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POLITIK/546: Sigmar Gabriel zur Änderung der Klimaschutzziele im Bereich alter Kohlekraftwerke (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung - 26.05.2015

Deutscher Bundestag

Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, zur Haltung der Bundesregierung zur Änderung der Klimaschutzziele im Bereich alter Kohlekraftwerke vor dem Deutschen Bundestag am 22. Mai 2015 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!

Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber der Redebeitrag von Herrn Petzold meinte das präzise Gegenteil von dem, was Frau Bulling-Schröter vorher für die Linke gesagt hat. Frau Bulling-Schröter hat gesagt: Ihr macht viel zu wenig Klimaschutz, ihr müsst viel mehr Braunkohlenkraftwerke abschalten. - Herr Petzold, ich kenne Ihre Positionen vor Ort. Vor Ort in der Lausitz und in Brandenburg sind Sie vorneweg beim Kampf für den Erhalt des Braunkohlentagebaus, übrigens aus meiner Sicht aus nachvollziehbaren Gründen. - Ich kann nichts dafür, dass Sie vor mir reden. Sie können gerne nach mir reden. Sie können hier jede Frage an mich stellen. Ich unterbreche meine Rede sofort. Ich komme zu Ihnen in den Ausschuss, wo auch immer Sie mit mir diskutieren wollen. Aber ich kann nicht zulassen, dass Sie immer mit doppelter Zunge sprechen.

Da finde ich die Positionen der Grünen wesentlich konsequenter und klarer. Bei Ihnen ist es so, dass Sie vor Ort immer erklären, dass viel zu viel Klimaschutz betrieben wird, und sich hier im Bundestag Frau Bulling-Schröter hinstellt und sagt: Es muss viel mehr passieren.

Zweitens wollte ich auf ein paar Sachverhalte hinweisen. - Nun laden Sie mich doch ein. Wenn Sie mit mir debattieren wollen, komme ich herzlich gern. Denn ich halte etwas von Volksaufklärung und bin gegen Volksverdummung. - Ich kann schon verstehen, warum Sie unruhig werden.

Die Frage der Grünen bezieht sich auf die Haltung der Bundesregierung zur Änderung der Klimaschutzziele im Bereich der alten Kohlekraftwerke. Die Antwort lautet: Die Haltung hat sich nicht geändert. Es gibt einen Beschluss des Kabinetts vom 3. Dezember 2014, der klar besagt, was wir zusätzlich machen müssen - unter anderem ein Beitrag aus der Stromwirtschaft, 22 Millionen Tonnen CO2 einzusparen -, damit wir das nationale Klimaschutzziel 2020 erreichen.

Jetzt gibt es dazu drei Vorschläge.

Den ersten haben Sie zitiert. Das ist der Vorschlag unseres Hauses zur Einführung eines Klimabeitrags. Es ist überhaupt nicht so, dass sich der Klimabeitrag geändert hat. Einer der Kritikpunkte war, die prognostizierten Strompreise seien zu hoch und deswegen sei der Klimabeitrag zu hoch. Da haben wir gesagt: Das ist doch ganz einfach - wenn, dann. Wenn die Strompreise niedrig sind, kann der Klimabeitrag sinken, steigen die Strompreise, steigt der Klimabeitrag. Das ist ganz logisch. Es gibt überhaupt keine Änderung des Vorschlags.

Es gibt einen zweiten Vorschlag. Wer übrigens glaubt, der Vorschlag habe zum Inhalt, dass Braunkohlenkraftwerke abgeschaltet werden sollen, der lobt zwar den Vorschlag, hat ihn aber nicht gelesen. Genau das ist ja der Streit zwischen den Unternehmen, den Gewerkschaften und uns. Die Unternehmen sagen: Euer Vorschlag führt zu einer Zwangsstilllegung von Braunkohlenkraftwerken. Wir sagen: Das stimmt gar nicht. Wir wollen nur in der Merit Order alte ineffiziente Braunkohlenkraftwerke hinter moderne Steinkohlenkraftwerke schieben und damit etwas weniger laufen lassen. Das ist eigentlich der Vorschlag. Wir wollen gar nicht abschalten. Dazu sagen aber die Unternehmen: Das führt zu einer Zwangsabschaltung. Das hat sofort Arbeitsplatzverluste und Strukturabbrüche zur Folge und keinen Strukturwandel.

Ich habe die Debattenbeiträge von Frau Höhn und von Herrn Krischer immer so verstanden, dass sie wissen, dass man Strukturwandel begleiten muss. Ich habe die Grünen nie so verstanden, dass ihnen dieses Argument egal ist.

Ich finde, es ist doch ganz logisch, dass man dem Argument nachgehen muss. Man kann nicht einfach dickfellig sagen: "Jetzt haben wir einen Vorschlag gemacht, unsere Gutachter sagen, dass das alles kein Problem ist", und wenn die Unternehmen und die Gewerkschaften sagen: "Doch, das ist ein Riesenproblem", antworten, dass uns das nicht interessiert. Vielmehr müssen wir diesem Argument der Unternehmen und der Gewerkschaften nachgehen. Das geht doch gar nicht anders. Das machen wir auch. Es gibt zwei Alternativvorschläge dazu.

