuerfalter, Farne und Blütenpflanzen, die nur an besonderen Standorten wachsen wie etwa das Edelweiß oder die Bopparder Schleifenblume. Sie überleben dort, wo die Natur noch intakt ist, in Schutzgebieten und naturnahen Landschaften, die noch verschont sind von Verstädterung und industrialisierter Landwirtschaft.

Gut sechs Prozent der Fläche Deutschlands, insgesamt etwa 2,6 Millionen Hektar, sind als Naturschutzgebiete oder Nationalparks ausgewiesen. Weitere zehn Prozent genießen eingeschränkten Schutz. Beim Blick aus dem Büroturm und durch die Fensterscheiben des fahrenden Autos sieht man wenig davon. Aber abseits der Städte und der Autobahnen finden Erholungssuchende, Wanderer und Naturliebhaber noch intakte Landschaften, wo eine Vielfalt an Wald, Wiesen, Seen und Flüssen die natürlichen Lebensräume für Tiere und Pflanzen bieten. Wer die unberührte Natur sucht, kann sie auch in Deutschland noch finden: alte Buchenwälder auf der Insel Rügen, Bergtäler in den Alpen abseits der Skigebiete, geschützte Seen wie den Schaalsee in Mecklenburg-Vorpommern, naturnahe Forsten wie in Hessen oder im Bayerischen Wald, renaturierte Moore in Süd- und Norddeutschland, die Boddenlandschaften der Ostsee, das weltweit einzigartige Wattenmeer der Nordsee, Flusstäler mit Auenwäldern und Biberburgen an der Elbe und viele mehr. Das sind grüne Inseln in einem Industrieland mit dichter Besiedlung und intensiver Agrarwirtschaft.

Erholungsräume
Es müssten noch viel mehr ökologisch wertvolle Flächen geschützt werden, fordern Ökologen. Nicht nur als Rückzugsorte für gefährdete Tiere und Pflanzen, sondern auch als Erholungsräume für die Menschen. Einiges hat die Umweltbewegung schon erreicht, wie etwa das 1.400 Kilometer lange "Grüne Band" entlang der früheren innerdeutschen Grenze.

Mensch und Umwelt brauchten mehr naturbelassene Gebiete, so das Bündnis "Wildnis in Deutschland", eine Initiative von BUND, Nabu, WWF, Greenpeace und anderen namhaften Naturschutzorganisationen (www.wildnisindeutschland.de): "Wir fordern zu Recht den Schutz tropischer Regenwälder oder afrikanischer Savannen, doch ungestörte Natur müssen wir auch bei uns ermöglichen".

Ebenso wie beim Klimaschutz geht es nicht nur um regionale und nationale Lösungen, sondern um ein globales Problem. Der Schutz der Biodiversität (Vielfalt der natürlichen Arten) ist existenziell für die Menschheit, die auf natürliche Ressourcen angewiesen ist. "Weltweit sind wir Zeitzeugen eines katastrophalen Artenschwunds, der alles in den Schatten stellt, was der Erde seit Langem widerfahren ist", warnt Prof. Matthias Glaubrecht, Direktor des Centrums für Naturkunde der Universität Hamburg. "Dabei sichert diese Artenfülle unsere Existenz. Unsere Ernährung und Gesundheit hängen davon ab."

Wie die Forscher des UN-Klimarates (IPCC), die vor Treibhauseffekten und steigenden Temperaturen warnen, so weisen auch die Wissenschaftler im Biodiversitätsrat der Vereinten Nationen (IPBES) darauf hin, welche globalen Gefahren drohen: Eine Million Tier- und Pflanzenarten auf der Welt sind vom Aussterben bedroht, stellte der neueste Bericht der IPBES vom vergangenen Jahr fest. "Das Artensterben hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Menschen in der ganzen Welt. Es erodiert die Grundlagen der Ernährungssicherheit, der Gesundheit und der Lebensqualität weltweit", sagte der IPBES-Vorsitzende Robert Watson.

Für diese weltweite Bestandsaufnahme der Artenvielfalt haben Experten aus mehr als 50 Ländern die aktuellsten Forschungsergebnisse ausgewertet (www.ipbes.net). Demnach ist die Geschwindigkeit erschreckend, mit der Tier- und Pflanzenarten durch die Folgen menschlicher Eingriffe in die Natur verschwinden. Die Orang-Utans in Borneo und die Süßwasserdelfine im Yangtse-Fluss in China sind traurige Beispiele, ebenso wie die Eisbären in Grönland und das Nördlichen Breitmaulnashorn in Afrika, wo vor kurzem das letzte männliche Tier dieser Art gestorben ist.

