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ENERGIE/1254: Solarenergie - Grüner Strom aus der Sahara (Securvital)


Securvital 1/2009 - Januar/Februar Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Solarenergie
Grüner Strom aus der Sahara

Von Peter Christiansen


Wind- und Solarenergie aus der Wüste kann einen großen Teil Europas mit Strom versorgen. Die Realisierung dieser Idee ist in greifbare Nähe gerückt.

Es klingt fantastisch und ist dennoch machbar: Wind- und Solarkraftwerke in Nordafrika und dem Nahen Osten versorgen nicht nur diese Regionen, sondern liefern darüber hinaus in großen Mengen sauberen Strom nach Europa. "Alle Technologien für die Realisierung sind vorhanden und erprobt", sagt Gerhard Knies, Diplomphysiker beim Hamburger Klimaschutzfonds, der gemeinsam mit dem Club of Rome und einem internationalen Expertennetzwerk das Konzept vom grünen Strom aus der Wüste ("Desertec") unterstützt. Auch Rentabilität und Finanzierungskonzepte seien durchgerechnet. "Nur eins fehlt", meint Knies: "Der politische Wille!"

Ausgangspunkt aller Überlegungen ist die starke Sonneneinstrahlung in den Wüstenregionen Nordafrikas und des Nahen Ostens. Dort sollen in großem Stil solarthermische Kraftwerke gebaut werden, wie sie bereits in Kalifornien oder Spanien stehen. Vorreiter bei dieser Technologie ist das deutsche Unternehmen Solar Millennium, das auch in den Natur-Aktien-Index (NAI) aufgenommen wurde.

Deren Kraftwerke nutzen Spiegel, um das Sonnenlicht auf ein mit Flüssigkeit gefülltes Rohr zu konzentrieren. Die Flüssigkeit wird zu Dampf und treibt dann wie in herkömmlichen Kraftwerken Turbinen zur Stromerzeugung an. Überschüssige Wärme speichern die solarthermischen Kraftwerke in Flüssigsalztanks. So können sie Verbrauchsspitzenzeiten ausgleichen und sogar nachts Strom liefern.

Nicht nur Sonne gibt es in der Sahara im Überfluss. Vielerorts weht der Wind stark und stetig durch die Wüste. In Kombination liefern beide erneuerbaren Energien genug Strom, um rechnerisch den gesamten Bedarf vom Nordkap bis Timbuktu zu decken. Und darüber hinaus, so der Physiker Knies, könnten mit der Sahara-Energie auch noch zahlreiche Meerwasserentsalzungsanlagen betrieben werden, die in Trockengebieten eine umweltfreundliche Trinkwasserversorgung sicherstellen.

Im Technologietransfer, in der Schaffung neuer Arbeitsplätze für Bau und Unterhalt der Solar- und Windkraftwerke, in der Aussicht auf nachhaltige Exporterlöse durch den Stromabsatz sieht Knies weitere Entwicklungsvorteile für die Standort-Regionen. Europa wiederum bekäme endlich eine Stromversorgung, die nicht nur sauber, sondern auch günstig ist.

"Regenerativ erzeugter Strom aus der Sahara könnte in absehbarer Zukunft deutsche Fabriken und Haushalte rund um die Uhr mit Elektrizität versorgen", kommentierte die ZEIT kürzlich. Vielversprechend sei auch die Preisentwicklung: In einigen Jahren werde der Strom aus der Wüste hierzulande "inklusive Transport nicht einmal sieben Cent kosten, weniger als der heutige Großhandelspreis für Strom. Der Vorteil würde sogar mit der Zeit wachsen. Denn aller Voraussicht nach wird der Preis von Kohle, Erdgas und Uran steigen, während die Massenproduktion Solarkraftwerke billiger machen dürfte".


Marktpotential

Der Kasseler Physiker und Stromnetzexperte Gregor Czisch, der in seine Szenarien auch die osteuropäischen Staaten integriert, hat in einer groß angelegten Studie ausgerechnet, wie stark die Stromkosten bei entsprechend großem Marktpotential sinken können. Wenn dieses Gebiet mit all seinen Industrien und seinen zusammen 1,2 Milliarden Einwohnern ausschließlich auf erneuerbare Energien setzt, die an den jeweils optimalen Standorten genutzt werden, dann kostet der Strom nur noch 4,65 Cent je Kilowattstunde bei Übergabe ans lokale Leitungsnetz.

