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WALD/121: Brasilien - Entwaldung rückläufig, Umweltschützer melden Zweifel an der Bilanz an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Juni 2013

Brasilien: Entwaldung rückläufig - Umweltschützer warnen jedoch vor den Folgen des Wirtschaftswachstums

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Mario Osava/IPS

Kleinbrände tragen auch zur Entwaldung des brasilianischen Amazonasgebietes bei
Bild: © Mario Osava/IPS

Rio de Janeiro, 19. Juni (IPS) - Der brasilianischen Regierung ist es gelungen, die Rate der Entwaldung des Amazonasgebiets in den letzen acht Jahren um 84 Prozent zu drücken. Doch nach Ansicht von Umweltschützern würde sich die gute Nachricht schnell relativieren, würden die rücksichtslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und die Verwendung von Agrarchemikalien in die Rechnung aufgenommen.

Wie der Leiter der staatlichen Behörde für Maßnahmen zur Bekämpfung gegen die Abholzung des Amazonasgebietes, Gustavo Oliveira, erklärte, haben Brasiliens linke Staatspräsidentin Dilma Rousseff und ihre Umweltministerin Izabella Teixeira die freudige Nachricht in diesem Monat verkündet. Es sehe danach aus, als könne die Mission bald als abgeschlossen betrachtet werden.


Geringste Abholzungsrate seit 1988

Zwischen August 2011 und Juli 2012 wurden 4.571 Quadratkilometer Amazonas-Regenwald abgeholzt. Das ist die niedrigste Entwaldungsrate seit der vom Institut für Raumforschung durchgeführten Satellitenkontrollaufnahmen. Sie ist um 27 Prozent niedriger als die des vorangegangenen Vergleichszeitraums.

"Wir sind bei dem niedrigsten Wert unserer Geschichte seit 1988 angekommen", sagte Oliveira. 2004, als der interministerielle Aktionsplan zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung, Brände und illegalen Ausbeutung der Hölzer im Amazonasgebiet angelaufen ist, beliefen sich die jährlichen Verluste noch auf 27.772 Quadratkilometer. Die Entwaldungsrate sei seit Beginn des Programms um 84 Prozent rückläufig.

Das Amazonasgebiet Südamerikas erstreckt sich über eine Gesamtfläche von 5.033.072 Quadratkilometern. 61 Prozent davon befinden sich auf brasilianischem Territorium.

Der Rückgang des Holzeinschlags hat einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass Brasilien dem Ziel eines Rückgangs der klimaschädlichen Treibhausgase entschieden näher gekommen ist.

Für 2020 will Brasilien die Entwaldungsrate im Vergleich zu 1990 um 80 Prozent reduziert haben. Die 76-Prozent-Hürde sei bereits genommen, erklärte Brasiliens Umweltministerin Teixeira am 5. Juni.

Wie Carlos Painel von der Umweltorganisation Alternative Blaue Erde erläutert, haben verschiedene Faktoren zu dem Erfolg beigetragen. Indem die Bundesregierung ihre Finanzpolitik verbessert habe, konnte sie den illegalen Holzeinschlag und die Brandodung im Amazonasgebiet einschränken.

Der Plan wurde zu Anfang der Regierungszeit des damaligen linken Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2011) eingeführt. Er steht auf drei Säulen: einer besseren Kontrolle und höheren Strafen für die illegale Entwaldung, einer Förderung nachhaltiger Aktivitäten und einer nachhaltigen territorialen Neuordnung.

Im Zuge dieser Neuordnung wurden Waldschutzeinheiten von 250.000 Quadratkilometern Gesamtgröße geschaffen, die den offiziellen Angaben zufolge drei Viertel der weltweiten Schutzgebiete umfassen.

Die Umweltbewegung im Lande hat die neuen Ergebnisse begrüßt, gleichzeitig jedoch auf Nebenerscheinungen und künftige Gefahren für das Amazonasgebiet hingewiesen.

