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FORSCHUNG/267: Unterirdische CO2-Speicherung voreilig als Problemlösung gepriesen (Solarzeitalter)


Solarzeitalter 3/2008
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien

Eine virtuelle Karotte
In Brandenburg wird die unterirdische Speicherung von abgeschiedenem
CO2 getestet und voreilig als Problemlösung gepriesen

Von Helmut Lölhöffel


CO2 Sink heißt die eingängige Formel für das Laborprojekt, bei dem die unterirdische Endlagerung des Treibhausgases und Klimakillers Kohlendioxid ausprobiert wird. Die Betreiber verbreiten schon zu Beginn der Testphase Optimismus, unterfüttert von einer aufwändigen Werbekampagne. Manche Politiker und Journalisten greifen deren Stichwörter ungeprüft auf und feiern vorauseilend die neue Technologie als Schlüssel zur Lösung aller Klimaprobleme. Dabei gibt es noch gar keine Ergebnisse, sondern nur vage Aussichten und zunehmend skeptische Stimmen.


Spremberg, Jänschwalde und Ketzin, Hamm und Hürth sind die Standorte für die Prozesskette Abtrennung - Transport - Speicherung. Seit 30. Juni 2008 wird in der Nähe des havelländischen Ortes Ketzin 30 km westlich von Berlin CO2 in 700 m tiefe Gesteinsschichten gepumpt, jede Stunde etwa zwei Tonnen. Bis 2010 sollen 60.000 t in das Bohrloch strömen, um zu beobachten, wie sich das Treibhausgas in dem porösen Sandsteinuntergrund ausbreitet und verhält. 60.000 t - eine lächerliche Menge im Vergleich zu den mehr als jährlich 10 Mio. t CO2, die alleine das Vattenfall-Kraftwerk Schwarze Pumpe erzeugt.

In der Lausitz, rund 150 km südlich des unterirdischen Testspeichers, wird parallel die Abscheidetechnik CCS (Carbon Capture and Storage), eine junge und noch keineswegs ausgereifte Technologie, erprobt. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall und die Technische Universität Cottbus wollen in einer 30-Megawatt-Pilotanlage, die am 9. September ihren Betrieb aufnahm, vier Jahre lang erforschen, wie sich Kohlendioxid beim Verbrennen von Braunkohle abtrennen lässt. Das der Atmosphäre entzogene CO2 soll eines Tages in Lastwagenkolonnen zu riesenhaften, großflächigen Endlagern in der norddeutschen Tiefebene transportiert und dort begraben werden - so die Erwartung der Urheber dieses von Interessenten weltweit beobachteten Versuchs.

In dem Prozess gelange "praktisch kein CO2" mehr in die Atmosphäre, schwärmt der Europe-Mining-Chef von Vattenfall, Reinhardt Hassa. Für 2020 wird die Marktreife des Systems angepeilt, ein 1.000-Megawatt-Kraftwerk soll dann kommerziell laufen. 2020 werde es sogar schon möglich sein, CCS "global einzusetzen", stapelt das Informationszentrum klimafreundliches Kohlekraftwerk (IZ Klima) hoch, das eigens gegründet wurde, um diese Technologie zu propagieren. Alles in allem wird das Projekt ohne die immensen PR-Kosten allein bis 2010 schon 35 bis 50 Mio. verschlungen haben. Was danach käme, ist heute nicht absehbar, Hassa nannte eine vorläufige Summe von 70 Mio., neuerdings ist schon von 90 bis 100 Mio. die Rede.

Im Mai war mit dem ersten Spatenstich der Baustart für das "CO2-freie" (so die von Nachrichtenagenturen und Zeitungen kritikfrei übernommene Eigenwerbung) Braunkohlekraftwerk gefeiert worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte den Erbauern Komplimente: "Es geht darum, in die Zukunft zu blicken. Mit dieser Pilotanlage tun Sie genau das." Und sie lobte Vattenfall "dafür, dass Sie in eine Pilotanlage investieren, ohne die hundertprozentige Gewissheit zu haben, dass diese Art der CO2-Abscheidung erfolgreich sein wird" (Bundespresseamt, 29.5.2008).


