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MEER/377: Tiefseebergbau - Zwischen Entwicklungsversprechen, Klimaschutz und Greenwashing (Fair Oceans)


fair oceans - für die Weltmeere als gemeinsames Erbe der Menschheit und ihre nachhaltige Nutzung

Tiefseebergbau

Zwischen Entwicklungsversprechen, Klimaschutz und Greenwashing



Risikotechnologie Tiefseebergbau

Die Tiefsee ist faszinierend. Für lange Zeit war sie eine große Unbekannte. Sie beginnt dort, wo das Licht zu schwach ist, um Photosynthese zu ermöglichen, Dämmerung und letztlich Dunkelheit vorherrschen. Historisch gesehen erst vor Kurzem hat die Menschheit begonnen, in diese Tiefe vorzustoßen und deren Geheimnisse zu lüften. Heute wissen wir, dass die Artenvielfalt in den Ozeanen enorm ist, und ständig werden bis hinab in ihre tiefsten Regionen neue marine Lebewesen entdeckt. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ökologie und Evolution der Ozeane und der Tiefsee wachsen und verändern die Vorstellungen vom Leben unter Wasser.

Im selben Moment sind diese Unterwasserwelt und ihr ökologisches Gefüge mehr denn je bedroht. Eine neue Industrie ist im Entstehen: Tiefseebergbau soll betrieben werden. In mehreren Hundert oder Tausend Metern sollen in den Ozeanen Mineralien gefördert werden. Bergbaugeräte werden entwickelt, um den Meeresboden im ganz großen Stil aufreißen, zerkleinern und am Ende an die Oberfläche pumpen zu können. Einige der sensibelsten Habitate in der Tiefe wie die artenreichen Hänge der Seeberge und die einmaligen Hydrothermalfelder sowie die großen Ebenen am Meeresboden würden dadurch zerstört werden. In ihnen lagern enorme Erzvorkommen in Form von Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfiderzen. Sie sind die Ziele der Fördervorhaben und zugleich feste Bestandteile der betroffenen Ökosysteme. Ihre Lagerstätten wecken Begehrlichkeiten und lassen mittlerweile eine ganze Reihe von Staaten, ihre Behörden und multinationale Unternehmen weltweit Pläne schmieden für unterseeische Bergbaugebiete mit teilweise erheblichen Ausmaßen.

Dementsprechend groß ist die Gefährdung der marinen Ökosysteme durch diesen neuen Zweig der Bergbauindustrie. Artensterben und eine zusätzliche Belastung der ohnehin schon stark geschädigten Meere sind unvermeidlich. Unabschätzbar ist darüber hinaus die Reichweite der Folgewirkungen für die Ozeane im Ganzen und das Leben an ihren Küsten. In weiten Bereichen sind die Tiefsee und die ökologischen Beziehungen im Meer nach wie vor unbekannt. Ein allgemein anerkanntes Ökosystemmodell gibt es bisher nicht, das belastbare Aussagen über die Umweltverträglichkeit von Eingriffen in die Meereswelt und den ganzen Umfang der Zerstörung ermöglichen würde. Einigkeit besteht hingegen darin, dass die Tiefsee für das Meeresleben, die planetaren Kreisläufe und die Klimafunktionen der Ozeane von entscheidender Bedeutung ist.

Der Bergbau am Meeresboden stellt eine qualitativ neue Nutzung der Tiefsee dar, die nicht nachhaltig und vorsorgend umgesetzt werden kann, sondern vielmehr das Potenzial hat, zu einer ihrer größten Bedrohungen zu werden. Es ist eine weitere Risikotechnologie, die hier auf den Weg gebracht werden soll.


Optionen auf die Zukunft

Angetrieben wird das Interesse am Tiefseebergbau aktuell vom global wachsenden Bedarf an Rohstoffen und den sich parallel verschärfenden Konkurrenzen um die vorhandenen Vorkommen. Generell wird die Nutzung der Ozeane immer intensiver. Die Ozeane sind heute ein fester Bestandteil der Globalisierung, industrieller Produktionsprozesse sowie der Freizeitgestaltung. Nicht zuletzt sind sie reich an natürlichen Ressourcen wie Öl, Gas und Methan (Energie), Erzen, Sand und Kies (Bau und Produktion) sowie an Fischen, Meeresfrüchten und -pflanzen (Nahrung) und an genetischem Material (Lifescience).

