Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


MEER/241: Ocean-Grabbing - Den Ausverkauf von Meer und Küste stoppen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2016
Völlig losgelöst
Lässt sich die EU noch demokratisieren?

Ocean-Grabbing
Den Ausverkauf von Meer und Küste stoppen

Von Francisco Marí


Auf der Suche nach Lösungen für ein nachhaltigeres Wirtschaften stehen Lösungen im Rahmen der "Green Economy", die ein Ende der auf fossilen Rohstoffen aufgebauten Naturausbeutung ankündigt, ganz hoch im Kurs. Auf der SDG-Vorkonferenz (Sustainable Development Goal) Rio+20 (Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro) im Jahr 2012 scheiterte zwar die Aufnahme der Green Economy als Postulat industrieller "nachhaltiger" Nutzung der Landressourcen, dafür hatten die aufs Meer schauenden Konzerne mehr Erfolg mit der Proklamierung einer "Blue Economy". Nicht zum ersten Mal wird den Weltmeeren zugemutet, für die Lösung globaler Fragen, wie Energie, Hunger, Landknappheit oder Rohstoffe, praktikable Lösungen anbieten zu können. Dabei werden Investoren damit gelockt, dass sie sich auf den unbewohnten Weltmeeren die quälenden Auseinandersetzungen mit Interessengruppen, Menschenrechten, AktivistInnen von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen sparen könnten.

Tatsächlich haben die klassischen Nutzungen auf den Meeren, wie Handelsschifffahrt, Fischerei und extraktive Industrien von Gas und Öl, noch weitere Nutzungen über und unter dem Meer, aber vor allem an den Küsten erhalten. Damit wird der Bevölkerung, die auf Nahrung und Einkommen aus den küstennahen Gewässern angewiesen ist, die Lebensgrundlage entzogen. Dazu zählen auch Investitionen an den Küsten und Stränden, wie der Tourismus, Windparks, aber auch der Ausbau von Häfen und das Anwachsen der Megastädte, von denen über Zweidrittel an den Küsten liegen, und der immer näher rückende kommerzielle Ressourcenabbau in der Tiefsee. Der Drang auf die Küsten wird zunehmen. Schon jetzt leben über eine Milliarde Menschen nicht weiter als 25 Kilometer von der Meeresküste entfernt. Es zeigt aber, dass die Küstengemeinschaften einen mindestens ebenso ungleichen Kampf gegen verschiedene Interessengruppen führen, wie ihre MitstreiterInnen auf dem Land gegen Landgrabbing.

Im ersten Bericht an die Vereinten Nationen des ehemaligen Berichterstatters Olivier de Schuetter, der sich mit dem Fischfang zur Sicherung des Rechts auf Nahrung beschäftigte, wurde der Begriff "Ocean-Grabbing" für diese Entwicklungen verwendet und wie folgt definiert:

"Ocean-Grabbing - in Form fragwürdiger Zugangsvereinbarungen, die Kleinfischern schaden, illegaler Fänge, des Eindringens in geschützte Gewässer und des Entzugs der Ressourcen weg von den lokalen Bevölkerungen - kann ebenso ernsthaft wie das Land-Grabbing als reale Bedrohung angesehen werden".(1)

Die Betroffenen im Fischereisektor, FischerInnen und ArbeiterInnen in der Verarbeitung, machen schon lange deutlich, dass sie gegenüber dem Expansionsdrang von Konzernen, Behörden oder auch Naturschutzverbänden keine wirklichen Mitspracherechte haben. Daher haben sich deren internationale Verbände in den letzten Jahren an 2 internationalen Prozessen beteiligt: den Freiwilligen Leitlinien Land, Wald und Fischgründe sowie denen zum Schutz der Kleinfischerei.(2) Sie sind zwar "nur" freiwillige Selbstverpflichtungen der Staatengemeinschaft, können aber als Instrumente und Blaupausen zur Neudefinition nationaler Mitbestimmungsrechte des handwerklichen Fischereisektors bei Küsteninvestitionen dienen.

FAO-Leitlinien gegen Privatisierung der Fischgründe

Eine Gefahr, die noch vor ein paar Jahren von Weltbank bis WWF (World Wide Fund for Nature) als Königsweg zur Rettung der Fischbestände gepriesen wurde, scheint mit diesen Leitlinien der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) für Entwicklungsländer vorerst vom Tisch zu sein: die Privatisierung der Fischgründe. Hier hoffte man, durch die staatliche Vergabe von handelbaren Fanglizenzen an Fischereiunternehmen eine nachhaltigere Nutzung zu fördern. Angeblich positive Beispiele aus Dänemark, den USA oder Neuseeland, wo diese Fanglizenzen selbst auf der Börse Spekulationsobjekt sind, wurden als Förderinstrument für die industrielle Fischerei entlarvt. Besonders die heftige Auseinandersetzung in Südafrika zwischen den Privatlizenzen an Industrietrawler und dem Ausschluss der Kleinfischerei aus ihren eigenen Fischgründen führte weltweit vor Augen, dass diese handelbaren Fangrechte nur eine Form von Ocean-Grabbing zu Ungunsten der handwerklichen Fischerei sind. Inzwischen hat sich der Motor dieser Entwicklung, die in Rio+20 gegründete "Global Partnership for Oceans" der Weltbank, aufgelöst. Dazu haben sicher auch die Implementierungsdiskussionen um die Freiwilligen Leitlinien zum Schutz der Kleinfischerei beigetragen. Hier wird klar einem menschenrechtsbasierten Ansatz bei der Entscheidung über die Nutzung der Fischgründe der Vorzug gegeben.

