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ALTLASTEN/012: Teuren Altlasten innovativ begegnen (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Juni 2011: In Sachen Wasser

Teuren Altlasten innovativ begegnen

Von Bettina Hennebach und Doris Böhme


Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes gibt es allein in Deutschland heute rund 300.000 altlastverdächtige Flächen, darunter auch einige, die sich über mehrere Hektar bis Quadratkilometer erstrecken und deshalb Megasites genannt werden. In Europa sollen es Tausende sein. Das Spektrum der Altlastenflächen reicht von ehemaligen Müllkippen, Industrieabfalldeponien und chemischen Reinigungen über stillgelegte Erzbergwerke bis hin zu militärisch genutzten Flächen, ehemaligen Standorten der Chemieindustrie und der Erdölverarbeitung. Nach Leckagen und Unfällen sickerten meist über lange Zeiträume große Mengen der unterschiedlichsten Schadstoffe in den Untergrund. Gehen von ihnen Gefahren für das Ökosystem oder die menschliche Gesundheit aus, müssen die Flächen saniert werden. "Sanierung" bedeutet dabei in den meisten Fällen weniger die Wiederherstellung eines naturnahen, gesunden Zustandes als in erster Linie eine möglichst weitgehende Entfernung des Hauptschadstoffes.

Wie teuer eine solche Sanierung sein kann, lässt sich am Beispiel eines typischen Schadstoffes aus dem industrienahen Bereich verdeutlichen: Ein Kilogramm des chlorierten Kohlenwasserstoffs Perchlorethylen herzustellen, kostet einen Euro. Hingegen müssen für die Entfernung von einem Kilogramm des potenziell krebserregenden Stoffes aus dem Grundwasser gut und gerne tausend Euro oder mehr investiert werden. Das mag bei kleinen Schadensfällen noch technisch machbar und bezahlbar sein. Bei den riesigen Flächen der Megasites mit komplexen Schadstoffspektren und vielfältigen Schadstoffquellen ist es meist unmöglich, die Standorte vollständig zu erkunden und alle Schadstoffe zu erfassen, geschweige denn, sie komplett aus den Böden und dem Grundwasser zu entfernen. Überlässt man sie dagegen unkontrolliert sich selbst, können sie sich weiter ausbreiten und in Flussauen, Oberflächengewässer oder gar unterkellerte Gebäude gelangen.

Um diese Gefahren für Mensch und Umwelt abzuwehren und eine sinnvolle Nachnutzung von Altlastenflächen voranzutreiben - auch im Sinne eines nachhaltigen Umgangs mit der Ressource Fläche -, entwickeln Wissenschaftler des UFZ kostengünstige und innovative Sanierungskonzepte und Managementstrategien. Im Rahmen des Forschungsprojektes SAFIRA II wurde an geeigneten Modellstandorten in Deutschland eine Infrastruktur aus Mess-, Erkundungs-, Monitoring- und Sanierungstechnik aufgebaut, um den Transport, den natürlichen Abbau, An- und Einlagerungen von Schadstoffen an Bodenbestandteile oder Verdünnungseffekte zu studieren.


Mikroorganismen als Sanierer

Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass in der gezielten Nutzung von Mikroorganismen ein hohes Potenzial steckt, um Umweltschadstoffe erfolgreich und preiswert zu beseitigen. Sie kann eine echte Alternative zu herkömmlichen Verfahren wie den sogenannten Pump-and-treat-Maßnahmen sein, auf denen immer noch der überwiegende Teil der Altlastensanierung in Deutschland beruht. "Pump and treat" heißt: Das schadstoffbelastete Grundwasser wird aus dem Untergrund nach oben gepumpt und in technischen Anlagen chemisch oder biologisch behandelt. Bei den riesigen Grundwassermengen und komplexen Chemikaliencocktails kostet das viel Geld und kann viele Jahre dauern.

