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GLOBAL/058: "Rio+20 der Völker". Commons - Ein Kaleidoskop für die Zukunft, die wir wollen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2012
Landwirtschaft - Da ist der Wurm drin?!

Commons
ein Kaleidoskop für die Zukunft, die wir wollen

von Stefan Tuschen



Unter der Überschrift »Rumo à Rio+20 dos povos«, etwa »auf dem Weg zum Rio+20 der Völker« gab es beim Thematischen Sozialforum in Porto Alegre Ende Januar - neben den unzähligen selbst organisierten Aktivitäten und Veranstaltungen - ein von den Organisatoren des Sozialforums erarbeitetes Programm. Dessen Kern waren 17 »Thematische Arbeitsgruppen« [1] zu Themen, die mit dem Titel des Forums »Kapitalistische Krise, soziale und ökologische Gerechtigkeit« eng verknüpft und aus Sicht des Forums im Rio+20 Kontext zentral sind. Dazu zählten »nachhaltige Städte«, »Konsum«, »Territorien und Buen Vivir«, »Extraktivismus und Bergbau«, »Alternativen zur Green Economy« und: »Commons«.

Auf dem Programm der Gruppe Bens Comuns/Commons stand die gemeinsame Analyse der Commons als alternatives (sozioökonomisches) Paradigma, sowohl zum aktuell vorherrschenden globalen Wirtschaftsmodell als auch zu seiner grünen Variante, der Green Economy. Ziel war die Erarbeitung eines Vorschlags für das gemeinsame Dokument aller Arbeitsgruppen und die Entwicklung einer Strategie für den Rio+20-Prozess.

Die Analyse mit einer Definition zu beginnen, erwies sich als schwierig, da es keinen einheitlichen Begriff von Commons gibt und die adäquate Übersetzung des Begriffs in fast allen Ländern zu komplexen Debatten führt. Das Bestreben wurde daher auch schnell hinter den Konsens zurück gestellt, dass eine global gültige Definition von Commons einer Einhegung gleich komme und daher gar nicht Ziel des Prozesses sein sollte.

Gemeingüter sind keine Güter

Schnell einig war sich die Arbeitsgruppe darüber, dass Commons nicht in erster Linie common goods, also Güter sind, wie man angesichts des verbreiteten Sprachgebrauchs sowohl im Portugiesischen (bens comuns), Spanischen (bienes comunes) als auch im Deutschen (Gemeingüter) annehmen könnte. Und Commons existieren auch nicht per se, sie müssen geschaffen und gestaltet werden. Der Fokus liegt dabei auf den sozialen Beziehungen, die durch Nutzung von Natur, Software oder Wissen entstehen. Zu den Commons gehören also soziale Praktiken, die auf den Prinzipien des commoning aufbauen. Denn im Kern, so auch der Nobelpreisgekrönte wirt-schaftswissenschaftliche Ansatz von Elinor Ostrom, handelt es sich bei der Commons-Debatte um die Frage, wie gesellschaftliche Institutionen beschaffen sein sollten. Dabei zeigen die Commons dem Konsens in Porto Alegre zufolge einen »alternativen Rahmen auf, nicht nur für einen Wandel des alltäglichen Lebens sondern auch für gesellschaftliche Normen und eine öffentliche Politik, die Selbstbestimmung als zentrales Element sozialen Wandels anerkennen«.[2]

Eine Commons-basierte Zukunft?

Mit der Zukunft, die die Staats- und Regierungschefs für sich, die Menschen und den Planeten laut dem Zero Draft, dem ersten Entwurf für die Abschlusserklärung der Rio-Konferenz wollen, hat dies wenig zu tun. Die Green Economy, die dort zu den Kernelementen gehört, kommt aus Sicht der Commons-Debatte der »nächsten Runde der Einhegung, Kommerzialisierung und Inwertsetzung der Natur« gleich.

Ein Blick durch das Kaleidoskop bietet eine Vielzahl von Alternativen. Die Diskussion in der Arbeitsgruppe warf ein Schlaglicht auf die »reiche Vielfalt von Commons-basierten Erfahrungen, Innovationen und Produktionen: kollaborative Konsumstrategien verbunden mit geldfreien Tauschformen und der Praxis des Teilens, kollektive Managementsysteme für gemeinsame Ressourcen wie Wald, Bewässerungskanäle, Fischgründe und zahlreiche Initiativen in der digitalen Welt.« Allen gemein ist ein hohes Maß an »Selbstbestimmung und kollektiver Verwaltung gemeinschaftlicher Ressourcen. Die sozialen Praktiken, die mit diesem Paradigma in Verbindung stehen, haben einiges gemeinsam: Das wichtigste ist, dass sie auf der Idee aufbauen, dass die persönliche Selbstentfaltung von der der Anderen abhängt und umgekehrt. In gewisser Weise verwischen so die Grenzen zwischen den partikularen und kollektiven Interessen.«

Auf dem Weg nach über Rio

Porto Alegre war ein wichtiger Zwischenstopp, um die CommonsDebatte international ein Stück voran zu bringen und mit dem Rio-Prozess zu verknüpfen. Dass die Commons Eingang in die offiziellen Abschlussdokumente von Rio+20 finden werden, ist eher unwahrscheinlich.

In Porto Alegre aber haben die Commons viel Aufmerksamkeit bekommen. In der Synthese der Arbeitsgruppenergebnisse spielen sie eine wichtige Rolle. Auch in der Erklärung der Versammlung der sozialen Bewegungen von Porto Alegre [3] wird auf die Commons und deren Verteidigung Bezug genommen. Zum Abschluss des Sozialforums erfolgte der offizielle Aufruf für den Gipfel der Völker, der vom 15. bis 23. Juni 2012 parallel zur UN-Konferenz stattfinden wird. Dort werden die Commons vermutlich eine wichtige Rolle spielen, wie schon der Titel verrät: Cúpula dos Povos por Justiça Social e Ambiental - Contra a Mercantilização da Vida e em Defensa dos Bens Comuns.[4] Angesichts der Ideenlosigkeit des Zero Drafts bietet sich das Commons-Paradigma durchaus als Vorschlag für eine Zukunft an, die wir wollen.

Der Autor arbeitet bei der Arbeitsstelle Handel und Umwelt des Evangelischen Entwicklungsdienstes in Bonn. Über Commons bloggt er auf gemeingueter.de

Mehr über Commons unter:
www.gemeingueter.de
www.commonsblog.de
Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.):
Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielefeld i. E.

[1] siehe http://dialogos2012.org/
[2] In Anführungszeichen: frei übersetzte Passagen aus dem Papier der Arbeitsgruppe; englische Version siehe http://www.commonsblog.de/
[3] siehe http://www.rioplus20blog.de/
[4] http://cupuladospovos.org.br/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2012, Seite 29
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2012