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ATOM/1352: Das Chaos um die Kugelcastoren (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 748-749 / 32. Jahrgang, 1. März 2018 - ISSN 0931-4288

Atommüll
Das Chaos um die Kugelcastoren
Hintergründe und Lösungsansätze

Von Dr. Rainer Moormann, Aachen


Seit mehr als 40 Jahren, als die Einlagerung von Jülicher AVR-Kugelbrennelementen in die Asse genehmigt war, geraten die Brennelemente (BE) der Kugelhaufenreaktoren in Jülich und Hamm immer wieder in die Schlagzeilen. Kugelhaufenreaktoren erzeugen mehr als das 30-fache Volumen an wärmeentwickelndem Abfall als Leichtwasserreaktoren (LWR), was zu außerordentlich hohen Entsorgungskosten führt. Die wechselvolle Geschichte der Kugelbrennelemente und Kugelcastoren (Typ THTR/AVR) wird in diesem Artikel dargelegt. Aktuell werden Optionen wie Verlagerung der Jülicher BE nach Ahaus und Export der 152 Jülicher oder aller 455 Kugelcastoren in die USA favorisiert - vor dem Hintergrund, dass für das aktuelle Jülicher Castorenlager seit 2014 eine Anordnung zur unverzüglichen Räumung gilt. Es wird aufgezeigt, dass die derzeit durch Entwicklungsarbeiten vorangetriebene, sehr teure Verlagerung der Castoren zur sicherheitstechnisch problematischen Aufarbeitung in die USA langfristig von enormem Vorteil für die Kugelhaufenreaktor-Vermarktung wäre, da sie das Volumen des weiterentwickelnden Abfalls deutlich verringert; möglicherweise wurde diese Option von der Jülicher HTR-Lobby in den Vordergrund gedrängt, um unter dem Deckmantel der Entsorgung eine Finanzierung von HTR-Weiterentwicklung trotz Atomausstiegs zu erreichen. In jedem Fall darf es als Bankrotterklärung der Jülicher Nukleartechnik gewertet werden, mehr als 50 Jahre nach Inbetriebnahme ihres ersten Kugelhaufenreaktors zu dessen BE-Entsorgung faktisch nichts anderes als einen BE-Export vorweisen zu können - und das mit ähnlich fadenscheinigen Argumenten zu untermauern, wie den früheren gescheiterten Versuch, diese Kugeln in der Asse zu entsorgen. Weniger belastende Entsorgungsalternativen für diesen definitiv besonders schwierigen Atommüll werden vorgeschlagen. Dazu gehört die Errichtung eines besseren Zwischenlagers für alle Kugel-BE in Jülich einschließlich einer Konditionierungsanlage.


Kugelbrennelemente und ihre Castoren

In Jülich befinden sich 152 Castoren mit Kugel-BE aus dem kleinen Jülicher Kugelhaufenreaktor AVR (betrieben 1967-88, 46 MWth) in einem mittlerweile genehmigungslosen Zwischenlager, für das seit 2014 eine Räumungsanordnung gilt. Es handelt sich um insgesamt 288.161 Kugeln; es ist allerdings laut Genehmigung damit zu rechnen, dass bis zu 1.000 der Kugeln keine BE, sondern kernbrennstofffreie Kugeln sind: In Jülich ist während des AVR-Betriebs nämlich der vollständige Überblick über die Kugeln verlorengegangen.[9] In Ahaus werden in 303 Castoren(1) BE des Kugelhaufenreaktors THTR-300 (Hamm, betrieben 1985-88, 750 MWth) aufbewahrt. Es handelt sich um circa 605.000 BE-Kugeln, darunter mehr als 20.000 beschädigte. Die Jülicher Kugeln befanden sich bis 2015 im Besitz des Forschungszentrums Jülich (FZJ); jetziger Besitzer ist die bundeseigene Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN), die aus den entsprechenden Bereichen des FZJ und der AVR/EWN gebildet wurde. Die privatwirtschaftliche AVR GmbH musste bereits 2003 vom Bund (EWN) übernommen werden, da die Eigentümer über 15 Jahre keine nennenswerten Fortschritte in Rückbau/Entsorgung vorweisen konnten und finanziell am Tropf der öffentlichen Hand hingen. JEN gehört zum EWN-Konzern. Die Castoren in Ahaus sind im Besitz der THTR-Betreibergesellschaft HKG.

Alle THTR-Kugeln und circa 80 Prozent der AVR-Kugeln enthalten als Spaltstoff hochangereichertes (93%) Uran (HEU, 1 g/Kugel) sowie als Brutstoff Thorium (5 bis 10 g/Kugel); 20 Prozent der AVR-Kugeln nutzten demgegenüber LEU-Brennstoff, allerdings mit höherer Anreicherung als im LWR. Der Brennstoff befindet sich in der Kugel (6 cm Durchmesser) in Form von 10.000 bis 40.000 Partikeln (ca. 0,5 mm Durchmesser), die mit diversen dünnen Beschichtungen umgeben sind. Während im THTR nur ein BE-Typ Verwendung fand, waren es im AVR circa 20.

Die Waffenfähigkeit des Kugelmülls ist gut untersucht [1]: Über alle AVR-Castoren gemittelt, handelt es sich beim Uran nicht mehr um HEU. Entfernt man die LEUKugeln, ließe sich aus den verbleibenden Kugeln HEU von schlechter Waffenqualität isolieren, allerdings nicht in einer Menge, die zum leichten Bau eines nuklearen Sprengsatzes ausreichen würde. Nach Einschätzung der US-Proliferationsbehörde NNSA ist die Waffenfähigkeit so gering, dass es keine Notwendigkeit für die USA gibt, die AVRKugeln zurückzuholen. Da der THTR nur kurz in Betrieb gehalten werden konnte, ist in seinem Atommüll noch wesentlich mehr Spaltstoff enthalten und das Proliferationsrisiko ist entsprechend höher. Vor einer Endlagerung des THTR-Brennstoffs muss das HEU durch Zumischen von Uran-238 abgereichert werden, ähnlich wie beim FRM-II-Atommüll.

Mit Ausnahme der ersten 30.000 AVR-BE-Kugeln (Herkunft: USA) wurden alle BE-Kugeln in Hanau hergestellt. Das zur Fertigung des größten Teils der Kugeln erforderliche HEU (0,5 Gewichts-Prozent einer Kugel) wurde aus den USA geliefert.


Spezifische Probleme der Kugelcastoren - mangelhafte Buchführung

Zum Verständnis der Problematik von Kugelcastoren ist es wesentlich, sich die Kugel-BE genauer anzuschauen: Der entscheidende Unterschied zu LWR-BE liegt darin, dass sie nicht nur aus den Brennstoffpellets, Hüllrohren und Haltekonstruktion bestehen, sondern auch noch den gesamten Moderator (LWR: Wasser) enthalten, nämlich den Moderatorgraphit. Da Graphit schlechter moderiert als Wasser, wird im Kugelhaufen-HTR viel mehr Moderator/Brennstoff benötigt als in LWR. Konkret bedeutet das, dass nur weniger als 2 Volumenprozent eines KugelBE aus Uran/Thoriumoxid besteht. Ganz überwiegend handelt es sich um Moderatorgraphit. Da der Moderator sich in geordneter Weise nicht leicht vom Kernbrennstoff trennen lässt, bedeutet das, dass bei Kugelhaufenreaktoren vergleichsweise riesige Volumina an wärmeentwickelndem Abfall anfallen, deren Entsorgung mit gigantischen Kosten verbunden ist. Daraus erklärt sich auch die große Zahl von Castoren mit Kugel-BE in Deutschland (455), obwohl der Anteil der Kugelhaufenreaktoren an der deutschen Gesamt-Atomstromerzeugung nur im Promillebereich liegt. Zu den Entsorgungskosten ein Detail: Ein Kugelcastor(2) kostet schätzungsweise 400.000 bis 500.000 Euro (extrapoliert aus den bekannten Kosten von LWR-Castoren von 2,2 Millionen Euro, die ein um den Faktor 4 bis 5 größeres Gesamtgewicht haben); Abbildungen zum Kugelcastor finden sich in [15]. Die Nettostromerzeugung aus dem AVR betrug 1,51 Milliarden Kilowattstunden (kWh), was zu 152 Kugelcastoren mit BE-Abfall führte. Nehmen wir Stromgestehungskosten von 4 bis 5 Cent pro kWh (Ct/kWh) an, resultiert daraus ein Wert der AVR-Stromerzeugung, der nur etwa den Anschaffungskosten der Kugelcastoren entspricht. Bei LWR liegt das Verhältnis um etwa den Faktor 50 günstiger, und das gilt nicht nur für die Zwischenlagerung, sondern nochmals für die Endlagerung. Daraus wird klar, dass ein Kugelhaufenreaktor auch nicht ansatzweise kostendeckend arbeiten konnte und kann: Mit Stromgestehungskosten von mehr als 25 Ct/kWh ist für zukünftige HTR bei halbwegs geregelter Entsorgung zu rechnen. Solche Kosten sind nicht einmal eingefleischten AKW-Befürwortern zu vermitteln und haben zum faktischen Ende der Kugelhaufen-HTR-Entwicklung im Westen beigetragen. Der Leiter der Reaktorentwicklung am FZJ versuchte noch 2005, die interne Diskussion über die Achillesferse "Kosten der Kugelentsorgung" harsch zu unterdrücken.

