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SOZIALES/061: Mexiko - Cocopah vom Aussterben bedroht, indigene Frauen führen Überlebenskampf an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. September 2014

Mexiko: Cocopah vom Aussterben bedroht - Indigene Frauen führen Überlebenskampf an

von Daniela Pastrana


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Prometeo Lucero

El Zanjón, das Kerngebiet des Biosphärenreservats 'Alto Golfo de California y Delta del Río Colorado' im Nordwesten Mexikos, wo die Cocopah bis zur Einschränkung der Aktivität stets ihren Fisch gefangen hatten
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Prometeo Lucero

El Mayor, Mexiko, 9. September (IPS) - Der Name ihres Volkes bedeutet in der eigenen Sprache 'Flussmenschen'. Mehr als 500 Jahre lang lebten die Mitglieder der Cocopah-Indianer am Unterlauf und im Delta des Flusses Colorado in den mexikanischen Bundesstaaten Baja California und Sonora sowie im US-amerikanischen Arizona.

Sie ernähren sich vom Fischfang und vom Kunsthandwerk und unterhalten enge Familienbande. Was sie weiter verbindet, sind ihre gemeinsamen Riten (Kurikuri), ihre Bestattungszeremonien und - seit einiger Zeit - ihre Entschlossenheit, zu überleben. Die Zeit drängt, denn von den Cocopah sind nur noch etwas mehr als 1.300 Mitglieder übrig geblieben, davon 300 in Mexiko.

"Ich bin Hilda Hurtado Valenzuela. Ich bin eine Fischerin. Und ich bin eine Cocopah", stellte sich unlängst die Vorsitzende der Gesellschaft und Kooperative des indigenen Volks der Cocopah vor. Ähnlich machten sich die anderen Frauen bekannt, als sie kürzlich in El Mayor im Nordwesten Mexikos über die nächsten Schritte diskutierten, die sie einschlagen wollen, nachdem sie der mexikanischen Regierung das Versprechen abringen konnten, mit ihnen über die geltenden Fischereirechte zu sprechen. Seit vielen Jahren gilt in ihrem Gebiet ein Fangverbot, das den Indigenen quasi ihre Lebensgrundlage entzog und sie dem Aussterben preisgab.

"Keine Regierung hat das Recht, uns unser Habitat zu nehmen", erklärte Hurtado im IPS-Gespräch in der Cocopah-Indigenengemeinschaft von El Mayor. Dort führen das Journalisten-zu-Fuß-Netzwerk ('Red de Periodistas de a Pie') und die mexikanische Kommission für die Verteidigung und die Förderung der Menschenrechte ein von der Europäischen Union finanziertes Projekt zum Schutz von Menschenrechtsaktivisten durch.


Sitzstreik

Im Mai hatte sich die 61-jährige Hurtado, vierfache Mutter und zehnfache Großmutter, am Rand der Straße niedergelassen, die die Hafenstadt San Felipe am Golf von Kalifornien mit Mexicali, der Hauptstadt des an die USA angrenzenden Bundesstaates Baja California verbindet. Sie löste ihren Sitzstreik erst auf, als die Bundesregierung versprach, mit der indigenen Gemeinschaft über das existenzgefährdende Fischereiverbot zu sprechen. Der Golf von Kalifornien ist eine Bucht zwischen dem mexikanischen Festland und der Halbinsel Baja California.

Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Prometeo Lucero

Eine Gruppe von Cocopah-Frauen von der Ungeteilten Gemeinde der Gemeinschaft der Cocopah-Indigenen von El Mayor im mexikanischen Bundesstaat Baja California
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Prometeo Lucero

"Die Regierung hat sich zu einem Schritt bereit erklärt, den sie schon vor 25 Jahren hätte tun müssen", meint dazu der Rechtsanwalt Ricardo Rivera de la Torre von der Bürgerkommission für Menschenrechte im Nordwesten. Die Organisation dokumentiert seit 2004 Bürgerrechtsverstöße in Baja California. Rivera de la Torre und Raúl Ramírez Baena haben den Fall 2008 vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gebracht.

"Die Regierung verstößt gegen das Recht des Cocopah-Volkes auf Mitsprache, wie sie in der Ureinwohnerkonvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorgesehen ist, die Mexiko 1990 ratifiziert hat", erläutert Ramírez Baena. Das Abkommen verlangt, dass vor der Durchführung von Projekten auf indigenen Territorien Beratungsgespräche mit den betroffenen Ureinwohnern erfolgen müssen.

Doch 1993 stimmte die Regierung ohne vorherige Rücksprache mit den Cocopah Beratungen der Einrichtung des Biosphärenreservats 'Alto Golfo de California y Delta del Río Colorado' zu. Kernstück des Reservats ist El Zanjón ('Der Graben'), aus dem die Cocopah Jahrhunderte lang ihren Fisch bezogen.

Die Spezies Cynoscion othonopterus, eine dem Barsch verwandte Weichfischart, von der sich die Indigenen ernähren, legt ihre Eier zwischen Februar und Mai vorwiegend in seichten Gewässern des Golfs von Kalifornien ab - dort, wo die Bundesstaaten Sonora und Baja California zusammenkommen. Gehandelt wird der Fisch meist in der christlichen Fastenzeit.

