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SOZIALES/101: "Wenn nur die Kohle zählt" - Der Tagebau El Cerrejón im Norden Kolumbiens (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Deutschland / Kolumbien
Fokus: SDGs (Nachhaltigkeitsziele)

"Wenn nur die Kohle zählt" - Der Tagebau El Cerrejón im Norden Kolumbiens

Von Antje Vieth


(Berlin, 12. Februar 2019, npl) - Die deutsche Kohlekommission beschloss am 24. Januar 2018 mit dem sogenannten Kohlekompromiss den Ausstieg aus der Kohleproduktion bis zum Jahr 2038, also in knapp zwanzig Jahren. In Kolumbien ist das Ende bisher noch weniger in Sicht: Mit 69.000 Hektar ist El Cerrejón im Norden Kolumbiens der größte Steinkohletagebau Lateinamerikas und einer der größten weltweit. Die Lebensgrundlage für die Menschen, die hier weiterhin wohnen, ist nach 30 Jahren Förderung weitgehend zerstört. Besonders hart betroffenen sind die indigenen Gemeinden der Wayuú.

Ende November 2018 versammelten sich in einem Seminar- und Tagungshaus in Hüll im Norden Deutschlands unter dem Titel "Wenn nur die Kohle zählt" Aktivist*innen, Forscher*innen und Anwohner*innen aus Kolumbien und Deutschland, um sich über den Kohleabbau und seine Folgen auszutauschen. Auch Sindy Paola Bouriyuu, Sprecherin der indigenen Gemeinde der Wayuú, nahm an dem Seminar teil. Ihr Wohnort liegt nur wenige Kilometer von der riesigen offenen Steinkohlemine El Cerrejón entfernt. "In diesem Gebiet sind Kinder gestorben, weil sie den Staub, den die Mine permanent abstößt, eingeatmet haben oder weil sie Lungenprobleme bekommen haben", berichtet Sindy. Der Cerrejón ist ein offener Tagebau und sie wohnen mittendrin. Das einzige, was sie schütze, dass sie nicht ganz in die Dörfer eindringen, ist der Fluss Ranchería, der eine wichtige Wasserquelle ist, fügt sie hinzu.


Die Kinder kriegen keine Luft

Als Sindys Sohn anderthalb Jahre alt war, musste sie ihn zu Verwandten in eine andere Stadt weggeben; er konnte in der Comunidad Wayuú nicht mehr leben. Er bekam dort keine Luft; zu hoch war die Feinstaubbelastung, die durch die täglichen Sprengungen entsteht. Doch die indigene Aktivistin will hier bleiben, wie die meisten Dorfbewohner*innen. Sie sehen dieses Stück Erde als einen Teil von ihnen; zudem liegen hier ihre Ahnen begraben. Die kolumbianische Menschenrechtsanwältin Yessica Hoyes, die eng mit den Comunidades in der Region zusammenarbeitet, erklärt: "Es ist komplex und gleichzeitig auch interessant, die Weltanschauung der indigenen Gemeinden zu verstehen, weil sie komplett anders ist als das, was wir in der westlichen Welt gelernt haben. Diese geht ausschließlich vom Individuum aus, wie schütze ich mein Leben, wie schütze ich meine Gesundheit, während sich die indigenen Gemeinden als Ganzes verstehen. Ihre Vorfahren, die heiligen Orte sind super wichtig, sie haben auch eine sehr direkte Verbindung zur Vergangenheit."

Zwar verfügt auch die Steinkohlemine El Cerrejón über Messgeräte, um die Feinstaubbelastung regelmäßig zu überwachen. Doch an der Richtigkeit der offiziellen Messungen vom Cerrejón selber gibt es Zweifel. Die Werte liegen vermutlich weit über den von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Höchstwerten. Die Messanzeiger werden direkt von Mitarbeiter*innen des Cerrejón kontrolliert: "Niemand garantiert uns, dass sie korrekt messen", fügt Anwältin Yessica Hoyos hinzu. "Um zuverlässiges Datenmaterial zu erhalten, bräuchten wir Messungen, die von unabhängigen Stellen durchgeführt werden."


