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GLOBAL/165: Mit frischer Kraft endlich vorwärts? Auf dem Weg zum neuen Biodiversitätsrahmenwerk (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2019

Die Geister, die wir riefen
Chemikalien belasten zunehmend Mensch und Umwelt - Zeit zu handeln!

Mit frischer Kraft endlich vorwärts?
Auf dem Weg zum neuen globalen Biodiversitätsrahmenwerk

von Friedrich Wulf


Die bevorstehende 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP) der UN-Biodiversitätskonvention (CBD) im Oktober 2020 wirft ihre langen Schatten voraus. Auf dieser Konferenz, die in der südchinesischen Stadt Kunming stattfindet, soll das neue Globale Biodiversitätsrahmenwerk beschlossen werden, das den bisherigen strategischen Plan der CBD 2010-2020 ablösen wird. "Ambitioniert" soll es werden, da sind sich alle einig, doch was bedeutet das, und was muss man tun, um endlich das Ruder herumzureißen und zumindest die Rate des Biodiversitätsverlustes zu verringern? In dem umfassenden Prozess wird bisher viel über die Ziele gefachsimpelt und wie diese angeordnet werden sollen. Um aber die Probleme anzugehen, die der Bericht des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) im Mai 2019 eindrücklich vor Augen geführt hat, braucht es vor allem eine Verbesserung der Umsetzung. Die Biodiversität muss endlich aus der Umweltnische heraus in den Mainstream, und es muss mehr über Transparenz, Verbindlichkeit und Durchschlagskraft der Konvention gesprochen werden.


Eigentlich ist der Anlass eher formell: Der bisherige, 2010 im japanischen Nagoya beschlossene strategische Plan läuft aus, und es muss festgelegt werden, wie es ab 2020 weitergeht. Doch gibt es auch inhaltlich guten Grund zu schauen, ob man die Umsetzung der CBD mit einer neuen Strategie nicht verbessern kann. Denn nur eines seiner 20 Ziele (das Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls, das auf internationaler Ebene den Zugang und die Nutzung genetischer Ressourcen regelt) wurde vollständig erreicht. Der Bericht des IPBES vom Mai dieses Jahres zeigt deutlich: der Biodiversitätsverlust schreitet ungebremst voran, das Ziel, ihn aufzuhalten, wurde erneut verfehlt.

Der Weg zum neuen Abkommen

Gute Gelegenheit also, hier nachzubessern und international einen Rahmen zu schaffen, damit es diesmal nach den Pleiten von 2010 und 2020 in den nächsten zehn Jahren endlich gelingen kann, den Schwund der Artenvielfalt zu bremsen. Damit das Ergebnis wirklich gut und von allen Ländern getragen wird, wurde ein umfassender internationaler Prozess aufgegleist. Die Taktdichte globaler Treffen im Rahmen der CBD wird deutlich erhöht: Zusätzlich zu den ohnehin stattfindenden beiden Treffen des wissenschaftlich-technischen Ausschusses (SBSTTA), die binnen zwei Jahren beziehungsweise zwischen zwei Vertragsstaatenkonferenzen normalerweise stattfinden, wurden zunächst regionale Konferenzen in allen Kontinenten veranstaltet, denen seit August 2019 vier Treffen der Open-ended working group (OEWG) folgen. Diese Arbeitsgruppe soll Inhalt und Text des neuen Biodiversitätsabkommens entwerfen, das in seiner Bedeutung vergleichbar mit dem Paris-Abkommen sein wird. Ihr sollen vielfältige globale ExpertInnenworkshops zuarbeiten, etwa zu den Themen Ökosystemrestaurierung, Schutzgebiete, Ressourcenmobilisierung und Umsetzungsmechanismen. Auch auf nationaler und Ebene der Europäischen Union (EU) hat sich die Zahl der Treffen deutlich erhöht. Die Ergebnisse des Prozesses sollen im Juli 2020 vorliegen und die dann noch strittigen Punkte auf der CBD COP im Oktober 2020 bereinigt und das neue Abkommen beschlossen werden.

Was steht auf dem Spiel?

Auch wenn eine vertiefte Ursachenanalyse noch aussteht - klar ist, dass das Scheitern des bisherigen strategischen Plans und seiner Ziele in erster Linie an der mangelnden Umsetzung liegt. Zu wenig wurde getan, um sie zu erreichen. Wirklich gekümmert haben sich lediglich die (personell und finanziell) schlecht aufgestellten Umweltministerien und so wundert es auch nicht, dass die Erreichung der Ziele in ihrem Zuständigkeitsbereich (z. B. Ausweisung von Schutzgebieten) in vielen Fällen besser ist als bei anderen Zielen, etwa die Landwirtschaft nachhaltig zu gestalten oder biodiversitätsschädigende Anreize abzuschaffen. Weil aber die Ursachen des Biodiversitätsverlustes aus allen Ebenen und Sektoren von Politik und Gesellschaft stammen, muss die Umsetzung des neuen globalen Biodiversitätsrahmenwerks nun auch durch alle Sektoren und die Regierungen in ihrer Gesamtheit erfolgen. Das neue Biodiversitätsrahmenwerk muss durch die Staatsoberhäupter in Kunming verabschiedet und von ihnen getragen werden, und jedes einzelne Amt und Ministerium muss die nötigen Maßnahmen in seinem Zuständigkeitsbereich beschließen und umsetzen. Nur wenn sich die Regierungen in ihre Gesamtheit um die Umsetzung kümmern, wird es gelingen, die im Mai 2019 vom IPBES erhobenen Forderungen nach Bekämpfung der Ursachen des Biodiversitätsverlustes (Änderungen der Landnutzung, direkte Verfolgung durch Jagd und Fischerei, Klimawandel, Umweltverschmutzung und die Ausbreitung gebietsfremder Arten) und Änderung der dem zugrundeliegenden Mechanismen (z. B. internationale Handelspolitik und Konsum) auch umzusetzen.