Der Schadstoffabbau durch im Untergrund natürlich vorkommende Mikroorganismen dagegen wäre eine energiesparende und naturnahe Sanierungsmethode - wenn nachgewiesen werden kann, dass diese Abbauprozesse in situ stabil ablaufen und keine Schutzgüter wie Trinkwasserbrunnen oder Flüsse gefährdet sind. Wissenschaftler des UFZ testen diesen Forschungsansatz in zwei Pilotanlagen auf dem Gelände des ehemaligen Hydrierwerkes in Zeitz. Dort wurde bis 1991 in direkter Nachbarschaft eine Benzolanlage betrieben. "Wir haben die Benzolfahne im Untergrund und die dort ablaufenden Selbstreinigungsprozesse genauestens erkundet. Inzwischen wissen wir relativ sicher, dass die Benzolfahne durch den stetigen mikrobiologischen Benzolabbau stationär werden könnte, das giftige Benzol sich also nicht weiter ausbreitet und daher nicht unbedingt aktiver Sanierungsbedarf besteht. Man könnte also den natürlichen Abbauvorgängen ihren Lauf lassen", erklärt Grundwasserexperte Prof. Holger Weiß und ergänzt: "Diese gehen allerdings langsam vor sich. Wenn die Flächen für potenzielle Investoren schneller nutzbar gemacht wer sollen, müssen die natürden lichen Abbauprozesse beschleunigt werden." Deshalb testen die Forscher in der Pilotanlage durch die Zugabe unterschiedlicher Nährstoffe, ob sich der Schadstoffabbau im Grundwasser auf diese Weise beschleunigen lässt und welche Nährstoffe am besten geeignet sind.

Auch am Standort Leuna setzen die Wissenschaftler darauf, dass Mikroorganismen mit der schwierigen Kost fertig werden. Hier wurde bis 1996 eine der größten Raffinerien der ehemaligen DDR betrieben. Durch Kriegsschäden, Havarien und Handhabungsverluste wurden Mineralölkohlenwasserstoffe, sogenannte BTEX-Aromaten (Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylole) sowie Benzinzusatzstoffe über viele Jahrzehnte ins Grundwasser eingetragen. In der Pilotanlage des Projektes "Compartment Transfer" testen Grundwasserforscher, Chemiker und Biologen des UFZ seit 2007 fünf naturnahe Sanierungsverfahren. Allen gemeinsam ist, dass das kontaminierte, sauerstofffreie Grundwasser kontrolliert in oberflächennahe, sauerstoffreiche Systeme wie Oberflächengewässer, Wurzelzonen von Pflanzen oder belüftete Bodenzonen überführt wird. Dort bieten sich den Mikroorganismen dank Sauerstoff, Pflanzenwurzeln und Bodenpar tikeln beste Lebensbedingungen, um die Schadstoffe abzubauen. Am besten funktionieren der Schadstoff-Transfer in ein offenes Grabensystem und das Vertikalfilterverfahren. Bei der Filterung durch eine Grabenanlage muss das Grundwasser nicht gehoben werden, sondern verbleibt im künstlich errichteten Graben und durchströmt diesen langsam. Der Graben wird mit Stroh gefüllt und mit Luft begast, was den mikrobiellen Schadstoffabbau deutlich beschleunigt. Beim Vertikalfilterverfahren wird kontaminiertes Wasser durch bepflanzte Feuchtbecken (Wetlands) geleitet, in denen der mikrobielle Abbau an den Grenzflächen der Pflanzenwurzeln und Bodenpartikel erfolgt, denn dort fühlen sich die Mikroorganismen nicht nur am wohlsten, sondern können auch stabile und sehr effektive Biofilme ausbilden. Dieses Verfahren wird gerade in Zusammenarbeit mit einem Sanierungsunternehmen in den Realmaßstab überführt.


Ein Bypass zur Grundwasserreinigung

Dem komplexen und gefährlichen Schadstoff-Cocktail im Bitterfelder Grundwasser ist allein mit Mikroorganismen nicht beizukommen. "Die Hauptschadstoffe, mit denen wir es in Bitterfeld zu tun haben, sind chlorierte Kohlenwasserstoffe.", erklärt Holger Weiß. Er hält ein Fläschchen in der Hand, dem ein stechend-beißender Geruch entströmt - eine Grundwasserprobe aus Bitterfeld, dem einstigen Symbol für Umweltverschmutzung und marode Wirtschaft. Sie entstammt dem hundert Millionen Kubikmeter großen Grundwasserkörper, der sich unter dem Areal des Ökologischen Großprojekts Bitterfeld-Wolfen befindet. Denn auch wenn die Region dank attraktiver Seenlandschaft und moderner Chemieindustrie inzwischen wieder lebenswert ist, schlummern im Untergrund jede Menge Altlasten. Ohne gezielte Abpumpmaßnahmen in besonders gefährdeten Bereichen würde das belastete Grundwasser in die Keller von Wohnhäusern eindringen und die Gesundheit der Bewohner gefährden.