In China allerdings, wo ein Kugelhaufen-HTR (HTR-PM) 2018 in Betrieb gehen soll, hat man einen kostengünstigeren Weg gewählt: Dort sollen die Kugeln in großen, dünnwandigen Stahlgefäßen zwischengelagert werden (40.000 Kugeln pro Gefäß statt 2.000 in deutschen Castoren, 2 cm Wandstärke in China statt 35 cm in Deutschland).[3] Ähnlich unzulänglich soll die Endlagerung gestaltet werden. Es dürfte klar sein, dass der chinesische Entsorgungsweg zwar deutlich kostengünstiger ist, aber dem in den westlichen Industrieländern herrschenden Sicherheitsstandard nicht einmal ansatzweise entspricht. Eine Übertragung des chinesischen Billig-Entsorgungsweges auf entwickelte Staaten ist damit als unseriös auszuschließen. Um das skizzierte Showstopper-Kostenproblem auch für entwickelte Staaten zu lösen, verbleibt also nur der Weg der Aufarbeitung der Kugeln mit Abtrennung des Graphits (Vergasung als CO2 und Freisetzung in die Atmosphäre, oder Rückhaltung bei der Aufarbeitung und Endlagerung als mittelaktiven Abfall). Dieser Aspekt muss in der aktuellen Diskussion um die Entsorgung der deutschen Kugel-BE und ihrer Hintergründe unbedingt berücksichtigt werden.

Hinzuweisen ist darauf, dass Kugel-BE brennbar sind, allerdings nicht leicht entzündlich. Leicht entzündliche/explosible Gemische in Luft bildet der Graphitstaub, der sich im Reaktorbetrieb gebildet hat und sich zumindest teilweise in den Castoren befinden dürfte. Das stellt neuartige Sicherheitsanforderungen an die Entsorgung. Einige tausend AVRBE enthalten zudem eine nicht spezifizierte Restfeuchte - entweder aufgrund des schweren Wassereinbruchstörfalls 1978 oder aufgrund einer unsachgemäßen Lagerung der vereinzelt undichten Stahlgefässe in Wasserbecken um 1980. Diese Feuchte dürfte mittlerweile durch Radiolysereaktionen vergast worden sein, wobei das Gas verstärkt radioaktive Bestandteile (C-14, Tritium) enthält, die beim Öffnen der Castoren entweichen würden. Ein weiteres Problem der AVR-Castoren besteht darin, dass der genaue Inhalt von circa 60 Castoren nicht bekannt ist [4] - ein eigentlich untragbarer Zustand bei endzulagerndem Atommüll: Man hat den AVR lange Zeit trotz einer unbrauchbaren Charakterisierungseinrichtung abgebrannter Kugeln betrieben. Dieses Manko durch mangelhafte Messtechnik/Buchführung betrifft sowohl den Abbrandzustand der BE, als auch die Zuordnung von einigen 1.000 bis 10.000 durch störfallbedingt viel zu hohe Temperaturen oder Abbrände schwer geschädigte BE zu konkreten Castoren; aus Brennstoffpartikeln der letztgenannten havarierten BE ist ein Großteil der Spaltprodukte entwichen (an einzelnen Stichproben gemessen: vollständige Freisetzung von Silber (Ag) und Europium (Eu), was auf vollständige Strontium-Freisetzung hindeutet). Da Graphit mit seiner großen inneren Oberfläche aufgrund seiner Porosität gut adsorbiert, werden radioaktive Spaltproduke dort festgehalten worden sein (an Stichproben gemessen: bis 25 Prozent Cäsium).[5] Sie könnten durch Wassereinwirkung im Endlager leicht desorbiert werden. Für eine geregelte Entsorgung sind also noch erhebliche Probleme zu lösen. Es ist bisher nicht erkennbar, dass diese von JEN oder FZJ ausreichend angegangen werden.


Historie des deutschen Atommülls aus Kugelhaufenreaktoren

Ohne sich mit der Historie des Atommülls aus Kugelhaufenreaktoren zu befassen, ist kaum verständlich, wie es zu der heutigen verfahrenen Situation kommen konnte. Die nachfolgende Darstellung basiert zum Teil auf umfangreichen Recherchen in internen Dokumenten, die zum Beispiel über das Umweltinformationsgesetz eingesehen werden konnten. Eine ausführlichere Darstellung in Buchform mit einer Vielzahl von Belegen steht vor dem Abschluss.

Von 1967 bis zur Abschaltung von AVR und THTR 1988

Die ersten abgebrannten Brennelemente der heutigen Kugelcastoren fielen im AVR Jülich vor 45 Jahren an. Dem Trend der Zeit entsprechend war damals zur Entsorgung die Wiederaufarbeitung vorgesehen, mit anschließender Endlagerung der verbleibenden Abfälle. Bei der Wiederaufarbeitung hatte die Gewinnung von Brennstoff damals allerdings Vorrang vor dem Entsorgungsaspekt. Wie kaum noch bekannt ist, befand sich eine Wiederaufarbeitungsanlage JUPITER seit 1969 in Jülich im Bau: Im sogenannten Headendprozess von JUPITER sollten die Kugeln in Hammermühlen zerkleinert und der Kugelgraphit verbrannt werden. Die verbleibende Brennstoff/-Spaltproduktmischung sollte im nasschemischen Teil über den THOREX-Prozess aufgearbeitet werden. In der Endphase des JUPITER-Baus (1974) stellte man aber einen gravierenden Fehler im Aufarbeitungskonzept fest: Man hatte übersehen, dass Uran-235 bei Neutroneneinfang nicht nur gespalten wird, sondern mit einer Wahrscheinlichkeit von 18 Prozent in langlebiges, nicht spaltbares Uran-236 übergeht. Da die AVR-BE ein Thorium/Uran-Mischoxid enthielten, hätte man durch die Wiederaufarbeitung ein Urangemisch erhalten, welches etwa zu gleichen Teilen aus spaltbarem Uran-233 (erbrütet aus Thorium [6]) und Uran-235 (verbliebene Reste), sowie nicht spaltbarem Uran-236 und Uran238 bestanden hätte. Wegen des hohen Uran-236-Gehalts hätte dieses Gemisch als Spaltstoff im HTR zusammen mit dem damals ausschließlich verwendeten Thoriumbrutstoff nicht wieder eingesetzt werden können und auch in LWR ergab sich dafür keine marktfähige Anwendung. Man versuchte zwar noch, BE zu entwickeln, die Thorium und Uran getrennt enthielten, bei denen also wenigstens aus Thorium erbrütetes Uran-233 in fast reiner Form hätte isoliert werden können, aber diese Entwicklung scheiterte; etwa 20.000 dieser feed/breed-Testkugeln befinden sich in den Jülicher Castoren. Wohl aus Angst vor einer wissenschaftlichen Blamage wurde die Wiederaufarbeitung aufgegeben (endgültig circa 1980), wobei die wahren Gründe verschleiert wurden und stattdessen behauptet wurde, die Kugeln hätten sich als so extrem stabil erwiesen, dass sie für eine direkte Endlagerung besser geeignet seien als für die Wiederaufarbeitung. Das Problem der verbleibenden enormen Müllvolumina, das zu drastischen Maßnahmen in Jülich führte (s.u.), wurde Politik und Öffentlichkeit weiter verschwiegen. JUPITER wurde zwar fertiggestellt, mit nicht bestrahlten Kugelbrennelementen getestet, aber dann bis circa 1990 in aller Stille zurückgebaut.