Es braucht klare Richtlinien für die Umsetzung

Generell muss die Umsetzung der Biodiversitätskonvention und des neuen Biodiversitätsrahmenwerks gestärkt werden. Dazu gehören Standardisierung, bessere Überprüfung und Stärkung der Verbindlichkeit: Derzeit gibt es keine Vorschriften, wie die nationalen Biodiversitätsstrategien und nationalen Berichte zur Umsetzung der Biodiversitätskonvention strukturiert werden sollen. Sie sind somit weder untereinander noch mit der globalen Strategie vergleichbar. Man kann sie nicht beurteilen und die Berichte neigen dazu, einzelne Projekte und Erfolge herauszustellen, statt einen Überblick über den Stand der Erreichung der 20 Ziele zu geben. Um diese nötige Transparenz zu schaffen, muss ein klares, einheitliches Standardformat für diese zentralen Instrumente der CBD-Umsetzung eingeführt werden.

Aufbauend auf die nationalen Berichte braucht es einen Prozess, in dem die erzielten Ergebnisse durch unabhängige ExpertInnen und andere Länder überprüft, beurteilt und besprochen werden und damit Ideen zur Verbesserung der Situation übernommen werden. Am Ende müssen - anders als heute - klare Verstöße gegen die Konvention auch Konsequenzen haben. Ein sogenannter "Compliance-Mechanismus" tut not, wie er in anderen Konventionen enthalten ist. In diesem können vermeintliche Regelverstöße vorgebracht und Sanktionen beschlossen werden, etwa durch Kürzungen globaler Fördertöpfe. Hierzu müssen die tatsächlichen Verpflichtungen im neuen Biodiversitätsrahmenwerk allerdings sehr klar und verbindlich definiert werden.

Leider fokussiert die Diskussion aktuell wenig auf diese wichtigen Elemente. Stattdessen wird viel am derzeitigen Zielekanon herumgedoktort, es wird eine neue "Architektur" oder bessere Indikatoren vorgeschlagen. Viele fordern ein eingängiges, übergeordnetes Ober- oder "Apex"-Ziel, das man ebenso wie das 1,5 Grad Celsius-Ziel der Klimakonvention leicht kommunizieren kann, was aber angesichts der Komplexität des Themas Biodiversität nicht möglich ist. Dieser Fokus auf die Ziele ist falsch. Ursache für die nicht zufriedenstellende Zielerreichung sind nicht die Ziele selbst - diese sind gut formuliert und decken das gesamte Spektrum der Biodiversitätspolitik ab - sondern ihre mangelhafte Umsetzung.

Die Industrieländer müssen sich bewegen.

Damit dieses neue Abkommen zustande kommt, braucht es allerdings auch noch zwei weitere Zutaten, über die im Rahmen des Post-2020-Rahmenwerks bisher wenig diskutiert wird: genügend Ressourcen. Hier sind die Industrieländer und auch Deutschland gefragt, die gemäß Text der Konvention eine besondere Verantwortung tragen. Und eine Einigung zur Frage der digitalen Sequenzinformation - mit dieser Technologie könnte das Nagoya-Protokoll umgangen werden (siehe Kasten). Befriedigende Lösungen sind vor allem für die Entwicklungsländer zwingend, die sonst einem neuen Abkommen nicht zustimmen könnten. In beiden Fällen müssen sich die Industrieländer bewegen, da es sonst kein grünes Licht für das globale Biodiversitätsrahmenwerk geben kann.

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Digitale Sequenzinformation (DSI)

sind genaue Daten über die genetische oder Erbinformation, mit deren Hilfe es möglich ist, Kopien des Organismus zu erstellen, von dem die Erbinformation stammt. Bisher war es nur möglich, dies zu tun, wenn diese Erbinformation physisch vorlagen (d. h. man also tatsächlich Individuen des betreffenden Organismus hatte). Das 2010 verabschiedete Nagoya-Protokoll unter der CBD besagt, dass eine gewerbliche Nutzung von Erbinformationen nur nach Einverständnis desjenigen Landes bzw. derjenigen Menschen möglich ist, aus denen diese stammt, und diese an den Gewinnen der gewerblichen Nutzung beteiligt werden müssen. Mit der digitalen Sequenzinformation entfällt nun die Notwendigkeit, das Erbgut physisch weiterzugeben, die Daten können elektronisch weitergegeben werden. Wenn diese Alternative zum Transfer des Erbguts im Gegensatz zur physischen Weitergabe nicht unter das Nagoya-Protokoll fällt und somit keine Pflicht zur Teilung der Gewinne aus ihrer Nutzung mehr besteht, besteht die große Gefahr, dass eine Weitergabe künftig nur noch elektronisch erfolgt und die Herkunftsländer leer ausgehen. Das Nagoya-Protokoll, über das jahrzehntelang verhandelt wurde, würde somit ausgehebelt.
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Autor Friedrich Wulf arbeitet beim Schweizer Bund für Naturschutz Pro Natura und ist Koordinator der AG Biodiversität des Forums Umwelt & Entwicklung, die die Arbeit zum Post-2020-Prozess begleitet.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Nach den verheerenden Waldbränden im November 2019 erklärt die Australische Koala-Stiftung die Beuteltiere für "praktisch ausgestorben".

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Quelle:
Rundbrief 4/2019, Seite 36 - 37
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2020

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