Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INDUSTRIE

ATOM/871: Wünsch Dir was! - Zur internationalen "Atomrenaissance" (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 101/2.2009
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie

Wünsch Dir was!
Zur internationalen "Atomrenaissance"

Von Regine Richter


Siemens-Mitarbeiter stehen zukünftig vor einer unangenehmen Aufgabe: Nachdem sie jahrelang dringend vor russischer Nukleartechnik gewarnt haben, um die eigene, französisch-deutsche als viel besser und sicherer zu preisen, müssen sie nun wohl wärmstens für russische Produkte werben. Denn Siemens hat angekündigt, seine Beteiligung am deutschfranzösischen Atomkonzern Areva zu beenden und stattdessen mit dem russischen Atomkonzern Rosatom zusammen zu gehen. Bis Mai soll ein Vertrag erarbeitet sein. Das neue Unternehmen will von der Brennstoffherstellung, über Atomkraftwerke bis zur Stilllegung alter AKW alles anbieten und Areva, General Electric sowie Toshiba Konkurrenz machen.

Siemens glaubt an die Renaissance der Atomkraft und daran, dass bis 2030 weltweit 400 neue Atomkraftwerke gebaut werden. Eine beeindruckende Zahl. 400 AKW in nur 21 Jahren! Doch wie realistisch sind diese Erwartungen, wenn man bedenkt, dass sich allein der Neubau im finnischen Olkiluoto von geplanten vier auf inzwischen vermutlich mindestens sieben Jahre Bauzeit verlängern wird? Was also ist dran an der nuklearen Renaissance?

Die World Nuclear Association listet von Argentinien bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten zahlreiche Länder auf, die neue AKW bauen wollen. Rund 40 Länder planen demnach neue Reaktoren: alte Atommächte wie Frankreich oder England und solche, die es werden wollen wie Aserbaidschan und Jemen. Absichtserklärungen, die Anfang März dazu führten, dass die kanadische Uranfirma Cameco Corp vor Uranengpässen warnte. Aufgrund der Finanzkrise würden Uranminen nicht wie geplant erschlossen und auch die Versorgung mit Uran aus abgerüsteten russischen Atomsprengköpfen sei ungewiss.

Selbst in Schweden, wo bereits Anfang der 80er Jahre der Atomausstieg beschlossen war, kündigte die derzeitige konservative Regierung an, das AKW-Neubau-Verbot abzuschaffen und neue AKW als Ersatz für die stillzulegenden Reaktoren bauen zu wollen. Doch der Weg dahin ist weit: Schwedische UmweltschützerInnen weisen darauf hin, dass selbst in der konservativen Partei diese Regierungserklärung nicht sonderlich populär ist: "Wir haben direkt nach der Entscheidung eine Großbestellung für Anti-Atomsonnen bekommen, die Parteimitglieder beim Treffen der Zentrumspartei tragen wollen", berichtet die schwedische Aktivistin Eia Liljegren-Palmaer. Sie sieht für die nächste Wahl 2010 einen Atomwahlkampf voraus.


Hoffnungsträger Großbritannien?

Die Hoffnung auf neue AKW ist in Großbritannien so groß, dass die Konkurrenten E.ON und RWE sich zusammen tun, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Der Haken: Die Regierung verlangt, dass die privaten Betreiber die