Denn seit ihrer Verabschiedung im Jahr 2014 haben die Leitlinien eine erstaunlich breite Diskussion in vielen Ländern darüber entfacht, wie wichtig es für den Lebensunterhalt an den Küsten und für den Erhalt der Ernährungssicherheit ist, dem handwerklichen Fischereisektor besondere Schutz- und Mitbestimmungsrechte einzuräumen. Noch vor einigen Jahren weigerten sich viele Länder, überhaupt einen Unterschied zwischen handwerklicher und industrieller Fischerei zu akzeptieren und in ihren Gesetzgebungen zu differenzieren.

Rechte auf dem Papier sind geduldig

Angesichts der Unmenge an beschriebenen Bedrohungen durch die auf Küste und Meere zugreifenden Konzerne ist das ein wichtiger Anker. Er wird aber nicht ausreichen. Jüngste Beispiele aus Infrastrukturprojekten an asiatischen Küsten in Sri Lanka und Indien zeigen, dass, sobald Regionalbehörden und Investoren zum Beispiel um Tourismusprojekte kungeln, erkämpfte Rechte wieder neu verteidigt und durchgesetzt werden müssen. Der Erfolg des 2016 verabschiedeten strategischen Rahmenplanes zur Implementierung der Kleinfischerei-Leitlinien,(3) in den die VertreterInnen der Kleinfischereiorganisationen sehr viel von ihren bisherigen Erfahrungen einbringen konnten, wird auch von der finanziellen Ausstattung durch die Mitgliedstaaten abhängen. Die Konsultationsprozesse für neue Fischerei-Rahmengesetze sind kostspielig, wenn sie inklusiv sein sollen. Bisher hat die FAO vor allem auf Regionalseminaren eine Sensibilisierung von Regierungen, Behörden, Industrie und Kleinfischerei ermöglicht.

Aber erst auf Ebene der Staaten wird sich zeigen, wie weit die Berücksichtigung von Interessen der Kleinfischerei umgesetzt wird. Dabei genügt es nicht, nur Rechte auf Papier festzuhalten, sondern es bedarf auch einer konkreten Unterstützung der Ausbildung von FischerInnen und ArbeiterInnen in der Vermarktung, die Bereitstellung von Krediten und Subventionen für den Kauf von nachhaltigem Fanggerät oder den Ausbau der Infrastruktur auf den Anlande- und Verarbeitungsplätzen. Die Betroffenen brauchen auch Unterstützung durch politische Fortbildung, um ihre Interessen bei Investitionsentscheidungen an der Küste und Offshore (vor der Küste) vertreten zu können. Dazu gehört auch die Förderung von Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaft, die Folgenanalysen solcher Investitionsmaßnahmen im Auftrag des Fischereisektors durchführen können. Ein wichtiger Bereich wird auch die Unterstützung des Kleinfischereisektors bei Entscheidungen zur Erweiterung von Meeresschutzzonen werden, wie sie auch im SDG 14 formuliert sind. Diese Entscheidungen werden ein spannendes Beispiel sein, wie man verhindert, dass einzelne SDGs, hier z.B. SDG 2 (Hungerbekämpfung) und SDG 14 (Ozeane), nicht in Konflikt geraten. Ähnliche Zielkonflikte können angesichts der Schäden, die die Klimakatastrophe produzieren wird, entstehen. Der Verlust an Küste oder Fanggebiete durch Meeresversauerung oder Meeresspiegelanstieg dürfen nicht zu einem Automatismus führen, durch den die handwerkliche Fischerei ganz von den Küsten verschwindet, selbst wenn im Rahmen von Programmen zu Verlust und Entschädigung (Loss & Damage) Mittel für neue Aktivitäten außerhalb des Sektors aufgebaut werden.

Aquakultur ist keine Alternative zur Überfischung

Ein zunehmender Konflikt ist der Konkurrenzkampf der FischerInnen mit der industriellen Fischzucht an den Küsten. Der Rückgang der Fischbestände durch die Fischereiindustrie lässt sie in große Offshore-Fischzucht-Anlagen investieren. Sie nehmen der Kleinfischerei an Küsten und Gewässern den Raum weg. Außerdem bringen der Medikamenteneinsatz in solchen Mastanlagen und ausgebrochene Zuchtfische das gesamte fragile Ökosystem der für den Kleinfischereisektor wichtigen Fangarten durcheinander und gefährden es.

Ob die beschriebenen internationalen Rahmengesetzgebungen ausreichen werden, das Ocean-Grabbing zu stoppen und der handwerklichen Fischerei Einkommen und den Menschen in armen Ländern Fisch als gesundes Grundnahrungsmittel zu sichern, wird sich in den nächsten Jahren erweisen. Die Widersprüchlichkeit der Politik, sobald Investoren an Küsten und Meeren große Einnahmen für Staaten versprechen, Schutzrechte für den handwerklichen Fischereisektor einzuschränken, wird unausweichlich die Konflikte schüren. Je früher die Privilegierung dieses Sektors an Küste und Küstengewässer umgesetzt wird, desto frühzeitiger können Entscheidungen transparent und partizipativ getroffen werden.

Autor Francisco Marí ist Referent für Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik bei Brot für die Welt.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.


Fußnoten

(1) http://www.srfood.org/images/stories/pdf/officialreports/20121030_fish_en.pdf
(2) http://www.fao.org/3/a-i4356e.pdf
(3) http://www.fao.org/3/a-mq654e.pdf

*

Quelle:
Rundbrief 3/2016, Seite 24-25
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang