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FORSCHUNG/507: Perspektiven erneuerbarer Energien im ländlichen Raum (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
10. Jahrgang · Ausgabe 2 · November 2014

Erneuerbare Energien im ländlichen Raum
Potenziale für die regionale Wertschöpfung

Von Manfred Miosga


Die Energiewende führt zu einem tiefgreifenden Strukturwandel in der Energiewirtschaft. Die Energieversorgung wird dezentraler und eröffnet neue Möglichkeiten für eine regionale Wertschöpfung. Im ländlichen Raum steigt die Zahl der Unternehmen und Initiativen für eine dezentrale Energieversorgung, wie etwa Bürgerenergiegenossenschaften oder Bioenergiedörfer. Die Veränderungen der Landschaft führen aber auch zu Konflikten um die Raumnutzung.


Neue Studie zeigt hohe Wertschöpfung durch Energieerzeugung in der Region

Die Abteilung Stadt- und Regionalentwicklung am Geographischen Institut der Universität Bayreuth beschäftigt sich unter der Leitung von Prof. Dr. Manfred Miosga in vielfältigen Forschungsarbeiten mit diesem Strukturwandel. Sie war maßgeblich an einer Studie beteiligt, die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) in Auftrag gegeben wurde.[1] Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Wertschöpfung, die durch die Nutzung regenerativer Energien ausgelöst wird, die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen erheblich beeinflussen kann. Im Mittelpunkt der Untersuchung standen dabei fünf Beispielregionen: Lausitz-Spreewald, Dithmarschen, Rhein-Sieg-Kreis, Nordhessen und Westmittelfranken.

Aufbauend auf einer früheren Untersuchung, die die Wertschöpfungseffekte einzelner Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse ohne Berücksichtigung regionaler Besonderheiten erfasst, wurden die regionalwirtschaftlichen Effekte der Nutzung erneuerbarer Energien erstmals konkret berechnet. Dazu wurden die jeweiligen räumlichen Verhältnisse wie Windhöffigkeit (d.h. das Windaufkommen am jeweiligen Standort), Sonnenscheindauer und Strahlungsintensität detailliert berücksichtigt. Zudem wurden auch indirekte ökonomische Effekte einbezogen, wie zum Beispiel die Tatsache, dass die mit Bau, Betrieb und Finanzierung befassten Beschäftigten Anteile ihres Einkommens in der Region wieder ausgeben. Mit Blick auf den tatsächlich vorhandenen Anlagenbestand konnten schließlich die jeweiligen Gesamteffekte der erzeugten erneuerbaren Energien in den fünf Beispielregionen berechnet werden.

Erwartungsgemäß lässt sich in Dithmarschen durch Photovoltaik eine geringere Wertschöpfung pro Megawatt installierter Leistung erzielen als in Westmittelfranken, während es beim Wind umgekehrt ist. Über alle Anlagen hinweg liefern die erneuerbaren Energien im landwirtschaftlich geprägten windreichen Küstenlandkreis Dithmarschen jedoch bereits eine höhere regionale Wertschöpfung als Land- und Forstwirtschaft zusammen.

Indem die Studie auf diese Weise regionale Wertschöpfungseffekte konkret berechnet, beschreitet sie Neuland. Sie fördert eine für die Regionalentwicklung entscheidende Erkenntnis zutage: Anlagen, die von Unternehmen betrieben werden, die ihren Sitz in der Region haben und deren Eigen- und Fremdfinanzierung zu 100 Prozent aus regionalen Quellen geschöpft werden, weisen regionale Wertschöpfungseffekte auf, die um rund 500 Prozent höher sind als bei Anlagen, die von externen Firmen betrieben und finanziert werden.


Potenziale erneuerbarer Energie am Beispiel Nordostbayern

Die potenziellen Wertschöpfungseffekte machen die Energiewende für Regionen interessant, die durch eine anhaltende Strukturschwäche gekennzeichnet sind und naturräumliche Qualitäten aufweisen, die eine wirtschaftliche Erschließung erneuerbarer Energien möglich machen. Diese beiden Merkmale treffen für den Nordosten Bayerns in besonderem Maße zu.

Auf Initiative einer Landtagsabgeordneten aus der nördlichen Oberpfalz wurde im Jahr 2010 die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft auf den Weg gebracht, die eine Studie zu den Perspektiven für einen "Aufschwung durch Energiewende" erstellt hat. Die Abteilung für Stadt- und Regionalentwicklung der Universität Bayreuth, die Beratungsgesellschaft KlimaKom eG in Hummeltal, das Institut für Energietechnik an der Hochschule Amberg/Weiden und die Energieagentur Nordbayern in Kulmbach sind gemeinsam der Frage nachgegangen: Könnte in Nordostbayern über den eigenen Bedarf hinaus Energie erzeugt werden, die als neues Exportgut in andere Regionen geliefert wird?

Die Untersuchung verlief in zwei Schritten:

• Zunächst wurde für Nordostbayern die Größenordnung der derzeitigen Energieverbräuche ermittelt, mögliche Einsparpotenziale beziffert und künftige Energiebedarfe errechnet.