Das gesellschaftliche Verhältnis zu den Meeren wandelt sich grundlegend. Die Ozeane werden in Gänze erschlossen, Grenzen verschoben, überschritten und neu gesetzt. Die Fortschritte in der maritimen Technologie, steigende Rohstoffpreise und die umfangreiche Erkundung der Ozeane ermöglichen diese Entwicklung und machen auch den Bergbau in der Tiefsee denkbar. Es ist ein regelrechter Wettlauf um die reichhaltigsten Vorkommen und die Verteilung der Nutzungsrechte im maritimen Raum entbrannt. In allen Ozeanen werden Lizenzen und damit Optionen auf die Rohstoffquellen der Zukunft erworben. Mit diesen sichern sich die beteiligten Akteure einen dauerhaften Einfluss auf die Rohstoffmärkte. Dieser Prozess schreitet fast lautlos voran. In Hinblick auf den Tiefseebergbau ist dies besonders fragwürdig, denn ein großer Teil der marinen Bodenschätze ist laut dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen [SRÜ] das gemeinsame Erbe der Menschheit.

Die Internationale Meeresbodenbehörde [IMB] verwaltet dieses Erbe als eigenständige Behörde der Vereinten Nationen. Alle mineralischen Ressourcen des Meeresbodens außerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszonen [AWZ] der Staaten und ihrer Erweiterungen fallen in ihren Zuständigkeitsbereich. Die Behörde und ihre Regularien entscheiden damit letztlich über die Lizenzvergabe für die Förderung der Bodenschätze auf über der Hälfte unseres Planeten. Etwa 2.000.000 Quadratkilometer an Lizenzgebieten für den Tiefseebergbau sind weltweit schon vergeben, sowohl im Gebiet der IMB als auch in AWZ unter dem Regime der jeweiligen Küstenstaaten. Momentan verhandeln die Mitgliedsstaaten der IMB das entscheidende Regelwerk für den Tiefseebergbau in ihrem Gebiet, womit die politischen und rechtlichen Vorbereitungen zur Einführung des Tiefseebergbaus in ihre Endphase eingetreten sind.

Allen Verpflichtungen des Seerechtsübereinkommens und den Bekenntnissen zum Schutz der Meere zum Trotz fordern viele der beteiligten Länder wie auch der Interessensgruppen der Rohstoffwirtschaft einen einfachen und billigen Zugang zu den Lagerstätten. Eine großzügige Honorierung der Abbaurechte für das Welterbe, die zum Beispiel allen Menschen eine kostenlose Versorgung mit gesundem Wasser garantieren würde, scheint nicht vorgesehen. Entwicklungspolitische Anliegen und der Meeresschutz erscheinen zweitrangig. Im schlimmsten Fall wird das Erbe letztlich verschachert werden ohne Rücksicht auf die umwelt- und entwicklungspolitischen Auswirkungen dieses Vorgehens und ohne eine wirklich breite öffentliche Debatte. Der politische Prozess entspricht somit in keinster Weise dem Gewicht der anstehenden Entscheidungen bei der ISA. Er ist intransparent und nicht partizipativ. Das Erbe wird sich erschlichen.


Globale Dimensionen

Während Industrieländer auf erschwingliche Metalle aus dem Meer für die Warenproduktion setzen, erhoffen sich gerade einige der Kleinen Inselentwicklungsländer vom Tiefseebergbau Einnahmen aus der Lizenzvergabe und dem Rohstoffexport für ihren Staatshaushalt. Eine Rollenverteilung, die den neuen Industriezweig aufgrund der verkrusteten, ungleichen Strukturen der Rohstoffwirtschaft und des notwendig hohen technischen und finanziellen Aufwands für Fördervorhaben in der Tiefsee wahrscheinlich auf Dauer kennzeichnen wird. Länder des globalen Südens begnügen sich in diesem Fall damit, maritimen Bergbaukonsortien auf Basis des Seerechtsübereinkommens bei der IMB stellvertretend Abbaulizenzen zu verschaffen oder gewähren diesen Schürfrechte direkt in ihren AWZ. Dafür erhalten sie Förderabgaben sowie eventuell eine Beteiligung am Handel mit den gewonnenen Erzen. Eigene Industrien werden nicht aufgebaut.

