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PROTEST/091: Chile - 'Gletscherrepublik' zur Rettung der schwindenden Süßwasserspeicher gegründet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Februar 2015

Chile: 'Gletscherrepublik' zur Rettung der schwindenden Süßwasserspeicher

von Marianela Jarroud


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

So könnte die Ernte ausfallen, wenn Obst und Gemüse ohne das Wasser der Gletscher auskommen müssten. Die Ausstellung war Teil einer Protestaktion von Greenpeace in der chilenischen Hauptstadt Santiago am 23. Januar 2015
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Santiago, 5. Februar (IPS) - Chiles etwa 3.000 Gletscher zählen zu den größten Frischwasserspeichern Südamerikas. Um sie vor weiteren Schäden durch Bergbau- und Infrastrukturprojekte zu bewahren, haben Umweltschützer ein 23.000 Quadratkilometer großes Andengebiet zur 'Gletscherrepublik' erklärt.

Dem von 'Greenpeace' bereits im März 2014 ausgerufenen 'Gletscherstaat' gehören inzwischen 165.000 'Bürger' an. Auch wurden weltweit 40 virtuelle 'Botschaften' ins Leben gerufen. "In unserem Land genießen die Gletscher keinerlei Schutz", begründet der Leiter des chilenischen Greenpeace-Büros, Matías Asún, den Vorstoß.

Gletscher sind die größten Süßwasserspeicher der Welt. 82 Prozent der südamerikanischen Eisriesen verteilen sich auf Chile, wo sie sowohl im Hochgebirge als auch im Süden des Landes anzutreffen sind. "Es gibt eine Vielzahl unterirdischer Gletscher, deren Wasser die Flussgebiete versorgt, die wiederum für die Landwirtschaft, Wirtschaft und andere menschliche Aktivitäten unverzichtbar sind", betont Asún.

Chiles Wirtschaft hängt vom Bergbau und vor allem vom Kupfer ab. Diese und andere Wirtschaftsaktivitäten sowie der Klimawandel haben den Eisriesen inzwischen so stark zugesetzt, dass sie sich auf dem Rückzug befinden.


"Beispiellose Eingriffe"

Bei einer Anhörung vor dem chilenischen Parlament hatte Alexander Brenning, Glaziologe an der Waterloo-Universität in Ontario, die menschlichen Eingriffe in die chilenischen Gletschersysteme als "beispiellos" bezeichnet. Es sei höchste Zeit, die kumulativen Auswirkungen der Interventionen zu untersuchen, forderte er.

Asún zufolge hat der verantwortungslose Umgang mit den chilenischen Gletschern den Ausschlag für die Gründung der 'Gletscherrepublik' gegeben. Gletscher seien Niemandsland. Das habe man sich zunutze gemacht und das gesamte Oberflächengebiet der chilenischen Gletscher auf der Grundlage der 'Übereinkunft der Rechte und Pflichten von Staaten' ('Konvention von Montevideo') zum Staatsgebiet erklärt.

In Artikel eins des 1933 in der uruguayischen Hauptstadt unterzeichneten Abkommens der amerikanischen Länder werden die vier Voraussetzungen für die Gründung eines Staates genannt: eine ständige Bevölkerung, ein bestimmtes festgelegtes Territorium, eine Regierung und die Fähigkeit, mit anderen Staaten in Beziehungen zu treten.

Mit Hilfe der Gletscherrepublik wollen die 'Bürger' die Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzes erreichen, das den kompletten Schutz der chilenischen Eisriesen vorsieht. Darin sollen die Gletscher als nationales öffentliches Gut und als strategisch wichtige Wasserreserven anerkannt werden. Auch soll genau festgehalten werden, welche Aktivitäten in welchen der unterschiedlichen Gletscherökosystemen erlaubt sein werden. Ferner soll eine Gnadenfrist und ein Zeitplan für das Ende der wirtschaftlichen Aktivitäten in den Gletschergebieten festgelegt werden.

