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CHEMIE/057: Mehr als nur ein ästhetisches Problem - Plastik, Symbol für zuviel Chemie (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2019 Die Geister, die wir riefen
Chemikalien belasten zunehmend Mensch und Umwelt - Zeit zu handeln!

Mehr als nur ein ästhetisches Problem
Plastik: Symbol für zu viel Chemie

von Ralph Ahrens


Fast alle Gegenstände in unserem Alltag enthalten Kunststoffe, einige bestehen sogar nur daraus. Diese Plastikwelt hat Schattenseiten: Ob im Mikro- oder Makrozustand - Plastik bedroht aufgrund seiner Langlebigkeit und seiner giftigen Zusatzstoffe die ökologische Balance des Planeten.


Kunststoffe in der Umwelt waren oder sind für viele nur ein ästhetisches Problem. Flaschen, Tüten und andere Plastikteile verschmutzen Straßen, Parkanlagen, Strände oder Wälder. Dass dies kein rein lokales Problem mehr ist, zeigten die Bilder der Plastikstrudel in den Ozeanen. Nicht nur das: Viele Kunststoffe enthalten giftige Zusatzstoffe, die entweichen und die Umwelt belasten. Heute findet man Plastik - groß oder klein - überall, im Meer, in Flüssen und Seen, in Böden, in Komposten und im Klärschlamm wie auch in Menschen und Tieren. Das gilt auch für die Zusatzstoffe, die regelmäßig im Blut etwa von Kindern nachgewiesen werden.

Kunststoffe sind Massenware. Chemiefirmen weltweit stellen jährlich mehr als 400 Millionen Tonnen davon her. Tendenz? Wohl steigend! Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) schätzt, dass sich der Umsatz der Chemiefirmen weltweit von 2017 bis 2030 verdoppeln wird - auf jährlich zehn Billionen Dollar - eine zehn mit zwölf Nullen. Einen Großteil davon werden diese Firmen auch mit der steigenden Plastikproduktion verdienen.

Auch die Plastikmüllberge sind hoch. Auf alle BundesbürgerInnen entfallen jährlich rund 40 Kilo allein an Plastikverpackungsabfall. In der Europäischen Union (EU) sind es jedes Jahr rund 25 Millionen Tonnen an Plastikabfall aller Art. Davon wird weniger als ein Drittel stofflich recycelt. Ein großer Anteil des gesammelten Plastiks wird stattdessen ausgeführt - früher in großen Mengen nach China. Seit das Land Anfang 2018 einen faktischen Importstopp eingeführt hat, gelangt dieser Abfall in andere Länder des Ostens und Südens zur "Wiederverwertung".

Gute Werkstoffe ...
Chemiefirmen stellen Plastik beziehungsweise Kunststoffe meist aus Erdöl her. Der Siegeszug dieser Stoffe liegt in deren Vielfalt und Variabilität begründet. Einige Beispiele: Polyethylen mit niedriger Dichte (LDPE) ist zäh, flexibel und transparent und wird für Folien eingesetzt. Aus Polyethylen mit hoher Dichte (HDPE) bestehen Rohre. Aus Polyethylenterephthalat (PET), das weder Gase noch Flüssigkeiten durchlässt, werden Getränkeflaschen. Polypropylen (PP) hat einen hohen Schmelzpunkt, was den Kunststoff für heiße Flüssigkeiten attraktiv macht. Polystyrol (PS) kann starr, spröde, klar oder geschäumt sein und findet sich in Schutzverpackungen, Dämmstoffe und Lebensmittelbehältern wieder. Aus Polyvinylchlorid (PVC) werden starre oder flexible Verpackungen, aus denen weder Sauerstoff noch Wasser austreten können. Hartes PVC wird etwa für Fensterrahmen benutzt, weicheres PVC für Fußbodenbeläge und ganz weiches beispielweise für Planschbecken.

Um den Kraftstoffverbrauch von Autos, Schiffen oder auch Flugzeugen zu senken, werden zunehmend "faserverstärkte Kunststoffe" eingesetzt. Natürlich nutzen Unternehmen diese Kunststoffe auch als Verpackungsmaterial etwa für Lebensmittel oder stellen daraus Möbel, Spielzeug und viele Einwegartikel her.

... mit giftigen Zusätzen
Kaum ein Plastikprodukt besteht nur aus seinen Grundstoffen. Zugemischte Substanzen sorgen für die gewünschten Eigenschaften. Es gibt Farbpigmente, Weichmacher, Antioxidantien, UV-Stabilisatoren oder Flammschutzmittel. Bromierte Substanzen dienten lange Zeit als Flammhemmer in Elektrogeräten und Möbeln und sind bis heute in etwa in der Muttermilch nachweisbar. Mit langlebigen fluorierten Verbindungen werden Outdoor-Jacken imprägniert. Weichmacher verwandeln sprödes Polyvinylchlorid (PVC) in weiches Material für Planschbecken oder Fußbodenbeläge. Durchschnittlich enthalten Plastikprodukte rund 7 Prozent an solchen Zusatzstoffen. Besonders viele Zusatzstoffen enthält Weich-PVC: Bälle aus diesem Stoff können zu mehr als der Hälfte aus Weichmachern bestehen.

Viele dieser Zusatzstoffe sind gesundheits- oder umweltschädlich. Und weil sie nicht fest im Plastik eingebunden sind, entweichen sie mit der Zeit und reichern sich in der Umwelt und in Lebewesen an.

Klein und gefährlich
Auch Mikroplastik hat es in sich, also alle Plastikteilchen, die kleiner als fünf Mikrometer sind. Es wird zwischen primärem und sekundärem Mikroplastik unterschieden. Von "primären" Partikeln spricht man, wenn diese bei Eintritt in die Umwelt bereits so klein sind, von "sekundärem", wenn größere Kunststoffteile im Verwitterungsprozess etwa durch Wellenbewegung oder Sonneneinstrahlung zerfallen.