Da man in Jülich nur geringe Zwischenlagerkapazitäten für die abgebrannten Kugeln besaß, wurden viele halbwegs geeignet erscheinende Bereiche zur provisorischen Zwischenlagerung genutzt, zum Beispiel der Pool der Technikumshalle der Heißen Zellen oder das BE-Lagerbecken der beiden Forschungsreaktoren. Vor allem aber wurde die schnelle Endlagerung in der Asse vorangetrieben. Die Kugeln sollten in Edelstahlfässern (keine Castoren oder Ähnliches) in 4 jeweils 36 Meter tiefen Bohrungen versenkt werden. Es wurde ein einzelner Castor-ähnlicher sogenannter Asse-Transportbehälter gebaut, in dem jeweils 2 Fässer auf einem Tieflader zur Asse transportiert werden sollten. Die Endlagerung von 100.000 Kugeln (circa 110 Fässer) in der Asse wurde am 04. März 1976 genehmigt, die Asse war schon kurz danach technisch gesehen annahmebereit. Bilder der damaligen Asse-Anlagen zur Kugeleinlagerung sind im Internet verfügbar.[7] Die Asse durfte übrigens nur mittelaktiven Abfall (MAW) annehmen. Wegen des hohen Graphitanteils der Kugelbrennelemente ist die spezifische Aktivität (Radioaktivität pro Volumen) geringer als in LWR-Brennelementen; damit gelang es Jülich in einem aus heutiger Sicht wenig vertrauenerweckenden Verfahren, die Kugelfässer als "an der oberen Grenze von mittelaktivem Abfall" zu deklarieren und so die Genehmigung zu erwirken. Es ist dem Engagement des Wolfenbütteler Lokalpolitikers Reinhold Stoevesandt [14] und Mitstreitern aus der Umweltbewegung zu verdanken, dass es nicht dazu kam - obwohl es Jülich gelang, die Mehrheit des Wolfenbütteler Kreistages mit aus heutiger Sicht hanebüchenen Argumenten zu einer Zustimmung zur Einlagerung zu bewegen. Die Gruppe um Stoevesandt erreichte ein Urteil mit aufschiebender Wirkung, sodass die Einlagerung im dafür genehmigten Zeitraum bis Mitte 1978 nicht zustande kam und aufgegeben wurde.

In Jülich musste 1977 die Entnahme von Brennelementen aus dem AVR für 6 Monate unterbrochen werden, da alle Lagerkapazitäten gefüllt waren - es wurden nur frische Kugeln zugegeben und Moderator/Absorberkugeln ohne Brennstoff entfernt. Eine längere Betriebsunterbrechung des AVR wäre wohl notwendig geworden, wenn der Reaktor durch seinen schweren Störfall im Mai 1978 nicht ohnehin für Jahre ausgefallen wäre. Bis 1981 wurde dann eine zusätzliche Lagerkapazität in Jülich errichtet, in der die Edelstahlfässer allerdings ohne besonderen Schutz aufbewahrt werden konnten, was die Lagersituation entspannte.

Angemerkt sei, dass 50.000 bis 55.000 Graphitmoderatorkugeln (nur die Zahl der Behälter wurde dokumentiert, nicht die Anzahl der Kugeln, daher die Unsicherheitsbandbreite) aus dem AVR bis 1978 in der Asse eingelagert wurden. Die Einlagerung war illegal, weil die Kugeln zwar keinen Brennstoff, aber sehr große, die zulässigen weit überschreitende Mengen an Tritium und Kohlenstoff-14 (C-14) enthielten. Diese Inventare wurden bei der Einlagerung nicht deklariert. Als große Tritiumemissionen aus der Asse ab 2007 den Verdacht auf Jülich lenkten, behauptete man von dort 2010, man habe bei der Einlagerung noch keine Kenntnis von den hohen Inventaren dieser Kugeln gehabt - was nachweislich falsch ist.[8] Außerdem wurden in der Asse circa einige hundert Testbrennelemente für den AVR eingelagert, die in Forschungsreaktoren unter zum Teil extremen Bedingungen (zeitraffend) bis hin zum Versagen bestrahlt worden waren und die zum problematischsten Inventar in der Asse gehören dürften. Dass auch vereinzelt Brennelemente aus dem AVR in die Asse gelangt sein könnten, ist zumindest nicht auszuschließen, da eine vollumfassende Bilanz über die AVR-Brennelemente nicht vorhanden ist, wie die "Atomkugel-Affaire" 2011 bestätigte.[9]

Bemerkenswert ist ein weiterer Aspekt: Die Carter-Regierung (USA) hatte 1977 angekündigt, dass aus Proliferationsgründen die Lieferung von HEU für deutsche HTR beendet würde. Damit musste die Thoriumnutzung mittelfristig eingestellt werden. In mit niedrig angereichertem (LEU) betriebenen HTR hätte aber über JUPITER zurückgewonnener Brennstoff eingesetzt werden können. Dass JUPITER dennoch nicht mehr zum Zuge kam, lag hauptsächlich daran, dass eine Betriebsgenehmigung ohne vollständige Rückhaltung des bei der Verbrennung des Kugelgraphits entstehenden CO2 aufgrund (1980) neuer Erkenntnisse sehr fraglich geworden war. Das CO2 enthält nämlich viel radioaktives langlebiges (5.730 Jahre) C-14, das nicht ausgefiltert werden kann. Eine Aufrüstung von JUPITER zur CO2-Rückhaltung erschien damals jedoch zu teuer, zumal sich das Müllvolumen mit CO2-Rückhaltung selbst im Vergleich zur direkten Endlagerung nochmals vergrößert hätte.

Das Konzept der Endlagerung von Kugeln in Edelstahlfässern in Salzstöcken wurde in Jülich bis Anfang der 1990er Jahre weiter verfolgt und Jülich wehrte sich lange gegen Castoren als Zwischenlagerbehälter, was angesichts der eingangs skizzierten ökonomischen Randbedingungen folgerichtig, aber aus Sicherheitssicht natürlich völlig inakzeptabel war. Erst um 1986 wurde Jülich das Castorkonzept zur Zwischenlagerung behördlicherseits aufgezwungen und die von Jülich beantragte testweise temporäre Einlagerung von einzelnen mit Messinstrumenten versehenen Kugelfässern in die Asse wurde 1992 nicht mehr genehmigt. In Jülich führte das zu einem Sturm der Entrüstung ("politisch motiviert...").[10] Danach wurden Arbeiten zur HTR-Entsorgung in Jülich nur noch halbherzig betrieben.

Ab circa 1976 wurde das Zwischenlager in Ahaus geplant, welches ab circa 1986 zur Annahme der THTR-Castoren aus Hamm vorgesehen war. Vonseiten der Politik wurde verlangt, dass auch die Jülicher Castoren dorthin verbracht würden. Dagegen gab es vehemente Opposition aus Jülich, und Jülich setzte sich schließlich durch, indem es eine Lagerung zum halben Preis von Ahaus versprach (40 DM pro Kugel für 15 Jahre Lagerung in Jülich gegenüber 75 DM in Ahaus). Was hinter diesem damaligen verbissenen Jülicher Kampf um den Verbleib der Castoren in Jülich steckte, ist den verfügbaren Dokumenten nicht klar zu entnehmen. Einerseits hätten einige Brennelementtypen in den Castoren für die HTR-Weiterentwicklung von Bedeutung sein können: Wären sie einmal in Ahaus gewesen, wären sie faktisch verloren gewesen, da eine Brennelemententnahme den Rücktransport von einzelnen Castoren nach Jülich und später wieder nach Ahaus erfordert hätte. Andererseits gibt es bezüglich des Inventars der Jülicher Castoren so viele Ungereimtheiten (s.o.), dass es plausibel erscheint, dass man sie mit Rücksicht auf die Erfolgschancen des HTR damals nicht in fremde Hände übergeben wollte.

