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MASSNAHMEN/324: Handel mit Emissionsrechten - Eine schöne Idee, die nicht funktioniert (Uni Bielefeld)


BI.research 37.2010
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Eine schöne Idee, die nicht funktioniert
Der Handel mit Emissionsrechten brngt weniger fürs Klima als erhofft

Von Sabine Schulze


Es gibt das Recht, die Umwelt zu verschmutzen. Unternehmen können es kaufen. Was zynisch klingt, sollte dem Umweltschutz dienen. Tatsächlich aber, sagt Prof. Dr. Andreas Fisahn, hat sich der Handel von Verschmutzungsrechten als stumpfes Schwert erwiesen. Fisahn ist Umweltrechtler und lehrt an der Universität Bielefeld ein Fach, das ein Wahlfach ist. Dabei ist die Notwendigkeit, per Gesetz die Natur vor dem Menschen zu schützen, schon vor langer Zeit erkannt worden: "Regelungen zur Wassernutzung haben wir seit 1794. Und das Naturschutzgesetz gibt es seit 1936." Eine neue Welle der Umweltgesetze kam in den 70er Jahren: Zuvor hatte der spätere Bundeskanzler Willy Brandt den blauen Himmel über der Ruhr beschworen, und so wurden Wasser, Boden und Luft wieder ein Thema. Mit der Reformgesetzgebung der 1970er Jahre wurde das Bundesimmissionsschutzgesetz geschaffen, vorher gab es Regelungen zur Anlagensicherheit und auch zum Gesundheitsschutz der Nachbarn in der Gewerbeordnung. Das Immissionsschutzgesetz setzt Grenzwerte für Emissionen von Stoffen fest, die eine Anlage verlassen dürfen und für Immissionen, die beim Nachbarn und in der natürlichen Umwelt ankommen. Denn hier könne mehr "auflaufen" als eine Fabrik ausstößt, da sich die Schadstoffe summieren können, erklärt Fisahn. Das Immissionsschutzgesetz ist Ordnungsrecht, das in den 1990er Jahren als zu unflexibel, wenig zielgenau und kostenintensiv kritisiert wurde. Außerdem ließen sich die Behörden eigentlich klare Grenzwertvorgaben abhandeln. "Im Vollzug des Umweltrechts, so die Forschung, hat es ein bargaining, ein Verhandeln, statt den Gesetzesvollzug gegeben. Marktsteuerung, so das Mantra der 1990er Jahre, sollte diese Probleme lösen."


Umweltschutz durch Marktmechanismen

Da erschien, sagt Fisahn, der Emissionsrechtehandel als handhabbarer und vor allem effizienter. Die Grundidee dazu wurde schon 1968 von dem kanadischen Ökonomen John Harkness Dales entwickelt. Mit marktwirtschaftlichen Instrumenten sollten Unternehmen zu ökologischem Handeln bewegt werden. "Bislang wurden Umweltkosten externalisiert, der Gemeinschaft aufgebürdet. Jetzt sollten sie in die Betriebskosten eingerechnet und damit internalisiert werden", erklärt der Jurist. Hintergrund sei auch ein Verzugsdefizit im Umweltrecht gewesen: "Es gab durchaus vernünftige Gesetze, sie wurden aber eben nicht vollzogen. Die Behörden haben mit den Unternehmen geschachert. Der Emissionsrechtehandel sollte das in den Griff bekommen und zugleich das Umweltgut ökonomisieren, die Kosten sichtbar werden lassen." Außerdem war die Idee von Dales, dargestellt in seinem Buch "Pollution, Property and Prices", dass die Politik eine konkrete Obergrenze der Gesamtemission als zu erreichendes Umweltziel vorgeben konnte. Anhand dieser festgelegten Mengen - regional, national und international - seien dann Umweltzertifikate bis genau zu dieser Obergrenze auszugeben. "Da die Zertifikate an einer Börse gehandelt werden können, kann derjenige, der weniger Verschmutzungsrechte benötigt, sie verkaufen; wer hingegen mehr braucht, muss zukaufen." Damit sollte das Interesse der Unternehmen am Umweltschutz beflügelt werden. "Ein ökonomischer, ein marktwirtschaftlicher Anreiz, glaubte man, sei in der Regel effektiver als das Ordnungsrecht und verlangt zudem weniger Kontrolle", erläutert Fisahn den Hintergrund der Überlegungen. Die Politik setzte auf einen ökologischen Effekt, der ökonomisch am wenigsten belastet, da jedes Unternehmen für sich entscheiden sollte, wie weit es in Umweltschutzmaßnahmen investieren will oder kann. Fortschritte für das Klima sollten dadurch erwachsen, dass jedes Jahr etwas weniger an Verschmutzungsrechten zugestanden wird.


