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TEXTILIEN/034: Kleidung - ökologisch, gesund und fair (Securvital)


Securvital 1/2019 - Januar-März
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Kleidung
Ökologisch, gesund und fair

von Norbert Schnorbach


Bei Lebensmitteln legen die Verbraucher immer mehr Wert auf Bio-Qualität. Doch bei Textilien wird bislang weniger beachtet, ob sie auch fair und ökologisch produziert sind. Vielleicht ändert sich das bald. Es gibt immer bessere Gründe für gesunde Öko-Kleidung.


Nach jahrelanger Vorbereitung soll nun im Jahr 2019 der "Grüne Knopf" starten, ein Gütezeichen für nachhaltig hergestellte Kleidung. Ähnlich wie das bekannte Bio-Sechseck für Lebensmittel oder das Umweltsiegel "Blauer Engel" soll der Grüne Knopf bei Textilien besondere Qualität signalisieren. "Er wird das erste staatliche Siegel dieser Art sein", hat Entwicklungshilfeminister Gerd Müller verkündet. "Wer Kleidung mit dem Grünen Knopf kauft, kann sich zu 100 Prozent sicher sein, dass sie fair und nachhaltig produziert wurde. Das garantiert unser Ministerium."

"Jeder muss schon im Bekleidungsgeschäft erkennen können, ob ein T-Shirt fair produziert wurde."
Entwicklungshilfeminister Gerd Müller

Die Idee vom Grünen Knopf könnte für viele Verbraucher hilfreich sein, die beim Kleiderkauf auf gesunde Materialien und soziale Kriterien bei der Herstellung achten, zum Beispiel bei den Arbeitsbedingungen der Näherinnen in Asien. Die Nachfrage steigt ähnlich wie bei Produkten mit Bio- und Fairtrade-Siegeln. Und es gibt auch immer mehr engagierte Hersteller, unabhängige Mode-Labels und alternative Anbieter, die ihren Kunden eine vertrauenswürdige ökologische und soziale Qualität beim Kleiderkauf bieten wollen.

Mehr Bio-Baumwolle

"Faire Kleidung wird den Bio-Boom noch überholen, da bin ich ganz sicher", meint Entwicklungshilfeminister Müller. "Die Verbraucher legen immer stärker darauf Wert, dass ihre Kleidung unter menschenwürdigen Bedingungen produziert wurde." Er hofft, mit dem Grünen Knopf große Ziele zu verwirklichen: mehr Bio-Baumwolle, weniger Pestizide und Chemikalien, höhere Mindestlöhne für die Näherinnen.

Die Realität auf den Baumwollfeldern und in den asiatischen Nähfabriken ist davon weit entfernt. Die Textilwirtschaft gilt als eine der schmutzigsten Branchen der Welt. Beim Färben und Bearbeiten werden die Textilstoffe mit vielen verschiedenen Chemikalien behandelt. Und die Arbeitsbedingungen in den Nähfabriken in Indien, Bangladesch, Kambodscha und anderen Billiglohnländern sind skandalös und ausbeuterisch.

Diese "sklavenähnlichen Zustände", so Experten für Entwicklungshilfe, sind die bittere Realität hinter den Lockangeboten von Zara, KiK, Primark, H&M und anderen Firmen, die "Fast Fashion" vermarkten. Immer schneller wechselnde Verkaufstrends und härtere Preiskämpfe senken die ökologischen und sozialen Standards bei der Herstellung. "Mode ist zum Wegwerfartikel verkommen", sagt die Buchautorin Kirsten Brodde ("Einfach anziehend"). Das gehe zu Lasten der Umwelt und auch der Gesundheit, weil die Textilindustrie große Mengen giftiger Stoffe verwende.

Für mehr Nachhaltigkeit in der Modewelt braucht es klare politische Vorgaben für die Textilwirtschaft, fordern Verbraucherschützer. Der grüne Knopf verdiene seinen Namen nicht. Er sei wenig mehr als ein grünes Feigenblatt für die Textilfirmen: Die ökologischen Anforderungen seien zu schwach und die Kontrollen bei der Verarbeitung zu lasch, meint die "Kampagne für saubere Kleidung", ein Bündnis von sozial engagierten Organisationen. Bessere Gütezeichen für saubere Kleidung gebe es längst, spielsweise GOTS, Öko-Tex und Fairwear.

