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VERKEHR/1101: Entgasen von Tankschiffen - Schluss mit dem Ventilieren! (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1096, vom 19. Okt. 2016 - 36. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Entgasen von Tankschiffen: Schluss mit dem Ventilieren!


In der Binnentankschifffahrt gibt es eine harmlos erscheinende Begrifflichkeit, mit der seit Jahrzehnten eine legitimierte Luftverpestung umschrieben wird. Es geht um das "Ventilieren". Wenn ein Tankschiff auf dem Rhein beispielsweise eine Ladung Benzol transportiert hat, bleibt nach dem Abpumpen der Ladung in der Regel immer ein Rest der Chemikalie in den Tanks übrig. Wenn nach dem Transport von Benzol eine andere Flüssigkeit aufgenommen werden soll, müssen die Ladungsreste zunächst weitestgehend beseitigt werden. Dazu werden die Tanks mit einem starken Gebläse so lange "ventiliert", bis alles Benzol in die Atmosphäre verdampft ist. Es kann einem also als Radfahrer oder Spaziergänger auf einem Rheindamm passieren, dass man eine volle Dröhnung Benzol abbekommt. Bereits in den RUNDBR. 820/4 vom Febr. 2006 und 986/1 vom Jan. 2012 hatten wir auf diese gängige Praxis hingewiesen.

Dass die Schiffsführer Ladungsreste einfach in die Atmosphäre abblasen, liegt daran, dass es in den Umschlagszentren der Tankschifffahrt keine geeigneten Annahmestellen und -techniken gibt. Die Dämpfe aus den Tanks werden so gut wie nirgendwo in geschlossenen Einrichtungen abgesaugt und sicher entsorgt bzw. recycelt. Jetzt erst soll in einem internationalen Abkommen dem "Ventilieren" ein Ende bereitet werden - allerdings mit sehr langen Übergangsfristen (siehe Kasten) und Toleranzmengen. In den nächsten Notizen mehr über das vorgesehene Verbot des Ventilierens.

Großzügige Übergangsfristen von bis zu 10 Jahren

Als erstes soll das Ventilieren nur weniger Stoffe begrenzt werden: Benzol, Benzin bzw. Ottokraftstoff, Erdöldestillate, Gemische von Benzin mit mehr als 10 Prozent Ethanol, Gemische von Roherdöl mit mehr als 10 Prozent Benzen (= Benzol), flüssige Kohlenwasserstoffe. Diese Stoffe bzw. Gemische sind in Teil II von Anhang VI aufgelistet. Anhang VI mit Teil II soll mit einer Übergangsfrist von zwei bis fünf Jahren in Kraft gesetzt werden. In Teil III finden sich ungleich mehr Stoffe - u.a. das Antiklopfmittel MTBE, Formaldehyd, Methanol und Kerosin. Teil III mit seiner Stofffülle soll sogar erst nach fünf bis zehn Jahren wirksam werden.

CDNI: Tankschiffe dürfen nur noch kontrolliert entgast werden

Um mit dem "Ventilieren" von flüssigen Ladungsresten und Dämpfen aus Tankschiffen Schluss zu machen soll das "Übereinkommen über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt (CDNI)" ergänzt werden. Nachdem CDNI bereits die Entsorgung von festen und flüssigen Schiffsabfällen reguliert, soll jetzt in einem 18seitigen Zusatz auch das Entgasen reguliert werden. Im Entwurf der neuen CDNI-Ergänzung bekennen sich die Rheinanliegerländer zu einem "stufenweise einzuführenden Entgasungsverbot von karzinogenen, mutagenen, reproduktionstoxischen und Geruchsemissionen verursachenden Stoffen". Dabei sollen die Chemikalien reguliert werden, die auf der "Liste der am häufigsten beförderten umweltschädlichen Stoffe aufgeführt oder von politischer Bedeutung sind". In Art. 3 wird festgelegt, dass es "verboten" ist, von "Fahrzeugen" aus, "Dämpfe in die Atmosphäre freizusetzen". Die Kosten für das ordnungsgemäße Entgasen von Tankschiffen hat künftig der Befrachter zu tragen.

