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ATOM/1054: Verwirrspiel Brennelementeverlängerungssteuerkonzept (.ausgestrahlt)


.ausgestrahlt / gemeinsam gegen atomenergie - Rundbrief 9 / Sommer 2010

Verwirrspiel
Brennelementeverlängerungssteuerkonzept

Wann, wie und mit welchen Tricks die Regierung den Weiterbetrieb der AKW durchboxen will!

Von Jochen Stay und Armin Simon


Wie sieht der aktuelle Zeitplan für die Atom-Entscheidungen aus?

Die Bundesregierung will, im September über längere AKW-Laufzeiten entscheiden. Da neben der Laufzeiten- noch viele andere Fragen ungeklärt sind (Nachrüstungspflichten, Gewinnabschöpfung, Brennelementesteuer, Bundesrat, ...)' sind weitere Verzögerungen möglich.

Welche Rolle spielt die Brennelementesteuer zur Durchsetzung des Weiterbetriebs der AKW?

Eine große. Weite Teile der Bevölkerung, darunter immer mehr AnhängerInnen von CDU, CSU und FDP, schütteln über den stromkonzernfreundlichen Pro-Atom-Kurs der Regierung nur noch den Kopf. Mit der Brennelementesteuer kommt diese den KritikerInnen entgegen, Motto: "Seht, die Atomkonzerne kommen doch nicht ungeschoren davon!" Weil die Steuer nur Einnahmen abwirft, solange die Reaktoren laufen, schafft sie einen Anreiz gegen den Atomausstieg. Fazit: Wer AKW abschalten will, darf sich nicht von Steuerplänen um den Finger wickeln lassen.

Kommt die Brennelementesteuer auch, wenn die Laufzeiten nicht verlängert werden?

Unklar. Das Finanzministerium bestreitet einen Zusammenhang, das Wirtschaftsministerium und einige andere bekräftigen ihn.

Welche weiteren Ideen kursieren, um einen Teil der Zusatzgewinne der AKW-Betreiber abzuschöpfen?

Im Gespräch ist vor allem ein Fonds, in den die AKW-Betreiber einen Teil ihrer Zusatzgewinne einzahlen müssten, entweder Jahr für Jahr oder (mit kräftigem Nachlass) im Voraus. Die Stromkonzerne propagieren einen Kredit der staatlichen KfW-Bank an den Staat, den sie über die Jahre abstottern würden. Der Staat müsste Milliarden zahlen, falls künftige Regierungen den Deal wieder rückgängig machen wollten. Allen Modellen gemeinsam ist, dass die Konzerne den größten Teil ihrer Gewinne selbst einstreichen könnten. Ungeklärt: ist neben den rechtlichen Fragen, wie die Gewinne überhaupt berechnet werden.

Wird über Laufzeitverlängerungen gemeinsam mit dem Energiekonzept entschieden?

Offiziell behauptet die Bundesregierung seit Oktober, dass sie auf Grundlage eines sogenannten Energiekonzepts über AKW-Laufzeitverlängerungen entscheiden wolle. Anfang Juni, als Union und FDP im Handstreich eine Einigung im Atomstreit herbeiführen wollten, spielte das angeblich grundlegende "Konzept" allerdings keine Rolle mehr. Nun will die Regierung zumindest wieder einen Zwischenbericht abwarten. Entlarvend ist jedoch der Auftrag an die GutachterInnen. Diese sollen nicht etwa skizzieren, welche Maßnahmen für die zügige Umstellung der Energieversorgung auf Erneuerbare Energien nötig wären. Vielmehr sollen sie aufzeigen, wie sich der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Abhängigkeit (1) von unterschiedlichen Laufzeitverlängerungen entwickeln wird. Demnach dient das "Energiekonzept" vor allem dazu, den geplanten Weiterbetrieb der AKW zu rechtfertigen.

Welche Auswirkungen hat die verlorene Bundesratsmehrheit von Union und FDP auf die Atompolitik?