Rauchgaswäsche oder Sauerstoff-Destillation

Solche vagen Erfolgsaussichten bestreitet der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) schon heute: "Saubere Kohle ist ein Feigenblatt", erklärte Bundesgeschäftsführer Gerhard Timm, denn Vattenfall erzeuge 99% seines Stroms aus fossilen Brennstoffen und aus Uran, "Vattenfall torpediert den Klimaschutz" (BUND-Pressemitteilung, 29.5.2008). Mittlerweile hat RWE, ebenfalls mit der Kanzlerin als Gast, am 29. August im westfälischen Hamm den Grundstein für ein neues Steinkohlekraftwerk gelegt und den Bau eines weiteren, angeblich auch "CO2-freien" Braunkohlekraftwerks in Hürth bei Köln angekündigt. RWE-Chef Jürgen Großmann setzt auf ein bisher nicht erprobtes CO2-Abtrennverfahren, die Rauchgaswäsche nach dem Verbrennungsprozess. Und er möchte eine Pipeline nach Schleswig-Holstein legen, um den Klimakiller dort verschwinden zu lassen (Süddeutsche Zeitung, 30./31.8.2008).

Im Kraftwerk Jänschwalde nahe der Oder bei Cottbus, bisher eine üble CO2-Schleuder, will Vattenfall von 2015 an das Oxyfuel-Verfahren anwenden. Dabei werden Stickstoff und Schwefelverbindungen aus der für den Verbrennungsprozess notwendigen Luft herausgezogen, die Kohle wird in reinem Sauerstoff und rezirkulierten Abgasen verfeuert, CO2 bleibt übrig und soll dann irgendwo in der Altmark in Sachsen-Anhalt unterirdisch endgelagert werden. Der Nachteil dieses Verfahrens: Es verschlingt ungeheuer viel Energie. Der energetische Aufwand der Sauerstoff-Destillation wird mit mindestens 250 kWh pro Tonne O2 berechnet. Die Folge ist, dass der Wirkungsgrad eines Kraftwerks erheblich sinkt und der Kohlebedarf entsprechend ansteigt - ein Kreislauf, dessen ökologischer Sinn nicht einleuchtet.


"Wie eine Wolke"

Das Testfeld für die Untertage-Verpressung bei Ketzin ist ein unscheinbares Gelände abseits der großen Straßen. Baracken und Container, drei Gerüste für die Bohrungen. Auffallend sind nur zwei 25 Meter hohe weiße Behälter, die als Zwischenspeicher für das angefahrene Gas dienen. Projektleiter Frank Schilling vom Potsdamer GeoForschungsZentrum (GEZ) ist begeistert von den zwischen 600 und 800 m tiefen "Injektionsbohrungen" und seinem "weltweit einmaligen Monitoringprogramm". Das GEZ gehört übrigens zur Helmholtz-Gemeinschaft, deren Münchner Ableger das undichte Atomlager Asse II in Niedersachsen betreute und dabei offenbar "Zuverlässigkeit und Fachkunde" vermissen ließ, wie der niedersächsische Umwelt-Staatssekretär Stefan Birkner (EDP) meint. Die Grünen-Politikerin Renate Künast hat sogar den Verdacht, das Münchner Helmholtz-Zentrum habe "jahrzehntelang gemeingefährliche Straftaten" begangen.

Schilling ist sicher, dass die Risikoszenarien für Ketzin "geologisch unkritisch" sind - was früher von Asse auch behauptet wurde. Der Wissenschaftler erläutert, im Havelland gebe es mehrere undurchlässige Tonschichten, die bewirken, dass sich das CO2 unten flach "wie eine Wolke" ausbreitet. Über die Aussichten äußert er sich profihaft reserviert: "Was wir hier probieren, kann nicht das weltweite Klimaproblem lösen." Es sei eine "Brückentechnologie, die uns einen Zeitgewinn für die Entwicklung alternativer Energien verschaffen könnte und darum müssen wir es tun". Die aus Computergrafikcn ablesbaren Messungen haben, so versichert Schilling, bisher weder Unregelmäßigkeiten noch alarmierende Ausschläge ergeben. Die weltweit erste CCS-Testanlage mitten im südbrandenburgischcn Braunkohletagebaugebiet auf dem Schwarze-Pumpe-Areal bei Spremberg wurde, bestaunt von 600 geladenen Gästen und begleitet von Protesten von Naturschützern, in Betrieb genommen. "Heute schreiben wir Industriegeschichte", bejubelte der Vorstandsvorsitzende der Vattenfall Europe, Tuomo Hatakka (Der Tagesspiegel, 10.9.2008) das "annähernd emissionsfreie Kraftwerk" - so lautet die jüngste Beschönigungs-Version. Bei einer Besichtigung der Baustelle hatte Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) schon den Vattenfall-Oberen geschmeichelt: Es sei wichtig, fossile Brennstoffe "klimaverträglich zu machen" (Kölner Stadt-Anzeiger, 19.8.2008). Doch vernünftiger wäre es, entgegnet Ulf Bossel vom European Fuel Cell Forum in Zürich, sich "zuerst mit Energiebilanzen zu beschäftigen, bevor Geld in die Entwicklung von Prozessen und Gerät gesteckt wird" (SZA 2/07). Auch Gabriele von Goerne, Klimaexpertin bei Greenpeace, hält nichts davon, solche Summen zu investieren." Dass Kohle klimafreundlich genutzt werden kann, ist ein Märchen. CCS ist ökologisch höchst bedenklich." Anstatt Kohlendioxid erst zu erzeugen und dann irgendwo zu lagern, müsse die Erzeugung des Klimagases massiv reduziert werden, verlangt Goerne (SZA 2/06).