Es gibt kein Wasser mehr

In der Provinz La Guajira im Nordosten Kolumbiens sind in den letzten Jahren über 5.000 Kinder gestorben; nicht nur an den Folgen der hohen Feinstaubbelastung, sondern auch an Wasser- und Nahrungsmangel. Das Wasser des Flusses Ranchería sowie das Grundwasser der Region wurden vom Bergbau geradezu verschluckt. El Cerrejón verbraucht am Tag schätzungsweise 45 Millionen Liter Wasser, während der Bevölkerung in La Guajira heute im Schnitt weniger als ein Liter Trinkwasser pro Person zur Verfügung steht. Die indigene Aktivistin Sindy Bouriyuu berichtet: "Wir sind abhängig vom Wasser, damit wir anbauen können, was wir zum Leben brauchen. Früher reichte das. Aber jetzt haben wir kein Wasser mehr."

In Kolumbien wurden allein in 2017 knapp 90 Millionen Tonnen Kohle produziert, fast ausschließlich in den Regionen Cesár und La Guajira im Norden des Landes. Inzwischen sind die Steinkohleimporte aus Kolumbien in Deutschland etwas zurückgegangen. Dafür wurde die Türkei zu Kolumbiens wichtigsten Handelspartner auf diesem Gebiet. 17 Millionen Tonnen Steinkohle importierte die Türkei in 2017 aus dem Cerrejón. Die rücksichtslose Bergbaupolitik des lateinamerikanischen Landes müsse aufhören, fordert Felipe Corral von der Forschungsgruppe CoalExit an der TU Berlin. Auch im Sinne des Klimaschutzes dürften Konzessionen an ausländische Konzerne nicht mehr verlängert werden.


Kurzer Erfolg: Consultas Populares

Wie kann es gelingen, dass keine weiteren Konzessionen mehr vergeben und bestehende Kohlereserven nicht mehr gefördert, sondern in der Erde belassen werden? Wirtschafts- und Strukturpolitikforscher Felipe Corral berichtet von Volksentscheiden, den sogenannten Consultas Populares, die rechtsverbindlich über die Landvergabe entscheiden konnten. Doch das war nur kurzzeitig erfolgreich. Da wo sie durchgeführt wurden, wurde Bergbau gestoppt. Daraufhin waren Consultas Populares nur mit eigener Finanzierung möglich, ohne öffentliche Mittel. Auf Grund verschiedener Klagen aus der Wirtschaft wurde die rechtliche Bindung der Consultas Populares schließlich aufgehoben. Im Oktober 2018 entschied das kolumbianische Verfassungsgericht dann endgültig, dass Consultas Populares nicht über Landvergabe entscheiden können. Politisches Instrument bleiben sie trotzdem, sagt Felipe Coral und sieht vor allem eine Chance, wenn sich die Bevölkerung selber organisiert.

Auch Menschenrechtsanwältin Yessica Hoyos setzt auf Bildungs- und Aufklärungsarbeit - bei den Bewohner*innen der betroffenen Regionen und darüber hinaus: "Der Strand von Santa Marta ist international bekannt für seinen weißen Sand. jetzt ist er nicht mehr so weiß und man sieht dunkle Flecken. Viele Menschen wissen nicht, dass die schwarzen Flecken vom Kohlenstaub kommen".


Klimawandel stoppen

Um dem Klimawandel abzuwenden, müssten laut Expert*innen über 70 Prozent der Kohlevorkommen und mindestens die Hälfte der weltweiten Gas- und Ölreserven in der Erde belassen werden. Die Dürre im Sommer 2018 in Deutschland hat vielen die Realität der globalen Erwärmung vor Augen geführt. Auch wenn der Kampf gegen die multinationalen Konzerne immer wie ein Kampf des David gegen Goliath erscheint, werden die Proteste mehr. Und sie sind - wie das Seminar der kolumbianischen und deutschen Aktivist*innen im November 2018 im Bildungs- und Tagungshaus in Hüll zeigte - zunehmend international miteinander verknüpft und bilden ein Netz aus vielen kleinen Protesten, die in den letzten Jahren wieder lauter wurden.


Zu diesem Artikel gibt es auch einen Audiobeitrag: https://www.npla.de/podcast/wenn-nur-die-kohle-zaehlt


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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2019

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