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ÖKOSYSTEME/137: Viren beeinflussen Funktionen im marinen Ökosystem (idw)


GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel - 26.09.2019

Viren beeinflussen Funktionen im marinen Ökosystem


Viren sind hauptsächlich als Erreger von Krankheiten bekannt, die nicht selten tödlich verlaufen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel zeigen jetzt jedoch in Zusammenarbeit mit anderen deutschen und internationalen Kooperationspartnern, wie Viren auch die Ökologie einzelliger Meeresräuber beeinflussen. Dies wirft generell ein neues Licht auf die Rolle von Viren in den Ökosystemen der Ozeane. Für die neuen Erkenntnisse haben die Forschenden eine Reihe innovativer und hochtechnologischer Methoden genutzt, die bislang nicht gleichzeitig bei der Untersuchung mariner Ökosysteme eingesetzt worden sind.

Die Ozeane beherbergen nicht nur große Raubtiere wie Haie oder Orcas. Auch im Reich der Mikroorganismen ernähren sich einige Arten von anderen Lebewesen. Kragengeißeltierchen, in der Fachsprache Choanoflagellaten genannt, gehören zu diesen einzelligen Räubern. Sie sind im Meer weit verbreitet und fressen Bakterien und Kleinalgen. Choanoflagellaten gelten als die nächsten lebenden einzelligen Verwandten von Tieren und können in einen mehrzelligen Zustand übergehen. Aus diesem Grund werden sie intensiv erforscht, um zu verstehen, wie vielzellige Organismen - zu denen auch der Mensch gehört - entstanden sind.

Unter der Leitung von Professorin Alexandra Z. Worden (GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel/Monterey Bay Aquarium Research Institute, MBARI, USA) hat ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nun erste Erkenntnisse über die Interaktion von Choanoflagellaten und Viren gewonnen. In einer mehrjährigen, intensiven Anstrengung gelang es dem Team, das Genom eines Riesenvirus in den einzelligen Räubern nachzuweisen. Das Genom der Viren hatte eine Größe und eine Genzahl, die mit dem kleiner Bakterien vergleichbar ist. Noch überraschender waren aber die vielen Funktionen, die das Genom kodiert. Die Studie wurde jetzt in der internationalen Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences USA veröffentlicht.

Für die Studie fuhren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer wieder mit Hightech-Instrumenten zur See, um alle räuberischen Einzeller im Wasser mit einem lasergestützten Visualisierungssystem zu erfassen. Dann trennten sie diese Zellen einzeln von anderen Mikroben. "Jede einzelne Räuberzelle aus der freien Wildbahn wurde anschließend sequenziert. In einer Probe aus dem Pazifischen Ozean dominierte eine unkultivierte Art von Choanoflagellaten", erklärt Professorin Worden.

In diesen Zellen fand Dr. David Needham, der im Labor von Professorin Worden als Postdoc forscht und Erstautor der Studie ist, die Genomsequenz eines Riesenvirus. Er konnte bemerkenswerterweise zeigen, dass das Virus Gene für mikrobielle Rhodopsinproteine und dazugehörige Pigmente kodiert. Diese Zusammensetzung von Genen ist bei Viren noch nie nachgewiesen worden. Andere Arten von Rhodopsinproteinen sind als Pigmente in den Augen vieler Tiere für die Wahrnehmung von Licht verantwortlich.

Parallel zu den Untersuchungen des Genoms, der Evolutionsbiologie und der Verbreitung des Virus analysierten Teams an der Universität Tokio, dem RIKEN Center for Biosystems Dynamics Research und anderen japanischen Institutionen die Kristallstruktur des Proteins und zeigten, dass es als lichtgesteuerte Protonenpumpe funktioniert.

