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ENERGIE/1465: Unterirdisch - Fragen und Risiken rund um den Berliner Erdgasspeicher (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 170 - Oktober/November 2012
Die Berliner Umweltzeitung

BERLIN
Ein Relikt des Kalten Krieges
Fragen und Risiken rund um den Berliner Erdgasspeicher

von Hartwig Berger, Ökowerk Berlin



Still und kaum bemerkt findet gegenwärtig ein umfassender Eingriff in die Umwelt Berlins statt: Die unterirdische Speicherung von Erdgas wird um etwa 70 Prozent erweitert und um 40 Jahre verlängert. Voraussichtlich wird der GASAG, beziehungsweise ihrer Tochtergesellschaft GES förmlich und unanfechtbar das Recht zugestanden, bis zum Jahr 2052 in 700 Meter Tiefe bis zu 1,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas zu speichern. Für den, der es nicht weiß: Die Lagerstätte in unterirdischen Gesteinsschichten befindet sich südlich der Spree unter und nördlich des Grunewalds. Einen entsprechenden Antrag hat die GES beim Bergamt in Cottbus eingereicht und will ihn noch in diesem Jahr positiv beschieden sehen.

Der Erdgasspeicher ist ein Relikt des Kalten Krieges. Als Westberlin in den 80er Jahren vom bisherigen Spaltgas zu Gaslieferungen aus der damaligen Sowjetunion wechselte, hielt man eine Reservehaltung zur Krisen-Absicherung für notwendig, auch wenn eine Speicherung im Stadtgebiet ungewöhnlich und zweifellos riskanter ist. Noch vor der Wende gab der Senat grünes Licht für eine unterirdische Lagerung. So konnte der Erdgasspeicher sich über den Fall der Mauer retten. Im weitgehend freien europäischen Markt verspricht er jetzt lukrative Geschäfte: Der Eigentümer kann - wie im Börsenhandel - Preisschwankungen auf dem Erdgasmarkt zu seinen Gunsten nutzen. So erklärt sich das Interesse von GASAG und GES an Erweiterung und Verlängerung des Speichers.

Aus umweltpolitischer Sicht stellt sich das ganz anders dar. Wie jüngst das von den Grünen beauftragte Gutachten des Le Moine Instituts nachgewiesen hat, kann unsere Region bis zum Jahr 2030 vollständig auf Strom aus fossilen Energieträgern verzichten. Erdgas wird dann nur noch zu geringeren Mengen zur Deckung des Wärmebedarfs benötigt und im Jahr 2052 voraussichtlich ganz überflüssig. Ein Erdgasspeicher mit dem angegebenen Fassungsvermögen steht also einer klimaverträglichen Energiewende im Wege. Allerdings mit einer Einschränkung: Wenn überschüssiger Windstrom im großen Stil zur Erzeugung von Methan, also Bio-Erdgas (1), genutzt wird, muss dieses bis zum Einsatz gespeichert werden. Möglicherweise werden dann auch unterirdische Speicher gebraucht, jedoch in weit geringerem Umfang als es die jetzige GASAG-Planung vorsieht.

Der Gasspeicher ist nicht nur ein Klotz am Bein einer regionalen Energiewende, sondern auch ein potentielles Risiko von erheblichem Umfang. Die klimaverändernde Wirkung von 1,1 Milliarden Kubikmeter Methan entspricht in etwa derjenigen der CO2-Jahresemissionen Berlins, derzeit auf 22 Millionen Tonnen geschätzt. Schon kleinere Mengen von Erdgas, die unerwartet aus den Bodenschichten entweichen, würden neben gesundheitlichen Problemen den nördlichen Grunewald absterben lassen. Und undichte Rohrleitungen können oberflächennahe Grundwasserschichten versalzen, aus denen Berlin mit Trinkwasser versorgt wird.

GES und GASAG schließen derartige Umweltfolgen kategorisch aus und berufen sich dabei auf fachliche Stellungnahmen des Niedersächsischen Bergamts von 1992. Diese Behörde wiederum stützt ihre positive Einschätzung auf Fachgutachten, die zu Beginn der 80er Jahre angefertigt wurden. Auf neuere Untersuchungen meint man verzichten zu können. Als ob die Geophysik nicht seitdem zu neuen Erkenntnissen gekommen ist und sich neuen Herausforderungen stellen muss. Seit Jahren diskutiert gerade unsere Region über die enormen Risiken einer unterirdischen CO2-Speicherung. Die betroffenen Menschen im Oderbruch und nördlich des Spreewalds wollen zu Recht nicht die Versuchskaninchen einer Politik sein, die den Irrweg einer Nutzung fossiler Energieträger nur verlängert. Man fürchtet sogar, dass die CO2-Mengen bis in den Berliner Raum unterirdisch migrieren. Sicher ist die Menge des zur Lagerung vorgesehenen CO2 weit größer als die unter dem Grunewald lagernden Methanmengen. Andererseits dürfte die Wahrscheinlichkeit noch größer sein, dass das leichtgewichtigere und stärker klimaverändernde Methan bis an die Oberfläche dringt.

Im Fall von GASAG/GES ist es also zwingend erforderlich, mögliche Risiken durch unabhängig erstellte geophysikalische Gutachten neu abzuschätzen, die sich auf der Höhe der gegenwärtigen Forschung befinden. Die Berliner Umweltverbände haben das, neben anderem, vom Bergamt eingefordert. Man darf gespannt sein, ob hier Unternehmen und Behörde lernfähig sind.

Mit einem verlängerten und erweiterten Betrieb des Erdgasspeichers stellen sich weitere Fragen: So steht die Erdgasspeicherung möglicherweise einer Nutzung von Erdwärme im Weg, diese aber ist für eine klimaneutrale Wärmeversorgung Berlins unverzichtbar. Vor Erteilung jeder Genehmigung sollten also hier mögliche Kollisionen überprüft und ausgeschlossen werden. Zum Zweiten leitet die GES das Salzwasser, das mit dem gespeicherten Erdgas neu an die Oberfläche gefördert wird, in Kalkschichten zurück. Die Jahresmenge von 10.000 Kubikmeter ist nicht unbeträchtlich. Wie kann ausgeschlossen werden, dass dieses Salzwasser in genutzte Grundwasserschichten dringt? Aus der Diskussion um CO2-Speicherung ist die Warnung vor weiträumiger unterirdischer Migration geläufig. Kann - und warum - das für Erdgas aus der Berliner Speicherung ausgeschlossen werden? Spätestens im Norden Berlins tritt die Deckschicht der Tonerde an die Oberfläche, zumindest sollte hier eine zuverlässige Abdichtung überprüft werden, zumal es in der Vergangenheit dort Tonförderung gegeben hat.

Das sind nur einige der ungeklärten Fragen und Risiken, die sich um den Berliner Erdgasspeicher ranken. Eine schnelle Genehmigung, abseits einer kritischen Öffentlichkeit, ist daher nicht zu verantworten. Abgesehen davon, dass dieser Speicher den Schritt einer Wende hin zum Klimaschutz eher blockiert.


(1) Die Umwandlung ist rechnerisch klimaneutral, weil sie durch Bindung von Kohlendioxid mit Wasserstoff erfolgt, der wieder durch Elektrolyse von Wasser erzeugt wird.

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 170 - Oktober/November 2012
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2012