Von 1989 bis heute

Die von Jülich versprochene kostengünstige Lagerung resultierte in einem Billiglager, das oberhalb von 5 Meter über Grund ohne Beton auskommt (nur Wärmedämmung) und damit selbst dem damaligen üblichen Sicherheitskonzept nicht mehr voll entsprach. Das spiegelt sich darin wider, dass das Lager 1993 zwar genehmigt wurde, aber nicht für 40 Jahre wie üblich, sondern nur für 20 Jahre. 2007 stellte Jülich den Antrag auf Verlängerung der Genehmigung. Die Diskussionen mit der Behörde ergaben schnell, dass eine längerfristige Genehmigung faktisch aussichtslos ist. Daher wurde eine Genehmigungsverlängerung um 3 Jahre beantragt und 2008 ein Antrag auf Verbringung der Kugelcastoren nach Ahaus gestellt. 2011 begann Jülich Verhandlungen mit den USA, um die Kugeln auf dem Militärgelände SRS aufarbeiten zu lassen (Gesamtkosten für Deutschland nach US-Presseangaben: Mehr als 1 Milliarde US-Dollar). 2012 wurde Letzteres zur zentralen Option und der Antrag auf Verlagerung nach Ahaus wurde zeitweise zurückgestellt, aber wieder aufgenommen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die US-Option - wenn überhaupt - dann nur langfristig verwirklicht werden kann. Nach Ablauf der 20 Jahre erlosch 2013 die Genehmigung des Jülicher Castorenlagers, es folgte eine einjährige Duldung. Im Juli 2014 wurde die Duldung beendet und behördlicherseits eine Räumungsanordnung erlassen, da ein Nachweis ausreichender Sicherheit in absehbaren Zeiträumen angesichts des schleppenden Fortgangs des Verfahrens nicht möglich erschien - ein bisher einmaliger Vorgang bei deutschen Zwischenlagern. Bisher konnte das Lager nicht geräumt werden: Es gibt zwar mittlerweile eine Aufbewahrungsgenehmigung für die Jülicher Castoren in Ahaus, aber noch keine Transportgenehmigung. Die sofortige Vollziehbarkeit der Aufbewahrungsgenehmigung in Ahaus wurde zudem im Januar 2018 vom BfE zurückgenommen - als Folge von rechtlichen Schritten der Stadt Ahaus. Im Oktober 2017 wurde von Jülich/JEN erstmals offen eingeräumt, was Kritiker lange vermutet hatten: Es wird angestrebt, nicht nur die 152 AVR, sondern auch die 303 THTRCastoren (derzeit Ahaus) zur Aufarbeitung in die USA zu verbringen. Als von Jülich favorisierte Option ergibt sich damit offensichtlich ein abgestuftes Vorgehen: Kurzfristig Verbringung der AVR-Castoren nach Ahaus und mittelfristig (in circa 10 Jahren) Verbringung von AVR- und THTR-Castoren in die USA. Die THTR-BE wurden um 1995 nach Ahaus verbracht; allerdings befinden sich noch mindestens einige hundert im Reaktor, da sie nicht entfernt werden konnten. Letzteres gilt auch für den AVR.

In Jülich, wo Kerntechnik heute nur noch eine Nebenrolle spielt, hat sich bei der FZJ-Leitung die Einstellung gegenüber den Castoren im Vergleich zu 1985 geändert: Sie werden jetzt als Last und als dem Ruf von Jülich abträglich empfunden; konkret wird damit argumentiert, dass eine Forschungseinrichtung von internationalem Rang wie das FZJ nicht mit Lagern für Kernbrennstoff belastet werden dürfe. Dass in Jülich mit dem hochverstrahlten Reaktorbehälter des havarierten AVR, der in diesem Jahrhundert nicht zurückgebaut werden kann, eine außerordentlich problematische nukleare Altlast verbleibt, wird dabei offenbar ausgeblendet. Meinem Eindruck nach werden daher naheliegende Lösungen, wie zum Beispiel der Neubau eines besseren Lagers in Jülich, das nach Auslaufen der Genehmigungen in Ahaus in gut 15 Jahren auch die THTR-Castoren aufnehmen könnte, zwar formal untersucht, de facto aber hintertrieben. Die rechtlichen Randbedingungen, nämlich die Räumungsanordnung, lassen sich gut in die Jülicher Absichten zum Verschieben des Atommülls einpassen: Man muss nur abwarten, das heißt die Alternativen zu einer Atommüllverlagerung hintertreiben, dann gibt es nämlich rechtlich keine Alternative mehr zu einer Verlagerung, sobald diese technisch möglich und genehmigt ist. Konkret: Würde eine genehmigte Räumung nicht umgesetzt, wäre das ein strafrechtlich relevanter Vorgang. Vonseiten der Atomaufsicht und der Politik verhält man sich diesbezüglich ausgesprochen passiv und lässt Jülich gewähren. Vonseiten des Bundesforschungsministeriums erfährt Jülich sogar fast uneingeschränkte Unterstützung, was damit zusammenhängen könnte, dass der für Jülich direkt gewählte MdB parlamentarischer Staatssekretär im Forschungsministerium ist und in diversen Jülicher Gremien zum Forschungs- und Atommüllstandort wirkt. Diese Passivität/Unterstützung betrifft nicht nur den skizzierten ständigen Jülicher Konzeptwechsel hinsichtlich seines Atommülls seit 2007, sondern sogar ausgesprochene Schlampereien im Umgang mit dem Atommüll: Genannt seien die nicht ausreichende Wartung des Verladekrans für die Castoren, was dazu führte, dass der Kran in einem mehrjährigen Vorgang aufwändig saniert werden musste und in dieser Zeit nicht benutzbar war, oder die von der Genehmigungsbehörde BfS als qualitativ fragwürdig eingestuften Unterlagen zur Genehmigungsverlängerung des bestehenden Jülicher Castorlagers sowie die qualitativ mangelhaften Jülicher Dokumente zum BE-Export in die USA.

In Jülich gab es bis 2009 immerhin eine kleine Arbeitsgruppe, die sich mit den spezifischen Entsorgungsproblemen von Kugelhaufen-HTR und BE-Kugeln befasste, und zwar orientiert an gesetzlichen Erfordernissen. Diese Gruppe arbeitete fachlich durchaus erfolgreich, blieb aber auf einer Außenseiterposition, da sie die von der Jülicher Nuklearlobby gewünschte gute Endlagerfähigkeit der BE nicht stützte. Als 2006 ein industriefinanzierter Lehrstuhl zum nuklearen Brennstoffkreislauf an RWTH Aachen/FZJ eingerichtet wurde, bewarb sich der Arbeitsgruppenleiter um diesen Lehrstuhl mit dem Ziel, die HTR-Entsorgungsarbeiten auszuweiten. Das Berufungsverfahren wurde Anfang 2008 überraschend abgebrochen; nach einer Neuausschreibung wurde sehr schnell Bruno Thomauske [2] berufen: Thomauske war 2007 wegen Unregelmäßigkeiten beim Brand in Krümmel als Leiter der Vattenfall-Nuklearsparte entlassen worden. Der Jülicher Arbeitsgruppenleiter verließ das FZJ und seine Gruppe zur HTR-Entsorgung zerfiel weitgehend, während HTR-Entwicklungsarbeiten noch lange weiterliefen. Thomauske bearbeitete in Jülich Transmutationsfragen, brachte aber die HTR-Entsorgung nicht weiter. Es muss als weiteres eklatantes Versagen des FZJ-Managements gewertet werden, diesen technologischen Fadenriss zur HTR-Entsorgung unter so zweifelhaften Randbedingungen zugelassen zu haben.


Wie sicher ist das bestehende Castorlager in Jülich?

