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TEXTILIEN/030: Hauptsache billig! (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 173 - April/Mai 2013
Die Berliner Umweltzeitung

Hauptsache billig!
Textilherstellung in Zeiten der Globalisierung

von Moritz Zackariat



Wer sich heutzutage in einem gewöhnlichen Bekleidungsgeschäft mal das Etikett eines beliebigen Kleidungsstücks ansieht, der sieht in den meisten Fällen, dass die Ware in einem Land in Asien hergestellt wird. Allerdings ist es ein Trugschluss zu denken, die Ware würde in einer Fabrik oder zumindest in einem Land produziert. Bevor die Kleidung bei uns in Deutschland im Geschäft landet, hat sie schon eine halbe Weltreise hinter sich. Die Kleidung mit dem Siegel "Made in Germany" beschränkt sich auf einem Anteil von unter fünf Prozent. Und selbst das bedeutet nicht, dass die Ware vollständig hierzulande produziert wurde. Allein das Annähen vom Etikett in Deutschland reicht aus, um dieses mit "Made in Germany" zu verzieren. Es ist für den Kunden also fast unmöglich zu prüfen, ob an dem Produkt Schweiß und Tränen der Arbeiter kleben und wo genau die Produktion stattfand. In den Fabriken arbeiten die Menschen unter unwürdigsten Zuständen. Selbst mit einem hohen Preis lässt sich das Gewissen nicht reinwaschen. "Teure Markenprodukte bieten keine Garantie, dass die Firmen faire Löhne zahlen. Die Markenfirmen schöpfen rund ein Drittel des Endpreises ab. Die Näherin vor Ort erhält davon nur 0,4 Prozent", sagt Evelyn Bahn von Inkota, einer Trägerorganisation der europaweiten Schutzkampagne Clean Clothes Campaign (CCC) - zu Deutsch: "Kampagne für saubere Kleidung".

Die Weltreise

An dem Weg einer handelsüblichen Jeans, von der Baumwollplantage bis ins deutsche Geschäft, ist der Irrsinn unseres Konsumverhaltens zu sehen, mit all' den weitreichenden Folgen für Menschen und Umwelt. Die Reise beginnt in Kasachstan, wo die Baumwolle mit großem Pestizideinsatz auf Plantagen angebaut und dann meist per Hand und ohne Schutzkleidung geerntet wird. Sie wird weiter in die Türkei geschickt, wo die Baumwolle in Spinnereien zu Garn verarbeitet wird. Aus dem Garn wird dann in Taiwan der Jeansstoff hergestellt. Dann wird in Tunesien mit der in Polen hergestellten chemischen Indigofarbe der Jeansstoff eingefärbt. Nun kommt der Stoff das erste Mal nach Europa, dort wird in Bulgarien der Stoff weich und knitterarm gemacht, um dann direkt weiter nach China gesandt zu werden. Hier wird die Jeans zusammengenäht, mit Knöpfen und Nieten aus Italien und Futterstoff aus der Schweiz. Im vorletzten Schritt der Reise wird sie in Frankreich beispielsweise mit Bimsstein aus Griechenland gewaschen, wodurch sie den "Stone-washed-Effekt" erhält. Erst jetzt kommt die fertige Jeans nach Deutschland, wo sie dann unter die Leute gebracht wird. Dieser Weg war exemplarisch, da sich durch den Preisdruck in der globalisierten Welt die Produktionsstätten ständig in billigere Gegenden der Erde verschieben. Aber nach diesem Modell hat die Jeans gut 56.000 Kilometer Transportweg auf dem Buckel, bevor sie in Deutschland im Geschäft liegt. Nur um sich die Strecke mal bewusst zu machen, eine Weltumrundung beträgt circa 40.000 Kilometer!