Für den Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) hat Björn Pieprzyk ausgerechnet, dass bis 2020 die Erzeugungskosten Erneuerbarer Energien stetig sinken und unter dem Strompreis aus konventioneller Erzeugung liegen werden. Er schlussfolgert, "dass Erneuerbare Energien die ,Clean Coal'-Technologie nicht als ernst zu nehmenden Konkurrenten fürchten müssen" (SZA 2/06). In seinem Buch "ÖKO" nimmt Peter Unfried, stellvertretender Chefredakteur der taz, die vom sauberen Kohlekraftwerk schwafelnden Konzerne auf die Schippe: "Wie das schöne Wasserstoff-Auto muss man CCS als virtuelle Karotte betrachten, die man uns Eseln vor die Nase hält. Das gilt, solange es sie nicht tatsächlich gibt. Und wenn es sie gäbe, änderte das nichts an der Endlichkeit des Rohstoffs."


Finanzhilfen aus Berlin

Die Bundesregierung ist dafür, zwei oder drei CCS-Demonstrationsprojekte in Deutschland anzusiedeln. Sie hat 30 Mio. Euro Projektfördermittel bereitgestellt und bezuschusst die Forschung dafür über drei Jahre mit 45 Mio. Euro. Dass CCS-Projekte in Norwegen und in Großbritannien aufgegeben wurden, weil sie nicht wirtschaftlich waren und ein weiteres in den USA aufgeschoben worden ist, stört die Bundesregierung nicht. Sie verfolge das Ziel, die CCS-Technologie bis 2020 zur Marktreife zu bringen, antwortete sie dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell auf dessen Anfrage (Bundestags-Drucksache 16/9032). Die Tendenz der amtlichen Auskünfte auf Fells Fragen lässt erkennen, dass die Bundesregiemng auf die CCS-Ideen der Energiekonzerne setzt und den Forschern vertraut. Das 23 Mio. Euro kostende Ketzin-Projekt CO2 Sink wird von 18 Institutionen und Unternehmen aus acht Staaten plus EU und Brandenburg unterstützt, darunter den Universitäten Stuttgart, Kent und Uppsala sowie von Linde, e.on, RWE, Shell, Siemens, Statoil, Vattenfall und Verbundnetz Gas (VNG).

In der Tat muss alles erdenklich Mögliche getan werden, um das Weltklima zu schützen. Aber die CCS-Technologie wird sich als Labyrinth erweisen. Denn schon heute ist erkennbar: Der Transport, ganz gleich ob mit Schiffen, durch Pipelines oder mit Lastkraftwagen, ist unverhältnismäßig energieaufwändig. Ob alte Erdgaslagerstätten ausreichen, um die jährlich bei der Stromerzeugung entstehenden rund 400 Mio. t CO2 aufzunehmen, ist fraglich. Auch die Variante des Einpressens in Salzwasser führende Gesteinsformationen ("salinare Aquifere") wie in Ketzin ist zweifelhaft. Denn dann wären diese Schichten, so befürchten Geothermie-Fachleute, für Energieerzeugung aus Erdwärme blockiert. Schließlich gibt es noch keinerlei ausreichende Kenntnisse über mögliche Speicherkapazitäten - nur Spekulationen, dass sie in absehbarer Zeit erschöpft sein werden. Und dann? Letztlich dient die "Feigenblatt"-Technologie CCS also nur dazu, Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken zu erschleichen und den Bau neuer Kohlekraftwerke zu begründen, freilich mit vielfach höheren Leistungen - aber ohne CO2-Abscheidung.

Helmut Lölhöffel, Journalist, macht Öffentlichkeitsarbeit für EUROSOLAR.


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Quelle:
Solarzeitalter 3/2008, 20. Jahrgang, S. 58-60
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2009