Dramatisches Artensterben
Diese Großtiere fallen besonders auf. Unscheinbarere Lebewesen verschwinden unbemerkt, zumal höchstens ein Zehntel der Tier- und Pflanzenarten auf der Welt bisher entdeckt und wissenschaftlich beschrieben sind. Die Umweltstiftung WWF spricht von einer dramatischen Entwicklung: "Derzeit ist das größte Artensterben im Gange seit dem Verschwinden der Dinosaurier." Wissenschaftler sehen es ähnlich. "Wir befinden uns mitten in der größten und schnellsten globalen Krise der biologischen Vielfalt", urteilen Forscher der Universität Ottawa, die kürzlich im Fachjournal Science eine Studie über den Zusammenhang von Klimawandel und Artensterben veröffentlicht haben.

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Rote Listen der gefährdeten Arten

Die Weltnaturschutzunion IUCN veröffentlicht seit 1962 Übersichten zur Bedrohung von Fauna und Flora. Diese Roten Listen werden ständig aktualisiert (www.iucnredlist.org). 100.000 Tier- und Pflanzenarten gelten als gefährdet, davon sind 30.000 vom Aussterben bedroht. Für viele gibt es kaum noch Hoffnung wie z.B. für das Nördliche Breitmaulnashorn. Einige seltene Tiere konnten sich aber auch wieder vermehren. In Deutschland sind laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) 48.000 verschiedene Tier- und 24.000 Pflanzenarten bekannt. Davon gelten etwa 6.000 Tier- und 3.000 Pflanzenarten als gefährdet.
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Als stärkste Ursachen für das Artensterben nennen die Wissenschaftler vom UN-Biodiversitätsrat IPBES die Zerstörung natürlicher Lebensräume und die Methoden der industrialisierten Landwirtschaft. "Die immer intensivere Landwirtschaft ist der Haupttreiber für das Artensterben", kritisiert Konstantin Kreiser, Biodiversitäts-Experte beim Naturschutzbund Nabu. Großflächige Monokulturen mit Raps und Mais ("Agrarwüsten") dezimieren die Artenvielfalt, bienenschädliche Chemikalien und Pestizide wie das umstrittene Glyphosat ebenso. Darunter leiden die Ökosysteme insgesamt. Amphibien wie Frösche und Lurche sowie die Insekten sind besonders betroffen. Vor 30 Jahren gab es in manchen Regionen und Jahreszeiten fünf Mal so viele Tiere wie heute, stellten Insektenforscher in Langzeitvergleichen fest. Mit den Insekten verschwinden auch viele Vögel. Laut Bundesamt für Naturschutz (www.bfn.de) gibt es rund 14 Millionen weniger als vor der Jahrtausendwende. Ehemals häufige Vögel wie Feldlerchen und zum Beispiel große Schwärme von Staren sind in vielen Regionen selten geworden.

"Derzeit ist das größte Artensterben im Gange seit dem Verschwinden der Dinosaurier."

Warum das Artensterben für den Planeten insgesamt und damit auch den Menschen so problematisch ist, erklären die Umweltschützer vom WWF damit, dass die Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten für die Ernährungssicherheit der Menschheit von größter Bedeutung ist. So werden zum Beispiel drei Viertel aller vom Menschen genutzten Nahrungspflanzen von Insekten bestäubt. Ohne Bienen, Hummeln und Insekten aller Art, die die Blüten besuchen und befruchten, gäbe es bei Obst und anderen Nahrungsmitteln nur einen Bruchteil der Ernten. Darüber hinaus hat der Reichtum der Natur einen unmittelbaren Wert für die Gesundheit der Menschen. Wälder, Berge und Meer sind Orte der Erholung.

Heilpflanzen gefährdet
Die Natur hilft, Stress auszugleichen und das Wohlbefinden zu fördern, sowohl physisch wie psychisch. Und sie gilt als Schatzkammer der Pharmazie und Heilkunde: 50.000 Pflanzenarten werden medizinisch genutzt, oft im Rahmen von traditioneller Medizin und Naturheilkunde, aber auch in Form von Wirkstoffen für pharmazeutische Mittel. Doch ein Viertel der weltweit genutzten Heilpflanzen ist nach Einschätzung von Experten in ihrem Bestand gefährdet. Die beliebte Arnika ist ein Beispiel dafür. Die Pflanze, die im Frühsommer gelb blüht, wird für Salben, Tinkturen und homöopathische Arzneimittel genutzt und hilft bei Verletzungen und Gelenkschmerzen. Allerdings lässt sich Arnika nicht in ausreichenden Mengen kultivieren und auf Feldern anbauen. Deshalb verwenden Heilmittelhersteller überwiegend Blüten, die dort gesammelt werden, wo die Arnika bevorzugt wächst, etwa in lichten Wäldern und auf Bergwiesen bis in gut 2.000 Metern Höhe. Doch dort ist der Bestand der Pflanze bereits gefährdet, in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern. Mit exotischen Heilpflanzen, etwa für die ayurvedische Medizin in Indien und Sri Lanka, ist das nicht anders. Auch dort stellen Ayurveda-Ärzte fest, dass spezifische Heilpflanzen knapp werden und immer seltener in der Natur zu finden sind.

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Quelle:
Securvital 2/2020 - April - Juni, Seite 6 - 10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2020

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