Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INDUSTRIE

ENERGIE/1296: Energiewirtschaft vor der Systementscheidung (DUH)


Deutsche Umwelthilfe e.V. - 23. Juni 2009

Energiewirtschaft vor der Systementscheidung

Vertreter des Bundesverbands Erneuerbare Energie, der Deutschen Umwelthilfe, des Verbraucherzentraler Bundesverband und des Ökoenergiehändlers LichtBlick weisen Festhalten des Branchenverbandes BDEW an hergebrachtem Energiesystem auf Basis von Atom- und Kohlekraftwerken zurück - BDEW Eckpunkte "Zukunftsenergie 2020" ignorieren vollständig bevorstehenden Systemwechsel - die versprochene "weitgehend CO2-neutrale Stromerzeugung 2050" bleibt so eine Illusion


Berlin, 23. Juni 2009: Ein ernsthaft in die Zukunft gerichtetes Energiekonzept, das dauerhaft Klimaschutz, Versorgungssicherheit und bezahlbare Preise in Einklang bringt, haben Umwelt- und Verbraucherschützer, neue Wettbewerber im Energiemarkt und die Erneuerbare-Energien-Branche anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin gefordert. Vertreter der Deutschen Umwelthilfe (DUH), des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und des Hamburger Ökoenergiehändlers LichtBlick kritisierten zu gleich das heute vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vorgestellte energiepolitische Eckpunktepapier "Zukunftsenergie 2020" "phantasielos, strukturkonservativ und weder der Klima- noch der Wirtschaftskrise angemessen".

"Beim BDEW ist das krampfhafte Bemühen erkennbar, die von der Mehrheit der Gesellschaft mit großen Hoffnungen begleiteten Branchen der Energiewende zu umarmen und sie gleichzeitig auf ein Nischendasein zu begrenzen", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Wer heute der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und dem Neubau weiterer Kohlekraftwerke das Wort rede, habe weder die Grundsätzlichkeit des bevorstehenden Systemwechsels in der Energiewirtschaft verstanden noch die Dramatik des Klimawandels. Der Bau neuer Kohlekraftwerke vergrößert die Klimahypothek statt sie abzutragen. Baake erinnerte daran, dass ein Nebeneinander von Atomkraft und Erneuerbaren Energien bei weiterem Zubau großer Wind- und Sonnenenergiekapazitäten auch jenseits der Frage der ungelösten Risiken der Atomenergie nicht möglich sei. Weil alle Bundestagsparteien in ihren aktuellen Wahlprogrammen einen Stromanteil der Erneuerbaren von 35 oder mehr Prozent bis 2020 forderten und danach den weiteren Ausbau wünschten, müsse der verbleibende Kraftwerkspark in der Lage sein, sich flexibel an die unstete Einspeisung von Wind- und Sonnenstrom anzupassen. Baake: "Das geht weder mit großen Kohlekraftwerken noch mit Atomkraftwerken. Früher, als der BDEW wahrhaben will, stehen wir vor einer Systementscheidung: Es geht längst um Entweder-Oder, nicht mehr um Sowohl-Als-Auch, wie der BDEW glauben machen will."

Die bevorstehende Richtungsentscheidung in der deutschen Energiepolitik werde dadurch erschwert, dass der BDEW als "Hauptvertreter der alten Energiewirtschaft" wie gewohnt den künftigen Beitrag von Sonne, Wind, Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie unterschätze, erklärte der Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), Björn Klusmann: "Das war schon immer so: Nahezu alle Studien zum Ausbau der Erneuerbaren blieben in der Vergangenheit weit hinter der dann eingetretenen Realität zurück. Tatsächlich können die heimischen Erneuerbaren Energien schon 2020 mit 47 Prozent fast die Hälfte der Stromversorgung decken - vorausgesetzt die Politik entscheide sich für diesen Zukunftspfad und gegen die Konzepte von gestern". Versorgungssicherheit könne es dauerhaft nur mit Erneuerbaren Energien geben, die nach menschlichen Maßstäben unerschöpflich seien. Wer jetzt überkommene Strukturen künstlich verlängere, werde später "immer mehr Milliarden für Kohle, Öl und Gas ins Ausland überweisen müssen."

Holger Krawinkel, Mitglied der Geschäftsleitung und Fachbereichsleiter Bauen, Energie, Umwelt der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), erklärte, angesichts der Vorschläge des BDEW, dass "die neuen Pessimisten heute nicht mehr bei den Umweltverbänden zu finden seien, sondern dort wo große Konzerne kleinmütig an alten Geschäftsmodellen festhalten und ängstlich ihre Milliardengewinne verwalten." So drohten unnötige und teure Doppelstrukturen in der Energieinfrastruktur, für deren Kosten am Ende die Verbraucherinnen und Verbraucher aufzukommen hätten. Das neue Solarzeitalter komme offenbar viel schneller, als die meisten Energieexperten noch vor wenigen Jahren angenommen hätten, sagte Krawinkel. "Diese Perspektive nimmt nicht nur in rasantem Tempo Gestalt an, sie hat auch den unschätzbaren Vorteil, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sie mit großen Hoffnungen erwarten". Dagegen würde die Energiebereitstellung aus Kohle und Uran von der großen Mehrheit der Menschen "als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung wahrgenommen". Wer versuche sein Geschäftsmodell gegen die Hauptströmung der Gesellschaft durchzusetzen, werde am Ende verlieren, so Krawinkel.

Gero Lücking, Mitglied der Geschäftsleitung beim Hamburger Ökoenergieversorger LichtBlick, betonte, die mit der Energiewende verbundene Notwendigkeit einer neuen Energieinfrastruktur sei "mit den Technologien und Konzepten der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts nicht zu bewältigen." Der rasante Ausbau der regenerativen Energien erfordere "effiziente, dezentrale und flexibel steuerbare Lösungen, um Angebotstäler der Erneuerbaren schnell, kostengünstig und umweltfreundlich ausgleichen zu können". Lücking äußerte sich skeptisch über die Zukunftsaussichten der auch vom BDEW mit Hoffnungen begleiteten Technologie der Abscheidung und Verpressung von Kohlendioxid aus fossilen Kraftwerken (CCS). Selbst wenn diese Technologie wirklich irgendwann verfügbar sei, werde sie an ihrer mangelnden Wirtschaftlichkeit scheitern. Lücking: "Strom aus erneuerbaren Energien wird billiger sein, als Strom aus CCS- Kraftwerken. Spätestens mit der CCS-Technologie wird der Kohlestrom seinen vermeintlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber den regenerativen Technologien verlieren."


*


Quelle:
DUH-Pressemitteilung, 23.06.2009
Deutsche Umwelthilfe e.V.
Fritz-Reichle-Ring 4, 78315 Radolfzell
Tel.: 0 77 32/99 95-0, Fax: 0 77 32/99 95-77
E-Mail: info@duh.de
Internet: www.duh.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2009