"Die Arbeiten belegen, dass die Choanoflagellaten, die sich sonst räuberisch von anderen Organismen ernähren, auch das Sonnenlicht als Energiequelle nutzen, wenn sie mit dem Virus infiziert sind", betont Professor Worden. Die Forschenden erweiterten auch das Wissen über die Verteilung dieser Gene in Riesenviren in den Ozeanen - und zeigten, dass die Rhodopsinproteine in eukaryotischen Zellen wahrscheinlich viele spezialisierte Rollen haben. Noch nicht geklärt ist die genaue Rolle des Virus in der Wirtszelle. "Ist es für die Energieübertragung? Oder eine neue Lichtsensorik, die vielleicht Motilität oder andere Verhaltensweisen fördert?", fasst Professorin Worden diese wichtigen offenen Fragen zusammen.

Die Studie von Alexandra Worden's Team wird durch weitere Erkenntnisse über die Rolle von Viren in marinen Ökosystemen ergänzt, die Forscherinnen und Forscher des GEOMAR in dieser Woche veröffentlicht haben. Die Arbeitsgruppe von Professorin Ute Hentschel Humeida hatte im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1182 Metaorganismen mit einer Reihe innovativer Methoden den komplizierten Zusammenhang zwischen Meeresschwämmen, Bakterien und bestimmten Viren, die Bakterien befallen (sogenannte Bakteriophagen) entschlüsselt. Sie entdeckten, dass selbst benachbarte Schwämme, die dasselbe Meerwasser in großen Mengen filtrieren, individuell einzigartige und artspezifische Virusgemeinschaften in sich beherbergen. "Jedes Schwammindividuum hat sein eigenes, einzigartiges Virom, das sich von dem der benachbarten Schwämme unterscheidet", sagt Martin T. Jahn vom GEOMAR, Erstautor dieser Studie. Eine häufig vorhandene Gruppe von Bakteriophagen in Schwämmen stattet symbiotische Bakterien mit Proteinen aus, die es den Bakterien ermöglicht, der Immunabwehr des Wirtsschwammes zu entkommen. Diese besonderen Bakteriophagen sind auch bei anderen Wirten, einschließlich des Menschen, weit verbreitet.

"Zusammen zeigen diese beiden Studien, dass wir erst begonnen haben, die Rolle von Viren für marine Ökosysteme, aber auch für das Leben auf der Erde allgemein zu verstehen. Die Erforschung der marinen Virusvielfalt und ihrer Bedeutung für Ökosystemprozesse steht erst am Anfang", fasst Professorin Hentschel Humeida zusammen. "Die Stärke dieser beiden Studien", betont Professorin Worden, "besteht darin, dass sie wichtige neue Merkmale des Wirt-Virus-Verhältnisses im Meer aufgeklärt haben und damit modernste Technologien und Methoden für die Erforschung unkultivierter, aber weit verbreiteter mariner Organismen etablieren. Das öffnet neue Türen für das Verständnis mariner Lebensgemeinschaften, wie sie interagieren und wie sie reguliert werden. Diese Faktoren sind von größter Bedeutung, wenn wir verstehen wollen, wie sich diese Gemeinschaften in Zukunft verändern werden."

Originalpublikation:
D. M. Needham, S. Yoshizawa, T. Hosaka, C. Poirier, C-J. Choi, E. Hehenberger, N. A. T. Irwin, S. Wilken, C.-M. Yung, C. Bachy, R. Kurihara, Y. Nakajima, K. Kojima, T. Kimura-Someya, G. Leonard, R. R. Malmstrom, D. R. Mende, D. K. Olson, Y. Sudo, S. Sudek, T. A. Richards, E. F. DeLong, P. J. Keeling, A. E. Santoro, M. Shirouzu, W. Iwasaki, and A. Z. Worden (2019), A distinct lineage of giant viruses brings a rhodopsin photosystem to unicellular predators. Proceedings National Academy of Sciences USA.
https://doi.org/10.1073/pnas.1907517116


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.geomar.de
Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/283-jahn-cell-hm/
Pressemitteilung des SFB1182 zur zweiten genannten Studie

Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news724296

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution818

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel - 26.09.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2019

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