Neue grüne Masche

In der Modebranche wächst die Erkenntnis, dass ökologische und faire Kleidung "gar nicht mehr das Nischenprodukt ist, das sie lange war", stellte die "Wirtschaftswoche" kürzlich fest. Das Angebot an grüner Mode werde immer vielfältiger. Neben traditionell grünen Marken wie Hessnatur, Grüne Erde oder Maas Natur haben immer mehr aufstrebende junge Unternehmen Erfolg auf dem Markt für grüne Mode, Beispiel "ArmedAngels", "glore Green Fashion Store" oder "Greenality", das bei einem Vergleich auf der Onlineplattform utopia.de als bestes Modelabel für faire Kleidung ausgezeichnet wurde.

Hinzu kommen zahlreiche kleine Hersteller und sogenannte Concept Stores mit ausgewählter Ökokleidung, die es mittlerweile in vielen Städten gibt. Eine Übersicht dazu bietet der Verein "Get Changed" auf www.getchanged.net an. "Das deutsche Publikum ist bereit für den Wandel", meint die Designerin Arianna Nicoletti vom Verein "Future Fashion Forward", einem Bündnis für nachhaltige Textilien.

Auch die Verbraucherzentralen raten zu ökologischer und sozialverträglicher Mode nach dem Motto "Kleidung leihen statt kaufen". Besonders einleuchtend ist das zum Beispiel bei Umstandskleidung und Babywäsche oder auch bei eleganter Abendgarderobe, die häufig nur für begrenzte Zeit oder besondere Anlässe benötigt wird.

Secondhand-Nutzung

"Sharing-Plattformen, Kleidertauschpartys oder Secondhand-Shopping sind gute Möglichkeiten, um den Modekonsum nachhaltiger zu machen", meint die Verbraucherzentrale Hamburg. Die Angebote zum Tauschen, Verleihen und Verkaufen sind auffallend erfolgreich. Zum Beispiel hat Kleiderkreisel.de seit der Gründung vor zehn Jahren allein in Deutschland über fünf Millionen Nutzer gewonnen.

Der internationale Secondhand-Anbieter Zadaa, gerade erst vor drei Jahren ins Leben gerufen, will zum Jahresende auch schon eine Million Nutzer in Deutschland haben. Sie bringen Verkäufer und Käufer direkt miteinander in Kontakt und wollen auf diese Weise "die Kleiderschränke vernetzen".

Große Unternehmen ziehen nach. Bei Tchibo können die Kunden jetzt Baby- und Kinderkleidung mieten statt sie zu kaufen. Sind die Kinder größer, werden die Kleidungsstücke zurückgeschickt, gereinigt, aufbereitet und an die nächste Familie versandt. Andere Großunternehmen, auch Fast-Fashion-Konzerne, können sich dem Trend zur Nachhaltigkeit nicht verschließen und steigen zumindest in kleinen Schritten auf Biobaumwolle und schadstoffgeprüfte Produkte um.

Einen Teil dieses grünen Trends kann sich die Umweltorganisation Greenpeace auf die Fahnen schreiben. Sie hat vor einem knappen Jahrzehnt eine internationale Kampagne für mehr Umweltschutz in der Textilproduktion unter dem Namen "Detox" gestartet und ebenso hartnäckig wie öffentlichkeitswirksam die Textilkonzerne unter Druck gesetzt. Dies ist nach den Worten der Buchautorin Heike Holdinghausen "wahrscheinlich eine der erfolgreichsten Umweltkampagnen überhaupt".

Verzicht auf Chemie

"Die Entgiftung in der Textilindustrie hat in den vergangenen sieben Jahren große Fortschritte gemacht", bilanziert Greenpeace. Der Sportartikelhersteller Puma habe sich 2011 als erstes Unternehmen verpflichtet, auf eine Reihe von giftigen Substanzen zu verzichten. Mittlerweile haben 80 nationale und internationale Unternehmen auf Druck der Detox-Kampagne die Verpflichtung unterzeichnet, stellte Greenpeace fest. Sie repräsentierten zusammen bereits 15 Prozent der globalen Textilproduktion. "Dieser Trend ist unumkehrbar: Je mehr Lieferanten mitziehen, umso weniger Mitbewerber können es sich leisten, nicht mitzumachen."

