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TECHNIK/089: Unheil aus dem Untergrund - Protest gegen CO2-Endlagerung ist notwendig (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 157 - August/September 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Unsichtbares Unheil aus dem Untergrund!
Protest gegen die CO2-Endlagerung in Brandenburg ist notwendig

Von René Schuster


Kohlendioxid abscheiden und unterirdisch verpressen (CCS-Technologie) wird derzeit überall diskutiert. Nein, "verpressen" ist kein Kampfbegriff, sondern bezeichnet relativ wertfrei den technischen Vorgang. Der Befürworter spricht in der Regel von "speichern", der Kritiker (zu Recht) von "Endlagerung". Die zwangsläufige Assoziation zum Atommüll mag man unfair finden, das Anliegen ist aber nun mal, das Gas möglichst für immer los zu sein.


CCS und Energiebedarf

Dass durch Wirkungsgradverluste von 8-12 Prozentpunkten die Menge der zu verbrennenden Kohle um bis zu ein Drittel steigen kann, ist ein inzwischen sehr bekanntes Argument. Für dieselbe Strommenge muss dann bei uns mehr Landschaft samt ihrer Dörfer, Naturschutzgebiete und Grundwasserleiter umgewühlt werden.

Christoph Vinz titulierte im RABEN RALF (April/Mai 2010) alle CCS-Kritiker als "Schlaumeier" und "selbsternannte Experten". Wenig später erschien die Stellungnahme Nr. 15 des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) mit dem Titel "100 Prozent erneuerbare Stromversorgung bis 2050: klimaverträglich, sicher, bezahlbar". Seine Botschaft: "Weder eine Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken noch der Bau neuer Kohlekraftwerke mit Kohlendioxidabscheidung und -speicherung sind notwendig". Man kann jedes Energieszenario kontrovers diskutieren, der SRU jedenfalls wurde von der Bundesregierung als Expertengremium berufen. Auch den engagierten Äußerungen des Institutes für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) sollte man die Sachkenntnis nicht absprechen. Das Umweltbundesamt hat darauf verwiesen, dass bei Ausbau der erneuerbaren Energien immer weniger fossile Grundlast-, sondern vorrangig Mittel- und Spitzenlastkraftwerke gebraucht werden, um das Stromnetz bedarfsgerecht zu regeln. Es äußert Zweifel, ob CCS dafür geeignet ist.(*) Vereinfacht gesagt: wer an einen Dampfkessel vorn die Luftzerlegung und hinten die CO2-Verflüssigung anfügt, erhält eine Mischung aus Kraftwerk und Chemiefabrik. Da wird Hoch- und Runterfahren nicht eben einfacher.


CCS als Feigenblatt - drei Beispiele

Neue Tagebaue soll es nur für klimafreundliche Kohlenutzung (= CCS) geben, betonte die brandenburgische Regierung in den Jahren 2007/08 unablässig. Juristisch verbindlich ist das bis heute nirgends. Fakt ist, dass von drei derzeit laufenden Braunkohlenplanverfahren in der Lausitz zwei ganz sicher nicht für CCS-, sondern für die herkömmliche "Klimakiller"- Verstromung vorgesehen sind. Der Tagebau Welzow-Süd II wird einfach (juristisch absurd) nicht als neues Tagebauvorhaben deklariert. Die ebenfalls beantragte Erweiterung des Tagebaus Nochten liegt schon in Sachsen. Vattenfall aber denkt nicht in Landesgrenzen und betreibt eine Kohleverbindungsbahn, mit der die Kohle auch über die nahe Landesgrenze nach Schwarze Pumpe gefahren werden soll. Insgesamt 2.700 Menschen will Vattenfall also noch für die Versorgung extrem klimaschädlicher Braunkohlenkraftwerke umsiedeln. Falls das dem Leser nicht so bekannt war, dann funktioniert CCS als Feigenblatt hervorragend.

Nur beim Kraftwerk Jänschwalde wird die CCS-Technologie derzeit konkret und ernsthaft diskutiert. Doch auch hier nicht ohne Feigenblatt-Wirkung: wie lange die alten Blöcke (zweithöchster spezifischer CO2-Ausstoß Deutschlands!) weiterlaufen, wird mit der CCS-Debatte gezielt ausgeblendet. Vattenfall will die ursprünglich um 2020 geplante Außerbetriebnahme der alten Kraftwerksblöcke massiv verzögern und je mehr die Menschen beim Wort Jänschwalde an CCS denken, umso besser kann man davon ablenken.

Seit dem Jahreswechsel 2009/10 ging es für Vattenfall mit den Protesten der CCS-Gegner in Beeskow und Neutrebbin etwas nach hinten los. Nun verbreitet sich eine neue Variante des Feigenblattes: Immer öfter wird auf die Möglichkeit verwiesen, dass die Stahloder Zementindustrie CCS benötigen könnten. Das ist in langfristigen Klimaszenarien sicher diskussionswürdig. Doch in der Praxis sind Kohlekraftwerke die einzigen, die CCS-Projekte in Brandenburg vorantreiben. Solange der Antragsteller Vattenfall heißt und die Demonstrationsanlage in Jänschwalde stehen soll, ist die CCS-Debatte eine Braunkohledebatte. Alles andere wäre politischer Betrug.