Der erste Vorschlag ist - das wird auch von Ihnen vertreten -, die Kraft-Wärme-Kopplung kräftig auszubauen; das sei effizient und gut. Dabei gibt es ein Problem: Der Zubau neuer Kraftwerke auf einem Markt mit Überkapazitäten führt nicht zur CO2-Reduktion. Es führt vielmehr zu dessen Anstieg und zu einer Zunahme der Stromexporte. Das ist das Problem bei diesem Vorschlag. Deswegen sind wir dafür, das anders zu machen: Wir wollen alte und ineffiziente Steinkohlen-KWK-Kraftwerke stilllegen und stattdessen moderne Gas-KWK-Kraftwerke bauen. Das wollen wir bezuschussen. Das führt übrigens zu deutlich höheren KWK-Umlagen. Das wird uns allen wiederbegegnen, wenn uns der Mittelstand fragt, warum die Abgaben steigen. - Dazu komme ich gleich. Ich will nicht weg von der Braunkohle. So einfach will ich es Ihnen nicht machen, Herr Krischer, dass ich dazu nichts sage.

Was KWK angeht, muss man wissen, dass man auf einem Markt mit Überkapazitäten nicht einfach weitere Kraftwerke bauen kann, sondern es geht um die Stilllegung alter Steinkohlen-KWK- Kraftwerke. Sie haben, glaube ich, gesagt, Sie glauben nicht, dass das möglich ist. Fahren Sie doch einmal nach Kiel! Das ist das beste Beispiel dafür. Das Modell Kiel steht dafür Pate.

Das geht nicht unbegrenzt. Ich glaube, dass wir damit mindestens vier Millionen Tonnen CO2 einsparen können. Damit wird die Steinkohle einen nicht unerheblichen Beitrag leisten. Ich glaube, dass das sinnvoll ist. Darüber hinaus wird es, glaube ich, schwierig. Die industrielle KWK kann man sicherlich auch noch ausbauen. Es ist nicht so, dass man gar nichts machen kann.

Sie haben die Stadtwerke angesprochen, Frau Bulling-Schröter. Was wollen wir machen, um die Stadtwerke zu retten? Ich habe es schon zweimal gesagt: Wir wollen den Bestand an KWK fördern. Das haben wir in den Papieren und Vorschlägen festgehalten. Eine Bestandsförderung gibt es nämlich bisher nicht. Wir wollen gasbetriebene KWK fördern. Deswegen haben die Stadtwerke unseren Vorschlag gelobt. Genau deswegen haben sie ihn als guten Vorschlag bezeichnet.

Jetzt komme ich zu dem dritten Teil des Alternativvorschlags, der lautet - ich übersetze das einmal -: Verzichtet auf den Klimabeitrag! Legt die Braunkohlekraftwerke schrittweise still! Das ist eigentlich das, was die Grünen immer wollten. Wir werden sehen, ob das möglich ist. Ich kann das noch nicht beantworten.

Festzustellen ist aber: Am 24. November des vergangenen Jahres habe ich die EVUs, auch den BDEW, eingeladen. Ich habe ihnen mitgeteilt, dass wir ein Problem haben und 22 Millionen Tonnen zusätzlich einsparen müssen, und ein Gespräch über mögliche Maßnahmen vorgeschlagen. Die Antwort der EVUs, an der Spitze der BDEW, war: Wir wollen nicht mit Ihnen darüber reden. - Es gab eine Verweigerungshaltung der Branche.

Dann haben wir vorgeschlagen, dass sie Alternativen vorlegen, damit wir darüber reden können. Daraufhin ist monatelang nichts passiert. Jetzt liegt seit ungefähr einer Woche ein Alternativvorschlag vor, der von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie vorgetragen wurde. Das halte ich für einen Riesenfortschritt. Übrigens war die IG BCE, anders als die Unternehmen, immer gesprächsbereit. Es ist wirklich nicht fair, wie Sie von der Linkspartei manchmal über sie reden. Die IG BCE hat von Anfang an gesagt: "Wir haben Angst um die Jobs und vor Strukturbrüchen, aber wir wissen, dass wir das Klimaschutzziel erreichen müssen" und vorgeschlagen, über Alternativen zu sprechen. Vorhin haben Sie die Gewerkschaften verteidigt. Ich wäre an Ihrer Stelle ein bisschen vorsichtig und würde mich erst einmal fragen, ob die Reden von vor zwei Stunden noch mit dem übereinstimmen, was jetzt gesagt wird. - Hören Sie auf! Ich bin wahrscheinlich schon länger in der IG Metall, als Sie zurückdenken können. Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich über Gewerkschaften spreche. Ich hätte zumindest zu dem Tarifeinheitsgesetz heute Morgen gerne etwas gesagt. Das erspare ich mir jetzt. - Nein, die IG Metall ist im Gegensatz zu Herrn Ernst für das Tarifeinheitsgesetz.

