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WIRTSCHAFT/041: Stand der TTIP-Verhandlungen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Wachstum nur mit minimalen Standards?
Stand der Verhandlungen des TTIP

von Alessa Hartmann



Der Saal in der Vertretung der Europäischen Kommission ist bis auf den letzten Platz gefüllt, der Andrang ist enorm an diesem Montagmorgen im Februar. Der Grund? Garcia Bercero von der EU-Kommission und Verhandler der EU-USA-Handels und Investitionspartnerschaft TTIP ist auf Deutschlandtournee, um für das ehrgeizige Vorhaben eines standardsetzenden Freihandelsabkommens zu werben. Termine bei den Landesregierungen, im Bundestag und eben auch einer für die interessierte Öffentlichkeit im Europäischen Haus in Berlin. Und die Öffentlichkeit ist sehr interessiert, wie auch Garcia Bercero im Laufe des Vormittags zu spüren bekommt. Es hagelt kritische Fragen, niemand im Saal scheint das Abkommen zu begrüßen.


Bereits Anfang des Jahres reagierte die EU-Kommission auf den immer stärker werdenden öffentlichen Druck und kündigte an Mitte März eine öffentliche Konsultation des Investitionsschutzkapitels mit den hoch umstrittenen Investor-Staat-Klagerechten durchzuführen. Offensichtlich haben die europäischen Verhandlungsführer endlich gemerkt, dass es eine Menge Menschen in Europa gibt, die ein solches Abkommen nicht wollen. Ein Verhandlungstext der EU werde online gestellt und soll von allen europäischen BürgerInnen kommentiert werden können. Drei Monate sind deshalb die Verhandlungen um das Investitionsschutzkapitel unterbrochen, das restliche Abkommen wird aber weiter verhandelt. Böse Zungen behaupten Handelskommissar Karel de Gucht hätte mit diesem Schritt verhindern wollen, dass der Investitionsschutz Thema im EU-Wahlkampf werde. Auffällig ist es schon, dass die Verhandlungspause direkt nach den Wahlen am 25. Mai endet. Aber auch wird die Konsultation eine bloße Beschäftigungsmaßnahme für Nichtregierungsorganisationen und die Öffentlichkeit bleiben. Es ist völlig unklar, wie sich die Ergebnisse der Konsultation auf den Verhandlungstext auswirken. Und auch ein »reformiertes« Investitionsschutzkapitel bedeutet immer noch, dass Staaten mit einem demokratischen Rechtssystem, wie die USA oder die Länder Europas, legitimierte nationale Rechtswege umgehen und vor einem internationalen Schiedsgericht klagen können. Zudem ist nicht nachvollziehbar, weshalb denn nun nicht auch bei dem Investitionsschutzkapitel des CETA eine Konsultation stattfindet. Immerhin ist das Abkommen beinahe fertig verhandelt und die kritischen Punkte, die nun beim TTIP reformiert werden sollen, sind im CETA bereits enthalten.

Konsultation nur ein Etappensieg
KritikerInnen des Abkommens feiern die Konsultation deshalb auch höchstens als Etappensieg. Zudem hat die Kommission bei der 4. Verhandlungsrunde Mitte März in Brüssel weiter über Investitionsschutz mit den USA verhandelt, sie haben nur keine Texte mehr dazu vorgelegt. Das ist also das Verständnis der Kommission von »Verhandlungspause«. Immerhin hat die Bundesregierung sich Mitte März öffentlich gegen Investor-Staat-Klagerechte im TTIP ausgesprochen, es bleibt aber abzuwarten, ob das Auswirkungen auf den weiteren Verhandlungsverlauf hat.

Denn auch andere Verhandlungsinhalte sind brandgefährlich. So wird derzeit über regulatorische Kooperation und über die Einrichtung eines sogenannten »Regulierungsrats« verhandelt. Es kann nämlich sein, dass in dem finalen TTIP-Abkommen nichts von Marktöffnung für Chlorhühnchen steht. Doch das TTIP ist als sogenanntes »living agreement« geplant. Das bedeutet, dass nachdem Parlamente das Abkommen ratifiziert haben, es weiter verändert und ausgebaut werden kann, ohne dass Parlamente groß gefragt werden. So werden demokratische Gesetzgebungsprinzipien umgangen und unsere Demokratie ausgehöhlt. Die EU und die USA wollen sich auf Verfahren einigen, die in der Zukunft dafür sorgen, dass Regulierungen auf beiden Seiten des Atlantiks aufeinander abgestimmt werden. Für die praktische Umsetzung dieser Deregulierung soll nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen ein Regulierungsrat eingesetzt werden, eine Institution, in der ungewählte BürokratInnen über zukünftige Regeln und Standards entscheiden könnten. Die Vorschläge, die man geleakten Dokumenten entnehmen kann ermöglichen sogenannten Stakeholdern - eigentlich allen, aber in der Realität denen, die die größten Büros und Personalkapazitäten in Brüssel haben und dass ist die Konzernlobby - weitreichende Möglichkeiten sehr früh Kommentare abzugeben, lange bevor ein Parlament einen solchen Vorschlag sieht. In den USA gibt es bereits Erfahrungen mit solchen Regulierungsräten, die zeigen, dass es dadurch zu oft jahrelangen Verzögerungen von Regulierungen zum Schutz der Umwelt und BürgerInnen kommt.

Transatlantische Zivilgesellschaft organisiert sich
Diese Einschätzung wurde von den amerikanischen TeilnehmerInnen des 1. Strategischen transatlantischen Treffens der Zivilgesellschaft bestätigt. Bei dem Treffen von rund 90 VertreterInnen aus Europa, den USA und Kanada, diskutierten Angehörige von Umwelt-, Landwirtschafts- und Entwicklungsorganisationen, Verbraucherschützer und Gewerkschaften, sowie Mitglieder der Datenschutzszene zwei Tage lang ein gemeinsames Vorgehen bezüglich des TTIP mit Blick auf die kommenden Verhandlungsrunden im Mai, Juli, Oktober und Dezember dieses Jahres. Eine kritische Begleitung der Verhandlungen durch die Zivilgesellschaft ist also gesichert und angesichts der drohenden Untergrabung der Demokratie durch das Abkommen auch bitter nötig!


Autorin Alessa Hartmann ist Referentin für internationale Handelspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014, Seite 17
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2014