Primäres Mikroplastik wird in Kosmetika und Körperpflegemittel eingesetzt wie auch in Düngemitteln, Pestiziden und Wasch- und Reinigungsmitteln, damit Nähr-, Wirk- oder Duftstoffe kontrolliert abgegeben werden können. Als primäre Mikropartikel gelten auch jene, die beim Abrieb von Autoreifen entstehen oder als Fasern aus synthetischen Textilien beim Waschen ins Abwasser gelangen.

Und: Je kleiner die Kunststoffpartikel sind, umso leichter können Tiere sie aufnehmen: entweder passiv durch Filtration oder dadurch, dass sie Kunststoffpartikel mit Nahrung verwechseln oder andere Tiere fressen, die bereits Kunststoffe im Körper haben. Dies kann zu Entzündungsreaktionen führen bis hin zu inneren Verletzungen und Tod. Weil viele Schadstoffe auch dazu neigen, sich an kleine Partikel zu heften, gelangen auch diese mit den winzigen Plastikteilchen in lebende Organismen.

Wider die Plastikflut
Plastik ist allgegenwärtig. Gegen überflüssiges Plastik wie Einweg- und Billigware und Plastik mit problematischen Zusatzstoffen gibt es keine universelle Wunderwaffe. Es braucht viele Initiativen und einen ganzheitlichen Ansatz, um die Nachfrage nach und damit auch die Produktion von Kunststoffen zu verringern. Dies würde Energie und Rohstoffe einsparen und wäre gleichzeitig ein Schritt weg vom Glauben an das "ewige Wachstum".

Hier gibt es bereits eine Reihe von Ansätzen. Ein Beispiel: Familien oder kleine Gruppen versuchen immer wieder medienwirksam oder privat, eine Zeitlang ohne Kunststoffe auszukommen. "Suffizienz" ist hier ein Schlagwort: Weniger verbrauchen und dabei gut leben!

Ein zweites Beispiel: 2002 wurde die 'Zero Waste International Alliance' (ZWIA) gegründet, eine Bewegung gegen die Müllflut. Mehr als 400 Städte und Gemeinden in Europa sind dabei, als Zero-Waste-Städte entsprechende Strategien umzusetzen. Einwegprodukte sollen abgeschafft, alternative Vertriebssysteme gefördert und Interesse für einen abfallfreien Lebensstil geweckt werden. Die erste Stadt in der EU, die eine solche Strategie entwickelte, war Capannori in der Toskana. 2007 gab die Gemeinde das Ziel aus, von 2020 an möglichst keinen Müll mehr zu erzeugen. Es gibt getrennte Sammelsysteme. Wirtschaftliche Anreize helfen, Müll an der Quelle zu vermeiden. Geschäfte haben eröffnet, die regionale Produkte ohne Verpackung verkaufen. Es gibt öffentliche Trinkbrunnen, die es überflüssig machen, Wasser in Plastikflaschen zu kaufen. In einer Wiederverwertungsstation können BürgerInnen Kleidung, Schuhe oder Spielzeug abgeben. Dort werden diese repariert und an Menschen mit geringem Einkommen weiterverkauft. Waschbare Windeln werden bezuschusst.

Gesetze von oben
Auch die Politik reagiert. So hat die EU-Kommission Anfang 2018 in einer Plastikstrategie Wege aufgezeigt, die Umweltbelastung durch Kunststoffe zu senken. Die EU-Staaten und das EU-Parlament haben im Sommer 2019 diese Strategie mit einem Maßnahmenpaket angenommen. Es gibt unter anderem höhere Recyclingquoten, eine "erweiterte Herstellerverantwortung" - das heißt, Hersteller etwa von Plastikflaschen, Luftballons oder Zigaretten müssen sich an den Kosten, Plastikabfälle aus Parks oder Grünstreifen zu entfernen, beteiligen - sowie von 2021 an Verbote von Trinkhalmen, Wattestäbchen, Einweggeschirr und anderen Einwegprodukten aus Plastik. Ob diese Vorgaben den Eintrag von Plastik in die Umwelt drastisch senken, wird sich zeigen. Auch Mikroplastik geht die EU an. Es wird ein Gesetz vorbereitet, das die bewusste Verwendung solcher kleinen Partikel weitgehend verbieten soll.

Die bisherigen Pläne der EU gehen in die richtige Richtung, werden aber nicht ausreichen. Fachleute des Fraunhofer-Instituts Umsicht in Oberhausen schätzen, dass eine Reduktion der Kunststoffeinträge in die Umwelt um den Faktor 27 notwendig ist, um weitere Schäden abzuwenden. Dazu braucht es Verbote, Pfand- und Abgaberegelungen sowie ein hochwertiges Recycling mit verbesserten Sammel- und Sortiersystemen und - wo möglich - einen Verzicht auf Kunststoffe aus mehreren Komponenten. Denn bei diesen Verbundkunststoffen sind mehrere Kunststoffe quasi miteinander verklebt, lassen sich nicht voneinander trennen und lassen sich damit nicht wiederverwerten.

Auch in anderen Regionen der Welt wird über das Eindämmen der Plastikflut gesprochen. Auch die Vereinten Nationen hat das Thema erreicht: Im weltweiten Diskussionsprozess um Chemikaliensicherheit fordern Umweltverbände und viele Staaten eine Arbeitsgruppe zu 'Plastik in der Umwelt'.


Der Autor ist beim BUND zuständig für Internationale Chemikalienpolitik


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2019, Seite 14 - 15
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2020

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