Entwicklungsländer werden schlicht zu Türöffnern für den Zugang zur Tiefsee für multinationale Unternehmen. Ein weiteres Mal werden die Ressourcen für die Konsumansprüche der Industrienationen und Schwellenländer aus dem globalen Süden geholt und die Gesellschaften dort müssen den Preis für ihre Abhängigkeit vom Rohstoffmarkt, auftretende Umweltfolgen und soziale Ungleichheit tragen. In diesem Kontext kann der neue Industriezweig auf längere Sicht sogar zu Einnahmeeinbußen für die meisten rohstoffexportierenden Staaten führen. So lange sich die Nachfrage nach mineralischen Rohstoffen nicht verringert, kann das Angebot von Erzen aus der Tiefsee auf dem Weltmarkt einen an sich - aufgrund von zunehmender Verknappung der Vorkommen an Land, steigenden Förderkosten sowie ökologischem Missmanagement - zu erwartenden Preisanstieg abbremsen. Die Erschließung der Tiefsee als Rohstoffquelle würde also dazu beitragen, die Weltmarktpreise für die Importeure langfristig zu stabilisieren und zugleich die problematischen ökonomischen Rahmenbedingungen der Bergbauindustrie im Rahmen der Blue Economy zu verfestigen.

In der Konsequenz weitet der Tiefseebergbau damit die Dominanz der Industriestaaten und der großen Player in der Rohstoffwirtschaft aus, während sich die strukturelle Abhängigkeit des globalen Südens weiter vertieft. 2018 hatte der Rohstoffsektor eine große oder sehr große Bedeutung in weltweit 40 Ländern, von denen überdurchschnittlich viele in Afrika liegen. Der volle Umfang der umwelt- und entwicklungspolitischen Auswirkungen des Tiefseebergbaus wird aber erst dann wirklich deutlich, wenn dieser als ein potenziell weltumspannender Industriesektor betrachtet wird. Die Offshore-Ölindustrie und die Rohstoffwirtschaft können hierbei als Anhaltspunkte dienen. Zwischen 25 und 35 Prozent der weltweiten Ölproduktion stammen mittlerweile aus Offshore-Quellen abhängig vom Weltmarktpreis. Wie bei der Offshore-Ölförderung werden der Start und die wirtschaftliche Dynamik des Tiefseebergbaus im Kern eine Preisfrage sein. Sind die Rohstoffpreise hoch genug und können die ersten Projekte technisch und wirtschaftlich erfolgreich umgesetzt werden, dann wird die Zahl der marinen Bergwerke unweigerlich steigen.

An Land gab es 2014 in 171 Ländern über 17.000 große Bergwerke. 2018 erwirtschafteten die Minenkonzerne weltweit 683 Milliarden US-Dollar. Der Wert der Raffinadeproduktion lag mit 1,844 Milliarden US-Dollar noch weit darüber. 1947 begann die Offshore-Ölförderung im Golf von Mexiko. 2017 befanden sich um die 12.000 Offshore-Installationen vor den Küsten von 53 Staaten. Allein die Investitionen in die Offshore-Produktion liegen bei rund 1 Milliarde US-Dollar am Tag. Diese Zahlen lassen die mögliche Dimension des Tiefseebergbaus im Vollbetrieb und den hohen Grad der Gefährdung für die Weltmeere erahnen. Für ein einziges gewinnbringendes Abbauvorhaben von Manganknollen muss laut den gängigen Kalkulationen jährlich eine Fläche von über 100 Quadratkilometern abgesammelt und zerstört werden. Dieser Flächenverbrauch übertrifft den von Minen an Land deutlich.

Oftmals bleiben solche Szenarien und die enormen Gewinnerwartungen der Branche unerwähnt, bevorzugt werden Erzählungen von Pionieren, die zum Wohle der Menschheit in die Tiefsee vorstoßen. Letztendlich soll der Tiefseebergbau jedoch vor allem ein lukrativer Geschäftszweig der Rohstoffindustrie werden. Nur eine hinreichende Größe der marinen Bergwerke, ihrer Produktion und Rendite rechtfertigt den Einsatz des investierten Risikokapitals und macht die Produktion der erforderlichen maritimen Technologien wie auch den Betrieb der Minen ohne eine staatliche Subventionierung gewinnbringend.


Legitimationsprobleme

Um die offensichtlichen Widersprüche des Tiefseebergbaus zum Meeresschutz und einer fairen Entwicklungszusammenarbeit auf See zu überdecken, haben die Hauptakteure bei der Etablierung der neuen Industrie ein scheinbar eingängiges Argumentationsgebäude entworfen. Die Tiefseebergbau-Konsortien DeepGreen und Nautilus Minerals, ein inzwischen gescheitertes Unternehmen, haben dazu Studien in Auftrag gegeben, die im wesentlichen drei zentrale Argumente untermauern sollen.

Das Hauptargument, welches sie hierbei ins Feld führen, ist, dass der Tiefseebergbau angeblich dem Klimaschutz dient. Eine Verknappung strategisch wichtiger mineralischer Rohstoffe soll demnach die Produktion von alternativen Energieträgern, Batterien und E-Autos gefährden. Der Tiefseebergbau soll die behauptete Versorgungslücke schließen können und wird so zum Garanten der Klimawende stilisiert.