Dabei rechnet Czisch nach eigenen Angaben noch sehr zurückhaltend. Das bedeutet: Der grüne Strom ist billiger als die heutige Energieversorgung, die den Nachteil hat, dass sie das Klima aufheizt, Ressourcen vernichtet und Atommüll produziert.

Technisch ist die Umwandlung der Sonnenenergie in Strom ebenso wenig ein Problem wie der Transport der Elektrizität über mehr als 3.000 Kilometer, bestätigt Hans Müller-Steinhagen, Ingenieur in Diensten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Voraussetzung für dieses Konzept ist aber auch, dass neben neuen Wind- und Solarkraftwerken auch ein "Supernetz" für den Stromtransport aufgebaut werden müsste - ein Kontinente umspannendes Netz von Gleichstrom-Hochspannungsleitungen, die im Vergleich zum heutigen Wechselstrom-System viel geringere Verluste bei der Übertragung auf langen Strecken aufweisen. Um das in Gang zu bringen, ist eine staatliche Anschubhilfe nötig, die auf mehrere Milliarden Euro geschätzt wird.

Das Konzept ist nicht unumstritten. Nicht nur in der konventionellen Energiewirtschaft, sondern auch unter den Förderern regenerativer Energien werden die Vor- und Nachteile des Sahara-Konzepts kontrovers diskutiert. Möglicherweise sind doppelte Lösungen notwendig: Einerseits dezentrale Strukturen, bei denen auch Kraft-Wärme-Kopplung genutzt werden kann. Andererseits internationale Leitungsnetze für zentrale Ökostromgewinnung - durch Wind in der Nordsee, Sonne in Nordafrika oder Erdwärme in Osteuropa.


Supernetz

Scharfe Kritik an der Idee von großen Übertragungsnetzen übt beispielsweise Fabio Longo, Vorstand der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien (Eurosolar). "Technokratische Monstren", so Longo, liefen der Idee einer dezentralen Energiewende mit kleinen Einheiten für verbrauchsnahe Energieerzeugung zuwider. Andere Kritiker warnen vor der Importabhängigkeit, die sich ergebe, wenn Europas Strombedarf aus Afrika oder dem Nahen Osten gespeist werde.

Gerhard Knies vom Klimaschutzfonds hält dagegen, dass in das Supernetz hunderte verschiedene Kraftwerke in mehreren Ländern einspeisen würden. Das Risiko von Terrorakten oder politischer Erpressung sei damit geringer, als dies heute bei Öl und Gas der Fall sei. Außerdem soll der Sahara-Strom nicht die gesamte Versorgung Europas übernehmen. Heimische Kraftwerke bildeten vielmehr auch künftig das Rückgrat der Versorgung.

Auch Robert Werner, Vorstand von Greenpeace Energy teilt die Befürchtungen nicht. "Desertec will die dezentrale Stromerzeugung nicht ersetzen, sondern ergänzen. Angesichts von Klimawandel und Preislawinen drängt die Zeit. Wir brauchen endlich den Willen zu handeln."


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• "Strom aus der Sahara - das ist für mich ein sinnvolles, kostengünstiges und machbares Szenario."
Dr. Henner Gladen, Vorstand der Solar Millenium AG
• So viel Fläche in Nordafrika (rote Quadrate) brauchte die solare Energieerzeugung für die gesamte Welt bzw. für die EU.
• Große Kraftwerke (oberes Foto: Spiegel-Technologie) und lokale Lösungen zur Energiegewwinnung und Einsparung (unteres Bild) ergänzen sich.

Anmerkung der Redaktion Schattenblick:
zum Thema Solarstrom aus der Sahara s. a. → Infopool → Umwelt → Industrie →
• ENERGIE/1123: Sahara-Solarkraft kein Ei des Kolumbus (Solarzeitalter)
  Solarzeitalter 4/2007: "Solarkraftwerke in der Sahara - kein Ei des Kolumbus", von Hans Frommelt
  www.schattenblick.de/infopool/umwelt/industri/uine1123.html
• ENERGIE/1174: Sonnenstrom aus der Sahara und die Interessen der Konzerne (Solarzeitalter)
  Solarzeitalter 1/2007: "Sonnenstrom aus der Sahara - Zum Unterschied von Kosten und Preisen", von Irm Pontenagel
  www.schattenblick.de/infopool/umwelt/industri/uine1174.html


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Quelle:
Securvital 1/2009 - Januar/Februar, Seite 32.34
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA Gesellschaft zur Entwicklung alternativer
Versicherungskonzepte mbH
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2009