Das bestehende Castorlager in Jülich ist unstreitig das baulich schwächste und damit wohl unsicherste Lager in Deutschland.[4] Das wurde auch beim Sicherheitscheck durch die ESK nach Fukushima deutlich. Die Sicherheitsdefizite betreffen einerseits den Schutz vor SEWD.[4] Bereits vor einigen Jahren wurde das Lager deshalb mit einer Mauer umgeben, die das Eindringen von Terroristen erschweren soll; wegen der schlechten baulichen Qualität des Lagers musste Jülich diese Mauer viel früher errichten als die anderen Zwischenlager. Außerdem wurde die Wachmannschaft bewaffnet und erhielt ein gepanzertes Fahrzeug. Ob hier eine Rolle gespielt hat, dass nach (unbestätigten) Pressemeldungen eine islamistische belgische Terrorzelle sich für das Jülicher Lager interessiert haben soll, kann nicht geklärt werden; plausibel wäre ein solches Interesse zumindest für die Zeit vor der Aufrüstung schon. Eine deutliche Verbesserung bezüglich des Schutzes gegen Eindringen von Terroristen vom Boden aus wurde so zwar erreicht, aber am praktisch nicht vorhandenen baulichen Schutz gegen Flugzeugabsturz ändern diese Maßnahmen nichts: Verglichen mit den zentralen Zwischenlagern wie zum Beispiel Ahaus, die nur über einen unwesentlich besseren Schutz im Deckenbereich verfügen, sind allerdings keine größeren Sicherheitsdefizite zum Beispiel bei gezieltem Flugzeugabsturz festzustellen. In beiden Lagertypen liegt die Schutzwirkung fast allein bei den Castoren.

Schwieriger zu bewerten ist das zweite Sicherheitsdefizit, das für Jülich spezifisch ist, nämlich das Erdbebenrisiko. Es ist seit circa dem Jahr 2000 bekannt, dass im Rheinland stärkere Erdbeben vorkommen können, als früher angenommen. Neuere Prüfkriterien der ESK für Erdbeben fordern zudem den Nachweis für Zwischenlager, dass die sogenannte Bodenverflüssigung beherrscht wird. Bodenverflüssigung durch Erdbeben kann bei stärker wasserhaltigem Untergrund dann auftreten, wenn die Bodenpartikelgröße in einer bestimmten Bandbreite liegt. Teile des Bauwerks und eventuell der Castoren könnten dann im Boden versinken. Für den Standort Jülich gibt es zwei Gutachten zu diesem Problem. Während das eine Bodenverflüssigung nicht ausschließt, hält das andere den Nachweis, dass Bodenverflüssigung nicht auftritt, für aussichtsreich. Eine vollständige Nachweisführung würde umfängliche Bohrungen usw. erfordern und wäre damit aufwändig, zumal es in Deutschland dazu bisher nur wenig Erfahrungen gibt.

Neben dem Nachweis, dass Bodenverflüssigung nicht auftritt, gäbe es für Jülich auch die Möglichkeit einer Nachweisführung, dass die Konsequenzen von Erdbeben/Bodenverflüssigung unter den Grenzwerten bleiben. Analog wird beim Flugzeugabsturz verfahren. Hier scheinen mir die Erfolgsaussichten relativ gut zu sein. Die Folgen eines Erdbebens jedenfalls dürften weit unter denjenigen eines gezielten Flugzeugabsturzes bleiben. Dass es aus Jülich dazu bisher keine brauchbaren Ansätze gibt, könnte damit zusammenhängen, dass ein Lager in Jülich nicht wirklich gewünscht wird. Ohne ausreichenden Druck vonseiten Aufsichtsbehörden und Politik wird es aus Jülich keine echten Anstrengungen geben, die offenen Probleme zu lösen. Mir scheint es sinnvoll, die Jülicher Arbeiten durch eine unabhängige Expertengruppe zu beaufsichtigen, um zu verhindern, dass eine interessengeleitete statt eine objektive Bearbeitung stattfindet.

Unabhängig von dieser technischen Bewertung ist festzuhalten, dass rechtlich betrachtet das Jülicher Lager nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Damit ist eine langfristige Neugenehmigung rechtlich gesehen nicht möglich. Ob dieses formalrechtliche Argument aber den Transport in ein anderes Lager wie Ahaus rechtfertigt, welches zwar vermutlich kaum sicherer ist, aber noch über eine gültige Genehmigung verfügt, ist politisch gesehen eine andere Frage. Die große Zahl zusätzlicher Castortransporte jedenfalls spricht dagegen. Um so dringender erscheint mir, dass eine nachvollziehbare Sicherheitsbewertung des aktuellen Castorenlagers erstellt wird, um zu verhindern, dass durch Jülicher Untätigkeit und Ausnutzung formalrechtlicher Aspekte eine möglicherweise schwerwiegende Fehlentscheidung getroffen wird.


Bringt eine Verlagerung der AVR-Castoren nach Ahaus Vorteile?

Ahaus verfügt über eine Genehmigung bis 2036, die Jülicher Castoren aber zum Teil nur bis 2032. In Ahaus ist das Erdbebenrisiko sehr gering. Ahaus verfügt über genügend freie Plätze für die Jülicher Castoren. Letzteres hängt auch damit zusammen, dass der THTR-300 in Hamm sich als Fehlschlag entpuppte und nur 432 Volllasttage in Betrieb war. Ironischerweise hat der gleiche Personenkreis den THTR-Fehlschlag zu verantworten, welcher das Jülicher Castorlager erzwang und die anderen im vorherigen Historienkapitel aufgezählten Fehlschläge verursachte: Die Federführung für die THTRPlanung lag nämlich in Jülich bei den dortigen Kugelhaufenreaktorentwicklern.

Da - wie schon ausgeführt - die Sicherheitsbedingungen in Ahaus gegen SEWD nicht besser sind als im aktuellen Jülicher Lager, bleiben die Vorteile einer Verlagerung nach Ahaus begrenzt. Über 2036 hinaus ist eine Castorlagerung in Ahaus wegen der dann auslaufenden Genehmigung ohne Lagerneubau kaum vorstellbar. Ob eine Verlängerung der Castorgenehmigung ab 2032 ohne eine (in Ahaus prinzipiell unzulässige) Inspektion einzelner Castoren erfolgen kann, ist fraglich.

Bisher fehlt offensichtlich der Nachweis, dass eine Verbringung der Jülicher Castoren nach Ahaus Sicherheitsverbesserungen bringt, die einen problematischen Transport rechtfertigen. Die Argumentation für einen Transport nach Ahaus fußt ausschließlich auf formalrechtlichen Argumenten, die wohl gemäß der aktuellen Jülicher Interessenlage ausgenutzt werden. Solange nicht überzeugend nachgewiesen ist, dass die Verlagerung nach Ahaus entscheidende Sicherheitsverbesserungen bringt, sollte die Umweltbewegung die Stadt Ahaus in ihrem juristischen Kampf gegen die Aufnahme der Jülicher Castoren unterstützen.


Was steckt hinter den Plänen zum Castorexport in die USA?

Die ersten bekannten Vorverhandlungen USA/Jülich zu einem Kugelexport gab es Anfang und Mitte 2011, angetrieben wohl von dem sich immer klarer abzeichnenden Entsorgungsdebakel um die Kugeln und das Jülicher Castorlager. Eine offizielle Anfrage des Bundesforschungsministeriums beim US-DOE erfolgte im Februar 2012.[11] Diese Anfrage umfasste schon alle Castoren von AVR und THTR, obwohl im Juli 2012 (als die deutschen Exportpläne öffentlich wurden) von deutscher Seite nur Exportpläne für den AVR-Müll eingeräumt und anderslautende Informationen aus den USA regierungsseitig als Missverständnis eingestuft wurden. Ein Antrag auf Einsicht in diesen Schriftwechsel wurde vom BMBF damals mit der Begründung abgelehnt, es handle sich um Kernbereiche des Regierungshandelns, von den USA wurde das deutsche Schriftstück aber kurz danach veröffentlicht. Es ging von Seiten des Bundesforschungsministeriums also offenbar um gezielte Irreführung der Öffentlichkeit hinsichtlich der Pläne zu den THTR-Castoren. Die USA sagten eine Prüfung des deutschen Wunsches zu und initiierten eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), die sich bis Ende 2017 hinzog, aber dem Export nicht entgegensteht.[15] Zwischenzeitliche Jülicher Pläne zum Export der 152 AVR-Castoren innerhalb von 9 Monaten mit etwa 9 Schiffstransporten bis Herbst 2016 erwiesen sich als technisch und genehmigungsrechtlich undurchdacht und damit als unrealistisch. Mittlerweile wurde der THTR/AVR-Castorbehältertyp in den USA zugelassen. Die USA haben zusätzlich zur positiven UVP weitere Hürden für einen Import der Castoren formuliert: Neben einer vollständigen Kostenübernahme durch Deutschland sind das die technische Reife des am SRS geplanten Aufarbeitungsprozesses einschließlich Errichtung einer Pilotanlage.[15] Es wird noch einige Jahre Arbeit erfordern, und vor allem erhebliche Geldflüsse aus Deutschland, bis US-seitig eine Genehmigung ausgesprochen werden kann.