Die zugrunde liegenden Szenarien und Bedarfsrechnungen für mineralische Erze können jedoch in Frage gestellt werden. Im Kern dienen die Berechnungen dazu die Erfolgsaussichten einer alternativen Rohstoffpolitik zu bestreiten, die auf Kreislaufwirtschaft, Recycling, Sparsamkeit, Langlebigkeit und nachhaltige Produktionsprozesse und Grundstoffe setzt. Statt auf einen Ausbau des Bergbaus in den Ozeanen und einen scheinbar unerschöpflichen Nachschub zu setzen, könnten schlicht auch höhere Rohstoffpreise für eine umweltfreundlichere und sozial gerechtere Ausbeutung von weniger lukrativen Vorkommen akzeptiert sowie eine umfassende Reduzierung des Rohstoffkonsums angestrebt werden. Mit der Argumentation der Befürworter#innen wird der Klimaschutz zur Legitimation für die Zerstörung der Weltmeere. Die Argumente münden im Missbrauch der Klimabewegung und ihrer Ziele zur Rechtfertigung der Interessen der marinen Bergbauindustrie.

Das, was der Klimaschutz bewahren will, wird durch den Tiefseebergbau gefährdet: so auch potenziell die Funktion der Ozeane als wichtigste Kohlenstoffspeicher des Planeten. Wenn transnationale Konzerne die marinen Erze fördern und sie auf dem Weltmarkt veräußern, wird weder zwangsläufig die Verfügbarkeit von Metallen in den nationalen Produktionsketten noch für die Energiewende gesichert.

Das zweite zentrale Argument zur Legitimation des Bergbaus am Meeresboden ist, dass die Förderung in der Tiefsee weniger ökologischen Schaden anrichtet als der Bergbau an Land. Zugespitzt lautet die Behauptung, der Tiefseebergbau würde den tropischen Regenwald vor weiteren Bergbauprojekten bewahren. Tatsächlich wird der Tiefseebergbau die globale Belastung durch den Bergbau keineswegs verringern, sondern dazu beitragen, die planetaren Grenzen noch stärker zu strapazieren als dies bereits geschieht. Die Minen in der Tiefsee werden die Minen an Land aus vielerlei Gründen nicht ersetzen. Am Ende wird es in der Summe mehr Minen und mehr Bergbau geben. Dies wird die Konkurrenz zwischen den Minengesellschaften verschärfen und vor allem im globalen Süden den Druck auf Umwelt und Arbeitsbedingungen erhöhen. Den Regenwald wird der Tiefseebergbau nicht schützen, sondern eher das Gegenteil bewirken.

Mit Blick auf den Natur- und Artenschutz ist es darüber hinaus geradezu kontraproduktiv die Zerstörung des einen marinen Ökosystems, wie der Seeberge, mit dem besseren Schutz eines Landökosystems zu begründen. Der Tiefseebergbau mit seiner Bedrohung der marinen Artenvielfalt und Ökosysteme steht vielmehr im Gegensatz zu den Bemühungen, den Meeresschutz zu verbessern. Deutlich wird diese Inkohärenz mit Blick auf die Seeberge und Hydrothermalfelder und die Versuche sie im Rahmen internationaler Initiativen als »Vulnerable Marine Ecosystems« [VMEs] oder »Ecologically or Biologically Significant Marine Areas« [EBSAs] zu schützen. Wird ein Seeberg vor der Tiefseefischerei bewahrt, aber dann kurze Zeit später durch Bagger bei der Erzförderung zerstört, macht das alle vorangegangenen Anstrengungen zunichte und fügt der Glaubwürdigkeit der Meerespolitik erheblichen Schaden zu.

Das dritte Argument in dieser Reihe ist die behauptete Sozialverträglichkeit des Tiefseebergbaus. Auf See, heißt es, werde niemand vertrieben, um Minen zu betreiben. An Bord der Förderschiffe gebe es gute Jobs und keine Ausbeutung und die zusätzlichen Erze würden für eine weltweit gerechtere Rohstoffstoffverteilung zwischen Norden und Süden sorgen. Letzteres ist ein geradezu naiv anmutendes Versprechen, denn die Geschichte hat gezeigt, dass eine wachsende Menge an Rohstoffen keineswegs ohne Weiteres zu ihrer global gerechten Verteilung führt. Ebenso wenig sind von den hochtechnisierten Förderschiffen relevante Beschäftigungseffekte zu erwarten. Zudem sind schlechte Arbeitsbedingungen sowohl in der Schifffahrt als auch der Bergbauindustrie durchaus an der Tagesordnung.

