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KLIMA/560: Kurs Klimakatastrophe - verheerende Folgen unseres Krieges gegen Natur und Klima (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 227 - April / Mai 2022
Die Berliner Umweltzeitung

Kurs Klimakatastrophe
Der Weltklimarat warnt vor verheerenden, irreversiblen Folgen unseres Krieges gegen die Natur und das Klima

von Jürgen Tallig



Karikatur von Gerhard Mester zum Klimawandel: 'Weiter so'. Ein Tourenbus der 'Weiter-so-Tours' rast am Warnschild mit Totenkopf 'Stop! Klimawandel - Weiterfahrt nicht möglich!' vorbei auf eine Felskante zu Richtung Abgrund - Sprechblase: 'Keine Panik! Bis wir aufschlagen, haben wir noch jede Menge Zeit, eine andere Lösung zu finden!' - Karikatur: Gerhard Mester, CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0), via Wikimedia Commons

Gerhard Mester, CC BY-SA 4.0
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0
via Wikimedia Commons

Auch wenn die Welt diese Nachricht in der jüngsten lautstarken Propagandaschlacht des fossilen Zeitalters kaum vernommen hat, so ist doch unser Krieg gegen die Natur unverändert die eigentliche Herausforderung auf Leben und Tod, vor der die Menschheit steht.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres nennt den kürzlich erschienenen neuen Bericht des Weltklimarates IPCC [1] "einen Atlas des menschlichen Leids und eine Anklage gegen das kriminelle Versagen der Klimapolitik".

Fast die Hälfte der Menschheit ist schon jetzt besonders stark vom Klimawandel und seinen Folgen bedroht, ein weiteres Viertel muss sich an drastische Veränderungen anpassen.


Milliarden Menschen sind bereits betroffen

Die nächsten Jahre sind absehbar die letzte Gelegenheit, um die drohende Klimakatastrophe noch zu verhindern und die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Denn die Entwicklungen verlaufen schneller, die Risiken sind größer und die Biosphäre reagiert sensibler als bisher angenommen, schreibt der IPCC im zweiten Teil seines sechsten Sachstandsberichts. Sollte sich die Welt auch nur zeitweise über die Marke von 1,5 Grad erwärmen, rechnen die Autoren mit irreversiblen Auswirkungen auf die Ökosysteme. "Die Risikoschwellen werden schon bei deutlich niedrigeren Temperaturen erreicht", so Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven, einer der Hauptautoren des Berichts. Ein Zurück, zum Beispiel durch CO2-Rückholung, wird es bald nicht mehr geben. Die Klimarisiken schaukeln sich jetzt bereits hoch. "Jenseits der 1,5 Grad sehen wir schwerwiegende, zum Teil irreversible Schäden", sagt Mitautor Matthias Garschagen von der Uni München. "Zum Beispiel das Auftauen von Permafrostböden, das rasante Abschmelzen von Gletschern und Meereis und der weitere Verlust von Waldflächen. Das führt dazu, dass es immer schwieriger wird, die Temperaturkurve später wieder zu senken."


Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung

Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung - das war das inspirierende Motto der ökumenischen Bewegung in den 1980er Jahren in der DDR. Es ist heute aktueller denn je und drückt die Kernpunkte des notwendigen neuen Denkens aus. So schrecklich der Angriff auf die Ukraine ist, das Abrutschen in eine Eskalationsspirale von Gewalt, Erpressung, Waffenexporten und weiteren Kriegen muss unbedingt verhindert werden. Krieg, ökonomische Erpressung und Aufrüstung können nie eine Lösung sein, wie wir vor über 30 Jahren schon einmal wussten - auch wenn wir seitdem so einiges an 'System Change' und Krieg vonseiten des Westens erleben mussten. Doch der Rückfall in ein imperiales, in vielfacher Hinsicht fossiles Denken kann die Probleme der Staaten nicht lösen, geschweige denn die globalen Probleme. "Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst" - dieser wahre Satz gilt möglicherweise auch für unseren Krieg mit der Natur.

Wir müssen einen gesellschaftlichen Zustand verhindern, in dem die Menschheit quasi 'blind' weiter in Richtung Klimakatastrophe taumelt.

Plötzlich geht es um Aufrüstung und Rüstungsexporte, um die Verschiebung des Kohleausstiegs, die Verlängerung der Braunkohleverstromung und vielleicht sogar der Atomkraft. Plötzlich werden weitere 100 Milliarden Schulden gemacht, zu all den Coronaschulden noch dazu - für Aufrüstung. Klimaschutz ist wieder an fünfter Stelle in der Prioritätenliste und in den Nachrichten.

Groko ohne Ende

Es gibt einen fossil-mobil-monetären - und militärischen, muss man nun unbedingt hinzufügen - Machtkomplex in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, der grundsätzlich weitermachen will wie bisher. Ob Große Koalition oder Ampel - die eigentliche Große Koalition im Hintergrund, die zwischen Wirtschaft, Großkapital und Politik, wird davon nicht berührt, wie der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien deutlich macht.

