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PROTEST/021: Indien - Dorf protestiert gegen geplantes Kernkraftwerk, Sicherheitsmängel beanstandet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Januar 2013

Indien: Dorf protestiert gegen geplantes Kernkraftwerk - Sicherheitsmängel beanstandet

von K. S. Harikrishnan


Bild: © K. S. Harikrishnan/IPS

Fischer und ihre Familien protestieren gegen das Atomkraftwerk Kudankulam
Bild: © K. S. Harikrishnan/IPS

Kudankulam, Indien, 8. Januar (IPS) - Die indische Bäuerin Mahalakshmi sorgt sich um die Zukunft ihrer Familie. Denn am Rande des Dorfes Kudankulam nahe dem weltbekannten Touristenort Kanyakumari an der Südspitze des Subkontinents will die staatliche 'Nuclear Power Corporation of India' (NPCIL) ein Kernkraftwerk bauen. Der Auftrag wird wahrscheinlich noch im Januar vergeben werden.

Mahalakshmi und Dutzende weitere Frauen in Kudankulam im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu haben die Befürchtung, dass das Projekt ihnen ihre Lebensgrundlagen entziehen wird. In der Anlage sollen zunächst 1.000 Megawatt Strom produziert werden, wie NPCIL inzwischen mitgeteilt hat. Keine geringe Menge in einem Land, das mit gravierenden Energiedefiziten umgehen muss.

Bei den Anwohnern geht die Angst um, dass es in ihrer Nachbarschaft zu einer ähnlichen Katastrophe wie in dem japanischen Atomkraftwerk Fukushima kommen könnte, wo es im März 2011 nach einem Erdbeben und einem Tsunami zu einer Kernschmelze gekommen war. Auch das Desaster im ukrainischen Tschernobyl 1986 ist ihnen noch in Erinnerung. Die Menschen protestieren, weil sie den Verdacht haben, dass das geplante Kraftwerk vor ihrer Haustür nicht mit den besten Sicherheitsmechanismen ausgestattet ist.

Einer der aufgebrachten Dorfbewohner, Arul Vasanth, wirft Politikern, Wissenschaftlern und Verwaltungsbeamten vor, alles Erdenkliche unternommen zu haben, um den Widerstand gegen das gewinnträchtige Projekt zu ersticken. "Uns Armen machen die Behörden nur falsche Versprechungen", beschwert er sich. "Wir tragen die Risiken, deshalb werden wir bis zum Ende kämpfen."

Die Protestierenden leben fast alle unterhalb der von der Regierung festgelegten Armutsgrenze. Unmut gegen das Kraftwerk begann sich bereits 1988 zu regen, als Indien ein Abkommen mit der damaligen Sowjetunion schloss. 1997 flammten die Proteste erneut auf, als das Land eine weitere Übereinkunft mit Moskau unterzeichnete, um das Projekt wiederzubeleben.


Kein Vertrauen in den Staat

Nach der Katastrophe von Fukushima haben die Bewohner von Kudankulam einen neuen Anlauf genommen, um das Projekt abzuwehren. Auch ihre Nachbarn aus angrenzenden Dörfern befürchten Gesundheitsprobleme durch die Atomanlage. Der prominente Atomkraftgegner K. Sahadevan äußerte Zweifel an der Wirksamkeit der staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung.

"Gesundheitsprobleme, die durch radioaktive Strahlung hervorgerufen werden, sind für Menschen, die in der Nähe von Atomkraftwerken wohnen, eine große Gefahr", sagt er. Sahadevan verweist auf eine Studie, die nahe dem Atomkraftwerk Rajasthan durchgeführt wurde und hohe Risiken für Krebserkrankungen festgestellt hatte.

Bild: © K. S. Harikrishnan/IPS

Das umstrittene Kernkraftwerk Kudankulam
Bild: © K. S. Harikrishnan/IPS

Der Menschenrechtsaktivist Binayak Sen, der dem Steuerungsausschuss für Gesundheit in der Planungskommission angehört, erklärte nach einer Begehung der Baustelle, dass durch das Atomkraftwerk ernste gesundheitliche Schäden drohten - nicht nur für die unmittelbaren Anwohner, sondern für die gesamte Region.

Der Streit hat das tägliche Leben der Dorfbewohner verändert. Demonstrationen von Bauern, Fischern, Schülern und Küstenbewohnern können von den Behörden nicht mehr ignoriert werden.

Die Bauern beschweren sich darüber, dass die Regierung ihnen keine Entschädigungen für Ackerland gezahlt habe, das ihnen wegen des Bauprojekts weggenommen wurde. Ein Kleinbauer, der viele bürokratische Hürden überwinden musste, um einen Ausgleich zu erhalten, erklärte, dass er alternative Energien wie Windkraft bevorzuge.

Auch Jugendliche an einer höheren Schule in Kudankulam sind beunruhigt. "Ein Unfall in dem Kraftwerk würde unsere Träume zerstören", erklären sie. "Deshalb werden wir aktiv." Polizei und Geheimdienste gehen unterdessen gegen die Projektgegner vor. "Die Bedrohung durch die Polizei belastet unser Leben", sagt der Aktivist Peter Milton. "Selbst Schüler und Frauen werden schikaniert."


Hunderte Demonstranten festgenommen

Wie Medien berichten, wurden bisher etwa 270 Menschen im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen. Deren Führer versichern, dass die Dunkelziffer noch weit höher liegt. Tausende Gerichtsverfahren sind nach wie vor anhängig. Ein Vertreter der nationalen Fischergewerkschaft sagte, dass viele Leute unter dem Vorwurf des Aufruhrs in Gewahrsam genommen worden seien. Es werde versucht, die Protestbewegung mit eiserner Faust zu vernichten.

Der russische Gesandte in Indien, Alexander M. Kadakin, bezeichnete die Proteste als "Spielereien". Unterdessen befassen sich die höchsten juristischen Instanzen in Indien mit dem Kraftwerksbau. In mehreren Fällen muss nun der Oberste Gerichtshof Indiens entscheiden. Im November wies das Gericht die Regierung an, alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu veranlassen. (Ende/IPS/ck/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/01/villagers-wail-against-nuclear-power/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2013