Die übliche Praxis vieler an der Einführung des Tiefseebergbaus beteiligter Unternehmen macht da keine Ausnahme und läßt die positiv klingenden Vorhersagen unbegründet erscheinen. Die am Tiefseebergbau interessierten Konsortien suchen sich nicht umsonst Kleine Inselentwicklungsländer als Lizenzgeber. In dieser Geschäftsbeziehung haben die Konzerne eine starke, dominante Position. Das Vorgehen von Nautilus Minerals in Papua-Neuguinea bei dem Versuch das Förderprojekt »Solwara 1« umzusetzen, hat zudem gezeigt, dass die Tiefseebergbau-Konsortien in Kauf nehmen, die Gewässer im globalen Süden zu einem Versuchsgelände für ihre neue Risikotechnologie zu machen. Gerade in den AWZ wird jedoch deutlich, wie der Tiefseebergbau Menschenrechte und Ernährungssicherheit in Frage stellen kann. Sehr wohl können auch auf den Ozeanen Menschen vertrieben und ihre traditionellen Rechte hintergangen werden, welche entscheidend sind für die Existenz der Küstengemeinden im globalen Süden.


Eine Pfadentscheidung

Keines der zentralen Argumente für den Tiefseebergbau erscheint stichhaltig. Vielmehr erwecken sie den Eindruck des Greenwashings. Eine Entscheidung für oder gegen den Tiefseebergbau hat den Charakter einer grundsätzlichen Pfadentscheidung. Statt einen Weg zu beschreiten, der zunächst die Praxis und die Strukturen des Bergbaus sauber und gerecht gestaltet und auf eine Verringerung des Rohstoffverbrauchs und nachhaltigere Produktionsprozesse setzt, wird mit dem Tiefseebergbau ungebrochen ein unbegrenztes Wachstum angestrebt. Die sich international verbreitende Forderung nach einem Moratorium für den Tiefseebergbau ist in dieser Situation unzureichend.

Ein Moratorium zu fordern beinhaltet, dass in absehbarer Zeit Veränderungen stattfinden könnten, die es erlauben würden, dieses aufzuheben, insofern die formulierten Bedingungen erfüllt werden. So sät die Forderung nach einem Moratorium die Saat des Zweifels an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen zur Umsetzung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, die den Tiefseebergbau unnötig machen würde. Hingegen bleibt die Perspektive offen, dass Tiefseebergbau mittelfristig akzeptabel, sinnvoll und notwendig sein kann. Ähnliches gilt für die konkreten Verhandlungen von Umweltschutzmaßnahmen im Kontext des Tiefseebergbaus. Diese suggerieren, das momentane Fachwissen über die Ökologie der Meere würde ausreichen, um schon jetzt sinnvolle Regeln erlassen zu können, die den marinen Bergbau umweltpolitisch annehmbar machen. Beide Herangehensweisen erfordern, wenn auch zur Verbesserung der Konzepte, die Fortführung der Arbeit am Tiefseebergbau und geben dieser somit dauerhaft eine Rechtfertigung. Die Pfadentscheidung bleibt unbeantwortet.

Einzig die Forderung nach einem Stopp des Tiefseebergbaus gibt dem Meeresschutz Priorität und eröffnet hinreichend Raum für einen nachhaltigen Umbau der Rohstoffnutzung als auch der Durchsetzung von Klima- und Rohstoffgerechtigkeit. Vor diesem Hintergrund fordern viele zivilgesellschaftliche Organisationen im Pazifik, dem Herz der Auseinandersetzung um den Tiefseebergbau, dessen Stopp, und so auch Fair Oceans. Eine schlichte Alternative zum Tiefseebergbau wäre es, im globalen Norden steigende Metallpreise bei einem parallel sinkenden Ressourcenverbrauch zu akzeptieren und die Länder des globalen Südens beim Klimaschutz und der Nutzung nachhaltiger Zukunftstechnologien deutlich konsequenter zu unterstützen. Ohne ein generelles Umdenken werden ansonsten auf See die gleichen Fehler wie an Land wiederholt werden.

Mehr Hintergrundinformationen unter:
www.fair-oceans.info

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Quelle:
Infoflyer zum Tiefseebergbau, 2020
Text: Kai Kaschinski
Fair Oceans /
Verein für Internationalismus und Kommunikation e.V.
Bernhardstraße 12, 28203 Bremen
E-mail: contact@fair-oceans.info
Web: www.fair-oceans.info

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 3. August 2021

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