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ATOM/1208: Atomausstieg - Das große Déjà-vu (.ausgestrahlt)


.ausgestrahlt / gemeinsam gegen atomenergie - Rundbrief 19 / Winter 2012/2013

Das große Déjà-vu



Alle reden vom "Atomausstieg" - als ob die Sache längst gegessen sei: ein fataler Irrtum, dem viele schon einmal erlegen sind. Ein Blick zurück in die Zukunft


"Atomausstieg" #1

Wer: Rot-grüne Bundesregierung - Kanzler Schröder (SPD), Umweltminister Trittin (Grüne), Wirtschaftsminister Werner Müller (RWE/VEBA/Eon) - zusammen mit den AKW-Betreibern
Was: "Atomkonsens"-Vertrag, ausgehandelt im Juni 2000, unterzeichnet ein Jahr später, rechtlich umgesetzt Ende 2001 im rot-grünen Atomgesetz
Offizielles Verhandlungsergebnis: Begrenzung der AKW-Laufzeit auf 32 Jahre, Ende der Wiederaufarbeitung, Neustart bei der Endlagersuche
Das Versprechen: "Spätestens 2018 geht das letzte AKW vom Netz." (Trittin, dpa 10.06.01)

Tatsächlich beschlossen:
  • "ungestörter Betrieb" (Atomkonsens-Vertrag) aller 19 AKW, bis diese die ihnen zugestandenen, extrem üppig bemessenen Strommengen produziert haben
  • Verzicht auf schärfere Sicherheitsauflagen
  • Verzicht auf weitere finanzielle Belastung der AKW-Betreiber
  • Bau von Zwischenlagern an allen AKW-Standorten
  • Stopp lediglich der Transporte in die Wiederaufarbeitung ab Mitte 2002
  • Unterbrechung der Bauarbeiten in Gorleben für bis zu zehn Jahre

O-Ton Kanzler: "vernünftige Lösung", "ein weiteres zentrales Reformprojekt abgeschlossen" (rtr 15.06.00 / FAZ 11.06.01)
O-Ton Umweltminister: "Zum ersten Mal in der Geschichte wird eine bestimmte Form der Energieerzeugung mit Zustimmung der Branche, die damit Geld verdient, beendet." (FAZ 11.06.01)
Atomindustrie: Bittet die Opposition, dem "Atomkonsens" zuzustimmen; dieser sei attraktiv, weil er die Anti-Atom-Proteste reduziere. O-Ton: ein "fairer Kompromiss" (rtr 15.06.00); man habe nun "viele Jahre Zeit, die Stärken dieser Energieerzeugungsart erneut unter Beweis zu stellen." (ap 10.06.01)
Wirtschaftsminister: kündigt Gespräche über Stromimporte an
Opposition: stimmt geschlossen gegen den "Atomkonsens"; CDU, CSU und FDP wollen den "Atomausstieg" rückgängig machen, die PDS einen schnelleren Ausstieg

Erste Abschaltkandidaten:
  • AKW Obrigheim - 31.12.2002 (Atomkonsens-Vertrag)
  • AKW Stade (unwirtschaftlich)
  • AKW Biblis A - Trittin attestiert dem Meiler nach einem Gerichtserfolg 2002 noch eine "Restlaufzeit von fünf Jahren"; RWE soll statt der von der CDU-Landesregierung angeordneten 55 nur noch 20 Nachrüstungsanforderungen umsetzen
  • AKW Neckarwestheim - November 2008 (Prognose)

Anti-Atom-Bewegung: Viele wähnen sich am Ziel - zumindest in einigen Jahren. Anti-Atom-Proteste flauen merklich ab.


Atom-Realität #1
Erste Abschaltkandidaten:
  • AKW Obrigheim: Als das schriftlich vereinbarte Aus näher rückt, setzt Bundeskanzler Schröder eine jahrelange Extra-Laufzeitverlängerung für den Uralt-Meiler durch
  • angeblich ein geheimes "Ehrenwort", das er dem EnBW-Chef schon während der "Konsens"-Verhandlungen gegeben hatte. Erst im Mai 2005 geht der Reaktor schließlich vom Netz.
  • AKW Stade: Geht im November 2003 vom Netz, weil es unrentabel ist. Trittin feiert "Abschaltparty" und spricht vom "Symbol für das Ende des Atomzeitalters" (SZ 11.05.10)
  • AKW Biblis: lange Reparaturpausen und Streckbetrieb mit reduzierter Leistung verhindern die Abschaltung, bis die schwarz-gelbe Bundesregierung 2010 allen AKW zusätzliche Stromproduktionsmengen zugesteht ("Laufzeitverlängerung"). Die 20 geforderten Nachrüstungen werden nie umgesetzt.
  • AKW Neckarwestheim: Streckbetrieb mit reduzierter Leistung rettet den Uralt-Meiler bis zur Laufzeitverlängerung im Jahr 2010.
Sicherheit:
  • Selbst gravierende Unfälle wie die Wasserstoffexplosion im AKW Brunsbüttel Ende 2001 führen nicht zu einem Entzug der Betriebsgenehmigung. Auch den marodesten Meilern hat die Regierung schließlich "ungestörten Betrieb" zugesichert.
  • Die Terroranschläge des 11. September 2001 geben juristisch beste Handhabe, AKW stillzulegen, denn Flugzeugabstürze können nun nicht mehr dem "Restrisiko" zugeordnet werden. Dennoch bleiben alle AKW in Betrieb
  • die Regierung hat schließlich unterschrieben, keine schärferen Sicherheitsanforderungen einzuführen.