• Anschließend wurden die Potenziale erneuerbarer Energien abgeschätzt und Szenarien entworfen, ob und inwieweit in der Region die erneuerbaren Energien zu einer neuen Exportbasis ausgebaut werden könnten.

Die energiefachlichen Betrachtungen beruhten dabei auf Sekundäranalysen und der Auswertung vorhandener Statistiken, Datensammlungen und Gutachten.

Tab. 1: Potenziale erneuerbarer Energien in Nordostbayern, das sich in der Studie aus zwei Planungsregionen zusammensetzt: "Oberfranken-Ost" besteht aus den kreisfreien Städten Bayreuth und Hof sowie den Landkreisen Bayreuth, Hof, Kulmbach und Wunsiedel im Fichtelgebirge. Die Planungsregion "Oberpfalz-Nord" wird durch die kreisfreien Städte Amberg und Weiden sowie die Landkreise Amberg-Sulzbach, Neustadt an der Waldnaab, Schwandorf und Tirschenreuth gebildet.



Wie die Studie ergab, beläuft sich der gesamte Endenergieverbrauch in der Region Nordostbayern auf rund 29.500.000 Megawattstunden (MWh) pro Jahr (Stand 2010).[2] Bereits jährlich wird eine elektrische Energiemenge von rund 887.000 MWh aus erneuerbaren Quellen erzeugt und eingespeist. Dies entspricht einem Anteil der erneuerbaren Energien in Höhe von rund 14 Prozent am gesamten Stromverbrauch. Dabei verteilen sich die einzelnen Energiequellen wie folgt:

• Biomasse- und Biogasverstromung: ca. 50%
• Photovoltaik (Solarenergie): ca. 25%
• Wasserkraft: ca. 13%
• Windenergie: ca. 10%

Der Anteil erneuerbarer Energieträger an der thermischen Energieversorgung liegt in Nordostbayern derzeit bei einem Wert von etwa 1.974.000 MWh pro Jahr.

Angenommen, in dieser Region würde das Potenzial zur Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen komplett ausgebaut werden: Dann könnten pro Jahr etwa 9.414.000 MWh an elektrischer Energie bereitgestellt werden. Den Hauptanteil an der Stromerzeugung hätte dabei die Windenergie. Hierfür müssten rund 1.200 Windkraftanlagen mit 2 MW-Leistung installiert werden, was auf den verfügbaren Flächen grundsätzlich auch möglich wäre. Zudem müsste ein erheblicher Teil des Stroms aus Biomasse und Biogas erzeugt werden. Im Bereich der solaren Nutzung besteht allein auf Dachflächen ein Ausbaupotenzial von rund 551.000 kWp an Photovoltaik; würde dieses Potenzial genutzt, können zusammen mit den bestehenden Anlagen insgesamt rund 731.000 MWh pro Jahr an elektrischer Energie erzeugt werden.[3]

Im Bereich der thermischen Endenergie ergibt sich für Nordostbayern ein Gesamtpotenzial von rund 6.008.000 MWh im Jahr. Dies beruht größtenteils auf der Nutzung von Brennholz aus heimischen Wäldern und der thermischen Energieauskopplung aus der landwirtschaftlichen Biomassenutzung (Kraft-Wärme-Kopplung).

Die Studie geht davon aus, dass bis 2030 erhebliche Energiemengen auf wirtschaftlich verträgliche Art eingespart werden können: insbesondere durch Investitionen in gesteigerte Energieeffizienz sowie durch die Anschaffung neuer Geräte in Unternehmen und privaten Haushalten. Die Berechnungen führen so zu folgenden Ergebnissen:

• Durch Effizienzsteigerung und den Umstieg auf moderne Technologien kann der Bedarf an elektrischer Energie in Nordostbayern von rund 6.145.000 MWh im Jahr 2010 auf rund 3.863.000 MWh im Jahr 2030 gesenkt werden. Damit dieser Bedarf bis 2030 mit erneuerbaren Energien gedeckt werden kann, müssten bis 2030 etwas mehr als 40 Prozent der Potenziale zur Stromerzeugung erschlossen werden. Dabei kommt der Nutzung der Windkraft eine zentrale Bedeutung zu. Je nach Ausbaugeschwindigkeit der anderen Energieträger (Biomasse, Photovoltaik) wäre zur Deckung des Eigenbedarfs ein Zubau von 420 bis 500 Windenergieanlagen in Nordostbayern erforderlich.

• Anders verhält es sich im Bereich der thermischen Energie. Selbst wenn man die erheblichen Einsparpotenziale bis 2030 berücksichtigt, wird es voraussichtlich nicht möglich sein, den verbleibenden Bedarf in Nordostbayern allein durch die direkte Erzeugung von Wärme aus erneuerbaren Energieträgern zu decken. Es verbleibt ein Restbedarf von rund 1.850.000 MWh an thermischer Endenergie pro Jahr. Um auch diese Menge auf der Basis erneuerbarer Energieträger herzustellen, müsste regenerativ erzeugter Strom zur Wärmeproduktion genutzt werden.[4]

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die Potenziale zur Nutzung erneuerbarer Energien in Nordostbayern ausreichen würden, um über den eigenen Bedarf hinaus Energie zu produzieren und in andere Regionen zu exportieren. Auf der Basis der Berechnungsmethoden des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (2010 und 2011) ergibt sich: Wenn die Potenziale erneuerbarer Energien in Nordostbayern voll ausgeschöpft werden, können - über den Betrachtungszeitraum von 20 Jahren - knapp 7 Milliarden Euro kommunale Wertschöpfung generiert werden, also etwa 350 Millionen Euro pro Jahr. Die Effekte aus der Produktion der Anlagen sind dabei nicht berücksichtigt.