Nationale Interessen vor einheitlichen EU-Regelungen

Mittlerweile aber ist Fisahn wie die meisten Umweltrechtler und Umweltaktivisten desillusioniert. Auch wenn der Emissionshandel auf europäischer Ebene vergleichsweise gut umgesetzt ist, zeigen sich die Schwächen: Zunächst einmal kosteten die Zertifikate bei der Ausgabe nichts. Erst wer nachkaufen musste, zahlte. Und: "Wo früher vielleicht der Autohersteller mit einem Bürgermeister oder Ministerpräsidenten um die Bedingungen für eine Ansiedlung geschachert hat, wird heute auf europäischer Ebene geschachert oder werden nationale Allokationspläne erstellt." Die ursprüngliche Idee, dass die Zertifikate für die Emissionen von Kohlendioxid, Schwefeldioxid oder Stickoxiden zum Beispiel nach der Einwohnerzahl zugeteilt werden könnten, ist dabei längst vergessen.

Dabei hätten wirtschaftlich schwächere Staaten, die ihr Kontingent nicht ausschöpfen, davon profitieren können: indem sie Zertifikate auf den Markt bringen und verkaufen. Mit dem Gewinn hätten sie in moderne, umweltfreundliche Technologien investieren können. Polen und Estland haben zudem bereits geklagt gegen die Vorgaben der EU - und in erster Instanz Recht bekommen. Sie dürfen nun selbst festlegen, wieviele Emissionsrechte sie ihren nationalen Unternehmen zugestehen: Laut EU-Gericht erster Instanz ist jeder Mitgliedsstaat allein zuständig für die Anzahl der Zertifikate und die Zuteilung. Und nicht nur in Zeiten der Krise werden Regierungen sich schwer tun, die eigene Wirtschaft vor den Kopf zu stoßen. "So manche Regierung ist großzügig, um die eigene Industrie zu fördern und ihr Wettbewerbsvorteile zu verschaffen", wertet Fisahn. Das große Ganze, das gemeinsame Ziel, gerät da schon mal aus dem Blick. "Ein Problem ist auch, dass man sich schlicht auf die Angaben der jeweiligen Länder verlassen muss", fügt Fisahn hinzu. Auch Spanien hat in der ersten Handels-Runde von 2004 bis 2008 reichlich Zertifikate ausgegeben. Und andere osteuropäische Länder folgen dem Beispiel Polens und Estlands und wollen klagen.


Verschmutzungsrechte immer günstiger

Ein Effekt: "Die allzu üppige Ausgabe von Zertifikaten führt zu einem Preisverfall. Was einmal 30 Euro gekostet hat, ist heute für einige Cent zu haben." Da ist der unternehmerische Drang, in Umwelttechnologien zu investieren, relativ gering: Man kann ja schließlich billig Verschmutzungsrechte zukaufen. Für Fisahn liegt ein Problem auch darin, dass der Handel mit Zertifikaten ein künstlicher Markt ist und es zudem um vermachtete Märkte gehe. "Es läuft ein Machtpoker ab. Da wird der Markt wieder ausgeschaltet. Die Umweltrechtler waren ja anfangs von dem Emissionshandelssystem begeistert. Bei einer Tagung im vergangenen Jahr aber wurde deutlich, dass die Meinung schon eine andere war. Die Begeisterung ist gekippt."

Derzeit setzt Fisahn wieder stärker auf das Ordnungsrecht. Weil das aber Kontrolleure benötigt, die der Staat kaum hat, plädiert er für die Einbeziehung von Umweltgruppen. "Aktuell ist die Debatte ohnehin tot. Es gilt eher in Zeiten der Wirtschaftskrise: Bloß nicht noch eine Belastung für die Unternehmen." Und so zynisch wie das klinge, bedeuteten fünf Prozent weniger Bruttoinlandsprodukt eben auch fünf Prozent weniger Schadstoffemissionen. Fest steht für ihn jedenfalls, dass das ökonomische Instrument, der Umweltverschmutzung Herr zu werden, nicht gegriffen habe. Ganz hoffnungslos ist der Jurist dennoch nicht: "Gesetze und Normen reiben sich mit der Wirklichkeit. Und dabei initiieren sie langsam Lernprozesse." Wenn es dann noch teurer werde, eine Rechtsnorm nicht zu befolgen, könnte es voran gehen.


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Quelle:
BI.research 37.2010, Seite 42-45
Herausgeber:
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Leitung: Ingo Lohuis (V.i.S.d.P.)
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2011