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ATOM/029: Radioaktivität in Nahrungsmitteln (umg)


umwelt · medizin · gesellschaft - 3/2011
Humanökologie - soziale Verantwortung - globales Überleben

Radioaktivität in Nahrungsmitteln

von Dr. Peter Germann, Dr. Wolfgang Stück
(Ökologischer Ärztebund, Mitglieder des Vorstands)


Natürliche Radioaktivität in Nahrungsmitteln

In allen Nahrungsmitteln sind geringe Spuren von radioaktiven Elementen, deren Konzentration abhängig ist von der Art der Böden und des in ihnen enthaltenen Gesteinsmaterials auf denen die Pflanzen wachsen. Über die Nahrungsketten reichern sie sich dann in Tier und Mensch an. Es handelt sich hierbei besonders um die Uran/Thoriumreihe. Ubiquitär vorhanden sind Uran 234 und 238, Radium 226 und 228, Blei 210, Polonium 210, Thorium 228, 230 und 232; bedeutsam ist auch das Kalium 40. Hinzu kommen Nuklidmengen, die durch die kosmische Strahlung beim Aufprall auf die Erdatmosphäre entstehen, wie Kohlenstoff 14 aus dem Luftstickstoff und Tritium. Der Kohlenstoff 14 wird in Form von CO2 von den Pflanzen aufgenommen - zu Stärke umgewandelt und dann in die tierisch/menschliche Nahrungskette aufgenommen, dort über Ausscheidung und Abatmung von CO2 wieder entfernt, so dass ein steady-state ohne Akkumulation entsteht.

Kalium 40, das den Hauptanteil der Belastung durch Nahrungsmittel ausmacht, bildet durch seine biologische Halbwertzeit und Ausscheidungsrate mit der Aufnahme ebenfalls ein Fließgleichgewicht. Dieses Fließgleichgewicht wird aber gestört durch z.B. diätetischen Ersatz von Kochsalz durch Kaliumchlorid, was zu einer Kalium 40-Anreicherung besonders im Muskelgewebe führt. Die effektive Dosis von Kalium 40 liegt bei 0,165 mSv.

Über den Luftpfad entstehen weitere Belastungen mit Nukliden durch das aus den Böden entweichende gasförmige Radon 222, das in die radioaktiven Folgeprodukte Blei und Polonium zerfällt. Durch Auflagerung auf die Blattoberfläche und Aufnahme in das Blattinnere sind Blattgemüse besonders belastet. Die Nuklide reichern sich in unterschiedlichen Konzentrationen in den verschiedenen Pflanzenarten, Pflanzenteilen und in den Organen von Tier und Mensch an. Relativ hohe Werte findet man in den Randschichten von Weizen durch das Nuklid Radium. In Obst werden Aktivitätswerte von 50 Bq/kg1 gemessen, in Erbsen und Bohnen ca. 380 Bq/kg, in Kuhmilch und Fleisch ca.100 Bq/kg, höhere Werte in Leber und Nieren. In Meeresfischen dominiert das Polonium 210.

Die Strahlenbelastung durch Ernährung beträgt ca. 0.30 mSv, das entspricht der gesetzlich zulässigen Abgabe von Radioaktivität durch ein AKW im störungsfreien Normalbetrieb. Die Gesamtbelastung durch die natürliche Radioaktivität in der BRD beträgt 2.40 mSv pro Jahr.

In der BRD erkranken jährl. 630.000 Menschen an Krebs (335 Frauen und 452 Männer / 100.000 Einw.).

UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) errechnete in einer Formel, dass eine Erhöhung radioaktiver Strahlung um 1 mSv jährlich zu 12 zusätzlichen Krebserkrankungen pro 100.000 Einw. führt. D.h. allein die unbeeinflussbare "natürliche" Radioaktivität führt in der BRD hiernach zu 23.040 Krebserkrankungen jährlich. Radioaktivität (Ionisierende Strahlung) verursacht aber außerdem auch einen Teil der Erbschäden/Behinderungen, Beschleunigung von Alterungsprozessen, Vitalitätsverlusten, Lebenszeitjverkürzungen und mentalen Beeinträchtigungen.