Bau- und Stilllegungskosten sowie die Abfallentsorgung vollständig selbst finanzieren müssen. Keine Subventionen! Bereits Ende März 2008 warnte ein Regierungsberater, dass diese "Androhung" das Ende der erhofften neuen Reaktoren darstellen könnte. Eine Kostenanalyse zeige, dass allein die Preise, die aktuell in Sellafield für die Lagerung radioaktiven Abfalls bezahlt werden, so hoch sind, dass sie künftige Investoren abschrecken. Einzige Lösung: Die Regierung sichere einen Maximalpreis zu, der bei 6 bis 12 Prozent der tatsächlichen Kosten läge, die heute für den Abfall gezahlt werden. Das aber wäre nichts anderes als eine staatliche Subvention. Am Beispiel England zeigt sich auch, wie "ernst" die Klimaschutzbekundungen der Atomindustrie sind: E.ON und EDF warnten in einem britischen Anhörungsverfahren, erneuerbare Energien dürften nicht "unbegrenzt" gefördert werden. Die Regierung müsse ein Höchstlimit für deren Anteil an der gesamten Stromerzeugung festsetzen, um die Kernkraft nicht zu "knebeln", (FR,25.3.09).


Wer soll das bezahlen?

Die Kosten sind die Achillesferse all der Atomprogramme. In Finnland explodieren die Baukosten für das AKW Olkiluoto. Nach bislang vier Jahren Bauzeit liegen die Kosten schon mehr als 50 Prozent über den vertraglich vereinbarten. Areva streitet inzwischen mit seinem Kunden TVO vor Gericht darüber, wer die Mehrkosten tragen soll. Siemens, Noch-Anteilseigner an Areva, hat vorsorglich schon Verlust-Rückstellungen gebildet. Seit Jahren versucht Bulgarien mit allen Mitteln, die Finanzierung für den Bau des AKW Belene sicherzustellen. Bislang ohne Erfolg. Schon vor der Finanzkrise waren Banken zurückhaltend bei der Finanzierung von AKW. Die Risiken wurden als zu groß eingeschätzt. Im März schließlich erklärte eine französische Bank, mitten in der Krise seien die Banken nicht liquide genug, um riskante Kosten in der Größenordnung von Atomkraftwerken zu schultern.

Ohne staatliche Subventionen wird es also kaum einen Neubau von Atommeilern geben. Da diese in der EU von Wettbewerbsregeln gebremst werden, kämpft die Atomindustrie nun vehement darum, dass Atomkraft als Lösung für den Klimawandel anerkannt wird. Schon bei den Klimaverhandlungen in Kopenhagen wollen sie durchsetzen, dass die Atomenergie unter den Umweltschutzmantel schlüpfen kann, um zusätzliche Förderung zu erhalten.

Wenn in Europa eine Renaissance nicht sehr wahrscheinlich ist, dann liegen die Hoffnungen vor allem auf Indien und China, die für Auftrieb bei der weltweiten Atomenergienutzung sorgen sollen. Wie sieht es dort aus?


Millionen für...nichts

Das Energieministerium von Indien hat angekündigt, 40.000 Megawatt Atom energie (das entspricht etwa 30 bis 35 AKW) bis 2020 neu bauen zu wollen. Obwohl Indien den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat, stimmte die Nuclear Suppliers Group 2008 auf massiven Druck der USA zu, dass Indien Atomausrüstung importieren darf. Mit diesem Deal wollen die USA der amerikanischen Firma General Electric ermöglichen, Atomausrüstung zu liefern und damit gute Geschäfte zu machen.

Dennoch sind diese Pläne maßlos übertrieben, wie z.B. die indische Ökonomin M.V. Ramana feststellt. Sie empfiehlt einen Blick auf die bisherigen Erfahrungen: So plante die indische Atomenergiebehörde 1984 den Bau von Atomanlagen im Umfang von 10.000 MW bis 2000. Millionen wurden ausgegeben, aber 1998 war kein einziges MW gebaut. Dieselbe Behörde hofft heute, dass mit Aufhebung des Importverbots alles viel leichter sei. "Das löst jedoch nicht das Problem der hohen Kosten der Energieerzeugung, die weltweit für das langsame Wachstum der Atomenergie verantwortlich ist", so Ramana. Importierte Kraftwerke sind zu teuer, die Alternative, eigene Kapazitäten in Indien zu entwickeln, sehr langwierig. Ramana hält lediglich importierte Atomkraftwerke im Umfang von 8.000-10.000 MW bis zum Ende des nächsten Jahrzehnt für denkbar. "Aber selbst, wenn einige Reaktoren gebaut werden, wird Atomenergie voraussichtlich weder in Indien noch woanders großartig zunehmen, aus rein wirtschaftlichen Gründen", so Ramana.


