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VERKEHR/1094: Auf Zuruf - Mobilität auf dem Land (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/16
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Auf Zuruf

Mobilität auf dem Land


Im Hof der NABU-Bundesgeschäftsstelle reihen sich die Fahrräder. Mit dem Auto kommt hier niemand zur Arbeit, es wäre auch gar nicht einfach, in Berlin-Mitte einen freien Parkplatz zu finden. Und wer einen längeren Weg hat, der nimmt Bus oder Bahn, das Nahverkehrs-Monatsticket stellt beim NABU selbstverständlich der Arbeitgeber.

Wer auf dem Land lebt, kann davon nur träumen. Ein Ticket nutzt nichts, wenn der Anschluss fehlt und bestenfalls in der Frühe ein Schulbus verkehrt. Landleben ist vielerorts gleichbedeutend mit der zwangsweisen Anschaffung eines eigenen Autos. Da kann das Umweltbewusstsein noch so ausgeprägt sein.

Immer weitere Wege
Wer kein Auto hat oder zu gebrechlich ist, muss sich auf Verwandte und Freunde verlassen. Wo diese fehlen, kann die Landidylle zur Qual werden. Denn wenn die Landflucht einsetzt, wird es mit der Daseinsvorsorge immer schwieriger - vom Grundgesetzauftrag der "gleichwertigen Lebensverhältnisse" ganz zu schweigen. Der Dorfladen ist in der Regel längst verschwunden, der Weg zum Arzt wird immer weiter, zu den Behörden ebenso.

Mehr und mehr Regionen versuchen nun, mit flexiblen Verkehrsangeboten gegenzuhalten. "Rufbus" lautet das Zauberwort vom Bayerischen Wald bis Ostfriesland, im Vogtland ebenso wie in der Uckermark. Im schlechtesten Fall verschleiert dieser zwar nur den Wegfall bisheriger Linienverbindungen, in der Regel aber schafft der Rufbus den lebensnotwendigen Kontakt zur Außenwelt.

Eine Stunde Vorlauf
Rufbus-Modelle gibt es viele, gemeinsam ist aber allen: Spontan geht anders. Während Großstädter gewohnt sind, an der Haltestelle ihrer Wahl alle fünf bis zehn Minuten eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen, funktioniert der Rufbus nur mit Voranmeldung. Spätestens eine oder auch zwei Stunden vor Abfahrt muss die "Mobilitätszentrale" angerufen werden. Der Ruf per App und SMS, wie er zum Beispiel im südbadischen Rheinfelden möglich ist, ist noch die Ausnahme. Auch die Verkehrszeiten sind eingeschränkt.

Spontan geht anders: Spätestens eine oder auch zwei Stunden vor Abfahrt muss die "Mobilitätszentrale" angerufen werden.

Vor allem ältere Menschen nutzen den Rufbus, die Betreiber haben sich darauf eingestellt. Einstiegshilfen sowie Plätze für den Rollator oder den Rollstuhl gehören fast schon zum Grundangebot. Teils werden die Fahrgäste direkt zuhause abgeholt, noch öfter dort abgesetzt - gut mit schweren Einkaufstaschen. Das Haltestellennetz ist fein gesponnen. So kommt man etwa im Kreis Passau auf potentielle 1.200 Haltepunkte, zwischen Parchim und Plau am See in Mecklenburg will man im Dezember in der ersten Stufe mit immerhin 450 Haltepunkten starten.

Zubringer und Lückenfüller
Teils decken die Rufbusse die Zeiten außerhalb des regulären Fahrplan ab - so in Angermünde, wo Fahrten nur akzeptiert werden, wenn "eine Stunde vorher und nachher kein Linienverkehr angeboten" wird. Die Rufbusse dienen aber auch als Zubringer zu Haltestellen des regulären Linienverkehrs einschließlich der Bahn. Kostendeckend können solche Angebote nicht sein. Gemeinde, Kreis oder Land finanzieren kräftig mit. Die Fahrgäste zahlen meist den regulären Nahverkehrstarif, je nach Service mit einem Euro Aufschlag. In Passau gibt es ein Rufbus-Jahresticket für das gesamte Kreisgebiet für nur 45 Euro.

Dass es zu Konflikten zwischen den Verkehrsträgern kommt, ist eher selten. So legte die Bayerische Eisenbahngesellschaft - ein Staatsunternehmen - Einspruch ein gegen Rufbusstrecken, da diese parallel zu Bahnverbindungen laufen. Die Bezirksregierung von Niederbayern hat daraufhin tatsächlich "Bedienverbote" ausgesprochen. Vor Ort ist die Aufregung groß, das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Carsharing im kleinen Kreis
Typisch ist eher ein anderer Fall: Im brandenburgischen Bad Freienwalde musste jüngst eine ältere Frau hilflos anderthalb Stunden vor der Moorbad-Klink warten, weil der Rufbusfahrer eine falsche Abholzeit notiert hatte. Eine Alternative gab es nicht, denn der Ort, immerhin Kurstadt mit 12.000 Einwohnern, hat kein einziges Taxiunternehmen mehr.

Wo es keine Taxis gibt, gibt es auch keine Carsharing-Angebote. München, Hamburg oder Berlin sind mit Carsharingautos zugepflastert. Doch kleine Standorte lohnen sich für die Unternehmen nicht, schon gar nicht auf dem Land. In diese Lücke stoßen nun pfiffige Nachbarschaftsvereine. Im nordfriesischen Kixbüll etwa, unter tausend Einwohner, steht und fährt jetzt ein "Dörpscar". Bei 3,50 Euro Gebühr je Stunde, so berichtet der NDR, muss der Wagen mindestens drei Stunden täglich rollen, damit sich die Anschaffung lohnt. Dazu reichen zehn regelmäßige Nutzer. Sieben sind schon gefunden.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/16, Seite 14 - 15
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2016

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