Im Mai 2014 hatten Abgeordnete eines selbsternannten 'Gletscherausschusses', dem unter anderem die Ex-Studentenführerin und linke Abgeordnete Camila Vallejo angehörte, den Gesetzentwurf zum Schutz der Gletscher dem chilenischen Zwei-Kammer-Parlament vorgelegt. Im August hatte das Parlament zwar seine Bereitschaft bekundet, das neue Gesetz zu verabschieden. Doch geschehen ist bisher nichts.

Nach der derzeitigen Rechtsprechung sind wirtschaftliche Aktivitäten wie Bergbau und Infrastrukturmaßnahmen in Gletschernähe erlaubt, solange die möglichen Auswirkungen in der Machbarkeitsstudie erklärt werden und entsprechende Entschädigungen vorgesehen sind.

Nach Ansicht des chilenischen Glaziologen Cedomir Marangunic, der derzeit an unterschiedlichen Technologien zur Rettung und Neubildung von Gletschern arbeitet, spricht nichts dagegen, Tourismus- und Entwicklungsprojekte in Gletschernähe zuzulassen, solange diese gut reguliert würden. Allerdings müssten Gletscher, insbesondere diejenigen, die sich auf Privatgrundstücken befänden, per Gesetz zur Public domain erklärt werden.

Bild: © Orlando Ruz/IPS

Der chilenische Andengletscher 'El Morado'
Bild: © Orlando Ruz/IPS

Marangunic, Geologe an der Universität von Chile, der an der US-amerikanischen 'Ohio State University' seinen Doktor in Glaziologie gemacht hat, sieht nicht nur im Bergbau ein Problem für die Gletscher. Auch der Smog der großen Städte und Wald- und Graslandbrände hätten Spuren hinterlassen.


Indigene machen Pascua-Lama-Goldmine für Gletschersterben verantwortlich

Doch für die indigenen Diaguita im Huasco-Tal in der trockenen Nordregion Atacama, wo sich die Gold- und Silbermine Pascua Lama des kanadischen Unternehmens 'Barack Gold' befindet, steht der Hauptverantwortliche fest. So erklärte der Sprecher der indigenen Gemeinschaft, Sebastián Cruz, dass die Gletscher 'Esperanza', 'Toro 1' und 'Toro 2' durch den Minenbetrieb zu fast 99 Prozent zerstört worden seien.

"Die Gletscher sind die Wasserreserven, die uns seit jeher in Trockenzeiten am Leben erhalten", so Cruz. Das Huasco-Tal liegt in der Atacama-Wüste, einem der trockensten Gebiete der Welt, das sich im Norden Chiles von den Anden bis zum Pazifik erstreckt und von dem Wasser der Gletscher abhängt. Die Diaguita sind der Meinung, dass jede Rohstoffförderung in den Gletschergebieten und in deren Nähe grundsätzlich verboten sein sollte.

Chiles Staatspräsidentin Michelle Bachelet hatte im Mai in einer Ansprache an die Nation den Schutz der Gletscher zugesagt. Doch hat sie sich seither mit keinem Wort zu dem eingereichten Gesetzesentwurf geäußert, der von einigen Abgeordneten der regierenden 'Neuen Mehrheit' mitgetragen wird.

Die 'Bürger' der Gletscherrepublik haben indes angekündigt, nicht zu weichen, bis das Land über ein starkes Gesetz zum Schutz der Gletscher verfügt. "Bis dahin werden die Gletscher zur Gletscherrepublik gehören", betont der Greenpeace-Sprecher Asún. "Wir werden solange mit dem chilenischen Staat streiten, bis er seine Entschlossenheit, die Gletscher zu schützen, in Form eines durchschlagenden Gesetzes unter Beweis stellt." (Ende/IPS/kb/2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/02/una-republica-al-rescate-de-los-glaciares-de-chile/
http://www.ipsnews.net/2015/02/a-new-republic-to-save-chiles-glaciers/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. Februar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2015

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