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GLOBAL/056: Ewiges Nord-Süd-Gefälle überschattet "Rio+20" - Branislav Gosovic im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Mai 2012

Umwelt: Ewiges Nord-Süd-Gefälle überschattet 'Rio+20' - Branislav Gosovic im Interview

von Thalif Deen



New York, 31. Mai (IPS) - Nach Ansicht des Umweltexperten Branislav Gosovic scheiterte der historische Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro im Wesentlichen an der Kluft zwischen Nord und Süd. Ein Bündnis der reichen Industrienationen habe gegen die Entwicklungsländer unter Führung der 'Gruppe der 77' angekämpft, sagt er im IPS-Interview. Die Spannungen zwischen beiden Lagern seien auch im Vorfeld der Konferenz 'Rio+20' deutlich spürbar.

"Der Graben zwischen Nord und Süd ist tief", meint Gosovic, der 1983 der Brundtland-Umweltkommission angehörte. In mancher Hinsicht seien die Gegensätze derzeit sogar noch stärker als 1972 bei der UN-Konferenz über menschliche Umwelt (UNCHE) in Schweden, die das erste große internationale Treffen zum Thema war. Meinungsverschiedenheiten insbesondere über Fragen der Finanzierung und zum Technologietransfer hätten zu einer Patt-Situation geführt.

Gosovic geht davon aus, dass diese Situation auch die Ergebnisse der Nachhaltigkeitskonferenz Rio+20 vom 20. bis 22. Juni beeinflussen wird. Die Differenzen seien im April auf der UN-Konferenz über Handel und Entwicklung (UNCTAD III) in Katar offensichtlich geworden, sagt der Autor des Buchs 'The Quest for World Environmental Cooperation: The Case of the U.N. Global Environment Monitoring System'. Es folgen Auszüge aus dem Interview.

IPS: Sie hatten bereits an dem Erdgipfel 1992 teilgenommen. Sehen Sie dem Abschluss der Rio+20-Konferenz mit Zuversicht oder Skepsis entgegen?

Branislav Gosovic: Ich erwarte von Rio+20 keine großen Ergebnisse und Durchbrüche. Das Treffen findet in einer schwierigen Zeit für die globale Wirtschaft und nationalen Volkswirtschaften statt und nach 20 Jahren weltweiter Vorherrschaft des Neoliberalismus.

Die Staatschefs werden sich vor allem darum bemühen, Antworten auf die gegenwärtige Krise zu finden, wobei sie nicht genau wissen, wie sie sie überwinden sollen. Der Neoliberalismus hat wiederum die globale Agenda für nachhaltige Entwicklung geschädigt. Politische und konzeptionelle Fortschritte, die früher erzielt wurden, sind entweder zum Stillstand gekommen oder sogar rückgängig gemacht worden.

IPS: Wie viel Substanz erwarten Sie vom Rio+20-Abschlussdokument, über das zurzeit verhandelt wird?

Gosovic: In dem Dokument werden viele Ideen und Ziele lebendig gehalten. Wochen vor dem Ereignis werden jedoch Paragraphen in Klammern gesetzt, was auf Unstimmigkeiten hindeutet. Mehrdeutige Formulierungen bei Schlüsselfragen zeigen einen Mangel an Einigkeit. Der internationalen Gemeinschaft steht eine Dürreperiode bevor.

Ich traue mich jedoch auch, optimistisch zu sein. Nach dem Zwischenspiel der neoliberalen Globalisierung angesichts einer Verschärfung der bereits vor 40 Jahren in Stockholm erkannten weltweiten Probleme, könnte Rio+20 der Beginn eines zukunftsträchtigeren 20-jährigen Zeitraums der internationalen Zusammenarbeit auf dem Weg zu einem 'Stockholm+60- sprich Rio+40'-Treffen sein.

IPS: Wie kann dieses Ziel am besten erreicht werden?

Gosovic: Den Ländern, die dazu in der Lage sind, werden harte Arbeit, Engagement und Führungsstärke abverlangt. Soziale Kräfte müssen sich zudem in einer echten globalen Bewegung zusammenfinden. Es werden zudem größere strukturelle und paradigmatische Veränderungen bei der Organisation der menschlichen Gesellschaft auf nationaler und globaler Ebene vor sich gehen. Dies wird ein Schlüssel sein, der die Tür zu vielen zurzeit unerreichbaren Ziele öffnen wird.

IPS: Erwarten Sie, dass sich die 1992 deutlich gewordene Kluft zwischen Nord und Süd auch bei den derzeitigen Gesprächen über den Rio+20-Aktionsplan 'Die Zukunft, die wir wollen' zeigt?

Gosovic: Das Nord-Süd-Gefälle gibt es bereits seit mehr als sechs Jahrzehnten, seit den Anfängen der Vereinten Nationen. Es beeinflusste das Ergebnis der UN-Konferenz in Stockholm 1972 und die Art und Weise, wie die gesamte Umweltagenda als Umwelt-Entwicklungsagenda konzipiert wurde.

Die Kluft war allgegenwärtig in den Berichten der Brundtland-Kommission, also der Weltkommission über Umwelt und Entwicklung (WCED), und dann auch in Rio 1992 sowie in Johannesburg 2002. Und wie die Verhandlungen über den Entwurf der Rio+20-Abschlusserklärung zeigen, wird sie auch dort eine zentrale Rolle spielen.

Globale Umweltprobleme könnten ohne den Süden und die Entwicklungsländer als gleichberechtigte Partner nicht gelöst werden. Daher ist es bei UNCHE zu der Koppelung von Umwelt und Entwicklung gekommen und in der jüngeren Vergangenheit zu dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung, das auf dem Erdgipfel 1992 angenommen wurde. Dies kann nicht davongewünscht werden, wie es manche Menschen in den Industriestaaten tun, indem sie Unterschiede zum Süden ausmachen.

Der Norden muss seine Strategie ändern, eine solidarische Haltung einnehmen und das Rio-Prinzip "gemeinsamer und differenzierter Verantwortlichkeiten" befolgen. Doch bisher kann man beobachten, mit wie viel Eifer versucht wird, die Umweltagenda in ein großes Geschäft und eine günstige Möglichkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu verwandeln. Zugleich werden die besonders hervorstechenden Entwicklungsländer als die größte Bedrohung für die Umwelt dargestellt und in dem endlosen Bemühen, die Gruppe der 77 zu spalten, gegen die kleineren Gruppen klimaanfälliger Staaten ausgespielt.

Der Nord-Süd-Konflikt lebt, wird auch auf der Rio+20-Konferenz spürbar sein und sich in nächster Zeit fortsetzen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.uncsd2012.org/rio20/index.html
http://www.un.org/geninfo/bp/enviro.html
http://www.unep.org/Documents.Multilingual/Default.asp?documentid=97&articleid=1503
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107952

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 31. Mai 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2012