Deshalb betreibt die BilfingerBerger Umweltsanierung GmbH auf dem Gelände der Megasite eine hoch technisierte Anlage zur Grundwasserreinigung. Über Brunnengalerien wird das Grundwasser gesammelt, durch Strippung (Ausblasen mit Luft) und Bindung der Schadstoffe an Aktivkohle gereinigt und über das Klärwerk am Standort in die Saale geleitet. Pro Stunde können so 200 Kubikmeter Wasser behandelt werden. Doch Teile der Anlage arbeiten nicht optimal, weil neben den chlorierten Kohlenwasserstoffen auch flüchtige Schwefelverbindungen mit dem Luftstrom ausgestrippt werden. Vor allem die eher selten anzutreffende Schwefelverbindung Schwefelkohlenstoff bereitet Schwierigkeiten. Bei der katalytischen Verbrennung der Schadstoffe im Luftstrom entsteht Schwefelsäure, die zu einer schnellen Korrosion von Reaktoren und Wärmetauschern führt.

Das UFZ hat von BilfingerBerger den Auftrag erhalten, dieses Problem zu lösen. In einer Art Bypass-Verfahren wird aus der großen Reinigungsanlage ein Teilstrom des Grundwassers abgezweigt und durch verschiedene Reaktorsysteme der TreatmentTrain-Anlage (das sind aneinandergereihte flexible Container und Reaktoren) des UFZ geleitet. Dort sind unterschiedliche Verfahrensansätze installiert, die zuvor im Labormaßstab erprobt worden sind und fortlaufend optimiert werden. Gemeinsam mit Kollegen der TU Darmstadt haben die UFZ-Forscher nun ein innovatives und kostengünstiges Verfahren entwickelt, das auf der Hydrolyse von Schwefelkohlenstoff an basischem Aluminiumoxid beruht. Damit können sämtliche Schwefelverbindungen unter moderaten Bedingungen vollständig und selektiv entfernt werden, ohne dabei die chlorierten Kohlenwasserstoffe umzusetzen, denn dabei würde störende Salzsäure entstehen. Das Verfahren wurde zum Patent angemeldet und hat inzwischen zahlreiche Betriebsperioden im Pilotmaßstab absolviert. Als nächster Schritt folgt eine sogenannte Leistungsfahrt. "Das heißt, wir müssen dem Auftraggeber demonstrieren, dass das Verfahren in unserer Pilotanlage funktioniert und den sehr anspruchsvollen Reinigungsanforderungen standhält. Wenn das der Fall ist, entscheidet der Betreiber, ob das UFZVerfahren in die Großanlage implementiert wird - oder nicht", erläutert der Chemiker Prof. Frank-Dieter Kopinke vom UFZ. "Wir wünschen uns natürlich, dass das Verfahren so attraktiv ist, dass der Industriepartner sagt: Das brauchen wir unbedingt - nicht nur in Bitterfeld." Da die Treatment-Train-Anlage flexibel zusammengesetzt ist, kann sie nach Abschluss des Projektes in Bitterfeld auch auf anderen kontaminierten Flächen zum Einsatz kommen.


UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Holger Weiß Leiter
Dept. Grundwassersanierung

e-mail: holger.weiss[at]ufz.de
Prof. Dr. Frank-Dieter Kopinke
Leiter Dept. Techn. Umweltchemie

e-mail: frank-dieter.kopinke[at]ufz.de
mehr Informationen:
www.ufz.de/index.php?de=13244


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

In der Pilotanlage des UFZ-Projektes "Compartment Transfer" (CoTra) werden verschiedene naturnahe Sanierungsverfahren getestet, um sogenannte BTEX-Schadstoffe im Grundwasser abzubauen.

Technische Überwachung der SAFIRA-Pilotanlage in Zeitz. Auf dem Gelände eines ehemaligen Hydrierwerkes untersuchen UFZ-Wissenschaftler den mikrobiologischen Abbau von Benzol im Grundwasser.


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Quelle:
UFZ-Spezial Juni 2011: In Sachen Wasser, S. 18-19
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2011