Wenn also beispielsweise die BASF einen Benzoltransport von Ludwigshafen nach Duisburg veranlasst, muss der Chemiekonzern die Kosten für das kontrollierte Entgasen des Tankschiffs in Duisburg übernehmen. Dass die Ladungstanks ordnungsgemäß entgast worden sind, müssen der Ladungsempfänger oder die zugelassene Annahmestelle schriftlich auf einer Entladungsbescheinigung bestätigen. Falls es künftig zu einer versehentlichen und unkontrollierten Freisetzung von Dämpfen kommt (oder falls dies droht) "muss der Schiffsführer" nach den neuen CDNI-Bestimmungen "unverzüglich die nächste zuständige Behörde darüber unterrichten. Dabei hat er den Ort des Vorfalls sowie Menge und Art des Stoffes oder der Dämpfe so genau wie möglich anzugeben." Damit künftig schadlos entgast werden kann, verpflichten sich die CDNI-Vertragsparteien dazu,
"die infrastrukturellen und sonstigen Voraussetzungen für die Abgabe und Annahme von Restladungen, Umschlagsrückständen, Ladungsrückständen, und Waschwasser und Dämpfen zu schaffen oder schaffen zu lassen."

Dubios: Weiterhin "zulässige Werte für ein freies Ventilieren"

Problematisch erscheint uns der Anhang VI, in dem im CDNI die Standards für die Entgasung bzw. für den Umgang mit Dämpfen in der Binnentankschifffahrt festgelegt werden. Der Anhang VI arbeitet mit einer Positivliste - d.h. dass alle Stoffe, die nicht explizit im Anhang VI aufgelistet sind, weiterhin ventiliert werden dürfen. Und auch Stoffe die künftig ordnungsgemäß über zugelassene Annahmestellen abgesaugt werden müssen, dürfen weiterhin in begrenztem Umfang ventiliert werden. Hierzu werden stoffspezifisch "Zulässige Werte für ein freies Ventilieren" (Accepted Vent Free Level - AVFL) festgesetzt. Hierzu heißt es in Anhang VI:

"Der Wert, ab dem ein Ventilieren eines entgasten Ladetanks zulässig ist (AVFL) wird als die Konzentration der Dämpfe im Ladetank definiert, ab der das Einleiten in die Atmosphäre zu keinen umwelt- und gesundheitsschädigenden Folgen führt. Dieser Wert entspricht 10% der unteren Explosionsgrenze (Lower Explosive Limit - LEL)."

Ob die Einhaltung der Zehn-Prozent-Konzentration einer unteren Explosionsgrenze aber tatsächlich "keine umwelt- und gesundheitsschädigenden Folgen" nach sich zieht, bleibt für uns fraglich. Die unteren Explosionsgrenzen werden zum Explosionsschutz und zur Unfallverhütung festgelegt. Die für den Gesundheitsschutz festgelegten "Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen" (MAK) können vom LEL-Wert deutlich abweichen. Hier wäre schon im Eigeninteresse der Besatzungen zu klären, ob das Zehn-Prozent-Kriterium genügend Sicherheitsabstand bietet. Denn wer am ehesten vom Ventilieren der Ladungsresten geschädigt werden kann, sind der Schiffsführer, seine Matrosen und ggf. auf dem Schiff mitreisende Familienmitglieder.

Der Entwurf der CDNI-Ergänzung war bis zum 15. Sept. 2016 für eine Konsultation freigeschaltet. Wir haben in der Konsultation insbesondere zu den AVFL-Werten und den (zu) großzügigen Übergangsfristen Stellung bezogen. Interessierte RUNDBR.-LeserInnen können den CDNI-Entwurf kostenlos via nik[at]akwasser.de bei uns als pdf anfordern.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1096
Herausgeber:
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E-Mail: nik[at]akwasser.de
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2017

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