Regionale Strategien zur maximalen Wertschöpfung

Aus beiden Studien folgt, dass insbesondere eine dezentral organisierte Energiewende positive Effekte für die Regionalentwicklung erzielen kann. Wenn die Nutzung erneuerbarer Energien rasch und kontinuierlich ausgebaut wird, kann dies den Anteil der regionalen Wertschöpfung deutlich erhöhen - vorausgesetzt, dass der Ausbau durch regionale Unternehmen, mit Hilfe regionaler Finanzierungsquellen und nach Möglichkeit in regionalen Eigentümerstrukturen und Betreibergesellschaften erfolgt. Ein möglichst direkter Vertrieb der regional erzeugten Energie in der Region kann zudem dazu beitragen, dass Geld, das sonst für fossile Energieträger ausgegeben würde, in regionale Kreisläufe umgelenkt wird.

Eine umfassende Strategie für eine dezentrale Energiewende erfordert jedoch auch umfangreiche soziale Innovationen - beispielsweise in den Aufbau von Regionalwerken, Bürgerenergiegenossenschaften oder anderen Kooperationen, die auf den energiewirtschaftlichen Märkten aktiv werden können. Dafür gibt es eine wachsende Zahl von Anknüpfungsmöglichkeiten bei Kommunen, Stadtwerken und zivilgesellschaftlichen Initiativen.

Allerdings wird die Nutzung erneuerbarer Energiequellen insbesondere für die Menschen im ländlichen Raum immer stärker wahrnehmbar. Dies führt zu Akzeptanzproblemen etwa bei Windenergieanlagen oder bei der Biomasseproduktion. Derzeit entwickelt die Abteilung Stadt- und Regionalentwicklung an der Universität Bayreuth neue Konzepte für eine transdisziplinäre Forschung in der Region, die Universitäten als Wissensproduzenten mit Unternehmen, Kommunen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenbringt. Das Ziel ist es, passende Lösungen für die Herausforderungen einer gesellschaftlich und ökologisch akzeptierten Form der Energiewende in Regionen zu erarbeiten.


Autor

Prof. Dr. Manfred Miosga leitet die Abteilung Stadt- und Regionalentwicklung am Geographischen Institut der Universität Bayreuth.


Anmerkungen

1. In dem vom Bundesverkehrministerium (BMVBS) in Auftrag gegebenen Projekt hat die Abteilung Stadt- und Regionalentwicklung der Universität Bayreuth mit Prof. Dr. Reinhold Kosfeld an der Universität Kassel sowie mit dem Kasseler Ingenieurbüro MUT-Energiesysteme zusammengearbeitet.

2. Vgl. zu diesen und den folgenden Ergebnissen: EWENOBY 2012: Energiewende Nordostbayern. Konzeptstudie für einen Aufschwung durch Energiewende. Amberg, Bayreuth, Kulmbach. Online unter:
www.stadtregion.uni-bayreuth.de/de/projects/Ewenoby/

3. Bei der Ermittlung des Potenzials zur Erzeugung erneuerbarer Energien bis 2030 wurden ökologische und immissionsschutzrechtliche Aspekte besonders berücksichtigt. Bei der Berechnung der Potenzialflächen zu Windkraftnutzung wurden die Mindestabstände möglicher Windenergieanlagen zu Bauflächen noch um einen zusätzlichen "Puffer" von 200 m auf 1.000 m erhöht und Naturschutzgebiete unterschiedlicher Schutzkategorien (inkl. Landschaftsschutzgebiete) ausgeschlossen.

4. Der Bereich Mobilität wurde in diesem Szenario nicht betrachtet.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb.1 S. 55:
Jährliche Wertschöpfungseffekte durch die Erzeugung von Strom aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse pro km² und Jahr in den fünf Modellregionen der Studie (in Tsd. Euro; Stand 2011).Quelle: BMVBS 2013, S. 148.

Abb.2 S. 56: Photovoltaik-Anlage im ländlichen Raum.

Abb.3 S. 57: Die Untersuchungsregion der Studie zu den Potenzialen erneuerbarer Energien in Nordostbayern.


Sie finden das Magazin als PDF-Datei mit Abbildungen unter:
http://www.uni-bayreuth.de/presse/spektrum/spektrum-pdf/ausgabe_02_14.pdf

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Quelle:
spektrum - Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 2, November 2014, S. 54 - 57
Herausgeber: Universität Bayreuth
Stabsstelle Presse, Marketing und Kommunikation
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Telefon: 0921/55-53 56, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2015

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