Die IG BCE schlägt also vor, zu überlegen, wie wir zu einer schrittweisen Stilllegung von Kraftwerken kommen, damit die Last nicht auf allen Kraftwerken liegt. Das ist ihr Argument. Ich finde, wir müssen jetzt prüfen, ob das möglich ist. Aber es ist doch ein Riesenfortschritt, dass wir inzwischen nicht mehr über die Frage reden, ob wir das erreichen können, sondern dass alle sagen: Ja, wir müssen es erreichen. - Ich finde, das ist aller Ehren wert. Es ist nichts vom Tisch genommen worden, sondern Gott sei Dank etwas hinzugekommen.

Mein Angebot ist: Lassen Sie uns im Ausschuss über diese Fragen reden und sie substanziell prüfen. Denn ich glaube, dass alle Vorschläge Vor- und Nachteile haben. Ich halte nach wie vor den bei uns entwickelten Vorschlag für den volkswirtschaftlich günstigsten. Ich glaube, dass die Vorschläge, die jetzt dazukommen, am Ende teurer werden. Aber wenn es mehr kostet, Strukturbrüche zu vermeiden und das gleiche Ziel zu erreichen, dann bin ich auch bereit, das mitzutragen.

Wenn alle der Meinung sind - Frau Höhn hat das auch gesagt -: Deutschland muss Initiative zeigen, damit andere mitmachen, dann ist dieses Argument richtig. Es geht schließlich nicht darum, ob wir mit 40 Prozent CO2-Einsparung die Welt retten, sondern darum, zu zeigen: Ambitionierter Klimaschutz ist mit dem volkswirtschaftlichen Wohl vereinbar.

Ich glaube, es gehört auch dazu, dass man Strukturbrüche vermeiden muss. Noch einmal: Ich habe immer gesagt, dass ich glaube, dass wir gar nicht stilllegen müssen. Die Politik darf aber nicht so arrogant sein, zu sagen: Wir wissen alles besser als die Unternehmen, die Gewerkschaften und die Betriebsräte. - Ich glaube, dass wir denen zuhören müssen. Wenn die einen Vorschlag machen, mit dem dasselbe Ziel erreicht werden kann, der Vorschlag aber möglicherweise mit höheren Kosten verbunden ist, dann muss man die Vermeidung von Strukturbrüchen und die Begleitung des Strukturwandels gegen die möglicherweise höheren Kosten abwägen. Noch einmal: Es ist nichts vom Tisch, sondern es ist etwas Neues auf den Tisch gekommen. Ich bin der IG BCE sehr dankbar dafür. Die hat dafür gesorgt, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Die Unternehmen hatten sich nämlich verweigert.

Wenn Sie, Frau Höhn, befürchten, dass wir am Ende einen pflaumenweichen Vorschlag machen, der keine Substanz hat, und dass wir uns durchmogeln, dann sage ich Ihnen: Lügen haben kurze Beine. Das bringt gar nichts. Das ist nicht mein Ziel, auch nicht das Ziel der Kanzlerin.

Meine Bitte ist: Lassen Sie uns einfach im Ausschuss weiter reden oder eine Debatte hier oder wo immer Sie wollen, führen, um zu überprüfen, welcher dieser Vorschläge, die es jetzt gibt, welche Konsequenzen hat. Ich bin sicher, dass wir noch Bundestagsreden halten werden, in denen wir versuchen werden, zu zeigen, dass wir unterschiedlicher Meinung sind; aber es könnte sein, dass wir außerhalb des Plenarsaals sagen: Das ist ganz gut, wie wir das miteinander machen.

Hier im Raum sitzen doch in Wahrheit die Abgeordneten des Bundestages, die an dem Ziel Klimaschutz ein Rieseninteresse haben und die sich, solange ich das verfolge - das sind nun auch schon einige Jahre; seit 2005 tue ich das -, immer dafür eingesetzt haben - ich denke an Herrn Jung und andere -, solche Ziele zu erreichen. Lassen Sie uns also nicht so tun, als wären wir ganz weit voneinander entfernt. Es geht eigentlich um die richtigen Instrumente. Ich finde es eine schöne Entwicklung, dass wir jetzt nicht nur einen, sondern drei Vorschläge haben. Jetzt wollen wir einmal schauen, wie wir damit umgehen. Ich finde, man kann eigentlich ganz entspannt in die Pfingstpause gehen.

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Quelle:
Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel,
zur Haltung der Bundesregierung zur Änderung der Klimaschutzziele im
Bereich alter Kohlekraftwerke vor dem Deutschen Bundestag am 22. Mai
2015 in Berlin:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2015

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