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ARTENSCHUTZ/300: ACCOBAMS-Treffen - Mittelmeer und Schwarzes Meer bleiben riskante Gebiete für Wale und Delphine (OceanCare)


OceanCare - Medienmiteilung, 03 Dezember, 2022

ACCOBAMS: Überleben nicht garantiert Mittelmeer und Schwarzes Meer bleiben riskante Gebiete für Wale und Delphine


Am Freitag, den 2. Dezember 2022, endete die 8. Tagung der Vertragsparteien (MOP) des Übereinkommens zum Schutz von Walen und Delphinen im Mittelmeer und im Schwarzen Meer (ACCOBAMS) mit einer düsteren Zukunftsperspektive für die Meeressäuger. Obwohl zahlreiche Wal- und Delphinarten stark gefährdet sind, beschloss die Konferenz kaum wirksame Gegenmassnahmen.

«Das Ergebnis der Konferenz ernüchtert. Die Beschlüsse sind zu zaghaft und ungenau, um den Schutz gefährdeter Arten zu sichern. Auf diesem Weg riskieren die Staaten das Aussterben von Meeressäugern in Mittelmeer und dem Schwarzen. Manche vielleicht sogar bereits in den kommenden zwei Jahrzehnten,» so Nicolas Entrup, Direktor für internationale Beziehungen bei OceanCare.

Klimakrise, Kriege, Unterwasserlärm durch Öl- und Gassuche und Plastikverschmutzung

Neun von elf Wal- und Delphinarten im Mittelmeer und im Schwarzen Meer werden in einer der Kategorien der Roten Liste der IUCN als bedroht, gefährdet, stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht gelistet. Fünf der 11 Arten im Mittelmeer sind stark gefährdet und vier regionale Populationen gar vom Aussterben bedroht. Die Pottwalpopulation im östlichen Mittelmeer zählt nur noch etwa 200 Tiere, der Gewöhnliche Delphin im Golf von Korinth ist auf etwa 20 Tiere reduziert. Die Meeressäuger und andere Meerestiere in der Region sind einer Kombination zahlreicher schwerer Bedrohungen ausgesetzt.

Klimakrise, Kriege

Das Mittelmeer ist ein Hotspot des Klimawandels, das Wasser ist bereits wärmer, saurer und salziger. Zusätzlich ist der nördliche Teil des Schwarzen Meeres derzeit eine Zone intensiver kriegerischer Aktivitäten ausgesetzt. Dies setzt die sich langsam fortpflanzenden Meeressäuger einer Vielzahl von Belastungen und Bedrohungen aus, die ihr Überleben erschweren.

In der Folge wandern Arten ab. Laut der bulgarischen Forschungsorganisation - The Green Balkans - nahm die Zahl aller drei Walarten in bulgarischen Gewässern im Frühjahr und Sommer im Vergleich zu den vorangegangenen fünf Jahren erheblich zu. Die schlüssigste Erklärung für diese ungewöhnliche Dichte ist die Flucht der Tiere aus dem nördlichen Gebiet als Reaktion auf die verstärkte Kriegsführung durch Explosionen und den Einsatz von aktiven Sonarsystemen. Eine der dokumentierten Folgen sind erhöhte Beifangraten dieser Arten in Fischereigeräten und ein Anstieg der Zahl der Strandungen. Die internationale Meeresschutzorganisation OceanCare kommt zu dem Schluss, dass es massiver Anstrengungen bedarf, um ein Einbrechen der Bestandszahlen mittelfristig zu verhindern.

Unterwasserlärm durch seismische Untersuchungen

Eine der grössten Bedrohungen ist die Lärmbelastung des Meeres, verursacht unter anderem durch seismische Untersuchungen bei der Öl- und Gasexploration und durch militärische Aktivitäten. Schallkanonen, die bei der Suche nach Öl und Gas im Meeresboden eingesetzt werden, stellen eine ernsthafte Bedrohung für die gesamte Meeresfauna dar. Trotz der anhaltenden Klima- und Biodiversitätskrise setzen mehrere Länder, darunter Ägypten, Algerien, Bulgarien, Griechenland, Israel, Libanon, Montenegro, Rumänien, die Türkei und Zypern, die Erkundung und intensive Ausbeutung von Kohlenwasserstoffen im Mittelmeer und im Schwarzen Meer fort. Obwohl es Jahre dauert, neue Öl- und Gasvorkommen zu erkunden und zu erschliessen, möchte die Ölindustrie im Kontext des Krieges in der Ukraine den Eindruck erwecken, die Suche nach neuen Vorkommen sei eine schnelle Lösung. Das Gegenteil ist der Fall und lenkt von der dringenden Notwendigkeit ab, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, wie im Pariser Abkommen gefordert.

