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ATOM/1269: Risse im Stahl? AKW Grohnde sofort abschalten! (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 124/1.2015

Risse im Stahl?
AKW Grohnde sofort abschalten!

Von Tobias Darge


Am 3. Dezember 2014 veranstaltete das Niedersächsische Umweltministerium in Hameln eine Sicherungskonferenz zu Alterung und Ermüdungsverhalten von Komponenten in Atomkraftwerken. Nach dem beschlossenen Atomausstieg setzte sich das Ministerium die Überprüfung aller noch mit Restlaufzeiten versehenen Atomkraftwerke auf die Agenda. Im AKW Grohnde wurden Federbrüche an Drosselkörpern festgestellt, deshalb sollte mit Betreibern, Verbänden und Bürgerinitiativen über die Ursachen, Auswirkungen und Konsequenzen kritisch diskutiert werden. ROBIN WOOD fordert die sofortige Stilllegung des AKW Grohnde wegen des rissanfälligen Stahls!


Die beim Sicherheitsbehälter verwendete Stahlsorte WstE 51 wird noch nicht einmal den Anforderungen des TÜV-Weisungsbeschlusses von 1977 gerecht! Die im RWE-Vortrag geforderte Verwendung "optimierter Werkstoffe" ist dort nicht erfolgt, obwohl bereits acht Jahre vor Inbetriebnahme des AKW ein besser geeigneter Werkstoff existierte. Bundesweit ist die Stahlsorte WstE 51 außer in Grohnde nur noch im AKW Grafenrheinfeld im Einsatz. Während Grafenrheinfeld jedoch 2015 abgeschaltet wird, soll Grohnde noch acht Jahre bis Ende 2022 weiterlaufen.

Ein Rückblick in die Geschichte zeigt, dass bereits im August 1976 der Stahl von der Reaktorsicherheitskommission außerordentlich negativ bewertet wurde. Sogar der AKW-Befürworter Professor Karl Kussmaul, damaliger Direktor der Staatlichen Materialprüfanstalt an der Universität Stuttgart, sprach von "offensichtlich negativen Erfahrungen", die man mit WstE 51 in Kraftwerksbauteilen gemacht habe. Deshalb erging 1977 der Weisungsbeschluss Nr. 18 der TÜV-Leitstelle Kerntechnik, nachdem Werkstoffe mit einer höheren Festigkeit als 360 Newton/mm² nicht mehr zugelassen werden sollen. Bei einer höheren Festigkeit kann es zu Problemen bei der Verarbeitung kommen, die zu Versprödungen und anderen Mängeln, und in Folge dessen zu Schadensfällen führen. Der Wert von WstE 51 liegt mit 510 Newton/mm² deutlich über dem Grenzwert.

Auch im Bundesinnenministerium fragte man 1976 besorgt die interne Rechtsabteilung an. Der Sicherheitsbehälter in Grohnde war wenige Monate zuvor genehmigt worden. Der Grafenrheinfelder Sicherheitsbehälter war bereits gebaut, für Grohnde waren die Bleche fertig gestellt, mit der Montage aber noch nicht begonnen worden. Auf der 114. Sitzung der Reaktorsicherheitskommission (RSK) wurden Bedenken gegen den verwendeten Stahl laut. Möglichkeiten, die Teilerrichtungsgenehmigung zu widerrufen, wurden ausgelotet. Eine nachträgliche Sicherheitsauflage zu verordnen, wäre nach dem Atomgesetz entschädigungsfrei möglich gewesen, wenn eine erhebliche Gefährdung Dritter gegeben ist. Die Entscheidung darüber überließ das Innenministerium der RSK.

Diese Entscheidung kommentierte der ehemalige TÜV-Prüfer und Schweißfachingenieur Richard Höhne 1982 so: "Die RSK folgert richtig, dass die Sicherheit vor allem durch die Konstruktion und Auslegung erreicht werden muss. Mangelnde Zähigkeit kann nicht durch Prüfumfang kompensiert werden. Nach dieser realistischen Einschätzung der Sachlage folgen dann allerdings die bekannten Konzessionen, die den Wert des gesamten deutschen Gutachtertums in Frage stellen. Die Stellungnahmen der RSK und der Unterausschüsse zeigen, dass dem Drängen der Industrie nach WstE 51 nur unwillig gefolgt wurde. Die Behälter entsprechen auch nicht annähernd dem neuesten Stand der Technik, nicht den heutigen KTA-Regeln und gewährleisten keine bestmögliche Sicherheit."

1981 argumentierte der TÜV Hannover in einer Stellungnahme, dass beim AKW Grohnde eine Sondergüte der beanstandeten Stahlsorte zum Einsatz gekommen sei. Richard Höhne stellte allerdings im Auftrag der Stadt Hameln 1982 fest, dass der als "Sonderstahl" deklarierte Werkstoff hinsichtlich seiner Zähigkeit kein Sonderstahl sei.

Sehr alte Stahlsorte für den Reaktordruckbehälter in Grohnde

Auch beim Reaktordruckbehälter, dem Herzstück eines jeden Reaktors, wurde beim Bau eine sehr alte Stahlsorte, 22 NiMoCr 37, verwendet. Im Dezember 1975 fand im Bundesinnenministerium ein "Krisengespräch zur Vorratsfertigung von Reaktordruckbehältern" statt. Dort bekundete der damalige Bundesinnenminister Maihofer Bedenken gegenüber der Tendenz der Energieversorgungsunternehmen, sich für Druckwasserreaktoren auf diese alte Stahlsorte zurückzuziehen. Es bestanden Zweifel an der langfristigen Haltbarkeit von Druckbehältern aus diesem Material. Sachverständige bestätigten darüber hinaus, dass die Probleme des 22 NiMoCr 37 vor allem in seiner schwierigen Schweißbarkeit, der Ausbildung von Grobkornzonen und der damit verbundenen Neigung zu Unterplattierungs- und Nebennahtrissen liegen, die nur mit großem Fertigungs- und Kontrollaufwand zu vermeiden sind. Sie empfahlen daher, z.B. auf den Werkstoff 20 MnMoNi 55 auszuweichen, da er unabhängig von der Kunst und Sorgfalt der Verarbeitung zu geringerer Rissbildung neige. Trotz all dieser Bedenken aus dem Bundesinnenministerium sah die niedersächsische Genehmigungsbehörde im März 1976 "keine Gründe, die vorgesehene Verwendung des Werkstoffes zu versagen."

Der Sicherheitsbehälter des AKW Grohnde wurde einer Druckprobe unterzogen. Der Prüfdruck wurde innerhalb von 62 Stunden mit Kompressoren aufgebaut. Aber bei einem Störfall baut sich der gleiche Druck innerhalb von 17 Sekunden auf, was ein viel stärkerer Druckstoß ist. Noch 2012 behauptete das Niedersächsische Umweltministerium auf eine Anfrage der Linken, dass der Druckstoß gleich groß sei. Wer Naturgesetze so verleugnet, fällt hinter die Aufklärung zurück; dann kann man auch sagen: "Atomkraft ist sicher und die Erde ist eine Scheibe!".


Tobias Darge ist Energiereferent von ROBIN WOOD in Hamburg - energie@robinwood.de

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 124/1.2015, Seite 16-17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2015

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