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ABFALL/023: Indien - 'Wir versinken in unseren Exkrementen', Abwässer und Müll nehmen überhand (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. August 2012

Indien: 'Wir versinken in unseren Exkrementen' - Abwässer und Müll nehmen überhand

von Keya Acharya


Indische Städte holen sich ihr Wasser aus den ländlichen Regionen - Bild: © Keya Acharya/IPS

Indische Städte holen sich ihr Wasser aus den ländlichen Regionen
Bild: © Keya Acharya/IPS

Bangalore, Indien, 3. August (IPS) - Vor etwa 16 Jahren hörten die Frösche in den Sümpfen nahe ihres Landhauses auf zu quaken. Da wusste die indische Ingenieurin Almitra Patel, dass irgendetwas nicht stimmte. Was das war, fand sie bald heraus: Abwässer und Müll, die in den Feuchtgebieten vor den Toren der IT-Metropole Bangalore entsorgt worden waren, hatten die Tiere getötet.

Patel wandte sich noch im gleichen Jahr - 1996 - an den Obersten Gerichtshof, um die Stadtverwaltung von Bangalore zu einem sicheren Umgang mit den Abfällen zu zwingen. Untersuchungen ergaben damals, dass weniger als die Hälfte der in Bangalore anfallenden Abwässer in modernen Anlagen geklärt wurde. Der Rest landete in den umliegenden Seen und Feuchtgebieten.

Die Ingenieurin gewann den Prozess, und inzwischen verfügt Bangalore über eine Kläranlage. Doch die Situation hat sich nicht grundlegend verbessert. "Die Sümpfe im Umkreis von Bangalore haben sich durch die Abwässer in eine stinkende schwarze Brühe verwandelt. Die Abwässer fließen durch einen offenen Kanal durch dichtbewohnte Gebiete zu der teuren Kläranlage, die viel Strom frisst", kritisiert Patel, die mittlerweile 75 Jahre alt ist.

Beeindruckt von ihrer Arbeit hatte das Gericht Patel in einen Ausschuss für Müll-Management berufen, der über den landesweiten Umgang mit Abfällen Bericht erstatten und Gegenmaßnahmen anregen sollte. Ausgehend von den Untersuchungsergebnissen definierte Indien im Jahr 2000 schließlich eine Strategie zur Behandlung von festen Abfällen. Alle Städte wurden dazu verpflichtet, umfassende Programme zur Müllverwertung einzuführen. Dazu gehörte die Abfalltrennung in den Haushalten, Recycling und Kompostieren. Doch all diese Programme warten bis heute auf ihre Umsetzung.


Abfallmenge könnte sich bis 2047 verfünffachen

Die Energiebehörde in Neu-Delhi schätzt, dass sich das Müllaufkommen in den indischen Städten bis 2047 auf 260 Millionen Tonnen jährlich verfünffachen wird.

Die Stadtverwaltung von Bangalore sammelte kürzlich Gelder, um die belasteten Feuchtgebiete zu säubern und für die Zukunft zu erhalten. Während es 1962 noch 262 solcher Sumpfareale gab, sind es heute nur noch 17. Die bebauten Flächen haben sich laut einer Studie des Indischen Wissenschaftsinstituts im gleichen Zeitraum um 466 Prozent ausgedehnt.

"Die Städte sammeln Gelder, um die Klärwerke zu bauen. Die Finanzmittel reichen aber nicht aus, die hohen anfallenden Stromrechnungen zu bezahlen oder die notwendige Infrastruktur zu schaffen, um die Abwässer zu den Anlagen zu schaffen, von denen die meisten ohnehin nicht funktionieren", gibt Patel zu bedenken.

Auch ein Anfang des Jahres veröffentlichter Bericht des unabhängigen Zentrums für Wissenschaft und Umwelt (CSE) in Neu-Delhi kritisierte das Fehlen einer geeigneten Infrastruktur und den nachlässigen Umgang mit Abwässern. Demnach werden weniger als 30 Prozent der offiziell anerkannten Abwassermenge in speziellen Anlagen geklärt. Der Report, der auf Untersuchungen in 71 indischen Städten basiert, zeigt auf, dass 70 bis 80 Prozent der Abwässer in Indien in Flüssen und Seen enden. "Wir versinken in unseren eigenen Exkrementen", warnte die CSE-Direktorin Sunita Narain.

Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge haben mehr als 87 Prozent der Einwohner indischer Städte und 33 Prozent der Menschen in ländlichen Gebieten inzwischen Zugang zu Toiletten. Doch lecke Rohre und unvollständige Kanalisationssysteme sorgen dafür, dass die Flüsse und Seen weiterhin verschmutzen.

Zurzeit leben etwa 340 Millionen der mehr als 1,2 Milliarden Inder in Städten. Bis 2030 wird sich die Zahl den Prognosen zufolge verdoppelt haben. Das bedeutet einen gewaltigen Anstieg der Abwassermengen. Auch die Versorgung mit Trinkwasser wäre gefährdet, das schon jetzt in vielen Städten knapp ist.


Sträflicher Umgang mit kostbarer Ressource

Die Stadt Ahmadabad im Nordwesten Indiens hat 65 ihrer offiziell registrierten 137 Seen überbaut. In Hyderabad im Süden eröffnete sie in den Wassereinzugsgebieten des Sees Himayat Sagar einen neuen Flughafen.

Die alten Wasser- und Kanalisationssysteme können mit dem Wachstum der indischen Städte nicht Schritt halten. Das hat dazu geführt, dass sie in einigen Teilen erst gar nicht vorhanden sind. Etwa 40 Prozent der indischen Kläranlagen befinden sich in Neu-Delhi und in Mumbai.

Trinkwasserleitungen und Kanalisationssysteme führen zumeist zu den Vierteln der Wohlhabenden, während die Armen das Nachsehen haben. Nur fünf Prozent des Leitungswassers kommen in den Slums von 42 untersuchten Städten des Landes an. Auch die Hauptstadt Neu-Delhi bildet da keine Ausnahme.

Da die Süßwasserquellen zur Neige gehen, muss das Wasser zunehmend über große Entfernungen aus Seen und Flüssen zu den Städten transportiert werden. Bangalore bezieht immer mehr Trinkwasser aus dem Cauvery-Fluss, der 100 Kilometer entfernt ist. Die Menge reicht nicht mehr aus, um die Nachfrage zu decken. Wie Gaurav Gupta von der Wasserbehörde in Bangalore erklärte, verschärft sich die Lage durch das allmähliche Austrocknen des Cauvery weiter.

Auch die Grundwasserreserven schrumpfen in vielen Regionen Indiens, da die Bewohner immer häufiger Brunnen bohren und die Behörden den gesamten Wasserkonsum noch nicht unter Kontrolle haben. Nach einer 2008 durchgeführten Untersuchung in 27 Städten warnte die zentrale Kontrollbehörde CPCB davor, dass die durch offene Kanäle geleiteten Abwässer die Qualität des Grundwassers erheblich gefährdeten. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.cseindia.org/
http://www.teriin.org/index.php
http://cpcb.nic.in/
http://www.ipsnews.net/2012/08/india-drowning-in-waste-experts-warn/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2012