Beifang und Plastikverschmutzung

Treibnetze, die im Übereinkommensgebiet verboten sind, werden nach wie vor illegal eingesetzt und sind eine tödliche Falle für grosse und kleine Wale und andere Meeresbewohner. Hinzu kommen Tausende von Kilometern an schwimmenden Altgeräten, die den Druck noch erhöhen. Das Mittelmeer ist stark von der Plastikverschmutzung betroffen und stellt insbesondere für Wale und Delphine, deren Zahl rapide abnimmt, eine existenzielle Bedrohung dar. Pottwale und Finnwale sind Arten, die nachweislich enormen Mengen an Plastik aufnehmen, mit tödlichen Folgen. Kunststoffe stellen bereits zu Beginn ihres Lebenszyklus ein Problem dar. Deshalb sind feste Verpflichtung der ACCOBAMS-Vertragsparteien zur Beendigung der Plastikverschmutzung und zur Beendigung des gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen sehr zu begrüssen.

Schiffskollisionen - positive Meldungen

Fortschritte gibt es im Bereich der Verhinderung von Schiffskollisionen mit Walen. Die Vertragsstaaten anerkennen, dass die Verlegung der Schifffahrtsrouten aus den Kerngebieten der Wale und eine Temporeduktion die beiden wirksamsten Massnahmen sind, um für Wale meist tödliche Kollisionen mit Schiffen zu vermeiden. Zudem haben Frankreich, Italien, Monaco und Spanien bei der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) einen Vorschlag eingebracht, um das nordwestliche Mittelmeer als «besonders empfindliches Seegebiet» (PSSA) auszuweisen. Damit wird auf Bedrohung reagiert, die Schiffskollisionen für die Zukunft der beiden großen Walarten darstellen. Über den Vorschlag wird die IMO in der Woche vom 12. Dezember entscheiden.

Erfolg von OceanCare - Beschwerden anerkannt und bestätigt

OceanCare hat in den vergangenen Jahren in vier konkreten Fällen eine formelle Beschwerde über die mangelhafte Umsetzung der vereinbarten Erhaltungsmassnahmen durch die Arealstaaten des Abkommens eingebracht. Der Kritik OceanCares wurde nun formell seitens der ACCOBAMS Staaten in den meisten Punkten recht gegeben. Die Beschwerdeverfahren betrafen u.a. OceanCares bezogen sich u.a. auf das Versäumnis Griechenlands keine notwendigen Schutzvorkehrungen vor militärischen Manöver zu treffen, bei denen aktive Sonarsysteme zum Einsatz kommen. OceanCare hatte auch Besorgnis über fehlende Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) im Vorfeld von Erdölexplorationsaktivitäten geäussert. Daraufhin erinnerte der Ausschuss die Länder an die Notwendigkeit, das Vorsorgeprinzip anzuwenden und dass die Durchführung von UVPs im Vorfeld der Lizenzvergabe verbindlich ist. Portugal stellte ausserdem klar, dass es inzwischen ein Verbot der Öl- und Gasexploration verhängt hat, was OceanCare ausdrücklich begrüsst und dem Land gratulierte. Eine weitere Eingabe kritisierte, dass kein Mittelmeeranrainerstaaten einen Schutzplan für den gefährdeten Gemeinen Delfin umgesetzt habe. Der Ausschuss bestätigte, dass es an der Umsetzung mangelt, und forderte die Länder auf, entsprechende Massnahmen zu ergreifen.

«Die Beschwerden, die OceanCare im Laufe der Jahre einreichte, haben sich nun als begründet erwiesen. Sie führten dazu, dass ein erhebliches Defizit in Bereichen wie Öl- und Gasexplorationslizenzen, das Versäumnis, Vorsichtsmassnahmen bei militärischen Manövern zu ergreifen, und die Umsetzung von Schutzplänen für bedrohte Arten anerkannt wurde. Dies werten wir als einen Erfolg», sagt Nicolas Entrup, Direktor für internationale Beziehungen bei OceanCare. Die Bilanz der ACCOBAMS ist dennoch ernüchternd.

«Die Staaten müssen verhindern, dass das Mittelmeer zu einem Meer wird, in dem die Ausrottung von Meeressäugern dokumentiert, nicht aber verhindert wird. Der Biodiversitätskrise begegnen die aktuellen Massnahmen nicht,» schließt Nicolas Entrup.

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Quelle:
Medienmitteilung vom 2. Dezember 2022
Herausgeber: Verein OceanCare
Oberdorfstr. 16, Postfach 372, Ch-8820 Wädenswil
Tel.: +41 (0) 44 780 66 88, Fax: +41 (0) 44 780 66 08
E-Mail: info[at]oceancare.org
Internet: www.oceancare.org

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 6. Dezember 2022

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