Im einzelnen sollen der Kugelgraphit in der militärischen Wiederaufarbeitungsanlage H-Canyon in Savannah River bei hohen Temperaturen mit Wasserdampf (oder alternativ in einer Nitrat-Salzschmelze, hochriskant) vergast werden und der verbleibende Rückstand für eine Endlagerung abgereichert und konditioniert werden. Aus Umweltschutzsicht hochproblematisch ist der Umstand, dass das gesamte radioaktive Kohlenstoff-14 der Kugeln in die Atmosphäre abgegeben werden soll - eine Entsorgung durch Verteilung in der Atmosphäre. Das wäre in der EU in zivilen Anlagen nicht möglich, und in den USA auch nur deshalb, weil SRS als militärische Anlage keiner Kontrolle durch zivile Institutionen unterliegt.(3) Dass eine solche Vorgehensweise den von Deutschland propagierten Kriterien eines verantwortungsvollen Umgangs mit Atommüll entspricht, muss bezweifelt werden. Hinzu kommt, dass die Hochtemperatur-Wasserdampfvergasung von Graphit-BE ein sicherheitstechnisch problematischer, riskanter Vorgang ist. Ähnliches gilt für die anschließenden Prozesse. Der verbleibende Abfall soll nicht nach Deutschland zurückgeführt werden.

Nach deutscher Rechtslage stünde ein Export auf wackligen Füssen: Bei AVR und THTR handelt es sich eindeutig nicht um Forschungsreaktoren, für die ein EU-Exportverbot nicht gilt: Unter Forschungsreaktoren (research reactors) werden ausnahmslos technische Konzepte verstanden, die zur Neutronenerzeugung dienen und ganz anders aufgebaut sind als Leistungsreaktoren zur Stromerzeugung, auch experimentelle Leistungsreaktoren (Versuchsreaktoren) wie der AVR. Wie das Beispiel FRM-II zeigt, ist bei abgebrannten BE aus Forschungsreaktoren oft ein sehr hohes Proliferationsrisiko gegeben, denn Neutronenquellen erlauben - anders als Leistungsreaktoren - nur geringe Abbrände und erfordern höhere Anreicherung. Die Ausnahme für ForschungsreaktorBE gilt nur für Export in Länder, die solche BE herstellen; die USA haben die Herstellung von Kugel-BE aber vor 50 Jahren beendet. Mehrere Gutachten kamen 2014/15 zu dem Ergebnis, dass ein Castorexport rechtlich nicht möglich ist. Das im Sommer 2017 novellierte Atomrecht enthält seitdem zwar eine auf die Kugeln zurechtgeschnittene Ausnahme, ob damit alle rechtlichen Hürden beseitigt sind, muss durch weitere juristische Prüfungen geklärt werden. Rechtlich äußerst bedenklich erscheint, dass für die Entsorgung dieses Atommülls durch Export in Deutschland keine Mitwirkung der Öffentlichkeit gegeben ist, wie sie für anderen Atommüll aus Leistungsreaktoren nach dem Standortsuchgesetz selbstverständlich ist; diese Mitwirkung müsste auch die US-Öffentlichkeit betreffen: In den USA gibt es eine engagierte Initiative gegen die Übernahme des deutschen Atommülls [12]. Vielmehr wird hier auf eine offensichtlich nicht mehr zeitgemäße rechtliche Basis gesetzt, die es dem Besitzer des Atommülls zugesteht, über die Entsorgung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen völlig frei zu entscheiden - das heißt weitgehend dem Eigeninteresse folgen zu dürfen ohne auf Gemeinwohl, Umweltschäden in Drittländern usw. Rücksicht nehmen zu müssen.

Die Proliferationsrelevanz der HEU-Kugeln muss, wie bereits im Eingangskapitel angedeutet, als vorgeschobenes Argument bezeichnet werden. Die US-Proliferationsbehörde schrieb zu den AVR-Castoren 2013, dass ein entwickeltes Land wie Deutschland mit dieser Art von Atommüll auch aus Proliferationssicht leicht selbst fertig werden könne, und keine Verpflichtung zur Rücknahme des aus den USA gelieferten HEU bestehe. Lediglich dann, wenn eine Entsorgung in Deutschland nicht gelinge, könne es so etwas wie eine moralische (nicht rechtlich begründbare) US-Pflicht zur Rücknahme geben. Würden Proliferationsgesichtspunkte im Vordergrund stehen, wäre es aus deutscher Sicht naheliegend gewesen, die circa 55.000 AVR-LEU-Kugeln von den Exportabsichten auszuschließen, denn bei diesen Kugeln gibt es unstrittig keine nennenswerte Proliferationsrelevanz - aber daran ist nicht gedacht. Das aktuelle Interesse der USA an einer Übernahme der Kugelcastoren dürfte im Wesentlichen darin begründet sein, dass durch die beabsichtigten hohen Mittelflüsse aus Deutschland die schwierige finanzielle Situation der SRS-Anlage (die mit zukünftigen Sanierungskosten von über 70 Milliarden US-Dollar aus der Atomwaffenproduktion zu kämpfen hat) etwas gemildert wird. Ob solche deutschen Investitionen letztlich in die US-Atomwaffentechnik sinnvoll sind, sollte intensiver diskutiert werden.

Bei Betrachtung der bisherigen deutschen Vorgehensweise zur Kugelentsorgung fällt auf, dass andere, näherliegende Lösungen nicht betrachtet wurden (s.u.). FZJ hat sich seit etwa 25 Jahren, als es zu einer geregelten Entsorgung (Castoren usw., s.o.) gezwungen wurde, einer aktiven Rolle bei der Kugelentsorgung weitestgehend verweigert, vermutlich weil die aufgezwungenen Konzepte den Kugelhaufen-HTR - wie eingangs erläutert - ökonomisch völlig unattraktiv machten. Erst 2011 mit dem Aufkommen der US-Aufarbeitungsoption änderte sich das. Daher ist die Vermutung naheliegend, dass der FZJ-Nuklearbereich bzw. JEN in dieser US-Option die Möglichkeit sehen, für den HTR doch noch eine ökonomisch akzeptable Entsorgungsstrategie zu entwickeln, da der Anfall an endzulagerndem wärmeentwickelndem Abfallvolumen drastisch vermindert wird, und daher diese Option bevorzugt behandeln. Für diese nicht beweisbare Vermutung spricht, dass die Initiative aus dem FZJ-Nuklearbereich kam, und dass SRS für das zu entwickelnde Entsorgungsverfahren weitere Anwendungsmöglichkeiten sieht. Das Entsorgungsverfahren ließe sich nicht nur auf BE zukünftiger HTR anwenden, sondern auch auf die kostentreibenden großen Volumina an hochkontaminiertem HTR-Strukturgraphit, der sich nicht als MAW endlagern lässt, sondern wie HAW zu behandeln ist. Es würde sich damit weitgehend um verdeckte Nuklear-Entwicklungsarbeiten handeln, mit dem Nebenaspekt der Entsorgung der schon vorhandenen Kugeln. Dass Täuschen und Verschweigen bis in die jüngste Vergangenheit zum selbstverständlichen Repertoire der Jülicher HTR-Lobby gehört, und damit auch hier angenommen werden darf, legt der Bericht einer unabhängigen Expertengruppe von 2014 zu Vorfällen im AVR nahe.[13] Es soll damit nicht unterstellt werden, dass die deutschen Ministerien bzw. die FZJ-Leitung diesen skizzierten HTR-Entwicklungsaspekt beim Export im Vordergrund sehen, aber es wäre in der HTR-Geschichte nicht das erste Mal, dass die politische Seite von der HTR-Lobby durch Verschweigen von Problemen und Halbwahrheiten getäuscht und zu erkennbar unrealistischen, zum Teil extrem kostenintensiven, angeblich alternativlosen Projekten gedrängt wurde (nukleare Kohlevergasung zur Rettung des Bergbaus, Asse-Einlagerung der BE, THTR-300, ...), die letztlich nur dem Erhalt der HTR-Reaktorentwicklung dienten. Vielmehr ist zu vermuten, dass die HTR-Lobby die Politik mit dem Versprechen des leichten Freikaufs von gewaltigen Entsorgungsproblemen, die sich anders nicht lösen lassen, in dieses US-Abenteuer locken will. Von daher erscheint es wichtig, nach besseren Alternativen zur US-Option zu suchen, und das soll im nächsten Kapitel beschrieben werden.