Künstliche Radioaktivität in Nahrungsmitteln

Chernobyl

Die Verstrahlung der Umwelt durch den Super-Gau in Chernobyl vor 25 Jahren ist heute noch präsent. Die derzeitige Strahlendosis beträgt immer noch ca. 50% der Ausgangswerte. Das radioaktive Isotop Cäsium 137 kommt in der Natur nicht vor, sondern entsteht bei der zivilen und militärischen Nutzung der Atomenergie. Es ist das Leitnuklid für die Bewertung der künstlichen Strahlenbelastung und hat eine Halbwertzeit von 30 Jahren. Die zusätzliche Gesamtbelastung durch Chernobyl beträgt bei uns 0.02 mSv. In einigen Regionen wie z.B. in Teilen Bayerns kam es durch die radioaktive Wolke (washout) aus Chernobyl zu erhöhten Bodeneinträgen. In Waldböden und sonstigen sauren Böden (Kaliumarm) sinkt das Cäsium nicht in tiefere Schichten ab und wird auch nicht durch Lehm oder Tonschichten fixiert. Es bleibt damit dem Wurzelbereich von Pflanzen verfügbar. Höhere Werte findet man deshalb in Heidelbeeren und Pilzen. Pilze mit ihrem ausgedehnten oberflächlichen "Wurzel"werk (Myzele) sind geradezu Nuklidsammler, Werte von 1.500 Bq/kg wurden gemessen. Wildpilze stammen besonders aus Bayern und Osteuropa - also aus den höher belasteten Gebieten. Untersuchungen finden nur stichprobenartig statt, sodass von einem häufigen Verzehr von Wildpilzen abzuraten ist. Zuchtpilze wie Champignons, Shiitake und Austernpilze können unbedenklich verzehrt werden! Die Lieblingsspeise von Wildschweinen sind Pilze. Im Fleisch von Rehen/Hirschen und Wildschweinen wurden 2004 Mittelwerte von 7.000 Bq gemessen, der Spitzenwert (Wildschwein) lag bei 65.000 Bq/kg. Beachte: Der zulässige Grenzwert liegt bei 600 Bq !! Es darf bezweifelt werden, dass jeder Jäger sein erlegtes Wild auf Strahlenbelastung untersuchen lässt und im Bedarfsfall fachge recht entsorgt. Das"Chernobylerbe" strahlt noch immer.


Oberirdische Atombombenversuche

Bis zum Teststoppabkommen 1963 wurde die nördliche Erdhalbkugel durch die unverantwortlichen oberirdischen Atom bombenversuche radioaktiv verseucht. (Letzter Versuch China 1980 !). Neben Cäsium 137 wurde Strontium 90 und in früheren Jahren auch Plutonium in die Atmosphäre geschleudert. Der menschliche Körper nimmt diese Radionuklide auf, da er Cäsium 137 nicht von Kalium und Strontium 90 nicht von Kalzium unterscheiden kann. Strontium wird deshalb in die Knochenmatrix ein gebaut, akkumuliert dort und kann dem Knochenmark benachbart zu Krebserkrankungen des blutbildenden Systems führen. Die Halbwertszeit von Strontium 90 beträgt 28 Jahre, es zerfällt in weitere Nuklide wie Yittrium, das sich in Hypophyse und Hoden anreichert Die Strahlenbelastung sinkt, beträgt derzeit aber noch 0.01 mSv.


Fukushima

Im März 2011 kam es im japanischen Fukushima in wohl 3 AKW's zur Kernschmelze. Zum Glück kam es aber bisher nicht zu Großbränden oder einer großen Explosion, die große Mengen des radioaktiven Inventars freigesetzt hätte, wie es in Chernobyl geschah. Die Verstrahlung blieb deshalb bisher lokoregional. Eine 20 kmZone (Intern. Wissenschaftler empfahlen eine 80 km "Todes"zone) wurde evakuiert, jetzt wird die Evakuierung der "hot spots" außerhalb der 20kmZone geplant, eine Beherrschung der Situation ist nicht in Sicht und die Verstrahlung der Umgebung und des Meeres schreitet fort. Ergebnis: verstrahlter Tee im größten japanischen Teeanbaugebiet Shizuoka 370 km südlich von Fukushima, erhöhte Werte in Milch, Brokkoli, Spinat und Fisch. Tendenz fortschreitend. Wie bei allen technischen Großkatastrophen folgt das Vertuschen und Verheimlichen von Daten aus kommerzieller und politischer Rücksichtnahme unter billigender Inkaufnahme von Gesundheitsschäden der Bevölkerung. Da Japan Großimporteur vieler Nahrungsmittel ist (sogar von Fisch) und nur kleine Mengen von Spezialnahrungsmitteln wie Sojasauce, Tee etc. exportiert, besteht für Europa Entwarnung.