Ob der positive Trend zu mehr Umweltschutz und Sozialverantwortung bei Textilien langfristig ist, hängt nicht nur von den Konzernen, sondern auch von der Verantwortung der Kunden und Verbraucher ab. "Wenn die Branche das Vertrauen der Kunden erhalten will, muss sie nachhaltiger produzieren", meint die Buchautorin Heike Holdinghausen ("Dreimal anziehen, weg damit"). Aber auch die Kunden sollten bewusster einkaufen - statt Kaufrausch und Shopping-Event lieber weniger Verschwendung und mehr Nachhaltigkeit.

Dass das nicht nur gut für die Umwelt ist, sondern auch für die eigene Gesundheit, zeigt der Gebrauchshinweis "Vor dem ersten Tragen waschen". Nicht nur, weil bunte oder dunkle Stoffe abfärben, sondern weil sie noch jede Menge Schadstoffe enthalten. Chemikalien, die für "knitterfreie" oder "antimikrobielle" Textilien oder zum Färben eingesetzt werden, können der Gesundheit schaden und zum Beispiel Allergien oder hormonelle Veränderungen auslösen. Viele Kleidungsstücke aus konventioneller Produktion haben ein unsichtbares "schmutziges Geheimnis", warnt Kirsten Brodde.

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DIE KEHRSEITE DER MODEWELT

"In vielen Textilfabriken werden Chemikalien eingesetzt, die schwere Krankheiten auslösen können - trotzdem steht den Angestellten oft keine entsprechende Schutzkleidung zur Verfügung. Gesundheitsgefährdend ist beispielsweise das Sandstrahlen von Jeans, die einen 'Used-Look' bekommen sollen. Die Sandstrahltechnik bedeutet für die Arbeiter ein hohes Risiko, an einer lebensbedrohenden Staublunge (Silikose) zu erkranken. Auf Baumwollfeldern werden Pestizide oft per Hand oder von Flugzeugen auf die Felder gesprüht, während dort Menschen arbeiten. Chemikalien werden häufig nicht ordnungsgemäß entsorgt. Farbstoffe und Bleichmittel aus den Fabriken gelangen vielerorts ungeklärt ins Abwasser."

Aus einer Broschüre des Entwicklungshilfeministeriums über "Herausforderungen der globalisierten Textilwirtschaft"

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WEGWERFWARE

Überschüssige Ware wird bei einigen Textilherstellern nicht recycelt oder weiter verwertet, sondern landet teilweise im Heizkraftwerk. So gab kürzlich die englische Luxusmarke Burberry zu, dass sie Kleidung und Parfüm im Wert von 32 Millionen Euro vernichtet hat, weil sie nicht mehr zu den gewohnt hohen Preisen zu verkaufen waren. Von der Billigkette H&M wurde bekannt, dass sie allein in Dänemark jährlich zwölf Tonnen unverkäufliche Kleider verbrennen ließ. Auch Amazon und andere Onlinehändler stehen in der Kritik, dass sie unverkaufte oder umgetauschte Ware einfach vernichten. Greenpeace sagt dazu: "Der exzessive Konsum billiger Ramschware hat verheerende ökologische und soziale Folgen."

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ZAHLEN UND FAKTEN ZUR TEXTILINDUSTRIE
  • Jeder Deutsche kauft im Schnitt 60 Kleidungsstücke im Jahr
  • 40 Prozent davon werden selten oder nie getragen
  • Für ein T-Shirt mit Aufdruck sind 20 bis 30 verschiedene Chemikalien nötig
  • 1,7 Milliarden Kilo Farbstoffe werden jährlich für Textilien verwendet
  • Welt weit arbeiten 75 Millionen Menschen in der Textilindustrie
  • Näherinnen in Bangladesch verdienen weniger als 30 Cent pro Arbeitsstunde

Quelle: Kirsten Brodde/Alf-Tobias Zahn: Einfach anziehend - der Guide für alle, die Wegwerfmode satthaben (Oekom Verlag, München 2018)

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Quelle:
Securvital 1/2019 - Januar-März, Seite 6 - 10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2019

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