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URBAN/011: Growing the good food revolution! Gemeinschaftsgärten in Nordamerika (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 111/4.2011

Growing the good food revolution!
Gemeinschaftsgärten in Nordamerika

von Ella von der Haide


"We are growing a revolution here! A good and just food revolution!", so eröffnet Will Allen die Konferenz Growing Power: Urban and Small Scale Farming am 12. September 2010 in Milwaukee. 2000 ExpertInnen, GemeinschaftsgärtnerInnen, städtische Bauern und Bäuerinnen aus den USA und der ganzen Welt haben sich dort versammelt, um sich zu vernetzen und um über die jeweiligen Erfahrungen in den urbanen Gärten und Farmen zu berichten.

Ich selbst halte einen Vortrag über Gemeinschaftsgärten in Deutschland, denn ich verbringe diesen Sommer in den USA und in Kanada, um einen Dokumentarfilm über die Bewegung der Gemeinschaftsgärten in Nordamerika zu drehen. Will Allen, ein ehemaliger schwarzer Basketballstar, hat in Milwaukee ein ganzes Netzwerk an städtischen Farmen und Gemeinschaftsgärten aufgebaut. Ökologisches Gemüse, Eier, Milch und Fisch werden produziert, Schulungen abgehalten, neue intensive Anbaumethoden ausprobiert und politische Perspektiven entwickelt. Die Ziele der städtischen GärtnerInnen sind, alle mit gutem, erschwinglichem Essen zu versorgen, sich von der staatlich gesteuerten, industriellen Landwirtschaft unabhängig zu machen, so wie allen Zugang zur Landwirtschaft und ein besseres Leben zu ermöglichen.

Der Slogan, auf den sich die urbanen Garten-Bewegungen im Moment konzentriert, ist "Food Justice", Ernährungsgerechtigkeit. Denn in den USA ist derzeit der Zugang zu guten Lebensmitteln nicht mehr für alle Menschen gegeben. In vielen Wohngebieten gibt es keine Supermärkte mehr und selbst wenn es noch Läden gibt, werden dort schlechtere Lebensmittel verkauft. Generell sind die Lebensmittelpreise in den letzten Jahren stark angestiegen, die Qualität aber weiter gesunken.


Detroit: Bauernmärkte zwischen Ruinen

Unglaublich ist die Situation in Detroit: Die Stadt ist durch Entvölkerung und Segregation geprägt. Seit den 1960er Jahren sind kontinuierlich die meisten Weißen weggezogen. Heute leben noch 800.000 Menschen von ehemals drei Millionen hier. 80 Prozent der EinwohnerInnen sind Schwarze.

Die Arbeitslosenrate liegt bei über 25 Prozent und 2004 hat die letzte Supermarktkette alle ihre Filialen in der Stadt geschlossen. Jetzt kann fast nur noch in den "Liquor Stores", den Alkoholläden, eingekauft werden, in denen es neben Alkohol noch ein paar Fertiggerichte, aber bestimmt kein frisches Gemüse gibt. Doch seit einigen Jahren entsteht ein alternatives Ernährungssystem. Auf den vielen brachgefallenen Grundstücken werden immer mehr Gärten angelegt, viele davon als Gemeinschaftsgärten. Meine ausgedehnten Radtouren kommen mir wie eine Reise in die Zukunft der post-industriellen Stadt vor. Zwischen den Häuserruinen wächst Gemüse und Tiere werden gehalten. Um die angebauten Produkte zu vermarkten, ist ein Netz unterschiedlicher "Farmer Markets" (Bauernmärkte) in der Stadt entstanden.

Ich habe in Detroit in der D-Town Farm die AktivistInnen des Black Food Justice Network kennengelernt und interviewt. Durch ihren Garten verhelfen sie der schwarzen Bevölkerung nicht nur zu besseren Lebensmitteln, sondern setzen dem rassistischen Verteilungssystem etwas entgegen. Sie sehen ihren Garten nicht nur als Produktionsort für Lebensmittel, sondern auch für Solidarität und kritisches Bewusstsein.


Gemeinsam Gärtnern in kanadischen Städten

Die Gemeinschaftsgartenbewegungen in den USA und in Kanada sind miteinander vernetzt, denn die Situation ist ähnlich. In Vancouver gibt es eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Gemeinschaftsgärten: Auch dort betreiben marginalisierte Gruppen Gemeinschaftsgärten, um selbst aktiv zu werden und um gute Lebensmittel zu produzieren. Ich habe den Garten der "Aboriginal Soupkitchen" (Ureinwohner Volksküche) auf dem Gelände der Universität von British Columbia besucht. Dort gärtnern unter anderem Angehörige des Masqueam Stamms. Diese indigenen Kanadier ("First Nations") haben zwar kleine selbstverwaltete Territorien zugesprochen bekommen, erfahren in der Gesellschaft jedoch viele Formen von Rassismus und sind häufig sehr arm. Der Gemeinschaftsgarten und die Volksküche, in der das Gemüse aus dem Garten gekocht wird, sind hier eine wichtig ökonomische Unterstützung. Sie bieten aber auch Ausbildungsplätze und ermöglichen den jungen Masqueam so den Zugang zum Arbeitsmarkt.