Angemerkt sei, dass bereits Entwicklung und Test des US-Aufarbeitungsverfahrens einen bedeutenden Beitrag zur HTR-Weiterentwicklung darstellen würden, auch ohne Aufarbeitung aller deutscher Kugeln. Daher sollten die Geldflüsse aus Deutschland zur Verfahrensentwicklung baldmöglichst gestoppt werden.


Wie sähe eine sachgerechte Lösung aus?

Lässt man die Bedingung fallen, dass ein Entsorgungsweg auch für zukünftige HTR Vorteile bringen muss und beschränkt sich nur auf die Entsorgung der deutschen Kugel-BE, gibt es leichter zu verwirklichende, nachhaltigere und kostenmäßig nicht ausufernde Lösungen: allerdings erfordern auch diese noch erhebliche Entwicklungsarbeit. Ein in Deutschland machbares und vergleichsweise sicheres Verfahren (MMM-Prozess) sei kurz skizziert:

• Mahlen der BE bei Raumtemperatur (ggf. nach Verringerung der Graphitfestigkeit durch Interkalationsreaktionen oder Niedertemperaturoxidation).

• Mischen des Mahlguts mit abgereichertem Uran zur Denaturierung.

• Einbinden der Graphit/Uranmasse in eine endlagergeeignete Matrix, die noch zu definieren ist.

Als Vorteile sind zu nennen:

• An schwierig rückhaltbaren Nukliden wird nur Krypton-85 teilweise beim Mahlprozess freigesetzt; es ist als Edelgas allerdings relativ wenig radiotoxisch und wegen seiner Halbwertszeit von gut 10 Jahren sowie seiner vergleichsweise kleinen Spaltausbeute (5 Prozent von der des Cäsium-137) auch von der Größe der Aktivität zum Zeitpunkt des Konditionierungsprozesses kein entscheidendes Sicherheitsproblem mehr. Die zu erwartende Dosis unter ähnlichen Emissionsbedingungen bliebe jedenfalls um Größenordnungen unter der durch Kohlenstoff-14 beim US-Verfahren. Krypton-85-Rückhaltetechniken (jedoch aufwändig und teuer) sind bereits entwickelt worden und könnten zum Einsatz kommen.

• Raumtemperaturprozesse wie das MMM-Verfahren sind sicherheitstechnisch viel leichter zu beherrschen als die Hochtemperaturprozesse des US-Verfahrens und daher auch leichter zu genehmigen.

• Es können viele Castortransporte (455 Castoren: Landtransporte zum/vom Hafen sowie vor allem circa 30 Transatlantik-Schiffstransporte auf bewaffnetem Spezialschiff) vermieden werden. Es fallen allerdings Transporte zum Beispiel aus Ahaus zur Konditionierungsanlage zum Beispiel in Jülich an, sowie (wie bei allem anderen deutschen Abfall) Transporte zum Endlager.

Nachteilig wäre:

• Das große endzulagernde Volumen an wärmeentwickelndem Abfall würde nicht verkleinert, und die extrem hohen Endlagerkosten des aktuell vorhandenen Kugelabfalls würden damit nicht verringert (als Entwicklungsschritt für zukünftige HTR kann das MMM-Verfahren damit nicht angesehen werden, was aber angesichts des deutschen Atomausstiegs kein Nachteil wäre). Da es aber um ein Abfallvolumen von nur weniger als 10 Prozent des gesamten deutschen wärmeentwickelnden Abfalls geht, erscheint das akzeptabel, auch angesichts der geringeren Umweltauswirkungen und der Kosteneinsparungen bei Transporten und Behandlung.

Auch das MMM-Verfahren stellt harte Nukleartechnik dar und erfordert damit eine Heiße Zelle; die sicherheitstechnischen Vorteile sind also relativ zum US-Verfahren zu sehen. Die Bereitschaft einer deutschen Region, für ein solches Verfahren zur Verfügung zu stehen, dürfte daher (ähnlich wie bei der Endlager-Eingangskonditionierungsanlage für LWR-Abfälle) begrenzt sein, aber das allein darf keinen Export rechtfertigen. Summieren wir Entwicklungsaufwand, Durchführung der Aufbereitungsprozesse, Transporte und Endlagerkosten, sollte der MMM-Prozess kostenmäßig jedenfalls nicht über der US-Option liegen, eher darunter.

Als Standort für eine solche Konditionierungsanlage bietet sich der Jülicher Forschungscampus an: Das mit Strontium-90 verseuchte AVR-Gelände wird auch nach der beabsichtigten Sanierung realistisch betrachtet nicht für nor male Nutzungen infrage kommen und wäre daher als Standort für Nukleararbeiten ideal, zumal das Zwischenlager des havarierten AVRReaktorbehälters in der Nähe liegt und die nicht geringe Infrastruktur der JEN genutzt werden könnte. Unter günstigen Bedingungen könnte das AVR-Gelände ab circa 2025 zur Verfügung stehen. Andere Gelände zum Beispiel für ein besseres Zwischenlager für die AVR- plus THTR-Castoren stehen in unmittelbarer Nähe zur Verfügung, etwa im inneren FZJ-Sicherheitsbereich, wo der Merlin-Reaktor abgebaut wurde und der DIDO-Reaktor derzeit abgebaut wird. Von Vorteil am Jülicher Campus ist, dass er eingeklemmt zwischen zwei großen Braunkohletagebauen liegt und daher weniger Menschen im unmittelbaren Umfeld leben. Dabei darf natürlich nicht verkannt werden, dass für diese Menschen mit einem Kugelentsorgungszentrum eine zusätzliche Belastung zum Tagebau geschaffen würde, was in geeigneter Weise kompensiert werden sollte.

Angemerkt sei, dass das gelegentlich geäußerte Argument, Jülich sei wegen seines erhöhten Erdbebenrisikos als Nuklearstandort nicht geeignet, so nicht zutrifft: Eine Berücksichtigung der in Jülich denkbaren Erdbeben in der Auslegung der Nuklearanlagen würde diese nicht entscheidend verteuern; das gilt auch für das vorher skizzierte Problem von eventueller Bodenverflüssigung. Die Nachweisprobleme des aktuellen Jülicher Lagers liegen darin begründet, dass die Auslegung nur für zu schwache Erdbeben ohne Bodenverflüssigung erfolgte, und eine nachträgliche Ertüchtigung faktisch nicht machbar ist. Das Erdbebenrisiko in Jülich ist - verglichen zum Beispiel mit Japan - sehr klein.

Fazit

Die aktuellen Jülicher Bemühungen um einen Export von Kugelcastoren in die USA erinnern hinsichtlich des fragwürdigen Hintergrundes und der unsauberen Methoden zur Durchsetzung an den vor 40 Jahren auf Druck der Umweltbewegung gescheiterten Jülicher Versuch, diese Kugeln in die Asse einzulagern. Es ist jetzt eine wichtige Aufgabe der Umweltbewegung, auch dieses Exportprojekt zu verhindern.

Dazu müssen glaubhafte Alternativen angeboten werden. Als Vorgehensweise für eine adäquate, das heißt mit möglichst geringen Belastungen verbundene Kugelentsorgung sei empfohlen:

• Unterbrechung aller Mittelflüsse zur Entwicklung des nicht nachhaltigen Kugelaufbereitungsverfahrens in den USA.

• Schneller Bau eines besseren Zwischenlagers in Jülich für die AVR- und ab circa 2030 für die THTR-Castoren. Sowie später für die konditionierten Kugelabfälle. Ein solches Lager könnte, wie die STEAG-Lager zeigen, bei entsprechendem Willen innerhalb von weniger als 5 Jahren genehmigt und errichtet werden.