Folgen für die Umwelt

Die weite Transportstrecke schlägt sich natürlich sehr negativ auf unser globales Ökosystem nieder. Wegen dem Preisdruck wird am Umweltschutz massiv gespart. Die Baumwollplantagen benötigen gewaltige Mengen an Wasser für die veralteten und uneffektiven Bewässerungssysteme, und die vielen Pestizide, die zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden, vergiften Böden, Grundwasser und Luft. Des Weiteren sind die Flüsse in der Nähe der Färbereien meist tot, da dort überschüssige und ausgewaschene Reste der giftigen Farbstoffe eingeleitet werden.

Folgen für die Menschen

Genauso wie am Umweltschutz gespart wird, spielt auch der Arbeitnehmerschutz wenig bis gar keine Rolle. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation gibt es jedes Jahr bis zu 500.000 Vergiftungsfälle durch Pestizide in der Baumwollherstellung mit etwa 20.000 Todesopfern, unter ihnen viele Kinder. Die Skandale der letzten Zeit zeigen wie es in den Nähereien auf asiatischem Boden aussieht. Der Brand in einer Bangladescher Näherei verursachte ein großes Medienecho und brachte brisante Details an die Öffentlichkeit. Fehlende Feuerlöscher, versperrte Fluchtwege, mangelnde Luftzirkulation und unzureichendes Licht kosteten 110 Fabrikarbeitern das Leben und sagt auch schon etwas über die Arbeitsbedingungen aus. Dazu fehlt es in dieser Branche an Organisationsfreiheit für Gewerkschaften, Überstunden werden erzwungen, die Aufseher drangsalieren ihre Arbeiter, der Lohn wird zurückgehalten und Krankheits- bzw. Mutterschaftsurlaub nicht gewährt. Doch den Menschen am Existenzminimum bleibt nichts anderes übrig, als diese Tortur mitzumachen um zu überleben. Umgerechnet circa 30 Euro verdient ein Textilarbeiter in Bangladesch.

Wo landet das Geld?

Dass eine Jeans hier im Geschäft, trotz der beschriebenen, billigen Herstellung häufig nicht ganz preiswert zu erwerben ist, liegt an der nüchtern betrachtet unverhältnismäßigen Verteilung der Kosten. Zerstückelt man diese prozentual kommen folgende Werte raus: 1 % des Jeanspreises geht an die Arbeiter/-innen in der Produktion, die Materialkosten belaufen sich auf 13 %, die Transportkosten plus Gebühren wie Zoll machen 11 % aus, die Marken nimmt in der Regel 25 % für Werbung, Forschung, Entwicklung und Design ein und die restlichen 50 % gehen an den Einzelhandel, der zwar Kosten für Verkaufspersonal, Ladenmiete und Verwaltung decken muss, aber auch eine große Gewinnspanne für sich einrechnet.

Alternativen

Organisationen wie beispielsweise die Clean Clothes Campaign (CCC) machen mit ihrer Arbeit auf die Missstände aufmerksam. Doch auch jeder Einzelne kann etwas dagegen tun. Schritt eins wäre weniger, aber dafür ausgewählter Konsum. Qualitativ hochwertige Ware hält erfahrungsgemäß länger als Discountprodukte, und man muss somit nicht so häufig neu einkaufen. Zudem gibt es immer mehr Second-Hand-Läden, bei dem man gute, schon produzierte Ware erwerben kann. Beide Schritte schonen die Ressourcen. Zudem gibt es im Internet vermehrt Shops, die Fair produzierte Ware anbieten. Hier ist allerdings genauere Recherche vonnöten, da man sich auf die Siegel in der Regel nicht verlassen kann. Und da man für fair produzierte Ware meistens etwas mehr bezahlt, sollte man schon hinterfragen, ob am Ende doch nicht wieder der Einzelhandel und Marke gewinnt und der Rest verliert.

Weitere Informationen: www.sauberekleidung.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Ein "günstiger" Textilarbeiter

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 173 - April/Mai 2013, S. 10
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2013