Nach der Einrichtung des Biosphärenreservats wurden 1995 ein Plan zur Verwaltung des Reservats sowie mehrere Gesetze verabschiedet, die den Schutz des ökologischen Gleichgewichts und eine Fangquote vorsahen. Dadurch wurden die Fischereiaktivitäten der Cocopah derart beschränkt, dass sie kein Auskommen mehr hatten.


Wenn Umweltschutz ein indigenes Volk bedroht

"Der Fall der Cocopah ist ein Beispiel dafür, wie extreme Schutzmaßnahmen die Existenz eines ganzen indigenen Volkes gefährden können", meint Yacotzin Bravo, ein weiterer Anwalt bei der Bürgerkommission für Menschenrechte im Nordwesten.

Die mexikanische Verfassung definiert Indigene als Nachfahren derjenigen Menschen, die die Gebiete vor der mexikanischen Staatsgründung besiedelten und die ihre Kultur oder wirtschaftlichen Institutionen beibehalten haben. Artikel 2 sieht vor, dass indigene Völker einen bevorzugten Zugang zu den natürlichen Ressourcen des Landes haben sollten.

"Indigene Rechte sind die Rechte ganzer Völker", betont der Experte für indigenes Recht, Francisco López Bárcena. "Nicht das Recht einzelner Personen, von Gemeindebezirken oder Landkommunen. Wenn wir über indigene Rechte sprechen, geht es um die Aneignung von Land, das notwendig ist, damit ein Volk als solches überleben kann." Die Cocopah hingen vom Fischfang ab und von der engen Beziehung zu ihrem natürlichen Umfeld, unterstreicht er. "Es geht ihnen nicht um Geld."

Zunächst einmal hatten die Agrargesetze dafür gesorgt, dass die indigenen Territorien geschrumpft sind. Dann wurden sie in ihren Fischereimöglichkeiten beträchtlich eingeschränkt. "Wenn sie nicht fischen können, müssen sie sich in anderen Teilen des Landes Arbeit suchen."

Jedes Jahr, bei abnehmendem Mond, beginnen die Seebarsche mit der Wanderung zu den flachen Gewässern des Colorado-Deltas, um dort zu laichen. Zu diesem Zeitpunkt beginnt auch die Fischereisaison. Die Cocopah fahren mit ihren 'pangas', ihren Fischerbooten, aufs Meer hinaus und verhalten sich ruhig, bis sie die Barsche hören. Dann ziehen sie ihre 'chinchorros' (Netze) ein. In der Fangsaison bringen sie es auf 200 bis 500 Tonnen Fisch. "Die Regierung weiß, dass wir keine Bedrohung für die Umwelt darstellen ", meint Juana Aguilar González, Vorsitzende der Cocopah-Gesellschaft für ländliche Produktion von El Mayor.

Neben den Indigenen gibt es zwei nicht-indigene Kooperativen in der Region, die die Barsche fangen. Die Fangkapazitäten von 'San Felipe' in Baja California und 'Santa Clara' in Sonora sind um das Zehnfache höher als die der Cocopah, wie Zahlen der staatlichen Kommission für Wissen und die Verwendung der Biodiversität (CONABIO) belegen.


Keine Gefahr für die Umwelt

Selbst wenn die Indigenen inmitten des Biosphärenreservats fischen würden, stellten sie für das ökologische Gleichgewicht oder die Spezies keine Gefahr dar, hieß es in der Empfehlung 8/2002 der Nationalen Menschenrechtskommission für Mexikos Umwelt- und Agrarminister.

"Das Dekret zur Einrichtung des Reservats hat unser Leben zum Negativen verändert", meint Mónica González, die Tochter des verstorbenen Cocopah-Gouverneurs Onésimo González. "Anstatt, dass wir uns damit befassen, unsere Tänze zu organisieren, müssen wir uns nun mit rechtlichen Verfahren, Gerichtsterminen und Festnahmen herumschlagen."

Die Cocopah, Nachfahren der Yumano, sind eine von fünf überlebenden indigenen Gruppen in Baja California. Im 17. Jahrhundert hatten noch 22.000 Cocopah das Delta des Colorado-Flusses bevölkert. Heute leben nur noch 1.000 im Cocopah-Indianerreservat in der südwestlichen Ecke von Arizona und weitere 300 in den mexikanischen Bundesstaaten Baja California und Sonora, wie die staatliche Nationale Kommission für die Entwicklung der indigenen Völker festgestellt hat.

Nach Schätzungen der Weltkulturorganisation UNESCO ist die Sprache Cocopah ebenso gefährdet wie die Volksgruppe selbst. Es gibt nur noch zehn Indigene, die sie sprechen können. Vor einigen Jahren hatte die 44-jährige Mónica González versucht, die Sprache wiederzubeleben. "Manchmal reden unsere Politiker von uns, als seien wir bereits ausgestorben", meint Mónica González. "Doch wir leben und werden weiterkämpfen." (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/09/el-pueblo-cucapah-se-niega-a-su-extincion-en-mexico/
http://www.ipsnews.net/2014/09/mexicos-cocopah-people-refuse-to-disappear/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2014