Hier einige Stichworte aus dem Vertrag: "Raum für unternehmerisches Wagnis schaffen", "Wachstum generieren", "wirtschaftlich und technologisch in der Spitzenliga spielen", "Eisenbahnverkehrsunternehmen gewinnorientiert im Wettbewerb", "Wettbewerbsfähigkeit für nachhaltiges Wachstum erhöhen", "Börsengänge für Wachstumsunternehmen erleichtern" - und immer so weiter.

Worte, die nicht vorkommen, sind Genügsamkeit, Konsumverzicht, Suffizienz, Vermögenssteuer oder Wachstumsbegrenzung. Doch grüne und olivgrüne Subventions- und Konjunkturprogramme für Großkonzerne [2] reichen nicht aus, um den Klimakollaps noch zu verhindern (siehe auch Rabe Ralf August 2020, S. 3 [3]). Es geht nicht um die Begrünung und Aufrüstung der 'Megamaschine', sondern um ihre Verschrottung.

Die eigentliche Freiheits- und Friedensenergie

Die Klimakatastrophe und die weitere Naturzerstörung lassen sich durch eine bloße Dekarbonisierung und Elektrifizierung der heutigen Strukturen nicht verhindern - schon weil es dafür gar nicht genügend erneuerbare Energien gibt -, sondern nur durch eine gleichzeitige, sehr schnelle Verringerung des Energie- und Rohstoffverbrauchs der Ökonomien und Gesellschaften.

Die eigentliche 'Freiheitsenergie' - wie FDP-Finanzminister Christian Lindner neuerdings die grüne Energie nennt - ist die nicht verbrauchte und nicht benötigte Energie. Vor allem ist diese gesparte Energie gleichzeitig Friedensenergie, da sie den expansiven Druck zur Energie- und Rohstoffsicherung, der uns schon einige 'Öl-Kriege' beschert hat und den Zwang der globalen Marktkonkurrenz mindert.

Laut der 'Denkfabrik' Agora Energiewende wäre zur Einhaltung der Klimaziele eine schnelle Reduzierung des Energieverbrauchs um 50 Prozent notwendig. Die Wege zum 'Freiheits- und Friedensenergiesparen', zur Energiesouveränität und zum Klima- und Umweltschutz sind weit offen. Dazu gehören eine Regionalisierung der Wirtschaft mit entsprechend verringerten und verteuerten Transporten, eine erhebliche Verringerung des Energie- und Stoffdurchsatzes der Wirtschaft und vor allem auch der Landwirtschaft und eine entsprechend geänderte Subventionspolitik. Genauso ist ein Ende der Globalisierung und der energiefressenden Digitalisierung notwendig.


Krieg gegen die Natur

Der Überkonsum und die globalisierten kapitalistischen Ausbeutungsstrukturen zerstören die Biosphäre und die Reproduktionsfähigkeit der Lebensgrundlagen. Das ist auch ein Krieg, ein globaler Krieg gegen das Leben. Der weltweite Raubbau an Ressourcen und Naturgütern verursacht nicht nur Treibhausgasemissionen, er zerstört auch CO2-Senken wie Wälder, Böden und Meere. "Die Natur kann unsere Rettung sein, aber nur, wenn wir sie retten!", sagt die Direktorin des UN-Umweltprogramms UNEP, Inger Andersen.

Der Weltklimarat IPCC erachtet als nötig: Es müssten alljährlich 1,6 bis 3,8 Billionen Dollar ausgegeben werden, um eine Klimaerwärmung um mehr als 1,5 Grad Celsius zu verhindern. Um das ins Verhältnis zu setzen: Fossile Brennstoffe werden nach jüngsten Schätzungen mit jährlich 554 Milliarden Dollar subventioniert und in ihr Militär stecken die Länder der Welt pro Jahr rund zwei Billionen Dollar. Ein neuer Rüstungswettlauf ist jetzt wirklich das Allerletzte. Es gilt militärisch, aber auch energetisch und ökonomisch abzurüsten und die freiwerdenden Mittel in die Sicherung der Lebensgrundlagen und die Verhinderung der Klimakatastrophe umzulenken und eine gerechte, global wirksame neue Sicherheits- und Kooperationsstruktur zu schaffen. Es gilt, den 'Meistern des Todes', den Kriegstreibern und Rüstungsprofiteuren das Handwerk zu legen und zu beweisen, dass der Mensch nicht nur mit Vernunft begabt ist, sondern auch fähig ist, diese zu gebrauchen, um seine Zukunft und sein Überleben zu sichern.

Noch haben wir die Wahl zwischen Krieg und Frieden, auch mit der Natur:

"Give Peace a Chance!"


Der Autor hat 1989 das Neue Forum in Leipzig mitgegründet.
Weitere Informationen:
www.earthattack-talligsklimablog.jimdofree.com

Anmerkungen
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Sechster_Sachstandsbericht_des_IPCC
[2] https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/juni/nebelkerze-green-new-deal
[3] https://www.grueneliga-berlin.de/publikationen/der-rabe-ralf/aktuelle-ausgabe/gruene-deals-wer-bezahlt-und-wer-kassiert/

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Quelle:
DER RABE RALF
33. Jahrgang, Nr. 227, Seite 17
im Schattenblick veröffentlicht
mit freundlicher Genehmigung
des Autors und der "DER RABE RALF" Redaktion
(vom Autor leicht überarbeitet und ergänzt am 20.04.2022)
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 25 Euro

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 26. April 2022

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