Endlager-Suche: AK End einigt sich auf Kriterien zur Endlagersuche, die aber nie Gesetz werden. Ab 2011 wird der Salzstock in Gorleben wieder weiter zum Endlager ausgebaut.

Atomindustrie: Versucht zunächst, Ausnahmegenehmigungen zu bekommen, um auch die ältesten Meiler am Netz zu halten. 2008 startet sie eine großangelegte PR-Kampagne für eine generelle Laufzeitverlängerung.

Atomausstieg? CDU, CSU und FDP beschließen 2010 trotz massiver Proteste eine Laufzeitverlängerung von rechnerisch 8 bis 14 Jahren für alle AKW. Offiziell tasten sie den "Atomkonsens" dabei gar nicht an - sprachlich gilt Atomkraft als "Brückentechnologie", formal genügt es, im Anhang des Atomgesetzes den Reaktoren zusätzliche Stromproduktionsmengen zuzugestehen. Nur die beiden bereits abgeschalteten AKW Stade und Obrigheim bleiben außen vor und damit aus.

Anti-Atom-Bewegung: Wacht auf, als Laufzeitverlängerungen drohen, kann diese aber nicht mehr verhindern.


"Atomausstieg" #2

Wer: Schwarz-gelbe Bundesregierung - Kanzlerin Merkel (CDU), Umweltminister Röttgen (CDU), Wirtschaftsminister Rösler (FDP)
Was: 180-Grad-Wende derselben Bundesregierung, die erst kurz zuvor eine Laufzeitverlängerung für alle AKW beschlossen hatte, nach Fukushima, untermauert durch eine Ethikkommission, rechtlich umgesetzt im Juli 2011 mit schwarz-gelb-rot-grünem Atomgesetz
Das Versprechen: "Wir werden schrittweise bis Ende 2022 vollständig auf die Kernenergie verzichten" (Merkel PK 30.05.11)
Außerdem angekündigt: "Neustart" bei der Endlagersuche

Tatsächlich beschlossen:
  • Acht AKW verlieren ihre Betriebsgenehmigung am 6. August 2011.
  • Bis 2021 sollen nur drei weitere AKW vom Netz, die verbliebenen sechs danach binnen 12 Monaten folgen
  • Bauarbeiten in Gorleben gehen weiter

O-Ton Kanzlerin: "Der Atomausstieg ist beschlossen und unumkehrbar." (dpa 18.07.12)
O-Ton Umweltminister: "Ich sehe unter keiner denkbaren politischen Konstellation die Chance auf eine Renaissance der Kernkraft in Deutschland." (dpa 04.01.13)
O-Tone Grüne: "Die Anti-AKW-Bewegung ... ist ... am Ziel." (NRW-Umweltminister Remmel, dpa 17.06.11)
O-Ton Atomindustrie: "Wer weiß, was in ein paar Jahren ist." (RWE-Chef Großmann, rtr 21.06.11)
O-Ton Industrie: "Wir müssen in regelmäßigen Abständen bewerten, wie viel wir von dem, was wir uns vorgenommen haben, geschafft haben. Und: Können wir so weiter machen ... oder müssen wir nachsteuern." (BDI-Chef Keitel, dpa 30.06.11)
Opposition: SPD stimmt mit Schwarz-gelb, Grüne fordern Ausstieg bis 2017 und stimmen für AKW-Betrieb 2022. Linkspartei will einen schnelleren Ausstieg und stimmt gegen schwarz-gelb-rot-grünes Atomgesetz.

Abschaltkandidaten:
• Grafenrheinfeld - 31.12.2015 (Atomgesetz)
• AKW Gundremmingen B - 31.12.2017 (Atomgesetz)
• AKW Philippsburg-2 - 31.12.2019 (Atomgesetz)

Anti-Atom-Bewegung: Viele wähnen sich am Ziel - zumindest in einigen Jahren ...

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Quelle:
Rundbrief 19, Winter 2012/2013
Herausgeber: .ausgestrahlt
Marienthaler Straße 35, 20535 Hamburg
E-Mail: info@ausgestrahlt.de
Internet: www.ausgestrahlt.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2013