Landwirtschaft

Eine kaum bekannte Quelle der Belastung mit zusätzlicher Radioaktivität stellt die Landwirtschaft dar. Der fast generelle Verbrauch von Phosphatdünger aus Sedimentabbau zum Erhalt und der Steigerung von Erträgen geht mit einer hohen Verschmutzung mit toxischen Schwermetallen einher. Wissenschaftler des Instituts für Pflanzenernährung und Bodenkunde der Bundesforschungsanstalt in Braunschweig (FAL) schlagen Alarm. Sie fanden 0,2g Uran pro kg Superphosphatdünger. Eine einzige, übliche Phosphatdüngung mit 22kg/Hektar führt zu einem Eintrag von 1020 g Uran. Durch Abernten, Auswaschung und Erosion besteht lediglich ein Verlust von 1 g/ha. Es kommt deshalb zu einer kontinuierlichen Urananreicherung in Böden und Grundwasser und damit auch in der Nahrungskette. Uran ist ein gefährlicher AlphaStrahler und zusätzlich ein besonders nephrotoxisches Schwermetall, das im menschlichen Körper akkumuliert. Die Forderung des Institutsleiters Prof. Dr. Schnug lautet deshalb: Minimierung und Offenlegung der Urangehalte !!! (bisher keine Pflicht). Technisch machbar, aber etwas teurer ist die Uranabspaltung bei der Düngerproduktion wie sie in den USA, Canada, Frankreich, Belgien und Rumänien praktiziert wird.


Der Skandal

Nach dem Reaktorunglück in Chernobyl erließ die EU die Verordnungen (Nr. 1707/86), nach der landwirtschaftliche Produkte aus Drittländern nicht eingeführt werden dürfen, wenn die Radioaktivität für Cäsium 134 und 137 in Milch, Milchprodukten und Säuglingsnahrung 370 Bq/kg und für alle übrigen Nahrungsmittel 600 Bq/kg überschreitet. In einer anderen Verordnung von 2008 heißt es aber einschränkend ,........ sollen die Gesundheit des Verbrauchers schützen und ohne ungebührende Beeinträchtigung des Handels zwischen der Gemeinschaft und den Drittländern die Einheit des Marktes erhalten und Verkehrsverlagerungen vermeiden....' Gleichzeitig besteht aber auch die Euratom-Verordnung Nr. 3954/87 Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungs und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalles oder einer anderen radiologischen Notstandssituation. Dann gelten folgende Höchstwerte: für Säuglingsnahrung und Milchprodukte 400 Bq/kg und für alle anderen Nahrungsmittel 1.000 Bq/kg. Diese Durchführungsverordnung Nr. 297/2011 trat am 25. März 2011 wegen Fukushima in Kraft. Die Bundesregierung und die Presse informierte hierüber nicht. Die Grenzwerte für Nahrungsmittelimporte wurden also angehoben und in gleichem Atemzug verkündete unsere Bundesverbraucherministerin dreist, dass die EU ihre Sicherheitsmaßnahmen weiter erhöht habe und dass künftig Lebensmittel aus den betroffenen japanischen Regionen nur noch in Deutschland eingeführt werden, wenn sie in Japan (!!) streng kontrolliert und zertifiziert wurden. So ver schaukelt man die Bevölkerung.


Forderungen des Ökologischen Ärztebundes
- Zügiger Ausstieg aus der militärischen und zivilen Atomenergienutzung.
- Stopp des Uran und Cadmiumeintrages in Böden und Grundwasser durch Phosphatdünger in der Landwirtschaft.
- Neufestlegung der Grenzwerte unter dem Gesichtspunkt des gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes ohne Einflussnahme von ökonomischen Interessen.


ÖKOLOGISCHER ÄRZTEBUND
Deutsche Sektion der International Society of Doctors for the Environment (ISDE)
Bundesgeschäftsstelle, Frielinger Str. 31, 28215 Bremen, Tel.: 0421/4984251, Fax: 0421/4984252
EMail: oekologischer.aerztebund@tonline.de, Internet: http://www.oekologischeraerztebund.de


1) Bq = Becquerel ist die Maßeinheit für die Strahlungsaktivität , 1 Bq entspricht 1 Atomzerfall pro Sekunde.


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Quelle:
umwelt · medizin · gesellschaft Nr. 3/2011, S. 256-257
24. Jahrgang
Verlag: UMG Verlagsgesellschaft mbH
Frielinger Str. 31, 28215 Bremen
Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Erik Petersen
Tel.: 0421/498 42 51; Fax: 0421/498 42 52
E-Mail: umg-verlag@t-online.de
Internet: www.umwelt-medizin-gesellschaft.de

Erscheinungsweise: vierteljährig
Bezugspreis: Für Mitglieder der Umweltmedizinischen Verbände dbu, DGUHT, IGUMED
und Ökologischer Ärztebund sowie des weiteren beteiligten Verbands
DGMCS ist der Bezug der Zeitschrift im Jahresbeitrag enthalten.
Das Abonnement kostet ansonsten jährlich 38,- Euro frei Haus, Ausland 45,- Euro.
Einzelheft: 10,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2012