• Schaffung von politischen Rahmenbedingungen, die den Räumungszwang des aktuellen Jülicher Castorenlagers vor Fertigstellung des neuen Lagers aufheben. Das darf natürlich nur dann gelten, wenn der Räumungszwang - wie aktuell - durch offensichtliche Untätigkeit des Lagerbetreibers verursacht ist und nicht auf konkreten Gefährdungsanalysen beruht.

• Vorstudien und Entwicklungsarbeiten für das MMM-Verfahren und ab 2030 Bau einer entsprechenden Konditionierungsanlage in Jülich, Betriebsbeginn ab circa 2035, Betriebsdauer circa 10 Jahre.

*


Abkürzungsverzeichnis

AVR = Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor in Jülich
BE = Brennelemente
BfE = (deutsches) Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit
BfS = (deutsches) Bundesamt für Strahlenschutz
DIDO-Reaktor = Der Forschungsreaktor Jülich 2 (FRJ-2), dessen Grundsteinlegung gemeinsam mit dem Merlin-Reaktor im Jahr 1958 stattfand. Stillgelegt 2006. Ein Reaktor vom Typ DIDO ist ein mit schwerem Wasser moderierter und gekühlter Forschungsreaktor. Der Name DIDO ist von D2O, der chemischen Formel für schweres Wasser, abgeleitet.
ESK = Entsorgungskommission beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB)
EWN = Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH, bis 2. Februar 2017 Energiewerke Nord GmbH
FRM = Forschungsreaktor München
FZJ = Forschungszentrum Jülich
HAW = hochradioaktiver, wärmeentwickelnder Abfall (engl. High Active Waste)
HEU = engl. highly enriched uranium = hochangereichertes Uran
HKG = Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH, THTR-Betreiberkonsortium
HTR = Hochtemperaturreaktor
JEN = Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen, Tochter der EWN
JUPITER = Juelich Pilot Plant for Thorium Element Reprocessing, Wiederaufarbeitungsanlage Jülich, Pilotanlage zur Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelementkugeln des Versuchskernkraftwerks AVR (Jülich) und des Thorium-Hochtemperaturreaktors in Hamm
LEU = engl. low enriched uranium = bis zu einem Anteil von 20 Prozent Uran-235 spricht man von niedrig angereichertem Uran
LWR = Leichtwasserreaktor
MAW = mittelaktiver Abfall (engl. Medium Active Waste)
Merlin-Reaktor = Der Forschungsreaktor Jülich 1 (FRJ-1) war ein Kernreaktor, der von 1962 bis 1985 auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich (früher Kernforschungsanlage Jülich) betrieben wurde. Er wurde als Neutronenquelle benutzt.
MMM = Mahlen, Mischen, in Matrix einbinden: Weniger belastender Konditionierungsprozess für Kugel-BE
MWth = Megawatt thermische Leistung
SEWD = Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter; dieser Terminus ist ein Begriff aus der Anlagensicherung. SEWD beschreibt dabei den Versuch, radioaktive Stoffe zu entwenden bzw. eine Freisetzung radioaktiver Stoffe herbeizuführen. Mit Dritte sind dabei die jeweiligen Täter gemeint.
SRS = Savannah River Site, Militärgelände in den USA (South Carolina)
STEAG = Ursprünglich 1937 als Steinkohlen-Elektrizität AG gegründetes Energieversorgungsunternehmen, heute Energiedienstleister STEAG GmbH
THOREX = Für Kernreaktoren, die Uran-233 aus Thorium-232 erbrüten, wurde der THOREX-Prozess entwickelt (analog dem PUREX-Prozess beim Erbrüten von Plutonium).
THTR = Thorium-Hoch-Temperatur-Reaktor
US-DOE = Energieministerium der Vereinigten Staaten (amtl. United States Department of Energy)
UVP = Umweltverträglichkeitsprüfung; als gesetzlich geregeltes Verfahren, mit dem die Auswirkungen von Vorhaben auf die Umwelt im Vorfeld der Entscheidung des Vorhabens festgestellt, beschrieben und bewertet werden sollen.



Anmerkungen

(1) 2 der 305 in Ahaus befindlichen Kugelcastoren enthalten keine Kugeln, sondern die BE eines sogenannten THTR-Hilfsreaktors und den Hilfsreaktor selbst. Dessen BE ähneln denjenigen eines Forschungsreaktors (z.B. FRM-II).

(2) Abgesehen von der geringeren Größe entsprechen die Kugelcastorbehälter weitgehend dem Konzept der LWR-Castoren (Doppeldeckelkonstruktion, 35 cm Wanddicke). Die Kugelcastoren enthalten jeweils 2 kleine (AVR) oder 1 große (THTR) dünnwandige fassähnliche Edelstahlkannen, mit insgesamt 1.900 bis 2.000 Kugeln.

(3) In den vergangenen Jahren wurden im konventionellen Bereich diverse Verfahren zur CO2-Abtrennung aus Rauchgasen entwickelt (Segregation), die sich prinzipiell hier zur Kohlenstoff-14-Rückhaltung einsetzen ließen, aber die Kosten der Aufarbeitung/Entsorgung deutlich ansteigen lassen würden.



Literatur

[1] R.Moormann, J.Streich: Anmerkungen zur Waffenfähigkeit der Atomkugeln aus AVR Jülich und THTR (Hamm) und zu einer Atomkugelabgabe in die USA (2014)
http://www.reaktorpleite.de/images/stories/pdf/Waffentauglichkeit-Oct2014.pdf

[2] Bruno Thomauske - Artikel in Wikipedia

[3] Xuegang Liu: Spent Nuclear Fuel Management in China. NAPSNet Special Reports, August 2014,
http://nautilus.org/napsnet/napsnet-special-reports/spent-nuclear-fuel-management-in-china/

[4] R.Moormann: Verlängerte Zwischenlagerung wärmeentwickelnder Abfälle. Strahlentelex 738739 v. 5.10.2017, S. 1-7,
www.strahlentelex.de/Stx_17_738-739_S01-07.pdf
und Schattenblick Januar 2018
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/abfall/uabt1272.html

[5] AVR-Halbjahresbericht 2. Halbjahr 1980, S.33f. Interner Bericht Düsseldorf (1981)

[6] R.Moormann: Thorium - ein Brennstoff für eine bessere Kerntechnik? Strahlentelex 746-747 v. 1.2.2018, S. 1-5,
www.strahlentelex.de/Stx_18_746-747_S01-05.pdf

[7] http://www.asse-2-begleitgruppe.de/allgemeines/asse-2-besuch-im-oktober1977?file=files/projektordner/pdf/Sonstiges/2011-03-11-juergens-asse-besuch-oktober-1977-fotos.pdf

[8] Informationen zur illegalen Atommüllentsorgung des Forschungszentrums Jülich,
http://www.bi-ahaus.de/index.php?option=com_content&view=article&id=141:informationen-zur-illegalen-atommuellentsorgung-des-forschungszentrums-juelich&catid=44:informationen&Itemid=61

[9] J.Nitschmann: Die Jülicher Atomkugeln wurden "nonchalant" gezählt. In: Aachener Nachrichten, 10.02.2012
http://www.aachener-nachrichten.de/lokales/juelich/die-juelicher-atomkugeln-wurden-nonchalant-gezaehlt-1.414424

[10] D.Niephaus: Research project ILW and HTR fuel element test disposal in boreholes (MHV project). Retrieval test storage (project part REV). Final report (1992),
https://inis.iaea.org/search/search.aspx?orig_q=RN:26002404

[11] G.Schütte (BMBF): Schreiben an US-DOE vom 27.02.2012.
https://sro.srs.gov/docs/GermanProject/Shutte.pdf

[12] http://www.srswatch.org/

[13] Spiegel-Online zum AVR-Expertenbericht (2014):
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/reaktorbetreiber-in-juelich-vertuschten-stoerfaelle-a-966414.html

[14] Reinhold Stoevesandt - Artikel in Wikipedia

[15] M.Maxted: Update on the German Graphite Fuel Project. 29.01.2018,
http://www.admin.sc.gov/files/nac/German%20Project%20Update.pdf


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_18_748-749_S01.pdf

*

Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, März 2018, Seite 1 - 9
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2018

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