Eine ganz andere Art von ästhetisch orientierten Gemeinschaftsgärten findet sich über ganz Vancouver verteilt, vor allem aber in den Vierteln besser gestellter Gruppen. Die Stadtverwaltung unterstützt das Anlegen von Gärten auf breiten Gehwegen und Verkehrsinseln. Wenn sich eine Gruppen von AnwohnerInnen bereit erklärt, eine solche Fläche zu begärtnern, werden Erde, Mulch und Pflanzen zur Verfügung gestellt. Das Ergebnis sind kleine individuell und oft künstlerisch gestaltete, öffentliche Gärtchen.


New York: Fast in jedem Block ein Gemeinschaftsgarten

In New York war ich in der Augusthitze von Community Garten zu Community Garten unterwegs. Vor allem in den ärmeren Wohngegenden findet sich fast in jedem Block ein Gemeinschaftsgarten. So konnte ich von einer schattigen Oase in die nächste flüchten. Insgesamt gibt es derzeit um die 600 Gemeinschaftsgärten, die meisten von ihnen befinden sich auf städtischem Grund. Auch in New York gibt es ganz unterschiedliche Motivationen für die Anlage der Gärten. Es gibt Gärten von KünstlerInnen, die sie als erweitertes Studio und Ausstellungsfläche sehen. Es gibt Gärten, die von Gruppen von Migranten unterhalten werden, z. B. der puertoricanische Garten, in dem nicht nur viele Fahnen wehen und puertoricanische Kunst zu sehen ist, sondern der als Treffpunkt der Gemeinschaft funktioniert, ganz zu schweigen von puertoricanischen Kräutern und Gemüse. Und es gibt Gärten, die sich als Agora, als öffentlicher Raum verstehen, in dem politisch diskutiert werden kann, jenseits des Prinzips "zero tolerance", der Angst vor Terrorismus und polizeilicher Überwachung.

Und dann gibt es Gartenprojekte wie "Petite Versailles", die sich explizit als queer Projekte verstehen. Auf meiner Reise durch die Gemeinschaftsgärten habe ich eine Vielzahl schwul- oder lesbisch lebender GärtnerInnen kennengelernt, die mich immer wieder auf die ungewöhnliche Verbindung von queer sein und Gartenarbeit hingewiesen haben. Rund um urbane Gärten entsteht derzeit in den USA ein neues Naturverständnis: Gruppen, die bisher weder mit Gartenarbeit oder Landwirtschaft assoziiert wurden, engagieren sich öffentlich und eröffnen dadurch völlig neue Handlungsfelder.

Viele der Gemeinschaftsgärten haben einen Verkaufsstand auf einem der vielen Bauernmärkte in New York. Diese werden maßgeblich durch den gemeinnützigen Verein "Just Food" (Gerechte Lebensmittel) unterstützt und koordiniert. Durchgeführt werden die einzelnen Märkte fast ausschließlich von Ehrenamtlichen. Die Möglichkeit, die Produkte des Gemeinschaftsgartens zu verkaufen und dadurch die laufenden Kosten des Gartens zu decken, wird gut angenommen. Die Lebensmittel, die dort verkauft werden, sind staatlich subventioniert. So können Personen, die Sozialhilfe in Form von Lebensmittelmarken erhalten, diese auf dem Markt für das Doppelte ihres Wertes eintauschen. Zusätzlich gibt es Gemüsekisten für ältere Menschen, die wöchentlich ins Haus geliefert werden. Gleichzeitig sind diese Farmer Markets auch Treffpunkte der lokalen Nachbarschaften, die für Gemeinwesenarbeit genutzt werden.

Drei Samstage nacheinander habe ich auf dem Bauernmarkt des Hattie Carthan Community Gardens in Brooklyn verbracht. Yonette Fleming bereitet dort in einer mitreißenden einstündigen Show frisches Gemüse und Obst aus dem Garten zu und vermittelt gleichzeitig Gesundheitstipps, Theorien um Slow Food, berichtet über ihre Antirassismusarbeit und feministische Projekte und kritisiert das US-amerikanische Ernährungssystem. Es ist ein sozialpolitischer Genuss! Es gäbe noch viel zu erzählen über Gemeinschaftsgärten in Nordamerika. Viele Städte verändern gerade ihre Planungsgesetze oder erlassen neue Regelungen, um Gemeinschaftsgärten und Kleintierhaltung in der Stadt einen gesicherten Status zu geben.

Und gleichzeitig gibt es auch Stimmen die meinen, urbane Gemeinschaftsgärten würden überbewertet und dass das Gärtnern doch nur die Symptome des kapitalistischen Systems behandeln würde. Doch überwiegend ist die Stimmung unter den GärtnerInnen euphorisch und die Vielzahl der angeschnittenen und kritisch behandelten Themen ist so groß, dass ich mich mit gutem Gewissen mitreißen und mir vor allem die Tomaten, Gurken und Okras hab schmecken lassen: Denn darum geht's doch in der Good Food Revolution.

Ella von der Haide ist Gartenaktivistin und Dokumentarfilmerin. Sie forscht und filmt seit vielen Jahren weltweit in Gemeinschaftsgärten.

Infos zu den Dokumentarfilmen (Bezugsmöglichkeit), auf:
www.eine-andere-welt-ist-pflanzbar.de

Kontakt: post(at)ella-von-der-haide.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

AktivistInnen der D-Town Farm in die Detroit: Sie sehen ihren Garten nicht nur als Produktionsort für Lebensmittel, sondern auch für Solidarität und kritisches Bewusstsein

In New York gibt es 600 Gemeinschaftsgärten: die meisten auf städtischem Grund


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 111/4.2011
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2011