Unbekannte Größe China

Und China? Klar ist, dass die Kraftwerkskapazitäten enorm ausgeweitet werden, der Energiebedarf ist gewaltig. Der Löwenanteil an der Stromversorgung liegt aktuell bei Kohlekraftwerken, der momentane Anteil der Atomkraft ist eher marginal. Offizielle Pläne wollen den Ausbau der Atomenergie um 45.000 MW mit 40 AKW bis 2018. Ist das wahrscheinlich? Der britische Energieexperte Antony Froggatt erklärt: "Im Bereich Wind und Gas sehen wir, dass China in der Lage ist, extrem ehrgeizige Ziele einzuhalten und sogar zu übertreffen. Ihre Erfahrung mit dem Bau von Atomkraftwerken ist jedoch ziemlich eingeschränkt, dort gab es Verzögerungen und Probleme."

Aber China scheint entschlossen und hat Konzessionsrechte für den Uranzugang erworben und Verträge mit Kraftwerksbauern und Brennstoffanbietern geschlossen. Doch es gibt auch Stimmen, die davor warnen, die Fähigkeiten Chinas zu überschätzen. Tatsächlich zeigt sich ein ähnliches Bild wie in Indien. Der Atomexperte Mycle Schneider hat das Verhältnis zwischen geplanten und tatsächlich realisierten Neubauten verglichen. Zwischen 1985 und 2000 wurden nur 11 Prozent der Pläne realisiert, zwischen 1996 und 2010 werden es maximal 51 Prozent sein. Also deutlich weniger als angekündigt. Sind also Siemens 400 neue AKW Wunschdenken? In dieser Größenordnung absolut. Sicher ist, dass in den nächsten Jahren mehr alte Reaktoren abgeschaltet, als neue gebaut werden. Der Anteil der Kernkraft an der weltweiten Energieerzeugung wird sinken, nicht steigen. Dazu trägt die breite Ablehnung der Atomkraft ebenso bei, wie ihre enormen Kosten. Ökonomen weisen immer wieder darauf hin, dass Atomkraftwerke ohne staatliche Unterstützung nicht kapitalmarktfähig sind, ein Problem, das der Atomindustrie selbst sehr bewusst ist.

Und sie hat ein weiteres Problem: Fände sie denn einen magischen Weg zu neuen Subventionen, fehlten ihr schlicht die Kapazitäten zum Bau. Sowohl bei den Ingenieuren fehlt der Nachwuchs, als auch bei den technischen Möglichkeiten. UmweltschützerInnen sehen deshalb aktuell eher eine Renaissance der Ankündigungen als eine Renaissance der Atomkraft.

Regine Richter ist Mitarbeiterin der Umweltorganisation urgewald.
Kontakt: regine@urgewald.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Auch in Großbritannien sind die gigantischen Kosten die Achillesferse aller Atomprogramme


*


Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 101/2.2009
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
Verlag: ROBIN WOOD-Magazin
Lindenallee 32, 16303 Schwedt
Tel.: 03332/2520-10, Fax: 03332/2520-11
E-Mail: magazin@robinwood.de

Magazin zu beziehen über:
Robin Wood e.V. Bremen, Geschäftsstelle
Postfach 10 21 22, 28021 Bremen
Tel.: 0421/59 828-8, Tel.: 0421/59 828-72
E-Mail: info@robinwood.de
Internet: www.robinwood.de

Erscheinungsweise: vierteljährlich
Jahresabonnement: 12,- Euro inkl. Versand
Der Bezug des ROBIN WOOD-Magazins
ist im Mitgliedsbeitrag enthalten


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2009