Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

ATOM/007: Mexiko - Wohin mit radioaktiven Abfällen? Stärkere Kontrollen gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. April 2011

Mexiko: Wohin mit radioaktiven Abfällen? - Stärkere Kontrollen gefordert

Von Emilio Godoy


Mexiko-Stadt, 19. April (IPS) - In Mexiko wird der Umgang mit radioaktivem Material in Forschung, Industrie und Medizin äußerst rudimentär kontrolliert. Diese Nachlässigkeit muss nach Ansicht von Experten dringend korrigiert werden, um die Verstrahlung von Mensch und Natur zu verhindern.

Wie Fernando Cruz von der Gesellschaft für Radiologie und Röntgenbilder erklärte, müssen die in Forschung, Industrie und Medizin anfallenden Strahlungsrückstände besonderen Sicherheitsvorkehrungen und Kontrollen unterliegen. Bisher jedoch verschwindet ein Teil des Materials unkontrolliert in dunklen Kanälen.

Die geringen Kontrollen haben in den letzten 25 [...] eine Reihe von Unfällen begünstigt. So produzierte das Unternehmen 'Tubos de Acero de México (Tamsa) in einer Fabrik im südöstlichen Bundesstaat Veracruz 2008 Eisenrohre, die mit dem gesundheitsgefährlichen Cäsium-137 verseucht waren.

Gemeldet wurde der Vorfall durch das Unternehmen 'Zinc Nacional', das bei Tamsa 80 Tonnen Eisenstaub bestellt hatte. Als die Lieferung ankam, schlugen die Detektoren Alarm und veranlassten den Zinkhersteller, die verstrahlte Sendung postwendend an den Hersteller zurückzuschicken.

Am 29. Juni 2008 erhielt die Nationale Kommission für nukleare Sicherheit CNSNS, die für atomare Kontrolle zuständige Behörde im mexikanischen Energieministerium, die Nachricht, Tamsa habe radioaktives Material eingeschmolzen. Erst nach neun Tagen führte CNSNS eine erste Inspektion durch.

Universitäten, Eisenindustrie, Limonaden- und Tabakhersteller sowie staatliche und private Krankenhäuser importieren radioaktives Material. Die CNSNS-Behörde für radiologische Sicherheit hat in den vergangenen Jahren mindestens 1.897 Lizenzen für den Besitz von Jod-125 und -131, Thallium-201, Phosphor-32, Kohlenstoff-14, Gallium-67 und Wasserstoff-3 vergeben. Zudem wurden Kobalt-60, Iridium-1992 und Berillium-24 aus dem Ausland für therapeutische und industrielle Zwecke eingeführt. Mindestens 22 Unternehmen dürfen die radioaktiven Materialien in besonderen Behältern importieren und weiterleiten.


Verstrahlte Eisenstäbe im halben Land

Mitte der 1980er Jahre wurden mit Kobalt-60 kontaminierte Eisenstäbe im nordmexikanischen Ciudad Juárez entdeckt. Etwa 4.000 Menschen waren damals einer erhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt. Presseberichten zufolge starben mindestens drei Menschen an den Folgen.

Den Anfang nahm die Tragödie 1977, als eine lokale Privatklinik auf dem Schwarzmarkt ein Kobalt-60-Röntgengerät kaufte. Sechs Jahre später wurde es an ein Schrottunternehmen verkauft, von wo aus das radioaktive Material in das Eisenhüttenwerk des damaligen Staatsunternehmens 'Aceros de Chihuahua' gelangte.

Die mit Kobalt-60 kontaminierten Metallteile wurden später in 16 der 32 Bundesstaaten verkauft. CNSNS geht davon aus, dass mindestens 6.608 Tonnen der verseuchten Eisenstäbe produziert wurden. Verwendet wurden die Stäbe auf 17.636 Baustellen. In 1.276 Fällen lagen die Strahlungswerte oberhalb des natürlichen Grenzwertes, in mehr als 800 Fällen mussten die Konstruktionen aufgrund der überhöhten Strahlungswerte entsorgt werden.

Agustín Horcasitas, der ehemalige Produktionsleiter von 'Acero de Chihuahua' schrieb in seinem 1999 veröffentlichten Buch 'Der große Betrug' (El gran engaño), dass damals Eisenstäbe mit einem Gesamtgewicht von 10.000 Tonnen unauffindbar blieben. Mehr als 5.000 Tonnen des verseuchten Materials wurden in Samalayuca im nördlichen Bundesstaat Chihuahua in 70 Kilometer Entfernung von der Grenze zu den USA eingelagert.


Zahl der Inspektionen viel zu gering

"So gut wie niemand verfolgt die Spuren des radioaktiven Materials", klagt Bernardo Salas, Strahlungsexperte an der Wissenschaftlichen Fakultät der Nationalen Autonomen Universität Mexiko. Tatsächlich führte die CNSNS im Jahr 2000 30, 2009 23 und 2010 13 Inspektionen durch. In Mexiko kommen der Kommission zufolge mindestens 7.733 Menschen aus beruflichen Gründen mit radioaktivem Material in Berührung.

Im November 2002 hatten sechs Personen in der nuklearmedizinischen Abteilung des staatlichen Gesundheitszentrums 'Siglo XXI' mit Jod-131 versetzten Kaffee getrunken. Verseucht worden war das Getränk absichtlich von einem Krankenhausmitarbeiter.

Der CNSNS-Mitarbeiter Hermenegildo Maldonado empfahl 2009 auf dem Jahreskongress der Mexikanischen Gesellschaft für radiologische Sicherheit die Einführung neuer Sicherheitsbestimmungen und theoretisch-praktische Prüfungen für Menschen, die beruflich mit radioaktiven Material zu tun haben. Erforderlich sei ferner eine Modernisierung der Ausbildung zum medizinisch-technischen Radiologieassistenten. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.cnsns.gob.mx/
http://www.smri.org.mx/
http://armscontrolcenter.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97984

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. April 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2011