Die süddeutschen Regierungschefs und die Bundestagsfraktionen von Union und FDP wollen Laufzeitverlängerungen ohne die Zustimmung des Bundesrates durchsetzen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und etliche Unions-Ministerpräsidenten sehen das anders. Beide Lager untermauern ihre Position mit Gutachten. Das Justizministerium hält eine "moderate" Verlängerung der Laufzeiten für nicht zustimmungspflichtig, räumt aber auch dafür verfassungsrechtliche Risiken ein. Unterm Strich hat die verlorene Bundesratsmehrheit das Regierungslager in große atompolitische Konfusion gestürzt.

Welche Rolle spielen Sicherheitsfragen bei den anstehenden Entscheidungen?

In einem internen Strategiepapier zur Atompolitik haben die CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Hessen bereits vergangenen Sommer eingeräumt, dass Kraft-Meiler wie Biblis und Neckarwestheim konzeptionelle Mängel aufweisen, die auch mit Nachrüstungen nicht zu beheben sind. Aktuell klammert die Regierung das Sicherheitsthema geflissentlich aus. Der Streit um teure Nachrüstungsforderungen tobt allenfalls hinter den Kulissen. Allerdings ist zumindest denkbar, dass die Regierung am Ende bestimmte Auflagen macht - und sei es nur, um die atomkritische Öffentlichkeit zu besänftigen.

Können die Laufzeiten auch ohne Sicherheits-Nachrüstungen verlängert werden?

Das ist selbst innerhalb der Koalition strittig. Der ehemalige Leiter der Bundesatomaufsicht wies etwa darauf hin, dass die Regierung im Fall des AKW Biblis einst nur wegen der kurzen Restlaufzeit auf bestimmte Nachrüstungen verzichtet hatte. Werde die Laufzeit des AKW nun verlängert, müssten diese Auflagen nach Meinung von Atomrechtsexperten wieder auf den Tisch.

Ist es möglich, dass einzelne AKW von einer Laufzeitverlängerung ausgenommen werden?

Über ein solches Bauernopfer, das die atomkritische Mehrheit in der Bevölkerung beruhigen soll, wird immer wieder öffentlich spekuliert. Wie viele Reaktoren dies im Zweifelsfall betrifft, wird von der gesellschaftlichen Stimmung abhängig sein, also auch vom Protest der nächsten Monate.

Warum macht der baden-württembergische CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus so viel Druck für eine schnelle Laufzeitverlängerung?

Traditionell vertritt die Landesregierung in Stuttgart offensiv die Interessen des Atomkonzerns EnBW. Mappus hat zudem im März 2011 Landtagswahlen zu bestehen, und er merkt, wie auch unter den AnhängerInnen der CDU die Unterstützung für die Atomenergie schwindet. Deshalb will er das Thema möglichst schnell vom Tisch haben.

Werden AKW-Laufzeiten auch zukünftig über das Reststrommengen-Modell festgelegt?

Das ist zu befürchten. Schon das rot-grüne Atomgesetz legte ja keine Restlaufzeiten fest, sondern nur Strommengen, die jedes AKW noch produzieren darf. Aufgrund von Störfällen und Leistungsreduktionen haben die Reaktoren deutlich weniger Strom geliefert, wegen des Ausbaus der Erneuerbaren Energien werden sie künftig häufiger ihre Leistung drosseln müssen. Selbst wenn es beim derzeitigen Gesetz bliebe, würden die meisten AKW das Ende ihrer Betriebszeit deshalb nicht nach 32 - wie von Rot-Grün angenommen -, sondern erst nach etwa 40 Jahren erreichen. Sollte eine Laufzeitverlängerung in Form von zusätzlichen Stromkontingenten umgesetzt werden, gilt ebenso: Faktisch würden die AKW noch viel länger laufen.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
23. Juni: Merkel empfängt die Chefs der Stromkonzerne - Protest vor dem Kanzleramt.


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Quelle:
Rundbrief 9, Sommer 2010
Herausgeber: .ausgestrahlt
Normannenweg 17-21, 20537 Hamburg
E-Mail: info@ausgestrahlt.de
Internet: www.ausgestrahlt.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2010