CCS und Wasser

Die norddeutsche Wasserwirtschaft verweist in einem Positionspapier vom April auf das wohl wahrscheinlichste Risiko der CO2-Verpressung: der Aufstieg stark salzhaltigen Wassers in die darüberliegenden Trinkwasserreserven. Grundwasserschützer in Brandenburg waren auch ohne CCS schon sensibilisiert für dieses Thema, weil Probebohrungen aller Art den märkischen Untergrund durchlöchern. Nun sollen aber noch viele Millionen Kubikmeter Gas ins Salzwasser gepresst werden. Die Parallele zum Atommülllager Asse besteht nicht nur in den fast wortgleichen (nur eben Jahrzehnte auseinander liegenden) "Alles-ist-sicher-Sprüchen" finanziell abhängiger Wissenschaftler und Beamter, sondern vor allem in einem Phänomen: Wasser im Untergrund kann sich auch bewegen!

Während die Risiken der CO2-Verpressung zunehmend bekannt werden, bleibt weitgehend unbeachtet, dass auch der Wasserverbrauch der Kraftwerke massiv steigen würde. Eine Umrüstung von Teilen des Kraftwerkes Jänschwalde zur Abscheidung von nur zwei bis drei Millionen Jahrestonnen CO2 (Demonstrationsanlage) würde bereits 2,3 Millionen Kubikmeter Rohwasser pro Jahr mehr verbrauchen. Die Unterlagen, die Vattenfall Anfang des Jahres vorlegte, begründen das mit dem "Ausgleich erhöhter Verdunstung (...) wegen der größeren Bruttoleistung zur Deckung des höheren Energieeigenbedarfes".(**) Für jede abgeschiedene Tonne CO2 benötigt CCS also fast einen Kubikmeter Wasser zusätzlich! Diese Menge entspricht dem durchschnittlichen Wasserverbrauch von etwa 56 000 Personen in Deutschland (127 Liter pro Person und Tag). Der größte Teil geht über die Kühltürme in die Atmosphäre und ist für Grund- und Oberflächenwasser der Region verloren. Angesichts der zurückgehenden Durchflüsse in der Spree wäre das Gegenteil dringend nötig: eine Verringerung der Kühlturmverluste in den Lausitzer Kraftwerken. Der Berliner stelle sich nun das gesamte Kraftwerk Jänschwalde (rund 25 Millionen Jahrestonnen CO2) auf CCS-Basis vor und vergesse dabei nicht, dass auch sein Trinkwasser aus Uferfiltrat der Spree stammt.


CCS und Demokratie

Mit der Bekanntgabe der CO2-Endlagerstandorte wartete Vattenfall zunächst einmal ab, bis die Eintragungsfrist zum Volksbegehren gegen neue Braunkohletagebaue in Brandenburg am 9. Februar 2009 endete. Im März 2009 erfuhren die Bewohner der Regionen um Beeskow und Neutrebbin dann, dass der Abfall aus der zu fördernden Kohle unter ihren Füßen verpresst werden soll. Während einer demokratischen Abstimmungsmöglichkeit über die Energiepolitik des Landes war ihnen also das Wissen über ihre Betroffenheit gezielt vorenthalten worden. Das trug dazu bei, dass die erforderliche Unterschriftenzahl nicht erreicht wurde. Ein Vorgang, der jeden Demokraten nachdenklich stimmen sollte.


CCS und Ideologie

Befürworter dieser Technologie geben gern vor, ideologiefrei zu handeln. Tatsächlich ist CCS selbst Ideologie in Reinform: die des weiter-so und des "Geo-Engineering", also der Glaube, man könne Eingriffe in die Stoffkreisläufe unseres Planeten durch noch mehr Eingriffe beherrschbar machen. Auch der Glaube an die Unabänderlichkeit prognostizierter Energieverbräuche ist selbstverständlich eine Ideologie, weil die Grundannahmen jedes Energieszenarios (Wirtschaftswachstum, Konsum usw.) auf einem gesellschaftlichen Wertegefüge beruhen. Ich habe in fünfzehn Jahren keinen einzigen Menschen getroffen, der Energiepolitik wertfrei diskutiert hätte. Wer das behauptet, betrügt oft genug auch sich selbst.


Wissenschaftliche Theorie und politische Praxis

Der Projektleiter der Verpressungsversuche in Ketzin sagte 2007 in Cottbus in einer öffentlichen Diskussionsrunde, dass vor 2020 keine verlässlichen Ergebnisse zur Speichersicherheit erwartet werden. Doch 2015 soll eine Demonstrationsanlage beginnen, mehrere Millionen Tonnen CO2 unter Beeskow oder Neutrebbin zu verpressen. Und gleichzeitig sollen die Planverfahren zu drei neuen Braunkohletagebauen entschieden sein, weil Kohle jetzt angeblich so klimafreundlich ist. Gegen solchen Betrug ist Widerstand in Brandenburg dringend nötig, Unterstützung aus Berlin allemal auch.

Dipl.-Ing. (FH) René Schuster
GRÜNE LIGA
Umweltgruppe Cottbus


(*) Umweltbundesamt: Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Climate Change 13/2009
(**) Scoping-Unterlage für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren

www.lausitzer-braunkohle.de
www.ccs-protest.de


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 157, August/September 2010, S. 14
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2010