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SOZIALES/014: Kapitalismus im grünen Gewand - Kritik auf Thematischem Sozialforum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Januar 2012

Umwelt: Kapitalismus im grünen Gewand - Kritik auf Thematischem Sozialforum

von Clarinha Glock

Straßenproteste in Porto Alegre - Bild: © Clarinha Glock/IPS

Straßenproteste in Porto Alegre
Bild: © Clarinha Glock/IPS

Porto Alegre, Brasilien, 31. Januar (IPS) - Die Teilnehmer des Thematischen Sozialforums, einem Ableger des Weltsozialforums (WSF), haben die Regierungen in Porto Alegre zu gravierenden Änderungen des herrschenden Produktions- und Konsumsystems aufgefordert.

Wie Edgardo Lander, Wissenschaftler an der Zentralen Universität Venezuelas und WSF-Vertreter seines Landes, in der Hauptstadt des südlichen Bundesstaates Rio Grande do Sul erklärte, setzt sich derzeit eine 'grüne' Form des Kapitalismus durch.

"Rio+20 findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem der Kapitalismus in einer tiefen Krise steckt und die ernsten Probleme, die durch die Grenzen des Wachstums und der Zerstörung der Lebensbedingungen auf der Erde entstanden sind, offen zutage treten", sagte er auf dem Thematischen Sozialforum vom 24. bis 29. Januar. Rio+20 meint die internationale Konferenz, die im kommenden Juni - 20 Jahre nach dem Erdgipfel in Rio de Janeiro - stattfinden wird.

Es sei wichtig, den Verlockungen des 'grünen' Kapitalismus zu widerstehen, sagte Lander. Erkennen lasse er sich daran, dass er allem einen materiellen Wert beimesse. "Dieses Modell, das von Bildung über Gesundheit bis zum Wissen der indigenen Völker alles zu vermarkten sucht, muss vernichtet werden."

Die Lage, in der sich derzeit die industrialisierte Welt befinde, habe zwar gewisse Ähnlichkeiten mit der Weltwirtschaftskrise von 1929, so João Pedro Stédile, Gründer der brasilianischen Landlosenbewegung MST und Mitglied der internationalen Bauernbewegung 'Vía Campesina'. "Der gravierende Unterschied ist jedoch, dass erstmals die ganze Welt von der Katastrophe betroffen ist."


Bedeutungslose Regierungen

Stédile zufolge ist vom internationalen Kapital kein Respekt mehr für Regierungsentscheidungen zu erwarten. "Niemand misst den UN-Resolutionen noch Bedeutung bei, und deshalb wird Rio+20 nichts weiter als ein schlechter Witz werden", sagte der MST-Vertreter in der Aula der Föderalen Universität von Rio Grande do Sul.

Ein Teil des Problems rühre von dem Bestreben des internationalen Großkapitals her, die nächste Akkumulationsphase zu schützen, fügte er hinzu. So gebe es eine Offensive, die darauf abziele, sich entscheidende Rohstoffe wie Land, Wasser und Erdöl anzueignen.

Dem Wirtschaftsexperten Marcos Arruda zufolge ist es wichtig, sowohl kurzfristige als auch mittel- und langfristige Lösungen zu finden. So gelte es dringend die Netzwerke einer solidarischen Wirtschaft weiter auszubauen. "Die solidarische Wirtschaft ändert das Hier und Jetzt, das Leben von Familien und Gemeinschaften und die Qualität der Regierungsführung", sagte er.

"Das Recht auf Eigentum sollte durch die Arbeit und nicht durch das Kapital bestimmt werden", forderte Arruda, Koordinator des Instituts für alternative politische Entscheidungen für den Südkegel (Lateinamerikas) und Vermittler der brasilianischen Zivilgesellschaft bei den Rio+20-Gesprächen.

Doch Arruda befürchtet, dass die großen Umweltkatastrophen schneller eintreten, als die Menschen ihre organisatorischen Fähigkeiten entwickeln können. Darüber hinaus fürchtet er, dass die notwendigen umweltpolitischen Entscheidungen auf den Gipfeltreffen nicht getroffen werden. Es fehle an dem erforderlichen politischen Willen.

Zur Zeit des Erdgipfels in Rio 1992 hätten sich die 20 Prozent Reichsten 82,7 Prozent aller Einnahmen gesichert, rechnete Arruda vor. Nach 20 Jahren Neoliberalismus habe sich der Anteil auf bis zu 91,5 Prozent erhöht. Die 20 Prozent der ärmsten gesellschaftlichen Kreise hingegen hätten 1992 Zugang zu 1,4 Prozent der Einnahmen gehabt und stünden heute mit 0,07 Prozent quasi vor dem Nichts.

Die Bereicherung einer immer kleiner werdenden Minderheit sei dem globalen Kapitalismus zu verdanken, kritisierte Arruda. Die nächste Phase werde darauf hinauslaufen, dass sich diese Minderheit die ökologischen Reichtümer der Erde einverleibe und zerstöre, um sich ein begrenztes Wirtschaftswachstum zu sichern.

"Nun kommt eine solidarische Wirtschaft daher, die sagt: 'Nein das darf nicht sein! Das ist Selbstmord! Wir müssen dem Wachstum Fesseln anlegen!'", betonte Arruda. Es sei höchste Zeit dafür zu sorgen, dass es allen Menschen und den künftigen Generationen besser ergehe. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.mst.org.br/
http://www.alliance21.org/2003/rubrique619.html
http://www.ipsnoticias.net/print.asp?idnews=100049

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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2012