Painel zufolge ist es im letzten Jahr und vor allem seit der damaligen Verabschiedung des neuen Waldgesetzes zu einem Rückschlag beim Waldschutz gekommen. Die von der Agroindustrie vorangetriebene Reform habe wieder zu einem Anstieg der Entwaldungsrate geführt und somit das Amazonasgebiet erneut in Gefahr gebracht.

Das umstrittene Gesetz sieht eine Amnestie für all jene vor, die vor 2008 illegal Holz geschlagen hatten. Der ehemalige Abgeordnete Fernando Gabeira, ein Mitglied der brasilianischen Grünen, ist der Meinung, dass sich bei den Großgrund- und Holzunternehmern ein Gefühl breit gemacht hat, dass sie keine Strafen zu fürchten hätten und es möglichst viele Bäume zu schlagen gelte, ehe es mit dem illegalen Geschäft ganz vorbei sein könnte.


Hohe Nachfrage Chinas problematisch

Umweltschützer sind der Meinung, dass die Ökobilanz für das Amazonasgebiet auch die Kosten der Industrialisierung beinhalten sollte. Das brasilianische Wirtschaftswachstum gründet auf der landwirtschaftlichen Produktion und dem Bergbau. Das südamerikanische Land will zum weltgrößten Nahrungsmittelproduzenten werden. China ist derzeit der Hauptabnehmer brasilianischer Agrarerzeugnisse. "Die Entwaldungsrate hängt entscheidend von China ab, wie viel Soja, Fleisch und Rohstoffe es kauft", meinte Gabeira.

Laut Painel ist auch die Verschiebung der Waldgrenze aufgrund der Ausweitung von Sojaproduktion und Viehzucht ein entscheidender Faktor, der über die Zukunft des Amazonasgebietes entscheidet.

Dem Experten zufolge ist es wichtig, sämtliche Auswirkungen der Landwirtschaft einschließlich der durch den Einsatz von Agrarchemikalien entstehenden Schäden in die Rechnung aufzunehmen. "Doch bisher werden weder den verwendeten natürlichen Ressourcen noch der Tatsache Aufmerksamkeit geschenkt, dass eine nachhaltige organische Landwirtschaft derzeit nicht stattfindet."

Ebenso wies er darauf hin, dass Brasilien zurzeit der größte Abnehmer von Pestiziden sei und für die Agroindustrie Unmengen an Wasser verbraucht würden. "Für jedes Kilogramm Exportfleisch werden tausende Liter der weltweit kostbaren Ressource Wasser verbraucht. Ebenfalls in die Rechnung aufgenommen werden müsse der "übertriebene" Treibstoffverbrauch für Produktions- und Transportzwecke.

"Es gibt keinen Grund, warum wir in die Rolle des Welternährers schlüpfen sollten", meinte Painel. "Ebenso wenig ist es unsere Aufgabe, in China Millionen von Mastschweinen mit Soja zu füttern."

Gustavo Oliveira zufolge gilt es im Umgang mit dem Amazonasgebiet die Spreu vom Weizen zu trennen. So gibt es im Regenwald durchaus Menschen, die die natürlichen Reichtümer korrekt und nachhaltig bewirtschafteten. Leider jedoch überwögen die illegalen Akteure.


Progressive Agrarpolitik gefordert

Painel vertritt die Meinung, dass sich Brasilien von seiner rückständigen und auf Ressourcenausbeutung beschränkten Agrarstrategie verabschieden muss. "Die Landwirtschaft spielt eine wichtige Rolle für unsere Wirtschaft, doch ist sie in ihrer jetzigen Erscheinungsform längst überholt."

Mit einigen wenigen Ausnahmen gehe es den meisten großen Herstellern darum, möglichst viel Land anzuhäufen. Für dieses Ziel seien sie sogar bereit, in Schutzgebiete vorzudringen. "Und sie haben keine Skrupel, für die Produktion den Entwaldungsprozess auf die Spitze zu treiben." (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/2013/06/las-cuentas-pendientes-en-deforestacion-de-la-amazonia-brasilena/

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IPS-Tagesdienst vom 19. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2013